Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung wegen falscher Beantwortung der Frage nach Stasi-Mitarbeit
Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage der Kongruenz der Kündigungsregelungen nach Einigungsvertrag und § 1 KSchG
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; EV Abs. 5 Ziff. 2 EV
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 30. Oktober 1995 – 9 Sa 72/95 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin war seit dem 1. Oktober 1968 als Dipl.-Lebensmittelchemikerin im Bezirks-Hygiene-Institut Berlin (Ost) tätig. Diese Einrichtung wurde nach dem Einigungsvertrag (EV) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik mit Wirkung vom 15. Dezember 1990 auf das Land Berlin überführt. Seit diesem Zeitpunkt war die Klägerin in der Abteilung der Senatsverwaltung für Gesundheit des beklagten Landes als wissenschaftliche Angestellte tätig und wurde nach VergGr. I b BAT – zuletzt ca. 8.100,– DM monatlich – vergütet. Zu ihren Aufgaben gehörte die wissenschaftliche Mitarbeit beim Referat (Lebensmittelchemie, Überwachung nichttierischer Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, Kosmetika, Bedarfsgegenstände) und die selbständige wissenschaftlichfachliche Bearbeitung der Sachgebiete Ernährung, Diätetik, Nährwertkennzeichnung, Kennzeichnung von Lebensmitteln aus ökologischem Anbau; wissenschaftlichfachliche Bearbeitung von weinrechtlichen Fragen und anderen alkoholischen Getränken; Bearbeitung wissenschaftlicher Grundsatzfragen zum Lebensmittelrecht einschließlich EU-Recht; wissenschaftliche Auswertung von Untersuchungsbefunden und -berichten aus diesen Sachgebieten; wissenschaftliche Mitarbeit bei fachlichen Stellungnahmen zur Ausbildung, Prüfung und Anerkennung von Lebensmittelchemikern.
Am 3. Dezember 1990 versicherte die Klägerin in einem vorformulierten Personalfragebogen des beklagten Landes unter Ziff. 19, nicht für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig geworden zu sein, keine finanziellen Zuwendungen erhalten und keine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit unterschrieben zu haben.
Auf eine Antrage des beklagten Landes vom 10. August bzw. 13. Oktober 1993 beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (im folgenden? Gauckbehörde) wurde mitgeteilt, die Klägerin sei als gesellschaftliche Mitarbeiterin für Sicherheit (GMS) unter dem Decknamen „Heidi” für die Hauptabteilung XX/7 nach einer Kontaktphase vom 30. April bis 6. Juni 1988 in der Zeit vom 6. Juni 1988 bis zum 20. Juni 1989 tätig gewesen. Danach war Ziel der Werbung die „operative Kontrolle” einer Person, die einen Antrag auf Übersiedlung in die Bundesrepublik gestellt hatte, die Berichterstattung über den allgemeinen Zustand dieser Person und ihren Umgangskreis sowie die Erarbeitung von Ansatzpunkten für eine mögliche Rückgewinnung der Person bzw. Vermeidung einer Härte gegenüber der DDR. Die Werbung der Klägerin erfolgte aus der Sicht des MfS auf der Grundlage politischer Überzeugung. Die Klägerin soll fünf Präsente im Werte von insgesamt ca. 100,– DM erhalten haben. Der Führungsoffizier berichtete schriftlich über Informationen der Klägerin unter deren Decknamen, den diese nach ihrer Behauptung nicht selbst gewählt hatte. Eigene schriftliche Berichte der Klägerin existieren nicht, sondern nur drei Treffberichte und sieben weitere Berichte des Führungsoffiziers. Danach informierte die Klägerin das MfS über eine befreundete Nachbarin, die einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Nachdem dieser Ausreiseantrag zum Erfolg führte, löste die Klägerin die Verbindung zum MfS von sich aus auf. Nach Ansicht der betroffenen Nachbarin hat die Klägerin ihr durch ihre Aussagen nicht geschadet. In deren Originalschreiben vom 28. Februar 1995 heißt es u.a.
