Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag. Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit der DDR
Leitsatz (amtlich)
1. Die bewußte Tätigkeit eines Arbeitnehmers des öffentlichen Dienstes als geheimer Informant für das MfS begründet nicht in jedem Fall eine ordentliche Arbeitgeberkündigung nach dem Einigungsvertrag wegen mangelnder persönlicher Eignung. Die gebotene Einzelfallprüfung kann vielmehr ergeben, daß der Arbeitnehmer für eine weitere Tätigkeit im öffentlichen Dienst ausreichend geeignet und seine Weiterbeschäftigung zumutbar ist, z.B. wenn die Tätigkeit für das MfS lange Zeit zurückliegt und der Arbeitnehmer sich durch sein Verhalten vor und nach der Wende von den grundgesetzfeindlichen Zielen des SED-Staates distanziert hat.
2. Auch die vorsätzliche Falschbeantwortung der Frage des Dienstherrn nach einer früheren Tätigkeit für das MfS belegt nicht zwangsläufig die mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers im Sinn des Einigungsvertrages. Hat der Arbeitnehmer später, als er noch nicht mit der Aufdeckung seiner früheren Tätigkeit für das MfS rechnen mußte, diese offenbart und so dem Arbeitgeber die sachgerechte Entscheidung über eine Weiterbeschäftigung ermöglicht, kann dies hinsichtlich der künftigen Loyalität des Arbeitnehmers gegenüber seinem Dienstherrn eine positive Prognose zulassen.
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziffer 1 und Abs. 5 Ziffer 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 6. Mai 1994 – 3 Sa 233/93 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer auf den Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 und Abs. 5 Ziff. 2 (im folgenden: Abs. 4 Ziff. 1 EV und Abs. 5 Ziff. 2 EV) gestützten ordentlichen Arbeitgeberkündigung.
Der am 31. Juli 1941 geborene Kläger ist verheiratet und einer Person unterhaltsverpflichtet. Er stand seit 1. Januar 1967 im Hochschuldienst, zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, später als wissenschaftlicher Assistent und sodann als Oberassistent an der Hochschule für Verkehrswesen … Dresden. Mit Auflösung der Hochschule für Verkehrswesen gemäß § 8 des Sächsischen Hochschulstrukturgesetzes vom 10. April 1992 (Sächsisches GVBl. Nr. 16 S. 161, 163) wurde dem Kläger durch Arbeitsvertrag vom 16. Juli 1992 sowie Urkunde vom 1. Juli 1992 eine Professur an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (FH) für Softwaretechnologie übertragen. Als Beschäftigungszeit im Sinne des § 19 BAT-O wurde die Zeit ab 1. Januar 1967 anerkannt.
Der Kläger studierte von 1960 bis 1965 in Leningrad. Am 19. August 1960 gab der Kläger gegenüber dem MfS eine handschriftliche Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit ab und wählte den Decknamen „M.”. In der Folgezeit kam es während des Studiums des Klägers in Leningrad zu 69 Treffs mit Führungsoffizieren des MfS und 71 Berichten des Klägers über andere Personen, teilweise handschriftlich vom Kläger verfaßt. Die letzten in den Unterlagen des Bundesbeauftragten enthaltenen Treffberichte datieren von 1964. Der Abschlußbericht der HA II stammt vom 5. Januar 1966, die Ablage des Aktenmaterials wurde verfügt am 1. September 1967. Der Kläger wurde vom MfS als GI (Geheimer Informant) geführt.
In dem ihm im April 1991 vorgelegten Fragebogen für den öffentlichen Dienst verneinte der Kläger die Frage nach einer offiziellen oder inoffiziellen Tätigkeit für das MfS/ANS. Nach Erlaß des Stasi-Unterlagengesetzes bemühte sich der Kläger im Jahre 1992 um Einsicht in die ihn betreffenden Unterlagen des Bundesbeauftragten. Ein Einzelbericht der Außenstelle Dresden des Bundesbeauftragten an den Kläger datiert vom 5. Oktober 1992.
