Entscheidungsstichwort (Thema)
Entlassung nach dem Einigungsvertrag
Leitsatz (amtlich)
Auch Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) gehörten zum Personenkreis, die für das frühere Ministerium für Staatssicherheit tätig waren.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; Einigungsvertrag Art. 20 Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Ziff. 1 Abs. 5 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 05.04.1995; Aktenzeichen 86 Ca 36005/94) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. April 1995 – 86 Ca 36005/94 – abgeändert:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die 1944 geborene Klägerin, deren 1928 geborene Ehemann vorzeitig in den Ruhestand getreten und deren beider Sohn 1975 geboren worden ist, war seit dem 01. Oktober 1968 als Diplom-Lebensmittelchemikerin im … Berlin … tätig. Diese Einrichtung wurde nach den Regelungen des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) mit Wirkung vom 15. Dezember 1990 auf das Land Berlin überführt. Seit diesem Zeitpunkt war die Klägerin in der … der Senatsverwaltung für … des beklagten Landes als wissenschaftliche Angestellte (Lebensmittelchemikerin) tätig und in die Vergütungsgruppe I b der Anlage 1 a zum Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) eingruppiert. Ihr letztes monatliches Bruttogehalt betrug ca. 8.100,– DM. Zu ihren Aufgaben gehörte die wissenschaftliche Mitarbeit beim Referat … (Lebensmittelchemie, Überwachung nichttierischer Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, Kosmetika, Bedarfsgegenstände) und die selbständige wissenschaftlich-fachliche Bearbeitung der Sachgebiete Ernährung, Diätetik, Nährwertkennzeichnung, Kennzeichnung von Lebensmitteln aus ökologischem Anbau; wissenschaftlich-fachliche Bearbeitung von weinrechtlichen Fragen und anderen alkoholischen Getränken; Bearbeitung wissenschaftlicher Grundsatzfragen zum Lebensmittelrecht einschließlich EU-Recht; wissenschaftliche Auswertung von Untersuchungsbefunden und -berichten aus diesen Sachgebieten; wissenschaftliche Mitarbeit bei fachlichen Stellungnahmen zur Ausbildung, Prüfung und Anerkennung von Lebensmittelchemikern.
Am 03. Dezember 1990 versicherte die Klägerin in einem vorformulierten Personalfragebogen des Beklagten (Bl. 52 ff. d.A.) unter Ziffer 19, nicht für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig geworden zu sein, keine finanziellen Zuwendungen erhalten und keine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit unterschrieben zu haben.
Eine Anfrage des Beklagten vom 10. August 1993 bzw. 13. Oktober 1993 beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, der sogenannten Gauck-Behörde, ergab, daß die Klägerin als Gesellschaftliche Mitarbeitern für Sicherheit (GMS) unter dem Decknamen „…” für die Hauptabteilung XX/7 nach einer Kontaktphase vom 30. April 1988 bis zum 06. Juni, 1988, in der. Zeit vom 06. Juni 1988 bis zum 20. Juni 1989 tätig gewesen sei. Ziel der Werbung war die „operative Kontrolle” einer Person, die einen Antrag auf Übersiedlung in die Bundesrepublik gestellt hatte, die Berichterstattung über den allgemeinen Zustand dieser Person und ihren Umgangskreis sowie die Erarbeitung von Ansatzpunkten für eine mögliche Rückgewinnung der Person bzw. Vermeidung einer Härte gegenüber der DDR. Die Werbung der Klägerin erfolgte aus der Sicht des MfS auf folgender Grundlage: Politische Überzeugung. Die Klägerin soll fünf Präsente im Werte von insgesamt ca. 100,– M erhalten haben. Es existieren drei Treffberichte des Führungsoffiziers und sieben Berichte des Führungsoffiziers nach mündlichen Informationen der Klägerin.
Die Klägerin hatte am 06. Juni 1988 eine als „Berufung” überschriebene Erklärung unterzeichnet, die folgenden Wortlaut hat:
„Die Organe für Staatssicherheit der DDR stützen sich in ihrem Kampf gegen die Feinde der DDR auf die aktive und breite Mitarbeit der Bevölkerung unserer sozialistischen Heimat.
Die imperialistischen und militärischen Kräfte in der BRD lassen in ihren Bemühungen nicht nach, den friedlichen Aufbau des Sozialismus in der DDR und den befreundeten sozialistischen Staaten zu stören. Die Störversuche und andere Machenschaften werden an der revolutionären Massenwachsamkeit der Bürger der DDR und ihrer Sicherheitsorgane scheitern. Im Ergebnis dessen, daß der Schutz des sozialistischen Vaterlandes und der Errungenschaften Recht und Ehrenpflicht der Bürger der DDR ist, sprechen wir Ihnen das Vertrauen aus, die Organe für Staatssicherheit, in ihrer verantwortungsvollen Arbeit mit der Übersiedlungssuchenden zu unterstützen.
Die unbedingte Einhaltung der Regeln der Konspiration sind dabei ständig zu gewährleisten.”
Aus den Unterlagen der Gauck-Behörde ist ersichtlich, daß die Klägerin auftragsgemäß über das Verhalten der zu kontrollierenden Person sowie deren Schritte im Zusammenha...