„… ich ging also davon aus, daß auch unsere Mitbewohner im Haus „angezapft” wurden. Allen, die es hören wollten, hatte ich immer wieder ganz bewußt erzählt, daß der Ausreisegrund allein privater Natur sei, und ich mich mit einer Ablehnung nie zufrieden geben würde. Ich wollte, daß diese Sicht auch weiter geleitet würde. Bei Familie G. konnte ich mir sicher sein, daß sie mir durch die Weitergabe solcher Gespräche nützen konnten, weil sie so berichten würden, daß ich meinem Ziel – Heirat und Ausreise – näher käme. Um G. nicht in Schwierigkeiten zu bringen, vermied ich es, sie direkt auf MfS-Kontakte anzusprechen …”
Die Klägerin hatte am 6. Juni 1988 eine als „Berufung” überschriebene Erklärung unterzeichnet, die folgenden Wortlaut hat:
„Die Organe für Staatssicherheit der DDR stützen sich in ihrem Kampf gegen die Feinde der DDR auf die aktive und breite Mitarbeit der Bevölkerung unserer sozialistischen Heimat.
Die imperialistischen und militärischen Kräfte in der BRD lassen in ihren Bemühungen nicht nach, den friedlichen Aufbau des Sozialismus in der DDR und den befreundeten sozialistischen Staaten zu stören. Die Störversuche und andere Machenschaften werden an der revolutionären Massenwachsamkeit der Bürger der DDR und ihrer Sicherheitsorgane scheitern. Im Ergebnis dessen, daß der Schutz des sozialistischen Vaterlandes und der Errungenschaften Recht und Ehrenpflicht der Bürger der DDR ist, sprechen wir Ihnen das Vertrauen aus, die Organe für Staatssicherheit in ihrer verantwortungsvollen Arbeit mit der Übersiedlungssuchenden zu unterstüzten.
Die unbedingte Einhaltung der Regeln der Konspiration sind dabei ständig zu gewährleisten.”
Aus den Unterlagen der Gauckbehörde ergibt sich, daß das MfS dem Wunsch der Klägerin nach Beendigung der inoffiziellen Zusammenarbeit im Juni 1989 entsprochen und die Verbindung eingestellt hat.
In einem Zusatzfragebogen des beklagten Landes an Funktionsträger in Bereichen, die wegen ihrer Aufgabenstellung dem MfS/AfNS rechenschaftspflichtig waren, erklärte die Klägerin, daß sie in keiner Funktion Informationen an Mitarbeiter des MfS weitergegeben habe; die Klägerin gab dazu jedoch eine schriftliche Erklärung als Anlage ab, wonach sie über die Befragung des MfS bezüglich der übersiedlungswilligen Nachbarin berichtete. Darüber hatte die Klägerin auch bereits im Juni 1992 den für Personalangelegenheiten zuständigen Abteilungsleiter aus Anlaß einer Befragung unterrichtet, die aufgrund einer Namensverwechslung mit einer SED-Parteisekretärin gleichen Namens durchgeführt worden war.
Am 3. August 1994 fand zum Inhalt des Zusatzfragebogens und der Tätigkeit der Klägerin für das MfS eine Aussprache statt. Nachdem der Hauptpersonalrat die Zustimmung des Personalrats der Senatsverwaltung für Gesundheit zur beabsichtigten fristlosen bzw. hilfsweise fristgemäßen Kündigung der Klägerin verweigert hatte, ersetzte die gemäß § 82 PersVG Berlin gebildete Einigungsstelle für Personalvertretungssachen am 21. November 1994 die verweigerte Zustimmung des Personalrats der Senatsverwaltung für Gesundheit zur fristgemäßen Kündigung der Klägerin, nicht hingegen die verweigerte Zustimmung zur fristlosen Kündigung.
