Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Bezugnahmeregelung. Gleichstellungsabrede
Leitsatz (redaktionell)
Die Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel als sog. Gleichstellungsabrede erfordert nicht, dass im Arbeitsvertrag auf alle Tarifverträge verwiesen wird, die für den Arbeitgeber und die bei ihm beschäftigten tarifgebundenen Gewerkschaftsmitglieder normativ gelten.
Normenkette
BGB § 305c Abs. 2, § 611
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. Februar 2014 – 13 Sa 970/13 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Entgeltansprüche der Klägerin und in diesem Zusammenhang über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen für den Hessischen Einzelhandel aufgrund vertraglicher Bezugnahme.
Die Klägerin ist bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen seit Beginn des Jahres 1990 als Buchhändlerin beschäftigt. In dem mit der Rechtsvorgängerin, der C GmbH & Co. KG, geschlossenen Arbeitsvertrag heißt es ua.:
„§ 1 Probezeit und Anstellung |
Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung vom 01.01.1990 als Buchhändlerin … Tarifgruppe II … eingestellt.
…
Tarifgehalt |
DM 1.385,– bei 25 Wochenstunden |
…
Übertarifliche Bezüge sind bei Tariferhöhungen, bei Aufrücken in ein anderes Berufs- oder Tätigkeitsjahr oder bei Einstufung in eine höhere Beschäftigungsgruppe anrechenbar. Sie können im Übrigen unter Einhaltung der in § 11 vereinbarten Frist gekündigt werden.
…
Soweit sich aus diesem Vertrag nichts anderes ergibt, findet der Mantel- und Gehaltstarifvertrag Hess. Einzelhandel in der zuletzt gültigen Fassung sowie die Betriebsordnung Anwendung. …”
Die Arbeitgeberin war im Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses Mitglied im Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. Nach Verschmelzung auf die B GmbH & Co. KG führte diese die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband fort. Sie wechselte im Jahr 2005 in eine Mitgliedschaft ohne Tarifgebundenheit. Zum Ende des Jahres 2006 trat sie aus dem Landesverband aus.
Am 21. Dezember 2010 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin infolge einer Verschmelzung der Rechtsvorgängerin auf die nicht tarifgebundene Beklagte als aufnehmende Rechtsträgerin über.
Am 30. November 2011 schlossen die Parteien einen „Nachtrag zum Arbeitsvertrag” (nachfolgend Nachtrag), der auszugsweise wie folgt lautet:
„2. Arbeitszeit |
Die wöchentliche Arbeitszeit … beträgt 37,50 Std./Woche. |
3. Vergütung |
Das monatliche Bruttoentgelt, bezogen auf 37,5 Std./Woche beträgt EUR 2.372,00 |
6. Gültigkeit |
Diese Vereinbarung tritt ab 01.12.2011 in Kraft und endet am 31.12.2011. Alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages gelten unverändert fort. |
…” |
|
Die Klägerin erhielt bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden in den Monaten August 2009 bis einschließlich Oktober 2009 ein Entgelt iHv. 1.832,00 Euro brutto, bis einschließlich des Monats März 2011 iHv. 1.860,00 Euro brutto und ab Juni 2011 iHv. 1.898,00 Euro brutto sowie im Dezember 2011 auf Grundlage des Nachtrags von 2.372,00 Euro brutto.
Nach dem zwischen dem Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) geschlossenen Gehaltstarifvertrag (GTV) vom 26. Juni 2009 (GTV 2009) beträgt das monatliche Entgelt bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden in der Gehaltsgruppe II nach dem fünften Jahr der Tätigkeit 2.336,00 Euro (ab 1. August 2009) und 2.372,00 Euro (ab 1. August 2010). Weiterhin sieht § 2a GTV 2009 eine im März 2010 zahlbare tarifliche Einmalzahlung iHv. 150,00 Euro brutto vor, die an Teilzeitbeschäftigte anteilig zu zahlen ist. Der nachfolgende Gehaltstarifvertrag vom 21. Juni 2011 (GTV 2011) regelt für die Gehaltsgruppe II ein Entgelt iHv. 2.443,00 Euro. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beträgt das anteilige Bruttoentgelt 1.868,80 Euro (ab 1. August 2009), 1.897,60 Euro (ab 1. August 2010) sowie 1.954,40 Euro (ab 1. Juni 2011).
