Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer einzelvertraglichen Altersgrenze im Zusammenhang mit der Vollendung des 65. Lebensjahres

 

Normenkette

SGB VI RRG 1992 § 41 Abs. 4 S. 3; SGB VI ÄndG Art. 2; SGB VI ÄndG Art. 3

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 06.11.1996; Aktenzeichen 2 Sa 42/96)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 07.12.1995; Aktenzeichen 19 Ca 650/95)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 6. November 1996 – 2 Sa 42/96 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Altersgrenzenregelung und einen daraus folgenden Vergütungsanspruch.

Der im April 1929 geborene Kläger war aufgrund des Arbeitsvertrags vom 30. September 1977 seit dem 1. Januar 1978 bei der Beklagten beschäftigt. Er war zuletzt als Projektkoordinator gegen ein monatliches Bruttoentgelt von 9.311,– DM tätig. Nach Nr. 10 des Anstellungsvertrags sollte das Arbeitsverhältnis der Parteien ohne Ausspruch einer Kündigung ein halbes Jahr nach Ablauf des Monats enden, in dem der Kläger das 65. Lebensjahr vollendet. Der vom Kläger gewünschten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31. März 1995 entsprach die Beklagte nicht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die vereinbarte Altersgrenzenregelung sei wegen eines Verstoßes gegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI in der bis zum 31. Juli 1994 geltenden Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 92) unwirksam. Aufgrund der Neuregelung der Vorschrift durch das SGB VI ÄndG und der dazu ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 1994 sei das Arbeitsverhältnis bis zum 31. März 1995 fortgesetzt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt stehe ihm ein Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt zu.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu zahlen,

  1. für die Monate November und Dezember je brutto 9.311,00 DM nebst 12 % Zinsen p. a. aus dem Nettobetrag seit dem 01.01.1995,
  2. für die Monate Januar bis März 1995 je brutto 9.311,00 DM nebst 12 % Zinsen p. a. aus dem Nettobetrag seit dem jeweiligen 01. des Monats, der auf den Fälligkeitsmonat folgt.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aufgrund einer wirksamen einzelvertraglichen Altersgrenzenregelung am 31. Oktober 1994 geendet. Ein Vergütungsanspruch für einen danach liegenden Zeitraum steht dem Kläger nach § 615 BGB nicht zu.

1. Die von den Parteien einzelvertraglich vereinbarte Altersgrenzenregelung ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen zwingendes höherrangiges Recht.

a) Eine aus der Verletzung des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI in der bis zum 31. Juli 1994 geltenden Fassung des RRG 92 folgende Unwirksamkeit der Altersgrenzenregelung ist durch das am 1. August 1994 in Kraft getretene SGB VI ÄndG (BGBl I, 1797) beseitigt worden.

Nach § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 war eine Vereinbarung, wonach ein Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt enden soll, in dem der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Rente wegen Alters hat, nur wirksam, wenn die Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt geschlossen oder von dem Arbeitnehmer bestätigt worden ist. Diese Voraussetzungen waren aufgrund der im Anstellungsvertrag vom 30. September 1977 vereinbarten Altersgrenzenregelung nicht erfüllt.

b) Die aus diesem Verstoß gegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 rührende Unwirksamkeitsfolge wurde durch das SGB VI ÄndG vom 26. Juli 1994 auf die Fälle beschränkt, in denen das Arbeitsverhältnis aufgrund der Altersgrenzenregelung vor dem 1. August 1994 beendet worden ist. Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund des spezifischen Regelungsgehalts der für sie maßgebenden Altersgrenzenregelung erst zu einem danach liegenden Zeitpunkt geendet haben, ist die bisher geltende einzelvertragliche Altersgrenzenvereinbarung auch ohne Neuvornahme wirksam (BAG Urteil vom 11. Juni 1997 – 7 AZR 186/96 – AP Nr. 7 zu § 41 SGB VI).

aa) Einzelvertragliche Altersgrenzen, die den Voraussetzungen des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 nicht genügten, waren nach der Senatsrechtsprechung nichtig. Sie konnten die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer, die nach Inkrafttreten des RRG 92 (1. Januar 1992) die maßgebliche Altersgrenze erreichten, nicht wirksam beenden (BAG Urteil vom 20. Oktober 1993 – 7 AZR 135/93 – BAGE 74, 363 = AP Nr. 3 zu § 41 SGB VI). Diese Rechtslage hat durch Art. 1 des SGB VI ÄndG mit Wirkung zum 1. August 1994 (Art. 3 SGB VI ÄndG) eine wesentliche Änderung erfahren. Seitdem gilt eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeits- verhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, in dem der Arbeitnehmer vor Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente wegen Alters beantragen kann, ihm gegenüber auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abgeschlossen (§ 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI n.F.). Damit hat der Gesetzgeber die Rechtslage vor Inkrafttreten des RRG 92 inhaltlich wiederhergestellt (vgl. Art. 6 zu § 5 Abs. 2 RRG 1972, BGBl I, 1965). Eine dem § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 vergleichbare Regelung zum Schutz der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers, über die Dauer seiner Lebensarbeitszeit auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres bestimmen zu können, enthält die Neufassung der Vorschrift nicht mehr.

bb) Die Unwirksamkeitsfolge des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 ist durch das SGB VI ÄndG auf diejenigen Fälle beschränkt worden, in denen das Arbeitsverhältnis infolge des Erreichens einer Altersgrenze vordem 1. August 1994 beendet worden ist. Das ergibt sich nach der Senatsrechtsprechung nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des SGB VI ÄndG, jedoch aus dem Textzusammenhang und der Gesetzessystematik (BAG Urteil vom 11. Juni 1997, a.a.O.).