Mit Schreiben vom 24. November 1994 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30. Juni 1995 unter Berufung auf Abs. 5 Ziff. 2 EV und § 1 KSchG auf, und zwar wegen der Tätigkeit der Klägerin für das MfS und einer Falschbeantwortung der Fragen nach ihrer Tätigkeit für das MfS.
Die Klägerin hat behauptet, nicht bewußt konspirativ für das MfS tätig gewesen zu sein, insbesondere habe sie keine Verpflichtungserklärung abgegeben und auch keine finanziellen Zuwendungen erhalten, sondern lediglich Pralinen, Kaffee sowie zwei Theaterkarten. Sie habe dem MfS Informationen nur über die befreundete Nachbarin erteilt, um dieser bei der Ausreise zu helfen, was letztendlich auch gelungen sei. Demnach habe sie den Fragebogen auch nicht falsch beantwortet.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des beklagten Landes vom 24. November 1994 nicht aufgelöst worden ist.
Das beklagte Land hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, nach den vorliegenden Gauck-Unterlagen habe die Klägerin für das MfS gearbeitet und auch den Fragebogen hinsichtlich ihrer Tätigkeit für das MfS falsch beantwortet. Deshalb sei jedenfalls eine ordentliche Kündigung berechtigt gewesen. Auch wenn die Klägerin nur eine „Berufung” unterzeichnet habe, so habe es sich doch unmißverständlich um eine Verpflichtungserklärung im Sinne der in den Fragebögen gestellten Fragen gehandelt. Durch die Falschbeantwortung habe die Klägerin die für ihre herausgehobene Position unerläßliche Vertrauensbasis zerstört.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts reichen nicht aus, um die soziale Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG beurteilen zu können.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage sei unbegründet. Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV sei ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das MfS tätig gewesen sei und deshalb ein Festhalten am Arbeitsplatz unzumutbar sei. Daß der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes anstatt einer außerordentlichen fristlosen auch eine ordentliche fristgerechte Kündigung erklären könne, entspreche der ständigen Rechtsprechung der Kammer. Es stehe fest, daß die Klägerin als GMS für das MfS tätig gewesen sei. Wenn die Klägerin ihre Informationen als harmlos darzustellen versuche, so verkenne sie, daß den Stasiakten ein hoher Wahrheitsgehalt zukomme. Unstreitig habe die Klägerin für ihre zielgerichtete Tätigkeit auch Zuwendungen vom MfS erhalten, nämlich Präsente im Wert von insgesamt 100,– DM, und zwar in Form von Kaffee, einem Buch, Spirituosen, Pralinen oder von zwei Theaterkarten. Wenn und soweit die Klägerin geltend mache, sie habe durch ihr diesbezügliches Verhalten niemandem geschadet, ja sogar ihrer Nachbarin genützt und ihr die Ausreise in die BRD ermöglicht, so könne sie mit diesem Einwand wegen ihrer Zusammenarbeit mit dem MfS nicht gehört werden.
Selbst wenn diese Tätigkeit noch nicht ausgereicht haben sollte, die fristgerechte Kündigung des Beklagten zu rechtfertigen, sei die Kündigung jedenfalls unter Berücksichtigung der Falschbeantwortung im Fragebogen gerechtfertigt. Wer wahrheitswidrig versichere, keine Verpflichtungserklärung gegenüber dem MfS abgegeben zu haben, sei in der Regel ungeeignet für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst; die persönliche Nichteignung stelle sich jedenfalls auch als personenbedingter Kündigungsgrund dar. Den von ihr unterzeichneten Fragebogen habe die Klägerin falsch beantwortet, denn sie sei für das MfS tätig gewesen, wie die erfolgreiche Anwerbung als GMS zeige. Auch sei der Zusatzfragebogen hinsichtlich der Fragen nach dem Erhalt von finanziellen oder materiellen Werten falsch beantwortet worden. Unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände sei deshalb die Kündigung gerechtfertigt, zumal von einer jugendlichen Unreife der Klägerin nicht die Rede sein könne.