Bereits am 8. September 1992 hatte sich der Kläger an das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gewandt und seine Tätigkeit für das MfS während seines Studiums in Leningrad mitgeteilt. Darüber hinaus teilte er diese Tätigkeit auch der Personalkommission seiner Fakultät mit und bat um eine Anhörung vor der Kommission. Eine solche Anhörung fand am 24. September 1992 statt; der Kläger verlas dort eine von ihm verfaßte „Zusatzerklärung” vom selben Tag und gab an, die Frage nach einer MfS-Tätigkeit im Fragebogen habe er im April 1991 verneint, weil er seine Erklärung auf den Beschäftigungszeitraum an der Hochschule für Verkehrswesen bezogen habe, weil seiner Vorstellung nach die Tätigkeit in Leningrad nicht unter „MfS”, sondern unter „Spionageabwehr”, „Mitarbeiter der Botschaft” gelaufen sei und weil ihm nicht bekannt gewesen sei, daß es „verwaltungsrechtlich” keine Verjährung gebe.
Auf das Mitteilungsersuchen des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst übersandte die Außenstelle Dresden des Bundesbeauftragten unter dem Datum des 16. November 1992 einen Einzelbericht sowie weitere Unterlagen.
Mit Schreiben vom 12. November 1992 teilte der Staatssekretär beim Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst in Vertretung des Staatsministers der Vorsitzenden des Hauptpersonalrats beim Ministerium mit, es sei beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger gemäß Abs. 5 EV mit Wirkung zum 31. März 1993 zu kündigen. Dem Hauptpersonalrat wurde mit diesem Schreiben mitgeteilt, der Kläger habe in seiner Erklärung vom 20. April 1991 eine Tätigkeit für das MfS verneint, der Kläger sei jedoch von 1960 bis 1967 nach den Unterlagen des Bundesbeauftragten als GI für das MfS tätig gewesen, habe eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet und den Decknamen „M.” gewählt. Er habe während der Zeit seiner Tätigkeit in Leningrad personenbezogene Berichte gefertigt. Damit sei der Kläger für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst nicht geeignet. Ein Festhalten am Arbeitsverhältnis sei unzumutbar. Da die Tätigkeit für das MfS 25 Jahre zurückliege, werde jedoch von einer außerordentlichen Kündigung abgesehen.
Der Hauptpersonalrat erwiderte mit Schreiben vom 8. Dezember 1992, er erhebe gegen die Kündigungsabsicht keine Einwendungen.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 1992 kündigte der Staatsminister das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. März 1993 und berief den Kläger gleichzeitig von seinem Amt als Professor ab.
Gegen diese dem Kläger am 19. Dezember 1992 zugegangene Kündigung richtet sich die am 7. Januar 1993 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage des Klägers.
Der Kläger hat vorgetragen, er sei vor Antritt seines Mathematikstudiums in Leningrad von einer Person, die sich als Mitarbeiter der Spionageabwehr zu erkennen gegeben habe, zur Wachsamkeit vor Mitarbeitern westlicher Geheimdienste aufgefordert worden. Unmittelbar vor Antritt seines Studiums habe er dann eine „entsprechende” Verpflichtungserklärung unterschrieben. Diese sei ihm bei Abgabe der Erklärung vom 20. April 1991 nicht mehr erinnerlich gewesen. Seine Tätigkeit für das MfS sei mit Beendigung des Studiums abgeschlossen gewesen. Er sei damals davon ausgegangen, einen Beitrag zum Schutz der DDR-Studentendelegation im Sinne der Spionageabwehr zu leisten. Diese Tätigkeit sei nach 25 Jahren nicht auf eine MfS-Tätigkeit zuordenbar gewesen. Im übrigen wäre er bei analoger Anwendung der Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes nicht verpflichtet gewesen, seine frühere Tätigkeit anzugeben. Dort betrage die längste Tilgungsfrist für Verurteilungen 15 Jahre.
