Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Entgeltabrede als dynamische Inbezugnahme tariflicher Entgeltregelungen. Auslegung einer Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede. Änderungsvertrag als „Neuvertrag”. Auslegung einer Bezugnahmeregelung. Gleichstellungsabrede. Abschluss eine „Neuvertrags”
Orientierungssatz
1. Wird im Arbeitsvertrag durch eine Allgemeine Geschäftsbedingung für die „Gehaltszahlung” ein bezifferter Betrag als „Tarifentgelt” bezeichnet, kann ein Arbeitnehmer regelmäßig davon ausgehen, er werde ein Entgelt entsprechend der Entwicklung des maßgebenden Gehaltstarifvertrags erhalten. Eine Klausel, nach der „übertarifliche Bezüge … bei Tariferhöhungen anrechenbar” sind, bestätigt diese Auslegung.
2. Der Auslegung einer vor dem 1. Januar 2002 vereinbarten vertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag als sog. Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung des Senats steht nicht entgegen, dass die Bezugnahme nicht ein ganzes Tarifwerk umfasst, sondern lediglich einen einzelnen Tarifvertrag.
3. Bei einer Arbeitsvertragsänderung nach dem 31. Dezember 2001 kommt es für die Beurteilung, ob eine vor dem 1. Januar 2002 vereinbarte Bezugnahmeregelung noch als Gleichstellungabrede auszulegen ist oder vielmehr die Auslegungsmaßstäbe für „Neuverträge” maßgebend sind, darauf an, ob die Klausel durch die Änderungsvereinbarung zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist.
Normenkette
BGB § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 2, § 611; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; Gehaltstarifvertrag zwischen dem Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft vom 21. Juni 2011 § 3
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 18.02.2014; Aktenzeichen 13 Sa 968/13) |
ArbG Darmstadt (Urteil vom 23.05.2013; Aktenzeichen 8 Ca 414/12) |
Tenor
I. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. Februar 2014 – 13 Sa 968/13 – teilweise aufgehoben und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 23. Mai 2013 – 8 Ca 414/12 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 142,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Februar 2012 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Klägerin 92 vH und die Beklagte 8 vH zu tragen.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die weitergehende Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten der Berufung und der Revision haben die Klägerin zu 88 vH und die Beklagte zu 12 vH zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Entgeltansprüche der Klägerin und in diesem Zusammenhang über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen für den Hessischen Einzelhandel aufgrund vertraglicher Bezugnahme.
Die Klägerin ist bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen seit dem Jahr 1999 als Buchhändlerin beschäftigt. In dem mit einer der Rechtsvorgängerinnen, der C GmbH & Co. KG, geschlossenen Arbeitsvertrag heißt es ua.:
„§ 1 Probezeit und Anstellung |
Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung vom 01.09.1999 als Buchhändlerin … Tarifgruppe I eingestellt.
…
Tarifgehalt |
DM 2.700,– |
etwaige übertarifliche Zulage |
DM |
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DM |
insgesamt |
DM 2.700,– |
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(Zweitausendsiebenhundert) |
…
Übertarifliche Bezüge sind bei Tariferhöhungen, bei Aufrücken in ein anderes Berufs- oder Tätigkeitsjahr oder bei Einstufung in eine höhere Beschäftigungsgruppe anrechenbar. Sie können im Übrigen unter Einhaltung der in § 11 vereinbarten Frist gekündigt werden.
…
Die Arbeitszeit beträgt in der Woche 37,5 Stunden.
…
Soweit sich aus diesem Vertrag nichts anderes ergibt, findet der Mantel- und Gehaltstarifvertrag Hessischer Einzelhandel in der zuletzt gültigen Fassung sowie die Betriebsordnung Anwendung. …”
Die Arbeitgeberin war im Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses Mitglied im Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. Nach Verschmelzung auf die B GmbH & Co. KG führte diese die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband fort. Sie wechselte im Jahr 2005 in eine Mitgliedschaft ohne Tarifgebundenheit. Zum Ende des Jahres 2006 trat sie aus dem Landesverband aus.