II. Dem folgt der Senat nicht. Es spricht schon viel dafür, daß das Berufungsgericht den Maßstab für eine ordentliche, fristgemäße Kündigung nach § 1 KSchG verkannt hat, wenn es hauptsächlich auf die eigenständigen Regelungen des Einigungsvertrages abstellt; jedenfalls rügt die Revision zutreffend, das Urteil unterstelle bei seiner Subsumtion einen Sachverhalt, den es selbst nicht festgestellt habe.
1. Das beklagte Land hat vorliegend unter Berufung auf die besondere Kündigungsregelung in Abs. 5 Ziff. 2 EV ebenso wie auf § 1 KSchG eine ordentliche Kündigung ausgesprochen, deren Rechtfertigung das Landesarbeitsgericht im wesentlichen nach Abs. 5 Ziff. 2 EV beurteilt hat, obwohl es sich hierbei um ein außerordentliches Kündigungsrecht handelt, ohne daß für eine außerordentliche Kündigung die personalvertretungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben wären.
a) Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ist im Bereich des öffentlichen Dienstes ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Diese Bestimmung regelt eigenständig und abschließend, unbeschadet von § 626 BGB, die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung im öffentlichen Dienst (BAG Urteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 – BAGE 70, 323 = AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX). In der genannten Entscheidung (bestätigl u.a. durch Urteil vom 14. Dezember 1995 – 8 AZR 356/94 – AP Nr. 56, aaO) hat das Bundesarbeitsgericht im einzelnen begründet, daß sich die Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung wegen der Eigenständigkeit der Kündigungsregelung im Einigungsvertrag allein nach Abs. 5 EV bestimmten, der eine zusätzliche Interessenabwägung nach den Maßstäben des § 626 Abs. 1 BGB nicht vorsehe. Eine sonstige Kündigung sei nach herrschender Ansicht zukunftsbezogen, wobei sich in der Regel der Tatbestand einer außerordentlichen Kündigung dadurch verwirkliche, daß nach Begründung eines Arbeitsverhältnisses eine Störung auftrete, die zu einer fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtige, während diesen Regelfall Abs. 5 EV nicht erfasse: Diese Norm sei nur dann erfüllt, wenn der kündigungsrelevante Sachverhalt vor Begründung des Arbeitsverhältnisses realisiert worden sei. Es werde angeknüpft an eine „frühere”, vor dem jetzigen Arbeitsverhältnis liegende Tätigkeit; die Unzumutbarkeit stehe also nicht im Zusammenhang mit Störungen, die sich aus der jetzigen Tätigkeit ergäben, sondern mit solchen, die aus einer früheren nachwirkten. Abs. 5 weise vergangenheitsbezogen eine Nähe zu Anfechtungstatbeständen auf, die bei Beachtung der Jahresfrist (§ 124 BGB) ohne „umfassende Interessenabwägung” zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen könnten.
Demgegenüber ist nach § 1 KSchG eine Kündigung dann rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist; sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie u.a. nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Insofern entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowohl für eine Verhaltens- wie eine personenbedingte Kündigung, daß eine allgemeine und auf den konkreten Einzelfall bezogene Interessenabwägung anzustellen ist (seit dem Urteil vom 7. Oktober 1954 – 2 AZR 6/54 – BAGE 1, 99, 101 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG, mit Anm. A. Hueck; ständige Rechtsprechung, vgl. die Nachweise z.B. bei Bitter/Kiel, RdA 1994, 336, 337 sowie RdA 1995, 26, 29, 32, 33 oder KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 337 f. sowie 395 f.); dabei ist weiter in der Rechtsprechung zu § 1 KSchG u.a. das Prognoseprinzip herausgearbeitet worden, wobei eine zukunftsbezogene Betrachtung anzustellen ist (vgl. u.a. für die personenbedingte Kündigung BAG Urteil vom 7. Februar 1991 – 2 AZR 205/90 – BAGE 67, 198 = AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung und andererseits BAG Urteil vom 17. Januar 1991 – 2 AZR 375/90 – BAGE 67, 75 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; siehe auch hierzu die Rechtsprechungsnachweise bei Bitter/Kiel, RdA 1995, 26, 30, 34).