Nach der Übergangsvorschrift des Art. 2 SGB VI ÄndG endet das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, das wegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 über das 65. Lebensjahr hinaus fortgesetzt worden ist, mit dem 30. November 1994. Der Anwendungsbereich der Übergangsvorschrift erfaßt nur diejenigen Arbeitsverhältnisse, deren Altersgrenzenvereinbarungen wegen der Regelung des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 unwirksam waren, daher nicht beendet werden konnten und seitdem dauerhaft fortbestehen. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Übergangsnorm zur Vermeidung unbilliger Härten macht jedoch nur Sinn, wenn in den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Altersgrenzenregelung erst nach dem 1. August 1994 endet, die vor Inkrafttreten des SGB VI ÄndG vereinbarten Altersgrenzenregelungen ohne Neuvornahme gelten. Das bestätigen auch die Gesetzesmaterialien. Dort wird in der Einzelbegründung zu Art. 2 SGB VI ÄndG (BT-Drucks. 12/8040 S. 5) angeführt, daß die unter den Anwendungsbereich der Vorschrift fallenden Arbeitnehmer eine mindestens dreimonatige Frist erhalten, mit deren Ablauf die z.B. in einem Tarifvertrag vereinbarten „und künftig rechtswirksamen” Altersgrenzen das Arbeitsverhältnis beenden.

Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich auch aus den allgemeinen Übergangsvorschriften des SGB VI. Nach § 300 Abs. 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf Sachverhalte und Ansprüche auch dann anzuwenden, wenn diese bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden haben, soweit nicht in den folgenden Vorschriften etwas anderes bestimmt ist (§ 300 Abs. 5 SGB VI). § 41 Abs. 4 Satz 3 n.F. ersetzt nach Art. 1 des SGB VI ÄndG die Vorschrift des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92. Diese Regelung ist damit Teil des SGB VI geworden, für die auch die dortigen allgemeinen Übergangsvorschriften gelten, die eine abschließende Regelung darüber enthalten, ob und in welchem Umfang die Vorschriften des SGB VI einschließlich des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI n.F. anzuwenden sind. § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI n.F. erfaßt damit auch Altersgrenzenregelungen in Einzelverträgen, die vor Inkrafttreten der Norm bestanden haben. Wie ihre Vorgängernorm enthält § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI n.F. eine unechte Rückwirkung. Sie betrifft nur gegenwärtige, im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht abgeschlossene Sachverhalte, die sie für die Zukunft regeln will (BAG Urteil vom 20. Oktober 1993, a.a.O., zu B III 2 der Gründe, m.w.N.). Sie gilt damit für Fälle, in denen die Arbeitnehmer erst nach dem 31. Juli 1994 die für sie geltende Altersgrenze erreichen. Die Rückwirkung begrenzt die Nichtigkeitsfolge des früheren § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 zwingend auf die während seiner Geltungsdauer abgeschlossenen Sachverhalte. Die vor Inkrafttreten des SGB VI ÄndG vereinbarten Altersgrenzenregelungen bestehen damit auch ohne erneute Bestätigung (§ 141 BGB) über diesen Zeitpunkt hinaus fort und sind nunmehr an § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI n.F. zu messen.

2. Die Altersgrenzenvereinbarung ist auch nicht aus sonstigen Gründen unwirksam. Ein Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit des Klägers liegt nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 11. Juni 1997, a.a.O.; Urteil vom 25. Februar 1998 – 7 AZR 641/96 – auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

3. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat danach am 31. Oktober 1994 geendet. Es ist nicht aufgrund der Übergangsvorschrift des Art. 2 SGB VI ÄndG und dem dazu ergangenen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 1994 (BGBl I, 3992) bis zum 31. März 1995 fortgesetzt worden. Dem Kläger steht nach § 615 BGB kein Anspruch auf Vergütung für den Zeitraum vom 1. November 1994 bis zum 31. März 1995 zu.

a) Nach Art. 2 SGB VI ÄndG endet das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, das wegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI in der bis zum 1. August 1994 geltenden Fassung des RRG 92 fortgesetzt worden ist, am 30. November 1994. Die Anwendung dieses Gesetzes hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 8. November 1994 (a.a.O.) im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum 31. März 1995 ausgesetzt.

b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Übergangsnorm sind vorliegend nicht erfüllt. Es fehlt bereits an der vom Wortlaut der Regelung vorausgesetzten Kausalität zwischen einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis 1. August 1994 aufgrund einer unwirksamen Altersgrenzen regelung. Vorliegend hat das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitraum hinweg fortbestanden, weil der Kläger während dieses Zeitraumes die für ihn geltende Altersgrenze noch nicht erreicht hatte. Die vorliegende Altersgrenzenvereinbarung knüpft nicht allein an die Vollendung des 65. Lebensjahres, sondern an den Ablauf eines sich daran anschließenden 6-Monatszeitraums. Demzufolge ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst am 31. Oktober 1994 und damit außerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 erfolgt. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses der Parteien über diesen Zeitpunkt hinaus beruht damit auf dem spezifischen Regelungsgehalt der vorliegenden Altersgrenzenvereinbarung und nicht auf der durch § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 gestalteten Rechtslage. Das steht einer Anwendung der Übergangsnorm des Art. 2 SGB VI ÄndG entgegen.

4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dörner, Steckhan, Schmidt, Wilke, U. Zachert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1251992

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