In einem Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 11. August 2008 teilte diese der Klägerin ua. mit:
„Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass sich Ihr Gehalt auf Grund der Tarifverträge mit Wirkung vom 01.04.2008 erhöht hat.
Ihr Gehalt errechnet sich wie folgt:
Tarifgruppe |
II/E |
Tarifgehalt |
2.290,– EUR |
Als Ausgleich für den Zeitraum April 2007 bis März 2008 erhalten Sie außerdem eine Einmalzahlung von 400,– EUR.”
Zum 21. Dezember 2010 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin infolge einer Verschmelzung der Rechtsvorgängerin auf die nicht tarifgebundene Beklagte als aufnehmende Rechtsträgerin über. Am 14. Juli 2011 schlossen die Parteien einen „Nachtrag zum Arbeitsvertrag” (nachfolgend Nachtrag), der auszugsweise wie folgt lautet:
„1. Vertragsparteien |
… |
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wird folgender Nachtrag zum Arbeitsvertrag vom 01.09.1999 vereinbart: |
2. Arbeitszeit |
Die wöchentliche Arbeitszeit … beträgt 30,00 Std./Woche. |
3. Vergütung |
Das monatliche Bruttoentgelt, bezogen auf 37,5 Std./Woche beträgt EUR 2.372,00. |
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Daraus errechnet sich bei einer Teilzeitbeschäftigung von 30,00 Std./Woche ein monatliches Bruttoentgelt von EUR 1.898,00. |
… |
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6. Gültigkeit |
Diese Vereinbarung tritt ab 18.07.2011 in Kraft und endet am 15.10.2011 |
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Alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages gelten unverändert fort. |
…” |
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Die Klägerin erhielt bis einschließlich des Monats August 2009 ein Entgelt iHv. 2.290,00 Euro brutto, bis einschließlich des Monats März 2011 iHv. 2.325,00 Euro brutto und im Juni 2011 ein Bruttomonatsentgelt iHv. 2.372,00 Euro, welches die Beklagte auch wieder in der Zeit ab dem 1. November 2011 leistete.
Nach dem zwischen dem Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) geschlossenen Gehaltstarifvertrag (GTV) vom 26. Juni 2009 (GTV 2009) beträgt das monatliche Entgelt bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden nach § 3 B. Gehaltsgruppe II nach dem fünften Berufsjahr, der Endstufe der betreffenden Gehaltsgruppe (nachfolgend Gehaltsgruppe II/E GTV) 2.336,00 Euro (ab 1. August 2009) und 2.372,00 Euro (ab 1. August 2010). Weiterhin sieht § 2a GTV 2009 eine im März 2010 zahlbare Einmalzahlung iHv. 150,00 Euro brutto vor, die an Teilzeitbeschäftigte anteilig zu zahlen ist. Der nachfolgende Gehaltstarifvertrag vom 21. Juni 2011 (GTV 2011) regelt für die Gehaltsgruppe II/E ein Entgelt iHv. 2.443,00 Euro.