Seit 1968 habe er sich vom bestehenden Gesellschaftssystem abgewandt. Aufgrund seiner politischen Anschauungen sei er in seinem beruflichen Werdegang bewußt gebremst worden. Seit 1975 habe er enge Kontakte mit Repräsentanten des Widerstands in der DDR unterhalten. Bereits im Herbst 1989 habe er an politischen Versammlungen teilgenommen und sei seit Oktober 1989 in der Dresdner Gruppe des „Demokratischen Aufbruchs” politisch aktiv gewesen. Seine Familie sei im Jahre 1989 vom MfS observiert worden. Er sei als Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung nominiert worden und später im Ortsverein B. der CDU aktiv gewesen. Daß er sich vorbehaltlos für die Wende in der DDR eingesetzt und von dem früheren Gesellschaftssystem seit langem abgewandt habe, werde auch durch ein Schreiben seiner sämtlichen Kollegen vom 17. Februar 1993 bestätigt.
Der Kläger hat eine ordnungsgemäße Beteiligung des Hauptpersonalrats bestritten, insbesondere, daß diesem das Protokoll der Anhörung vor der Personalkommission vorgelegen hätte. Ferner hat der Kläger geltend gemacht, die maßgebliche Kündigungsfrist des § 53 BAT-O sei nicht eingehalten.
Der Kläger hat, soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß die Kündigung des Beklagten vom 17. Dezember 1992, dem Kläger zugestellt am 19. Dezember 1992, rechtsunwirksam ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, die inoffizielle Tätigkeit des Klägers für das MfS stelle einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Zugunsten des Klägers sei berücksichtigt worden, daß die Tätigkeit für das MfS bereits 25 Jahre zurückliege; deshalb sei lediglich eine ordentliche Kündigung ausgesprochen worden, was möglich sei, wenn wie im Fall des Klägers die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen eines Verhaltens gemäß Abs. 5 EV vorlägen. Unter Berücksichtigung des Zeitraums der Tätigkeit für das MfS und der Anzahl der gelieferten Berichte habe eine sehr intensive Zusammenarbeit stattgefunden. Die entlastenden Momente seien nicht geeignet, die Eignungsdefizite auszugleichen. Es werde vorsorglich bestritten, daß der Kläger sich vom Gesellschaftssystem der DDR abgewandt habe. Zweifel an der Eignung des Klägers bestünden auch, da der Kläger die Frage nach der Tätigkeit für das MfS bewußt verneint habe. Die falsche Angabe des Klägers in der Erklärung vom 20. April 1991 stelle eine erhebliche Pflichtverletzung dar, die für sich genommen bereits einen Kündigungsgrund hergebe. Eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sei vorliegend nicht zu prüfen. Die Personalvertretung sei ordnungsgemäß beteiligt worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht mit Ablauf des 31. März 1993 endete, sondern bis 30. Juni 1993 fortbestand; im übrigen hat es das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.
Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger im Umfang des genannten Klageantrags die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung (§ 565 Abs. 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen angenommen, die streitige Kündigung sei trotz der Berufung des Beklagten auf Abs. 5 Nr. 2 EV eine ordentliche Kündigung, für die die Frist des § 53 Abs. 2 BAT-O von sechs Monaten zum Schluß eines Kalendervierteljahres zu beachten sei (vgl. zur Kündigungsfrist auch BAG Urteil vom 26. Mai 1994 – 6 AZR 27/94 – AP Nr. 1 zu § 53 BAT-O, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Offenbleiben kann, ob gemäß Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 15 c das BPersVG oder – wie das Landesarbeitsgericht meint – gemäß Nr. 15 a EV, aaO, das PersVG-DDR anzuwenden ist. Die für die Personalratsbeteiligung wesentlichen Vorschriften beider Gesetze stimmen nämlich wörtlich überein. Auch die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts, mit denen es eine ordnungsgemäße Beteiligung des Hauptpersonalrats angenommen hat, lassen Rechtsfehler nicht erkennen und werden von der Revision nicht angegriffen.