b) Es bestehen daher Bedenken, ohne weiteres davon auszugehen, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV sei in jedem Fall auch eine auf die gleichen Umstände gestützte ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG. Es spricht vielmehr einiges dafür, daß zwar Abs. 5 Ziff. 2 EV – ähnlich wie § 626 BGB – den eigentlichen Kündigungsgrund „anschärft” und insoweit ein Rückschluß a maiore ad minus (wenn schon Abs. 5 Ziff. 2, dann auch § 1 KSchG) gerechtfertigt sein könnte; damit würde aber nicht erfaßt, daß bei § 1 KSchG neben dem Kündigungsgrund „an sich” eine betont zukunftsorientierte allseitige Interessenabwägung bei dem hier in Rede stehenden Kündigungstypus anzustellen ist. Der Anwendungsbereich beider Vorschriften ist demnach nicht vollständig deckungsgleich. Das wird auch noch dadurch belegt, daß vorliegend die ordentliche Kündigung nicht auf die nach Abs. 4 Ziff. 1 EV für eine ordentliche, fristgemäße Kündigung an sich einschlägige Vorschrift gestützt werden könnte, weil diese mit dem 31. Dezember 1993 außer Kraft getreten ist, so daß ohnehin die in dieser Beziehung umfassendere Vorschrift des § 1 KSchG anwendbar ist (vgl. auch hier zum unterschiedlichen Maßstab Senatsurteil vom 11. Mai 1995 – 2 AZR 683/94 – AP Nr. 50 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX).
Von hier aus gesehen erscheint es schon problematisch, daß das Landesarbeitsgericht die nicht kongruenten Bestimmungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV und § 1 KSchG synonym und ohne nähere Differenzierung bei der Sachverhalts-Subsumtion anwendet und sich dabei nahezu ausschließlich an der zur außerordentlichen Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ergangenen Rechtsprechung orientiert. Damit könnte ein falscher Bewertungsmaßstab zugrundegelegt worden sein.
c) Selbst wenn man aber mit dem Landesarbeitsgericht davon ausgeht, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV sei die Kündigung auch sozial gerechtfertigt, muß das Berufungsurteil aufgehoben werden, weil das Landesarbeitsgericht – weiter unterstellt, die Klägerin sei für das MfS tätig geworden – keine ausreichenden Feststellungen zu dem zusätzlichen Erfordernis nach dieser Bestimmung, deshalb erscheine ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar, getroffen hat.
Das Bundesarbeitsgericht (BAGE 70, 323 = AP, aaO) hat dazu erkannt, Abs. 5 EV sei nicht als „Muß”-Bestimmung ausgestaltet worden, so daß nicht jedem, der für das MfS tätig war, zu kündigen sei; vielmehr erfordere der Rechtsbegriff „unzumutbar” eine Einzelfallprüfung,- das individuelle Maß der Verstrickung bestimme über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses, berücksichtigungsfähig seien Zeit und Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS.
Insofern rügt die Revision zutreffend, das Berufungsgericht habe weder das Vorbringen zu den näheren Umständen der Aufnahme der Tätigkeit im Zusammenhang mit der „Berufung”, noch die nur auf eine einzelne Person eingeschränkte Tätigkeit, noch überhaupt die von der Klägerin selbst veranlaßte Beendigung des Kontaktes mit dem MfS einer Einzelfallprüfung unterzogen. Zumindest zum letzteren Punkt ist die Rüge durchschlagend, denn das Landesarbeitsgericht hat diesen Umstand (Beendigung der inoffiziellen Zusammenarbeit auf Wunsch der Klägerin nach Übersiedlung der Nachbarin) zwar als unstreitig in seinem Tatbestand festgestellt, ohne ihn in den Entscheidungsgründen zu würdigen. Damit könnte die Kündigung jedenfalls (noch) nicht auf Abs. 5 Ziff. 2 EV gestützt werden.
