Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbuße. Auslegung einer mißbilligenden Erklärung
Orientierungssatz
1. Verstößt ein vertragswidriges Verhalten eines Arbeitnehmers zugleich gegen die betriebliche Ordnung, kann der Arbeitgeber entweder eine Abmahnung aussprechen oder sich mit dem Betriebsrat über die Verhängung einer Betriebsbuße einigen.
2. Ob eine mißbilligende Äußerung des Arbeitgebers eine Abmahnung oder eine Betriebsbuße bedeutet, muß im Zweifelsfall durch Auslegung ermittelt werden.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 22.01.1987; Aktenzeichen 5 Sa 880/86) |
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 09.09.1986; Aktenzeichen 6 Ca 298/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, ein Schreiben vom 10. April 1986 mit einem "strengen Verweis" aus der Personalakte zu entfernen.
Der Kläger ist Mitglied des Betriebsrats und seit 1974 als Krankenpfleger bei der Beklagten beschäftigt.
Die Beklagte hat an den Kläger folgendes Schreiben vom 10. April 1986 gerichtet und zur Personalakte genommen:
"Sehr geehrter Herr G ]
Am 24.03.1986 um 18.45 Uhr wurde sowohl von
Frau A als auch Schwester R bemerkt,
daß Sie trotz ausdrücklichen Verbotes im Dienst
nach Alkohol rochen. Wie Sie wissen, war dies
bereits mehrfach der Fall. Sie haben bereits
am 19.01.1981 wegen der gleichen Verfehlung einen
strengen Verweis erhalten.
Wir erteilen Ihnen deshalb nochmals einen strengen
Verweis. Wir weisen darauf hin, daß weder vor noch
während des Dienstes, also auch in den Pausen,
Alkohol getrunken werden darf und bitten Sie, sich
zukünftig strikt an diese Anweisung zu halten.
Der Betriebsrat hat dieser Maßnahme zugestimmt."
Zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat ist eine Betriebsvereinbarung mit folgendem Wortlaut vereinbart worden:
"A L K O H O L V E R B O T
-------------------------
Die Geschäftsführung und der Betriebsrat geben
bekannt:
Jeder Arbeitnehmer, der betrunken zum Dienst
kommt oder im Dienst Alkohol trinkt, hat mit
arbeitsrechtlichen Konsequenzen - Kündigung zu
rechnen."
Der Kläger hat bestritten, im Dienst Alkohol getrunken zu haben und verlangt die Entfernung des Schreibens vom 10. April 1986 mit dem Verweis aus der Personalakte.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung
vom 10. April 1986 aus der Personalakte zu
entfernen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und ausgeführt, daß der im Schreiben vom 10. April 1986 erhobene Vorwurf zutreffend und der dem Kläger ausgesprochene Verweis gerechtfertigt sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, weil es die Behauptungen der Beklagten im Schreiben vom 10. April 1986 nicht als erwiesen angesehen hat. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, weil der "strenge Verweis" als Betriebsbuße anzusehen sei und dafür eine Rechtsgrundlage fehle.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision dagegen, daß die Vorinstanz den "strengen Verweis" im Schreiben vom 10. April 1986 als Betriebsbuße angesehen hat und nicht als nach ihrer Auffassung berechtigte Abmahnung.
Wenn ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers zugleich gegen die betriebliche Ordnung verstößt, kann der Arbeitgeber es entweder bei einer vertraglichen Abmahnung bewenden lassen oder er kann sich, sofern eine Bußordnung in den Betrieb besteht, mit dem Betriebsrat über die Verhängung einer Betriebsbuße einigen. Ob eine mißbilligende Äußerung des Arbeitgebers eine - ohne Mitbestimmung des Betriebsrats unzulässige - Betriebsbuße oder eine Abmahnung bedeutet, muß im Zweifelsfall durch Auslegung ermittelt werden (BAG Urteil vom 7. November 1979 - 5 AZR 962/77 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße - zu II 1 c der Gründe).
I. Das Landesarbeitsgericht hat das Schreiben vom 10. April 1986 dahin ausgelegt, die Beklagte habe dem Kläger damit eine Betriebsbuße auferlegen wollen. Hierbei stützt es sich auf die Formulierung, daß dem Kläger ein strenger Verweis erteilt werde. Darin komme eine Mißbilligung des Verhaltens des Klägers mit Sanktionscharakter zum Ausdruck. Im Gegensatz zur Abmahnung würden dem Kläger keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen im Wiederholungsfall angedroht. Außerdem habe die Beklagte im Schreiben vom 10. April 1986 darauf hingewiesen, daß der Betriebsrat der Maßnahme zugestimmt habe. Dieser Hinweis sei für eine mitbestimmungsfreie Abmahnung entbehrlich und damit habe die Beklagte deutlich gemacht, daß sie über eine Abmahnung hinausgehen wolle. Im Hinblick auf das betriebliche Alkoholverbot sei der für eine Betriebsbuße notwendige kollektive Bezug gegeben.