II. Soweit das Landesarbeitsgericht weiter angenommen hat, die Kündigung sei gerechtfertigt, weil der Kläger während seines Studiums in Leningrad unstreitig als geheimer Informant (GI) für das MfS tätig gewesen sei (Abs. 5 Ziff. 2 EV) und mit der Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Tätigkeit im Fragebogen vom 20. April 1991 mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV habe erkennen lassen, folgt dem der Senat nicht, weil der Sachverhalt hinsichtlich des Entlastungsvorbringens des Klägers noch nicht ausreichend aufgeklärt ist.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) davon ausgegangen, daß auch bei einer ordentlichen Kündigung wegen einer früheren Tätigkeit für das MfS die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV vorliegen müssen.
Auch greift der Einwand der Revision nicht durch, das Landesarbeitsgericht habe eine bewußte und finale Tätigkeit für das MfS, wie sie die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (aaO, mit weiteren Nachweisen) fordert, nicht festgestellt; das Gegenteil ist der Fall, wenn das Landesarbeitsgericht unter II 1 der Entscheidungsgründe im Anschluß an das Zitat dieser Grundsätze für den Senat gemäß § 561 ZPO bindend ausführt, der Kläger sei unstreitig für das MfS tätig geworden und habe aufgrund der von ihm abgegebenen Verpflichtungserklärung unter Verwendung eines Decknamens eine Vielzahl von – auch handschriftlichen – Berichten über andere Personen und über Vorkommnisse ohne Wissen der betroffenen Personen an das MfS weitergegeben, die den Betroffenen erheblichen Schaden hätten zufügen können.
Genausowenig greift der Angriff der Revision, die Sonderkündigungstatbestände des Einigungsvertrags seien schon deshalb nicht anwendbar, weil der Beklagte mit dem Kläger am 16. Juli 1992 einen neuen Arbeitsvertrag abgeschlossen habe und auch keine Weiterverwendung im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV vorliege; zwischen den Parteien wurde – entgegen der Ansicht der Revision – kein neues Arbeitsverhältnis im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 502/93 – AP Nr. 11 zu Art. 20 Einigungsvertrag) begründet, vielmehr stand der Kläger im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts in einem Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst im Sinne von Art. 20 EV, welches zu keinem Zeitpunkt unterbrochen war und das mit dem Vertrag vom 16. Juli 1992 unter ausdrücklichem Bezug auf den vorausgehenden Änderungsvertrag vom 23. August 1991 und unter Anrechnung der Beschäftigungszeit seit 1. Januar 1967 lediglich zu veränderten Bedingungen fortgesetzt wurde. Auf die Frage, ob außerhalb des Tatbestands der Weiterverwendung gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV im Fall eines zum Zeitpunkt des Beitritts der neuen Bundesländer bestehenden Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Dienst und der Neubegründung eines anderen Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Dienst nach einer zeitlichen Unterbrechung die Sonderkündigungstatbestände des Einigungsvertrags Anwendung finden (so wohl BAG Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 274/93 – AP Nr. 10 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B 2 a der Gründe), kommt es demnach nicht an.
Die mit Tatbeständen des Abs. 5 Ziff. 2 EV begründete Kündigung erfordert jedoch eine Einzelfallprüfung (grundlegend BAG Urteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 und 474/91 – AP Nr. 1 und 4 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; vgl. auch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zu Abs. 4 Nr. 1 EV vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 – NZA 1995, 619). Dabei bestimmen über die Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses vor allem das individuelle Maß der Verstrickung und Zeitpunkt und Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit. Besondere Bedeutung kommt dem Merkmal „erscheint” zu: Das Gesetz stellt damit auf die vordergründige Erscheinung der Verwaltung mit diesem Mitarbeiter ab. Dabei ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt, von Bedeutung (vgl. BAG Urteil vom 19. Januar 1995 – 8 AZR 220/93 – nicht veröffentlicht, mit weiteren Nachweisen). Auch Entlastungstatsachen, die im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs vorlagen, sind zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 und 474/91 –, aaO) gilt dies jedenfalls dann, wenn sie sich in gleicher Weise wie die frühere belastende Tätigkeit manifestiert haben (zur Berücksichtigung von Entlastungstatsachen vgl. auch BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 4 d der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Danach rügt die Revision