2. Ferner ist unklar, ob das Landesarbeitsgericht die Kündigung nun aus Gründen in der Person der Klägerin oder in deren Verhalten als gerechtfertigt ansieht. Beide Kündigungstypen werden zwar (S. 14 des Urteils) erwähnt, wobei davon die Rede ist, sowohl eine Tätigkeit für das MfS als auch die falsche Beantwortung einer diesbezüglichen Frage in einem Personalfragebogen seien geeignet, eine ordentliche fristgerechte Kündigung als personen- bzw. verhaltensbedingte sozial zu rechtfertigen. Dabei legt sich das Landesarbeitsgericht aber nicht eindeutig fest, welchen Kündigungstypus es – gegebenenfalls alternativ – prüfen und zugrundelegen will. Das erscheint schon deshalb bedenklich, weil bei Pflichtverletzungen im Leistungsbereich vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung in der Regel und bei einer Pflichtverletzung im Vertrauensbereich nach bisheriger Rechtsprechung (vgl. dazu Urteile vom 30. Juni 1983 – 2 AZR 524/81 – AP Nr. 15 zu Art. 140 GG und vom 5. November 1992 – 2 AZR 147/92 – AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit) ausnahmsweise als erforderlich angesehen wird, während bei einer personenbedingten Kündigung eine Abmahnung nur bei einem unbehebbaren Mangel entbehrlich erscheint (vgl. BAG Urteile vom 29. Juli 1976 – 3 AZR 50/75 – AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; vom 18. Januar 1980 – 7 AZR 75/78 – AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung und vom 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 – AP Nr. 17, aaO, mit Anmerkung von Conze). Mit der Frage, ob hier unter dem Gesichtspunkt einer Zukunftsprognose bzw. des ultima-ratio-Prinzips (vgl. dazu BAG Urteile vom 10. November 1988 – 2 AZR 215/88 – AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung, zu II 2 a der Gründe, und vom 17. Januar 1991 – 2 AZR 375/90 – BAGE 67, 75, 81 = AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 1 c der Gründe) eine Abmahnung ausgereicht hätte, befaßt sich das Landesarbeitsgericht erst gar nicht. Der Senat hat bereits in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) nähere Ausführungen zum Prüfungsmaßstab einer nach § 1 KSchG zu beurteilenden Kündigung wegen Stasi-Mitarbeit und falscher Ausfüllung eines Personalfragebogens gemacht, worauf an dieser Stelle verwiesen werden kann. Danach sind jedenfalls die genannten Kündigungsvorwürfe unter Auswertung des Kündigungsschreibens und des diesbezüglichen Sachvortrages der Parteien sowohl unter dem Gesichtspunkt einer personenbedingten wie auch einer verhaltensbedingten Kündigung zu würdigen (Senatsurteil, aaO, zu II 2 b der Gründe).
3. Die Revision rügt ferner zutreffend, das Landesarbeitsgericht habe bei seiner Subsumtion – zumindest teilweise – einen Sachverhalt unterstellt, den es selbst nicht festgestellt habe.
a) So geht das Landesarbeitsgericht (Urteil S. 16) ohne weiteres davon aus, die Klägerin habe sich mit der Erklärung vom 6. Juni 1988 verpflichtet, den DDR-Unrechtsstaat zu unterstützen, und zwar unter Einhaltung der Regeln der Konspiration. Davon ist in dein fraglichen, mit „Berufung” überschriebenen, Text nicht die Rede, wenn dort allgemein auf die Ehrenpflicht der Bürger der DDR hingewiesen und der Klägerin das Vertrauen ausgesprochen wird, die Organe für Staatssicherheit zu unterstützen.