II. Die Auslegung einer derartigen Willenserklärung ist Sache des Tatsachengerichts und unterliegt der Nachprüfung durch die Revisionsinstanz nur in der Richtung, ob das gewonnene Ergebnis denkgesetzlich möglich ist, nicht gegen Auslegungsregeln oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt und alle wesentlichen Umstände bei der Auslegung berücksichtigt worden sind (BAG Urteil vom 17. Februar 1966 - 2 AZR 162/65 - AP Nr. 30 zu § 133 BGB; BAGE 22, 424 = AP Nr. 33 zu § 133 BGB).
Diese Grundsätze sind ebenfalls auf die Auslegung eines Schreibens des Arbeitgebers anzuwenden, das einen "Verweis" enthält, obwohl der Verweis keine Willenserklärung, sondern - ähnlich wie die Mahnung - nur eine Rechtshandlung ist (vgl. BAGE 50, 362 = AP Nr. 96 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu III 2 c der Gründe hinsichtlich einer Abmahnung). Dennoch sind die Auslegungsgrundsätze des § 133 BGB auf Rechtshandlungen entsprechend anzuwenden (vgl. u.a. BGHZ 47, 352, 357; Palandt/Heinrichs, BGB, 47. Aufl., Überblick vor § 104 Anm. 2 c). Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht bisher schon diese Grundsätze bei der Auslegung einer Erklärung des Arbeitgebers herangezogen, die einen "Verweis" enthält (BAGE 27, 366, 371 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu 2 der Gründe).
III. Unter Berücksichtigung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabes ist die Auslegung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Verwendung des typisch disziplinarrechtlichen Ausdrucks "Verweis" deutet darauf hin, daß die Beklagte eine Buße verhängen wollte. Zwar könnte ungeachtet der verwendeten Bezeichnung das Schreiben vom 10. April 1986 vom Arbeitgeber auch als individualrechtliche Rüge gemeint sein. Ein Arbeitgeber, der nur abmahnen will, sollte seine Beanstandungen, schon um Mißdeutungen zu vermeiden, auch so bezeichnen (BAG Urteil vom 7. November 1979 - 5 AZR 962/77 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße). Der Kläger hat den ihm erteilten "strengen Verweis" zunächst auch als Abmahnung angesehen, wie sein Klagantrag zeigt. Er hat hieran aber im fortgeschrittenen Stadium des Rechtsstreits nicht festgehalten.
Für eine Auslegung nach den Maßstäben des §§ 133, 157 BGB ist nur dann kein Raum, wenn feststeht, was die Parteien übereinstimmend tatsächlich gewollt haben. Der übereinstimmende Parteiwille geht dem Wortlaut einer Erklärung vor (BAG Urteil vom 2. März 1973 - 3 AZR 265/72 - AP Nr. 35 zu § 133 BGB). Ein solcher übereinstimmender Wille läßt sich hier aber nicht feststellen, denn es handelt sich nur um die rechtliche Beurteilung der Erklärung der Beklagten vom 10. April 1986 durch den Kläger.
Unter diesen Umständen bleibt es bei dem eingeschränkten Prüfungsmaßstab, der dem Revisionsgericht nur zusteht, wonach die Auslegung der Vorinstanz denkgesetzlich möglich ist und nicht gegen Auslegungsregeln oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt und alle wesentlichen Umstände bei der Auslegung berücksichtigt worden sind. Es ist aber danach nicht rechtsfehlerhaft, wenn das Berufungsgericht aus der Verwendung des typisch disziplinarrechtlichen Ausdrucks "Verweis" entnimmt, daß die Beklagte eine Buße verhängen wollte. Das Berufungsgericht hat aber nicht nur auf die Formalisierung der Mißbilligung der Beklagten hingewiesen, sondern auch auf den kollektiven Bezug im Rahmen des betrieblichen Alkoholverbots. Ebensowenig ist es zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht aus der Zustimmung des Betriebsrats entnimmt, daß die Beklagte über eine Abmahnung hinausgehen wollte.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
ist durch Urlaub an
der Unterschrift verhindert
Dr. Thomas
Krebs Pallas
Fundstellen