mit Recht, das Landesarbeitsgericht habe bei der Einzelfallprüfung Entlastungsvorbringen des Klägers unberücksichtigt gelassen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, insoweit seien spätere Verhaltensweisen des Arbeitnehmers, die mit der Tätigkeit für das MfS nicht im Zusammenhang stehen, regelmäßig nicht berücksichtigungsfähig, findet in der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Stütze. Zwar ist zutreffend, daß die in Abs. 4 und 5 EV geforderte Einzelfallprüfung nicht in einer umfassenden Interessenabwägung zu bestehen hat (BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 –, aaO). Das Vorbringen des Klägers, er habe sich seit den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die ehemalige Tschechoslowakei im Jahre 1968 zunehmend vom DDR-System abgewandt, was sich darin manifestiert habe, daß er seit 1975 enge Kontakte mit anerkannten Repräsentanten des Widerstands in der DDR unterhalten und daß er sich seit Oktober 1989 für die Wende in der Gruppierung „Demokratischer Aufbruch” eingesetzt und danach in der CDU engagiert habe, hätte das Landesarbeitsgericht bei der Einzelfallprüfung berücksichtigen müssen. Im Hinblick darauf, daß die Tätigkeit des Klägers für das MfS im Kündigungszeitpunkt bereits fast 30 Jahre zurücklag, könnte das Verhalten des Klägers vor, während und nach der Wende geeignet sein, die Weiterbeschäftigung des Klägers zumutbar erscheinen zu lassen; dafür spricht auch die Einschätzung der Kollegen des Klägers, wie sie in dem Schreiben vom 17. Februar 1993 zum Ausdruck kommt; dafür könnte es ferner sprechen, daß die Personalkommission an der Hochschule – im Gegensatz zur Landespersonalkommission – seine Entlassung nicht empfohlen hat.
2. Die angegriffene Entscheidung erweist sich auch nicht im Ergebnis als deshalb zutreffend, weil mangelnde persönliche Eignung des Klägers im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV aus der Falschbeantwortung der Frage nach der MfS-Tätigkeit im Fragebogen vom 20. April 1991 abzuleiten wäre.
Mit Recht hat insoweit das Landesarbeitsgericht allerdings angenommen, die Frage nach der MfS-Tätigkeit sei zulässig und vom Kläger wahrheitsgemäß zu beantworten gewesen (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 –, aaO). Die vorsätzliche Falschbeantwortung der Frage durch den Arbeitnehmer offenbart regelmäßig dessen mangelnde persönliche Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Andererseits sind auch insoweit neben der individuellen Schuld des Arbeitnehmers alle sonstigen Umstände des Einzelfalles, die für oder gegen die persönliche Eignung des Arbeitnehmers sprechen, zu prüfen und abzuwägen.
Nicht zu beanstanden ist es zunächst, daß das Landesarbeitsgericht dem Kläger nicht geglaubt hat, er habe die Frage nach seiner MfS-Tätigkeit lediglich irrtümlich falsch beantwortet. Die Frage war zunächst in zeitlicher Hinsicht klar ohne jede Beschränkung gestellt („Haben Sie jemals … für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit … gearbeitet?”). Für ein etwaiges Mißverständnis dahin, es könnte nur um eine MfS-Tätigkeit im Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Hochschule für Verkehrswesen gehen, bot die Frage keinen Ansatz und auch sonstige Umstände, aufgrund derer eine solche Einschränkung der Auskunftspflicht hätte in Betracht kommen können, sind nicht ersichtlich. Zumal der Kläger in seiner „Zusatzerklärung” vom 24. September 1992 selbst dargelegt hat, er habe sich bereits im April 1990 im Zusammenhang mit der ihm angetragenen Kandidatur für die Stadtverordnetenversammlung und erneut im Herbst 1991 bei der vorgesehenen Kandidatur für den Ortsbeirat B. nicht in der Lage gesehen, die geforderten Ehrenerklärungen zu unterschreiben, kann auch nicht angenommen werden, der Kläger habe im guten Glauben an eine „verwaltungsrechtliche Verjährung” gehandelt. Entsprechendes gilt auch für die Einlassung des Klägers, er habe seine Informantentätigkeit in Leningrad nach seiner Vorstellung nicht dem Stichwort „MfS”, sondern dem Stichwort „Spionageabwehr” zugeordnet. Einem etwaigen Mißverständnis, nach einer Informantentätigkeit zur Spionageabwehr sei nicht gefragt, beugte nachdrücklich die Formulierung der Frage 2 im Fragebogen vor: „Haben Sie … über mittelbare Kontakte im Wege einer Verpflichtung als Reisekader … für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit … gearbeitet?”. Diese drei unterschiedlichen Erklärungsansätze des Klägers für die objektive Falschbeantwortung der Fragen nach einer früheren MfS-Tätigkeit sind zudem schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Das Landesarbeitsgericht durfte somit die Einlassungen des Klägers als bloße Schutzbehauptungen werten.