Mit Schreiben vom 1. Februar 2012 hat die Klägerin die Beklagte ua. für die Zeit ab dem 1. August 2009 bis zum 31. März 2011 und vom 1. Juni 2011 bis zum 31. Dezember 2011 Differenzen zwischen den ihr geleisteten Zahlungen und dem tariflich geregelten Entgelt der GTV 2009/2011 sowie auf Grundlage des „Tarifabschluss 2009” eine Einmalzahlung iHv. 150,00 Euro ohne Erfolg zur Zahlung bis zum 16. Februar 2016 aufgefordert.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihre Zahlungsansprüche weiterverfolgt. Sie hat ausgeführt, der Arbeitsvertrag vom 1. September 1999 enthalte eine unbedingte zeitdynamische Bezugnahme auf die jeweiligen tariflichen Entgeltbestimmungen. Eine Gleichstellungsabrede sei nicht gewollt gewesen. Mit dem Nachtrag zum Arbeitsvertrag sei die ursprüngliche Bezugnahme erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen der Parteien gemacht worden, indem auf den ursprünglichen Vertrag Bezug genommen und seine Inhalte bestätigt worden seien.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.069,62 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. Februar 2012 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 150,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, der Arbeitsvertrag enthalte eine sog. statische Bezugnahme auf die bei Vertragsschluss geltenden Tarifverträge, wie das Wort „zuletzt” in dessen § 14 zeige. Zudem sei das Entgelt individuell vereinbart worden. In § 3 des Arbeitsvertrags sei die Vergütung abschließend geregelt. Selbst wenn man anderer Auffassung sei, liege eine sog. Gleichstellungsabrede vor. Die zeitliche Dynamik hätte dann mit dem Wegfall der Tarifgebundenheit der früheren Arbeitgeberin geendet. Nichts anderes ergebe sich aus den Nachträgen zum Arbeitsvertrag. Eine etwaige Bezugnahmeregelung aus dem ursprünglichen Arbeitsvertrag sei durch Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags nicht zum Gegenstand einer rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage – soweit für die Revision von Bedeutung – stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit Ausnahme des Monats Oktober 2011. Insoweit hat sie ihre Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist nur teilweise begründet. Sie kann für die Monate November 2011 und Dezember 2011 ein weiteres Entgelt iHv. 142,00 Euro brutto verlangen. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
I. Der Klageantrag zu 1. ist teilweise, und zwar hinsichtlich des streitgegenständlichen Zeitraums vom 1. August 2009 bis zum 31. März 2011 und vom 1. Juni 2011 bis zum 16. Juli 2011, und der Antrag zu 2. ist insgesamt unbegründet. Die Klägerin kann auf Grundlage des Arbeitsvertrags aus dem Jahr 1999 für diese Zeitabschnitte keine weiteren Entgeltzahlungen nach dem GTV 2009 und dem GTV 2011 beanspruchen. Zwar enthalten die §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags eine zeitdynamische Verweisung auf die zwischen dem Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und der Gewerkschaft ver.di geschlossenen Gehaltstarifverträge. Die Bezugnahmeregelung ist aber als sog. Gleichstellungsabrede auszulegen. Das führt aufgrund des Wegfalls der Tarifgebundenheit der früheren Arbeitgeberin im Jahre 2005 zur nur noch statischen Anwendung der in Bezug genommenen Gehaltstarifverträge in derjenigen Fassung, die zum Zeitpunkt des Eintritts der fehlenden Tarifgebundenheit galt. In der Folge sind auf Grundlage des Arbeitsvertrags der GTV 2009 und der GTV 2011 auf das zwischen mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten bis zum 21. Dezember 2010 bestandene Arbeitsverhältnis und nachfolgend auf das nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beklagte übergegangene Arbeitsverhältnis nicht anzuwenden.
1. Die Parteien des im Jahr 1999 geschlossenen Arbeitsvertrags haben eine dynamische Bezugnahme der Gehaltstarifverträge für den Hessischen Einzelhandel vereinbart. Die sich aus den §§ 1 und 3 des im Jahre 1999 geschlossenen Arbeitsvertrags ergebende Bezugnahmeregelung ist aber als sog. Gleichstellungsabrede auszulegen, die keine von der Tarifgebundenheit der damaligen Arbeitgeberin unabhängige, zeitdynamische Verweisung auf die in Bezug genommenen Tarifverträge in der jeweiligen Fassung zum Inhalt hat.
a) Die Entgeltregelungen der zwischen dem Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und der Gewerkschaft ver.di geschlossenen Gehaltstarifverträge (GTV) sind entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme grundsätzlich zeitdynamisch in Bezug genommen worden. Das ergibt die Auslegung der §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags (zu den Maßstäben: BAG 19. Mai 2010 – 4 AZR 796/08 – Rn. 15 mwN, BAGE 134, 283; 13. Februar 2013 – 5 AZR 2/12 – Rn. 14 f. mwN).
