Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung im KFZ-Gewerbe nach Beschäftigungsjahren

 

Leitsatz (redaktionell)

Berücksichtigung von Beschäftigungsjahren und Lebensalter

 

Normenkette

TVG § 1 Auslegung

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 26.06.1991; Aktenzeichen 2 Sa 277/91)

ArbG Bocholt (Urteil vom 10.01.1991; Aktenzeichen 1 Ca 1508/90)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. Juni 1991 – 2 Sa 277/91 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zutreffende Vergütung des Klägers nach den Tarifverträgen, die zwischen dem Verband des Kraftfahrzeuggewerbes Nordrhein-Westfalen e.V. einerseits und der Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung in Dortmund und Wuppertal, sowie der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, Landesbezirksleitung Nordrhein-Westfalen, andererseits abgeschlossen worden sind.

Der am 30. Juli 1966 geborene Kläger ist nach Abschluß seiner Berufsausbildung seit dem 1. Januar 1988 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter tätig. Die Beklagte betreibt den Handel mit Kraftfahrzeugen und ist Mitglied der Kraftfahrzeug-Mechaniker-Innung. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für das Kraftfahrzeuggewerbe Nordrhein-Westfalen vom 9. März 1989 (MTV) und der am gleichen Tage abgeschlossene Gehaltstarifvertrag (GTV) Anwendung.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe in den Monaten April, Mai, Juni 1990 ein Monatsgehalt, berechnet nach der Tarifgruppe III, 3. Beschäftigungsjahr in Höhe von 2.418,– DM zu. Denn er habe sich in dieser Zeit im dritten Beschäftigungsjahr befunden und das 22. Lebensjahr vollendet. Die von der Beklagten gezahlten je 2.240,– DM hätten damit seinen Gehaltsanspruch nicht erfüllt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 534,– DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 14. September 1990 auf den Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, aus dem Gesamtzusammenhang des Gehaltstarifvertrages folge, daß für den Gehaltsaufstieg nur die nach dem vollendeten 22. Lebensjahr zurückgelegten Beschäftigungsjahre berücksichtigt werden könnten. Dies ergebe sich insbesondere aus der im GTV angelegten Staffelung des Gehaltsaufstiegs um jeweils ca. 200,– DM pro Jahr. Diese Staffel werde verlassen, wenn man auch die vor dem vollendeten 22. Lebensjahr abgelaufenen Beschäftigungsjahre anrechne, da dann ein Sprung von ca. 700,– DM möglich sei, wenn ein Angestellter bei Vollendung des 22. Lebensjahres mehr als vier Beschäftigungsjahre habe. Darüber hinaus zeige die Formulierung in den Gehaltsgruppen IV und V „Mindestsätze” ohne Rücksicht auf Lebensjahre, daß es in den Gehaltsgruppen I bis III entscheidend auf die Lebensjahre ankomme.

Das Arbeitsgericht hat der Klage nach Einholung einer Tarifauskunft entsprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach Gruppe III nach vollendetem 22. Lebensjahr im dritten Beschäftigungsjahr.

I.1. Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für das Kraftfahrzeuggewerbe Nordrhein-Westfalen vom 9. März 1989 (MTV) und der entsprechende Gehaltstarifvertrag (GTV) vom gleichen Tage unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG). Danach kommen für die Entscheidung des Rechtsstreits folgende Bestimmungen des MTV in Betracht:

Allgemeines

I. Die Löhne und Gehälter werden in besonderen Tarifverträgen festgelegt.

Eingruppierungsgrundsätze

8. Die gewerblichen Arbeitnehmer werden in die entsprechende Lohngruppe, die Angestellten in die entsprechende Beschäftigungsgruppe eingruppiert.

9. Maßgebend für die Eingruppierung sind die Gruppenmerkmale unter Beachtung der ausgeübten Tätigkeit/… oder der beruflichen Qualifikation.

A Beschäftigungsgruppen

1. Kaufmännische Angestellte

Gruppe I:

Angestellte, die einfache Tätigkeiten schematischer Art ausführen.

Gruppe II:

Angestellte mit entsprechender abgeschlossener Ausbildung, denen die sachgemäße Erledigung genau umrissener Büroarbeiten übertragen ist.

Gruppe III:

Angestellte mit erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung, denen die selbständige, sachgemäße Erledigung genau umgrenzter Aufgabengebiete übertragen ist. Die für die Ausführung der Tätigkeiten dieser Gruppe erforderlichen, praktischen und theoretischen Kenntnisse können durch eine andere Ausbildung oder durch mehrjährige einschlägige Tätigkeit erworben worden sein.

Aus dem GTV sind die folgenden Bestimmungen heranzuziehen:

II. Gehälter

(Texte der Beschäftigungsgruppen siehe § 4 Abs. A, Ziffern 1+2 des Manteltarifvertrages vom 1. März 1989).