Die teilweise vom jeweiligen Unterzeichner handschriftlich geschriebenen und unterschriebenen, in der DDR seinerzeit üblichen Verpflichtungserklärungen, wie sie u.a. Gegenstand der Beurteilung des Senats in dem erwähnten Urteil vom 13. Juni 1996 waren, weisen weit eindeutiger aus, daß der Betreffende für das MfS tätig zu werden versprach und lassen damit Rückschlüsse auf eine final gesteuerte Handlungsweise des Unterzeichners zu. Ähnliches läßt sich vorliegend entgegen der pauschalen Gleichsetzung durch das Berufungsgericht (Urteil S. 16) nicht ohne nähere Berücksichtigung der Umstände entscheiden, wie es zur Unterzeichnung der Erklärung gekommen ist. Die Klägerin hat bestritten, daß das Wort „Berufung” überhaupt bei Unterzeichnung über dem Text gestanden habe. Ferner hat sie geltend gemacht, den wesentlichen Teil ihrer Auskünfte über die Nachbarin vor Unterzeichnung des Textes gemacht zu haben, es sei demnach nur darum gegangen, nachträglich eine Schweigeverpflichtung zu unterzeichnen, wobei sie es ausdrücklich abgelehnt haben will, eine förmliche Verpflichtungserklärung zu unterzeichnen. Wenn dies tatsächlich der Fall war, ergibt sich schon hieraus die Notwendigkeit zu einer differenzierenden Beurteilung der „Berufung”. Wie das Landesarbeitsgericht angesichts dieses bestrittenen und nicht aufgeklärten Sachvortrages zu der durch keine konkrete Feststellung nach § 561 ZPO belegten Mutmaßung gelangen konnte, „selbstverständlich habe sich die Verpflichtung der Klägerin nicht nur auf die Einhaltung der Regeln der Konspiration bezogen”, kann kaum anders als durch ein nicht belegtes Vorurteil erklärt werden.
Wenn die Klägerin ferner nach der Annahme des Landesarbeitsgerichts den vorgeschriebenen Text in der drittletzten Zeile bei den Worten „mit den Übersiedlungssuchenden” (also in der Mehrzahl) abweichend in „mit der Übersiedlungssuchenden” (Einzahl) abgeändert hat, läßt das zwar den Rückschluß des Landesarbeitsgerichts zu, damit habe die Klägerin zu erkennen gegeben, zu diesen Unterstützungshandlungen bereit zu sein. Es bleibt aber ungewürdigt, daß damit eine nicht unwesentliche Einschränkung der „Zusage” gegenüber der Vorlage erfolgte, die wiederum – jedenfalls im Zusammenhang mit der Erklärung der betroffenen Nachbarin, auf die das Landesarbeitsgericht mit keinem Wort eingeht (dazu unter d) – die Einlassung der Klägerin plausibel machen könnte, es sei bei alledem nur darum gegangen, eine den Ausreiseantrag der Nachbarin befürwortende Stellungnahme abzugeben. Darüber, ob die klägerischen Stellungnahmen inhaltlich zusätzlich befürwortend oder etwa denunziatorisch waren, können die sog. Treffberichte Auskunft geben, womit sich das Landesarbeitsgericht überhaupt nicht befaßt.