aa) Nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrags in § 1 wurde die Klägerin als „Buchhändlerin … Tarifgruppe I eingestellt” und in § 3 ist für die „Gehaltszahlung” ein „Tarifentgelt DM 2.700,–” vorgesehen. Damit hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten als Klauselverwenderin deutlich zum Ausdruck gebracht, sie vergüte die Klägerin entsprechend der einschlägigen tariflichen Entgeltbestimmungen, zumal sie in § 3 des Arbeitsvertrags zwischen einem Tarifgehalt und einer „etwaigen übertariflichen Zulage” unterscheidet. Der durchschnittliche Arbeitnehmer darf bei einer derartigen Verknüpfung von einem festen Entgeltbetrag und dessen Bezeichnung als Tarifentgelt redlicherweise davon ausgehen, der in der Klausel festgehaltene Betrag werde nicht für die Dauer des Arbeitsverhältnisses statisch sein, sondern solle sich entsprechend den tariflichen Entwicklungen des maßgebenden Gehaltstarifvertrags entwickeln. Ein redlicher Arbeitgeber würde – wenn er die von ihm gestellte Klausel nicht so verstanden wissen wollte – die Bezeichnung als Tarifentgelt unterlassen, um klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen (vgl. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), dass er nicht „nach Tarif” zahlen will, sondern sich das vereinbarte Entgelt ausschließlich nach den konkret bezifferten Parteivereinbarungen richten soll (so bereits BAG 13. Februar 2013 – 5 AZR 2/12 – Rn. 17).
bb) Bestätigt wird diese Auslegung durch § 3 Satz 4 des Arbeitsvertrags. Die dortige Anrechnungsregelung – „übertarifliche Bezüge sind bei Tariferhöhungen, bei Aufrücken in ein anderes Berufs- oder Tätigkeitsjahr oder bei Einstufung in eine höhere Beschäftigungsgruppe anrechenbar” – hat nur bei einer dynamischen Inbezugnahme der tariflichen Entgeltbestimmungen einen Anwendungsbereich (ebenso BAG 20. April 2012 – 9 AZR 504/10 – Rn. 29). Diesem Verständnis entspricht auch – jedenfalls bis zur Beendigung der Tarifgebundenheit – die Durchführung des Arbeitsverhältnisses seitens der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten.
b) Die dynamische Anwendung der tariflichen Entgeltbestimmungen endete jedoch aufgrund des Wegfalls der Tarifgebundenheit durch ihren im Jahr 2005 erfolgten Wechsel in eine sog. OT-Mitgliedschaft. Die Bezugnahmeregelung ist als sog. Gleichstellungsabrede auszulegen.
aa) Nach der früheren Rechtsprechung des Senats galt die widerlegliche Vermutung, dass es einem an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber nur darum ging, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten hinsichtlich der Geltung des in Bezug genommenen Tarifwerks gleichzustellen. Der Senat ging davon aus, dass mit einer solchen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellten Vertragsklausel lediglich die möglicherweise fehlende Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge ersetzt werden soll, um jedenfalls zu einer vertraglichen Anwendung des einschlägigen Tarifvertrags zu kommen und damit zu dessen Anwendbarkeit für alle Beschäftigten. Daraus hatte der Senat die Konsequenz gezogen, dass auch ohne weitere Anhaltspunkte im Vertragstext oder in den Begleitumständen bei Vertragsschluss bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an die in Bezug genommenen Tarifverträge Bezugnahmeregelungen in aller Regel als sog. Gleichstellungsabreden auszulegen seien. Die Verweisung auf einen Tarifvertrag oder ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung wurde deshalb einschränkend dahin ausgelegt, dass die auf diese Weise zum Ausdruck gebrachte Dynamik nur so weit gereicht hat, wie sie bei einem tarifgebundenen Arbeitnehmer reicht, also dann endet, wenn der Arbeitgeber wegen Wegfalls der eigenen Tarifgebundenheit nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden ist. Ab diesem Zeitpunkt sind die in Bezug genommenen Tarifverträge nur noch statisch anzuwenden. Diese Rechtsprechung hat der Senat für vertragliche Bezugnahmeregelungen, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind, aufgegeben. Er wendet die Auslegungsregel aus Gründen des Vertrauensschutzes jedoch weiterhin auf Bezugnahmeklauseln an, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind (st. Rspr., sh. nur BAG 11. Dezember 2013 – 4 AZR 473/12 – Rn. 14 f. mwN, BAGE 147, 41).