Die Tarifgehälter nach dem Stand vom 1. Mai 1988 (Gehaltstarifvertrag vom 20. Mai 1987) werden mit Wirkung vom 1. März 1988 wie folgt neu festgelegt:

Gruppe I

DM

Gruppe II

DM

Gruppe III

DM

Bis zum vollendeten

20. Lebensjahr

ab 1.3.1989

1.778,–

ab 1.3.1990

1.814,–

ab 1.3.1991

1.859,–

nach dem vollendeten

20. Lebensjahr

ab 1.3.1989

2.005,–

ab 1.3.1990

2.045,–

ab 1.3.1991

2.096,–

nach dem vollendeten

22. Lebensjahr

im 1. + 2. Beschäftigungsjahr ab 1.3.1989 2.168,–

ab 1.3.1990

2.212,–

ab 1.3.1991

2.267,–

im 3. Beschäftigungsjahr

ab 1.3.1989

2.371,–

ab 1.3.1990

2.418,–

ab 1.3.1991

2.478,–

im 4. Beschäftigungsjahr

ab 1.3.1989

2.565,–

ab 1.3.1990

2.616,–

ab 1.3.1991

2.681,–

nach dem 4. Beschäftigungsjahr ab 1.3.1989 2.710,–

ab 1.3.1990

2.764,–

ab 1.3.1991

2.833,–

Als Beschäftigungsjahre in der jeweiligen Gruppe gelten auch Jahre der Beschäftigung, die in einem anderen Unternehmen des Kfz-Gewerbes abgeleistet wurden.

Rückt ein Angestellter in eine höhere Gruppe auf, so erhält er das seinem bisherigen Tarifgehalt folgende höhere Tarifgehalt der neuen Gruppe. Er befindet sich damit am Anfang der Beschäftigungsjahre, die zu seinem neuen Tarifgehalt gehören. Die vorangegangenen Beschäftigungsjahre dieser Gruppe gelten als zurückgelegt.

2.a) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien ist der Kläger nach den Eingruppierungsgrundsätzen des § 4 Nr. 8 und 9 MTV entsprechend § 4 A 1 MTV in die Beschäftigungsgruppe III „Kaufmännische Angestellte mit erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung … usw.” eingruppiert.

b) Mit Ablauf des 29. Juli 1988 und damit vor Beginn des Anspruchszeitraums April bis Juni 1990 hatte er das 22. Lebensjahr vollendet. Streitig ist zwischen den Parteien lediglich, ob bei der Berechnung der für die einzelnen Untergruppen erforderlichen Anzahl von Beschäftigungsjahren auch die vor Vollendung des 22. Lebensjahres zu berücksichtigen sind oder nur solche nach Vollendung des 22. Lebensjahres.

c) Der reine Wortlaut dieser Bestimmung des GTV ist nicht eindeutig. Er bedarf der Auslegung.

Der bei der Auslegung einer Tarifnorm heranzuziehende Tarifwortlaut (vgl. hierzu BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 60, 219, 223, 224 = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation; BGHZ 105, 222, 223) läßt sowohl die Auslegung zu, vor Vollendung des 22. Lebensjahres erbrachte Beschäftigungsjahre sollten berücksichtigt werden wie die gegenteilige Auffassung.

Bei Berücksichtigung des heranzuziehenden Gesamtzusammenhangs (vgl. BAG, a.a.O.) zeigt sich jedoch, daß die vor Vollendung des 22. Lebensjahres liegenden Beschäftigungsjahre nicht berücksichtigt werden können. Denn die Tarifvertragsparteien haben im Anschluß an die Gruppeneinteilung ausdrücklich ausgeführt, daß ein Angestellter beim Aufstieg von einer Gruppe in eine höhere Gruppe das seinem bisherigen Tarifgehalt folgende höhere Tarifgehalt erhält und er sich am Anfang der Beschäftigungsjahre, die zu seinem „neuen Tarifgehalt gehören” befindet. Danach sind vor Vollendung des 22. Lebensjahres liegende Beschäftigungsjahre nur dann zu berücksichtigen, wenn das nächsthöhere Tarifgehalt dies erfordert. Der Kläger ist aber von der Gruppe „nach dem vollendeten 20. Lebensjahr” mit einem Gehalt von 2.045,– DM in die Gruppe „nach dem vollendeten 22. Lebensjahr” aufgestiegen. Das seinem bisherigen Tarifgehalt folgende höhere Tarifgehalt beträgt aber 2.212,– DM, also die im 1. und 2. Beschäftigungsjahr gezahlte Vergütung, so daß eine Berücksichtigung der vor seinem vollendeten 22. Lebensjahr liegenden Beschäftigungsjahre nicht erfolgen kann.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub, Dr. Etzel, Schneider, Müller-Tessmann, Wehner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081330

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