Mit Schreiben vom 1. Februar 2012 hat die Klägerin ua. für die Zeit ab dem 1. August 2009 bis zum 31. März 2011 und vom 1. Juni 2011 einschließlich des Monats Dezember 2011 die Differenzen zwischen den ihr geleisteten Zahlungen und dem tariflich geregelten Entgelt sowie auf Grundlage des „Tarifabschluss 2009” eine Einmalzahlung iHv. 120,00 Euro geltend gemacht und die Beklagte ohne Erfolg zur Zahlung bis zum 16. Februar 2012 aufgefordert.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihre Zahlungsansprüche weiterverfolgt. Sie hat ausgeführt, der Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1990 enthalte eine unbedingte zeitdynamische Bezugnahme auf die jeweiligen tariflichen Entgeltbestimmungen. Eine Gleichstellungsabrede sei nicht gewollt gewesen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 899,80 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. Februar 2012 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 120,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, der Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1990 enthalte eine sog. statische Bezugnahme auf die bei Vertragsschluss geltenden Tarifverträge, wie das Wort „zuletzt” in dessen § 14 zeige. Zudem sei das Entgelt individuell vereinbart worden. In § 3 des Arbeitsvertrags sei die Vergütung abschließend geregelt. Selbst wenn man anderer Auffassung sei, liege eine sog. Gleichstellungsabrede vor. Die zeitliche Dynamik hätte dann mit dem Wegfall der Tarifgebundenheit der früheren Arbeitgeberin geendet. Nichts anderes ergebe sich aus dem Nachtrag zum Arbeitsvertrag. Eine etwaige Bezugnahmeregelung aus dem ursprünglichen Arbeitsvertrag sei durch Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags nicht zum Gegenstand einer rechtsgeschäftlichen Willensbildung gemacht worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage – soweit für die Revision von Bedeutung – stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie kann für die Zeit vom 1. August 2009 bis zum Ende des Jahres 2011 über das geleistete Entgelt keine weiteren Zahlungen auf Grundlage der Gehaltstarifverträge (GTV 2009 und GTV 2011) verlangen.
I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Entgeltdifferenzen auf Grundlage des ursprünglichen Arbeitsvertrags.
1. Dabei kann zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, die Regelungen in §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags enthielten im Ergebnis eine dynamische Bezugnahme auf die tariflichen Entgeltbestimmungen der zwischen dem Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und der Gewerkschaft ver.di (und deren Rechtsvorgängerin) vereinbarten Gehaltstarifverträge. Die sich aus den §§ 1 und 3 des im Jahre 1990 geschlossenen Arbeitsvertrags ergebende Bezugnahmeregelung ist aber als sog. Gleichstellungsabrede auszulegen, die keine von der Tarifgebundenheit der damaligen Arbeitgeberin unabhängige, zeitdynamische Verweisung auf die in Bezug genommenen Tarifverträge in der jeweiligen Fassung zum Inhalt hat.
a) Nach der früheren Rechtsprechung des Senats galt die widerlegliche Vermutung, dass es einem an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber nur darum ging, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten hinsichtlich der Geltung des in Bezug genommenen Tarifwerks gleichzustellen. Der Senat ging davon aus, dass mit einer solchen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellten Vertragsklausel lediglich die möglicherweise fehlende Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge ersetzt werden soll, um jedenfalls zu einer vertraglichen Anwendung des einschlägigen Tarifvertrags zu kommen und damit zu dessen Anwendbarkeit für alle Beschäftigten. Daraus hatte der Senat die Konsequenz gezogen, dass auch ohne weitere Anhaltspunkte im Vertragstext oder in den Begleitumständen bei Vertragsschluss bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an die in Bezug genommenen Tarifverträge Bezugnahmeregelungen in aller Regel als sog. Gleichstellungsabreden auszulegen seien. Die Verweisung auf einen Tarifvertrag oder ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung wurde deshalb einschränkend dahin ausgelegt, dass die auf diese Weise zum Ausdruck gebrachte Dynamik nur so weit gereicht hat, wie sie bei einem tarifgebundenen Arbeitnehmer reicht, also dann endet, wenn der Arbeitgeber wegen Wegfalls der eigenen Tarifgebundenheit nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden ist. Ab diesem Zeitpunkt sind die in Bezug genommenen Tarifverträge nur noch statisch anzuwenden. Diese Rechtsprechung hat der Senat für vertragliche Bezugnahmeregelungen, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind, aufgegeben. Er wendet die Auslegungsregel aus Gründen des Vertrauensschutzes jedoch weiterhin auf Bezugnahmeklauseln an, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind (st. Rspr., sh. nur BAG 11. Dezember 2013 – 4 AZR 473/12 – Rn. 14 f. mwN, BAGE 147, 41).
b) Einer Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahme als sog. Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung steht – anders als dies die Klägerin offenbar meint – nicht entgegen, dass über §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrages nur die tariflichen Entgeltbestimmungen in Bezug genommen werden und über dessen § 14 weitere Tarifverträge. Es ist keine notwendige Bedingung für die Annahme einer sog. Gleichstellungsabrede, dass im Arbeitsvertrag auf sämtliche Tarifverträge verwiesen wird, die für den Arbeitgeber und die bei ihm beschäftigten tarifgebundenen Gewerkschaftsmitglieder normativ gelten. Die Bestimmung des Umfangs der vertraglichen Bezugnahme ist allein Sache der Vertragsparteien (sh. zuletzt BAG 11. Dezember 2013 – 4 AZR 473/12 – Rn. 17 f. mwN, BAGE 147, 41).