bb) Einer Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahme als sog. Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung steht – anders als dies die Klägerin offenbar meint – nicht entgegen, dass über §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags nur die tariflichen Entgeltbestimmungen in Bezug genommen werden und über dessen § 14 auf weitere tarifliche Regelungen verwiesen wird. Es ist keine notwendige Bedingung für die Annahme einer sog. Gleichstellungsabrede, dass im Arbeitsvertrag auf das gesamte Tarifwerk oder sämtliche Tarifverträge verwiesen wird, die für den Arbeitgeber und die bei ihm beschäftigten tarifgebundenen Gewerkschaftsmitglieder normativ gelten. Die Bestimmung des Umfangs der vertraglichen Bezugnahme ist allein Sache der Vertragsparteien (sh. zuletzt BAG 11. Dezember 2013 – 4 AZR 473/12 – Rn. 17 f. mwN, BAGE 147, 41). Entgegen der Auffassung der Revision bestehen auch keine besonderen Anhaltspunkte, dass eine Bezugnahme der tariflichen Entgeltbestimmungen über §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags nicht als sog. Gleichstellungsabrede zu verstehen ist.
2. In Anwendung dieser Grundsätze scheidet ein Zahlungsanspruch der Klägerin für die Zeit bis einschließlich 17. Juli 2011 aus. Die Entgeltbestimmungen des GTV 2009 und des GTV 2011 einschließlich der dort vorgesehenen Einmalzahlung (Antrag zu 2.) wurden von der vertraglichen Bezugnahmeregelung im ursprünglichen Arbeitsvertrag nicht erfasst.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war bei Abschluss des Arbeitsvertrags im Jahr 1999 nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG aufgrund ihrer Verbandsmitgliedschaft an die vom Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und der Gewerkschaft ver.di (vormals Gewerkschaft ÖTV) geschlossenen Gehaltstarifverträge gebunden. Ihre mitgliedschaftlich begründete Tarifgebundenheit endete durch den im Jahr 2005 vollzogenen Wechsel in eine sog. OT-Mitgliedschaft spätestens mit dem Ende des Jahres 2006 durch ihren Verbandsaustritt. Nach diesem Zeitpunkt geschlossene Gehaltstarifverträge – hier der GTV 2009 und der GTV 2011 – werden durch die vorliegende Gleichstellungsabrede nicht mehr erfasst.
II. Die Klage ist für den nachfolgenden Zeitraum ab dem 18. Juli 2011 teilweise begründet. Die Klägerin kann auf Grundlage des „Nachtrags zum Arbeitsvertrag” für die Monate November 2011 und Dezember 2011 eine Vergütung nach der Gehaltsgruppe II/E GTV 2011 und damit die zwischen den Parteien jedenfalls rechnerisch unstreitige Entgeltdifferenz von monatlich 72,00 Euro verlangen. Für diesen Zeitraum ist nach Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags iVm. §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags ab dem Monat November 2011 der GTV 2011 auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis anzuwenden. Für den Zeitraum vom 18. Juli 2011 bis zum 15. Oktober 2011 haben die Parteien demgegenüber in Nr. 3 des Nachtrags eine vorrangige Entgeltregelung vereinbart.