Das Landesarbeitsgericht hat aber den Umstand, daß der Kläger die Aufklärung seiner früheren MfS-Tätigkeit selbst aktiv betrieb, davon aus eigenem Antrieb das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst in Kenntnis setzte und seine Anhörung vor der Personalkommission anregte, nicht ausreichend berücksichtigt. Dieses Vorgehen des Klägers ist geeignet, die den Kläger belastende Falschbeantwortung der Fragen nach einer früheren MfS-Tätigkeit im Fragebogen weitgehend auszugleichen. Die Falschbeantwortung der Frage indiziert mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV deshalb, weil sie Zweifel an der Ehrlichkeit und künftigen Loyalität des Arbeitnehmers gegenüber seinem Dienstherrn begründet. Die damit verbundene negative Prognose läßt sich jedoch in der Regel dann nicht mehr aufrechterhalten, wenn der Arbeitnehmer freiwillig und glaubwürdig seine ihn belastende Haltung ändert, sich dem Arbeitgeber offenbart und diesem damit die Entscheidung über eine eventuelle Weiterbeschäftigung trotz der mitgeteilten Vorbelastung des Arbeitnehmers ermöglicht. Etwas anderes könnte freilich gelten, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Offenlegung seiner früheren MfS-Tätigkeit konkret mit deren bevorstehender Aufdeckung rechnen mußte. Für einen solchen Sachverhalt hat das Landesarbeitsgericht aber vorliegend keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
Das Landesarbeitsgericht durfte insoweit auch das weitere Entlastungsvorbringen des Klägers zu seinem Verhalten vor, während und nach der Wende nicht unberücksichtigt lassen. Zwar trifft es zu, daß die den Kläger belastende Falschbeantwortung der Frage nach einer früheren MfS-Tätigkeit zeitlich danach lag. Die gebotene umfassende Würdigung der für oder gegen die persönliche Eignung des Klägers im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV sprechenden Umstände im Einzelfall läßt es aber nicht zu, entlastende Tatsachen allein deshalb zu übergehen, weil sie zeitlich einem belastenden Verhalten vorausgingen.
3. Das somit grundsätzlich zu berücksichtigende Entlastungsvorbringen des Klägers ist, soweit es die manifeste und nachhaltige Abwendung des Klägers vom Gesellschaftssystem der DDR seit 1968 angeht, in den Tatsacheninstanzen streitig geblieben. Mangels entsprechender Tatsachenfeststellungen durch das Landesarbeitsgericht kann der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob die Kündigung nach den vorstehenden Grundsätzen gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers gerechtfertigt ist. Das Landesarbeitsgericht wird das streitige Entlastungsvorbringen aufzuklären haben, wobei zu beachten ist, daß die Beweislast letztlich beim Beklagten liegt (vgl. BAG Urteil vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 201/93 – AP Nr. 35 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Das Landesarbeitsgericht wird sodann die be- und entlastenden Umstände gegeneinander abzuwägen und aufgrund dessen die persönliche Eignung des Klägers für ein Verbleiben im öffentlichen Dienst neu zu beurteilen haben.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Bensinger, Nielebock
Fundstellen
BB 1995, 2008 |
JR 1996, 264 |
NZA 1996, 202 |