Entgegen der Auffassung der Revision bestehen weiterhin auch keine besonderen Anhaltspunkte, dass eine Bezugnahme der tariflichen Entgeltbestimmungen über §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags nicht als sog. Gleichstellungsabrede zu verstehen ist.
c) Die Klägerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB stützen. Die bisherige Rechtsprechung des Senats ist unter Anwendung der seit dem 1. Januar 2002 in § 305c Abs. 2 BGB normierten, jedoch bereits vorher auch für das Arbeitsrecht anerkannten Unklarheitenregelung davon ausgegangen, dass bei der der Gleichstellung generell zugrunde liegenden soziotypischen Konstellation von als berechtigt anzuerkennenden Zweifeln iSv. § 305c Abs. 2 BGB nicht ausgegangen werden kann. Dies hat der Senat zuletzt in seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2013 ausführlich begründet (BAG 11. Dezember 2013 – 4 AZR 473/12 – Rn. 19 mwN, BAGE 147, 41).
2. In Anwendung dieser Grundsätze scheidet ein Zahlungsanspruch der Klägerin aus. Der GTV 2009 und der GTV 2011 würden selbst bei Annahme einer ursprünglich dynamischen Bezugnahmeregelung auf die jeweiligen Gehaltstarifverträge nicht mehr von dieser erfasst.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war bei Abschluss des Arbeitsvertrags im Januar 1990 nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG aufgrund ihrer Verbandsmitgliedschaft an die vom Landesverband des Hessischen Einzelhandels e.V. und der Gewerkschaft ver.di (und deren Rechtsvorgängerin) geschlossenen Gehaltstarifverträge gebunden. Ihre mitgliedschaftlich begründete Tarifgebundenheit endete durch den im Jahre 2005 vollzogenen Wechsel in eine sog. OT-Mitgliedschaft. Nach diesem Zeitpunkt erfolgte Änderungen der Gehaltstarifverträge – hier der GTV 2009 und der GTV 2011 – werden durch eine sog. Gleichstellungsabrede nicht mehr erfasst.
II. Die Klägerin kann sich für ihr Begehren, soweit es den Monat Dezember 2011 betrifft, nicht auf den Nachtrag zum Arbeitsvertrag stützen. Selbst wenn davon auszugehen sein sollte, eine etwaige dynamische Bezugnahme der Gehaltstarifverträge durch §§ 1 und 3 des ursprünglichen Arbeitsvertrags sei über Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Parteien gemacht worden und es liege daher eine nach dem 31. Dezember 2001 vereinbarte Bezugnahmeregelung – also ein „Neuvertrag” vor –, die nicht mehr der wiedergegebenen (oben I 1 a), vom Senat noch aus Gründen des Vertrauensschutzes angewandten Auslegung zur Gleichstellungsabrede unterliegt (dazu ausf. BAG 24. Februar 2010 – 4 AZR 691/08 – Rn. 23 ff.; 18. November 2009 – 4 AZR 514/08 – Rn. 23 ff., BAGE 132, 261; 30. Juli 2008 – 10 AZR 606/07 – Rn. 49, BAGE 127, 185), rechtfertigt dies gleichwohl nicht den begehrten Zahlungsanspruch.
Zwar gelten nach Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags „alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages” unverändert fort. Die Parteien haben aber bereits vorstehend in dessen Nr. 3 Satz 1 eine selbständige und gegenüber der Regelung in Nr. 6 Satz 2 iVm. § 14 Satz 1 des Arbeitsvertrags vorrangige „Bestimmung” zum Entgelt vereinbart. Es ist auch nicht ersichtlich, durch Nr. 3 Satz 1 des Nachtrags solle ein – zumal jeweils aktuelles – tariflich geregeltes Entgelt zum Inhalt der Vergütungsabrede gemacht werden. Diese eigenständige vertragliche Entgeltabrede steht einer Anwendung des GTV 2011 aufgrund einer etwaigen dynamischen Bezugnahme in §§ 1 und 3 des Arbeitsvertrags iVm. Nr. 6 Satz 2 des Nachtrags entgegen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Eylert, Creutzfeldt, Treber, Schuldt, Mayr
Fundstellen