Auch diese Fehler und Unterlassungen führen zur Aufhebung des Urteils.
b) Das Landesarbeitsgericht hat ferner angenommen (Urteil S. 13), die Klägerin habe unstreitig für ihre zielgerichtete Tätigkeit Zuwendungen vom MfS erhalten, nämlich Präsente im Wert von insgesamt ca. 100,– Mark, sei es in Form von Kaffee, eines Buches, Spirituosen, Pralinen oder von zwei Theaterkarten, obwohl im Tatbestand des Urteils (S. 3) unter dem bestrittenen Vorbringen des beklagten Landes davon die Rede ist, die Klägerin solle (im Konjunktiv!) fünf Präsente im Wert von insgesamt ca. 100,– Mark erhalten haben; dem entspricht es, daß die Klägerin lediglich den Erhalt von Pralinen oder Kaffee sowie evtl. zwei Theaterkarten zugestanden hat. Wie das Landesarbeitsgericht zu seiner weitergehenden Annahme kommt (Buch, Spirituosen, Wert 100,– M) hat es nicht belegt; auch die dazu einschlägigen Angaben in den Treffberichten werden ebensowenig ausgewertet wie das vorgelegte Quittungsmaterial.
c) Das Landesarbeitsgericht geht ferner in seinem Urteil (S. 12 unten) davon aus, gegenüber den von der Klägerin als harmlos bezeichneten Informationen komme den Stasi-Akten ein hoher Wahrheitsgehalt zu und bezieht sich dabei u.a. auf einen Bericht vom 2. Juli 1994 in der Tageszeitung „Der Tagesspiegel”, einen für wissenschaftliche Erkenntnisse wohl kaum geeigneten Beleg, ohne das vorgelegte Aktenmaterial (Treffberichte etc.) daraufhin auszuwerten, ob der Vortrag der Klägerin zutrifft oder nicht. Das Landesarbeitsgericht ist damit selbst entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der von ihm befürworteten Anwendung des Abs. 5 Ziff. 2 EV (vgl. u.a. BAG Urteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 – BAGE 70, 323, 330 = AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX, zu A II 1 c am Ende der Gründe) dem Entlastungsvorbringen der Klägerin nicht nachgegangen, sie habe mit den Mitteilungen über die ausreisewillige Person, wie diese selbst mit Schreiben vom 28. Februar 1995 bestätigt habe, diese nur unterstützen wollen. Zu dem Wahrheitsgehalt dieser Behauptung hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen, sondern gemeint, damit könne die Klägerin nicht gehört werden. Dies stellt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG dar.
d) Was die Falschbeantwortung von Fragen im Personalfragebogen einschließlich Zusatz angeht, werden die zu II 3 noch festzustellenden Umstände einer Tätigkeit der Klägerin für das MfS auch unter dem Gesichtspunkt Berücksichtigung finden müssen, ob der Klägerin gegebenenfalls ein entschuldbarer Verbotsirrtum hinsichtlich der Reichweite der Fragestellung zugute gehalten werden kann (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 6. Februar 1997 – 2 AZR 51/96 – n.v.), worauf das Landesarbeitsgericht, das seinerseits dem Arbeitsgericht „eine grundlegende Verkennung der Sach- und Rechtslage” vorhält, nicht eingegangen ist. Rechtsfehlerhaft ist es ferner, daß das Landesarbeitsgericht den Umstand nicht gewürdigt hat, daß die Klägerin bereits im Jahre 1992 im Zusammenhang mit einer Befragung durch die Personalstelle ihres Dienstherrn von sich aus den Kontakt zum MfS aus dem konkreten Anlaß – möglicherweise allerdings nicht in vollem Umfang – offenbart hat und daß der Dienstherr damit außerdem in die Lage versetzt war, den Dingen weiter nachzugehen. Dies könnte möglicherweise als weiterer entlastender Umstand zugunsten der Klägerin zu würdigen sein (vgl. dazu Senatsurteil vom 13. September 1995 – 2 AZR 862/94 – AP Nr. 53, aaO). Das Landesarbeitsgericht befaßt sich damit erst gar nicht.
4. Nach alledem kann das Urteil keinen Bestand haben; es war aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit einer Zurückverweisung an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin wegen der erkennbar gewordenen Voreingenommenheit der bisherigen Kammer Gebrauch gemacht hat, § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Auf das weitere Revisionsvorbringen braucht deshalb nicht abgestellt zu werden.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Walter, Nipperdey
Fundstellen