1. Die Anwendbarkeit des GTV 2011 folgt aus Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags.
Mit dieser vertraglichen Abrede haben die Parteien die Bezugnahmeregelung in §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags erneut vereinbart. Diese nach dem 31. Dezember 2001 geschlossene vertragliche Abrede vom 14. Juli 2011 ist nicht mehr als sog. Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung anzusehen, sondern – zumal sie jetzt von der nicht tarifgebundenen Beklagten vereinbart wurde (zum Erfordernis der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers für die Annahme einer sog. Gleichstellungsabrede sh. nur BAG 22. Oktober 2008 – 4 AZR 793/07 – Rn. 13 mwN, BAGE 128, 185) – als unbedingte zeitdynamische Bezugnahmeregelung zu beurteilen (ausf. BAG 18. April 2007 – 4 AZR 652/05 – Rn. 26, 28, BAGE 122, 74).
a) Bei einer Änderung eines von einem Arbeitgeber geschlossenen „Altvertrags” nach dem 31. Dezember 2001 kommt es für die Beurteilung, ob die Auslegungsmaßstäbe für „Neu-” oder für „Altverträge” maßgebend sind, darauf an, ob die ursprüngliche vertragliche Bezugnahmeregelung in der nachfolgenden Vertragsänderung zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der beteiligten Vertragsparteien gemacht worden ist (BAG 24. Februar 2010 – 4 AZR 691/08 – Rn. 25; 18. November 2009 – 4 AZR 514/08 – Rn. 23 bis 25, BAGE 132, 261). Ein deutlicher Ausdruck dafür, dass eine zuvor bestehende Verweisungsklausel erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist und die Parteien trotz der geänderten Gesetzeslage auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts am 1. Januar 2002 ausdrücklich an den zuvor getroffenen Abreden festhalten, liegt beispielsweise in der ausdrücklichen Erklärung, dass „alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag unberührt bleiben” (vgl. für die Bewertung BAG 30. Juli 2008 – 10 AZR 606/07 – Rn. 49, BAGE 127, 185). Eine solche Regelung hindert die Annahme eines „Altvertrags” und eine Rechtsfolgenkorrektur unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (BAG 18. November 2009 – 4 AZR 514/08 – Rn. 25, aaO). Allerdings führt allein der Umstand einer Vertragsänderung nicht dazu, dass zugleich stets alle vertraglichen Regelungen des ursprünglichen Arbeitsvertrags erneut vereinbart oder bestätigt würden. Ob eine solche Abrede gewollt ist, ist anhand der konkreten Vertragsänderung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BAG 19. Oktober 2011 – 4 AZR 811/09 – Rn. 27).
b) Danach ist die von der Klägerin und der Beklagten durch den Nachtrag vom 14. Juli 2011 vereinbarte Arbeitsvertragsänderung hinsichtlich der dynamischen Bezugnahme der Entgeltbestimmungen durch §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags als „Neuvertrag” zu bewerten.
aa) In Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags haben die Vertragsparteien ausdrücklich geregelt, dass „alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages” vom 1. September 1999, der in Nr. 1 des Nachtrags auch ausdrücklich aufgeführt ist, unverändert fortgelten. Mit dieser Formulierung haben sie die Bestimmungen des ursprünglichen Arbeitsvertrags erneut vereinbart. Das ergibt sich auch aus der Systematik des Nachtrags. Nach dessen Nr. 6 Satz 1 soll die Änderung der Arbeitszeit (Nr. 2) und die vereinbarte Vergütung (Nr. 3) ausschließlich in der Zeit vom 18. Juli 2011 bis zum 15. Oktober 2011 „Gültigkeit” haben. Darüber hinaus haben die Parteien in Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags neben der zeitlich befristeten Änderung der Arbeitszeit und des Entgelts nach Satz 1 – und damit auch außerhalb der zeitlich nur befristet geschlossenen Vereinbarungen – die uneingeschränkte Fortgeltung „aller anderen Bestimmungen” zum Vertragsinhalt gemacht. Nach dem Ende der Vereinbarungen im Nachtrag zum 15. Oktober 2011 (Nr. 6 Satz 1) bilden dann die gesamten Regelungen des Arbeitsvertrags aus dem Jahr 1999 die maßgebende vertragliche Grundlage für das Arbeitsverhältnis. Damit werden zugleich die §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags einbezogen.
bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der Regelung im Nachtrag nicht lediglich um eine sog. deklaratorische Vertragsbestimmung. Bei einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung ist grundsätzlich von übereinstimmenden Willenserklärungen auszugehen. Soll deren Inhalt keine rechtsgeschäftliche Wirkung zukommen, sondern es sich nur um eine deklaratorische Angabe in Form einer sog. Wissenserklärung handeln, muss dies im Vertrag deutlich zum Ausdruck gebracht worden sein (BAG 21. August 2013 – 4 AZR 656/11 – Rn. 12 mwN, BAGE 146, 29). Nach ihrem Wortlaut liegen der Vereinbarung ohne Weiteres übereinstimmende Willenserklärungen zugrunde. Anhaltspunkte dafür, die Parteien hätten reine Wissenserklärungen ohne Rechtsbindungswillen abgegeben, wie es die Beklagte meint, lassen sich weder dem Vertragswortlaut entnehmen noch sind besondere Umstände erkennbar, die hierauf schließen lassen.
2. Zwar kann die Klägerin nach den vorstehenden Maßstäben für den nachfolgenden Zeitraum vom 18. Juli 2011 bis zum 30. September 2011 kein Entgelt nach dem GTV 2011 beanspruchen, aber für die Monate November 2011 und Dezember 2011 insgesamt 142,00 Euro brutto verlangen.
a) Die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin für die Zeit vom 18. Juli 2011 bis zum 30. September 2011 ein weiteres Entgelt verlangt.
Zwar gelten nach Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags „alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages” unverändert fort. Die Parteien haben aber in Nr. 3 Satz 1 des Nachtrags eine selbständige und gegenüber der Regelung in Nr. 6 Satz 2 iVm. § 14 Satz 1 des Arbeitsvertrags vorrangige „Bestimmung” zum Entgelt vereinbart. Es ist auch nicht ersichtlich, durch Nr. 3 Satz 1 des Nachtrags solle ein – zumal jeweils aktuelles – tariflich geregeltes Entgelt zum Inhalt der Vergütungsabrede gemacht werden. Diese eigenständige vertragliche Entgeltabrede steht einer Anwendung des GTV 2011 aufgrund einer dynamischen Bezugnahme durch Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags iVm. §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrag entgegen.
b) Für den nachfolgenden Zeitraum findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der GTV 2011 Anwendung. Die abweichende Vergütungsregelung in Nr. 3 des Nachtrags hat am 15. Oktober 2011 geendet. Die Klägerin kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch die Entgeltdifferenz zur Gehaltsgruppe II/E GTV 2011 beanspruchen. Die Klägerin und die frühere Arbeitgeberin, die C GmbH & Co. KG, haben zwar in § 1 des Arbeitsvertrags die „Tarifgruppe I” eingetragen. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die B GmbH & Co. KG, hat aber der Klägerin bereits im Jahr 2008 mitgeteilt, dass sich ihr Entgelt nach der „Tarifgruppe II/E” bemesse und sie ein Entgelt iHv. 2.290,00 Euro erhalte. Dies ist die nach dem GTV 2008 vorgesehene Vergütung für die Gehaltsgruppe II/E. Ebenso entspricht das von der Beklagten im Nachtrag genannte „Bruttoentgelt, bezogen auf 37,5 Std./Woche” iHv. 2.372,00 Euro der bis zum 31. Mai 2011 geltenden Vergütung nach der Gehaltsgruppe II/E GTV 2009. Dass die Klägerin keine Tätigkeit ausübt, die in Anwendung des GTV 2008, GTV 2009 oder GTV 2011 nicht den Anforderungen des unverändert gebliebenen Tätigkeitsmerkmals der Gehaltsgruppe II der jeweiligen Gehaltstarifverträge entspricht, hat selbst die Beklagte nicht geltend gemacht.
3. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Eylert, Creutzfeldt, Treber, Schuldt, Mayr
Fundstellen
Haufe-Index 8621042 |
BB 2015, 2675 |
DB 2015, 2762 |