Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung aus Rationalisierungsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Die Wahl einer Arbeitnehmervertretung vor dem 1. Juli 1990 in der ehemaligen DDR verstößt nicht deswegen gegen die Grundsätze einer demokratischen Wahl, weil der Wahlvorstand bei der Feststellung der wahlberechtigten Arbeitnehmer eine größere Zahl von nicht nach besonderen Umständen umschriebenen Arbeitnehmern zu Unrecht nicht berücksichtigt hat (Abgrenzung zu BAG Urteil vom 12. November 1992 – 8 AZR 232/92 – BAGE 71, 360 = AP Nr. 1 zu § 30 MantelG DDR).
Normenkette
MantelG § 30 Nr. 3; BetrVG 1972 §§ 19, 112
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 31.05.1994; Aktenzeichen 5 Sa 5254/93) |
ArbG Leipzig (Urteil vom 16.09.1993; Aktenzeichen 9 Ca 78/92) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 31. Mai 1994 – 5 Sa 5254/93 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Beklagte ist aus dem Backwarenkombinat L… hervorgegangen und war zunächst ein Treuhandunternehmen. Sie unterhielt im hier interessierenden Zeitraum noch zwei Betriebsstätten, nämlich die Brotfabrik (der Betriebsteil I) und den Betriebsteil K….
Im Dezember 1989 war die für das Kombinat gewählte Betriebsgewerkschaftsleitung zurückgetreten. Auf eine Initiative von Betriebsangehörigen sollte eine neue Interessenvertretung der Arbeitnehmer unter der Bezeichnung “Betriebsgewerkschaftsrat” gewählt werden. Diese Wahlen fanden jedenfalls zunächst in der Brotfabrik am 15. und 16. Februar 1990 statt. Über diese Wahlen existiert ein Protokoll, das folgenden Wortlaut hat:
“VEB Großbäckerei L… L…, den 19.2.1990
Protokoll
über die Durchführung der BGL-Wahl am 15./16.2.1990 |
Wahlberechtigte: |
1.037 |
: |
abgegebene Stimmen: |
615 |
= 59,4 % |
davon gültig: |
554 |
= 89,9 % |
ungültig: |
62 |
= 10,1 % |
Auf die einzelnen Kandidaten entfielen:
…
Es folgen die Namen von 20 Kandidaten
Entsprechend dem Wahlergebnis wurden die Kandidaten mit mehr als 50 % als BGL-Mitglieder gewählt.
Über die 3 noch zu wählenden Kandidaten zur Erreichung der personellen Stärke (Beschluß der Vertrauensleutevollversammlung vom 13.2.1990) muß in einer neuen Vertrauensleutevollversammlung entschieden werden.
K…
Wahlvorstand”
In dem Betriebsteil K… fand eine Wahl in der Zeit vom 23. bis 27. April 1990 statt. Auch darüber existiert ein Protokoll, das folgenden Wortlaut hat:
“Großbäckerei L… L…, d. 2.5.90
Betriebsteil K…
Protokoll
über die Durchführung Betriebsgewerkschaftsratswahl vom 23.4. – 27.4.90 im Betriebsteil Kondi |
abgegebene Stimmen: |
265 |
davon gültig: |
265 |
ungültig: |
0 |
Auf die einzelnen Kandidaten entfallen:
…
Es folgen die Namen von vier Kandidaten
Über die Anzahl der wahlberechtigten Mitglieder kann z.Zt. aufgrund der lückenhaften Kassierung keine Aussage getroffen werden.
Die öffentliche Auszählung erfolgte am 27.4.90. Sämtliche Wahlunterlagen können jederzeit bei der AGL eingesehen werden.
Name
Betriebsgewerkschaftsrat (BGR)”
Der Vorsitzende dieses Betriebsgewerkschaftsrates traf am 28. Juni 1990 mit dem Geschäftsführer der Beklagten folgende schriftliche Vereinbarung:
“…
Der im Februar 1990 demokratisch gewählte Betriebsgewerkschaftsrat ist ermächtigt, die Aufgaben des Betriebsrates wahrzunehmen, bis dieser durch eine Wahl Ende 1990 bestätigt wird.
…”
Am 2. Januar 1991 schloß diese Arbeitnehmervertretung mit der Beklagten eine “Vereinbarung zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer bei Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen” (im folgenden: Rationalisierungsvereinbarung) ab. Diese lautet – soweit vorliegend von Interesse:
“Bei der Umwandlung des Betriebes und damit verbundenen Strukturveränderungen wird es in Übereinstimmung der Unternehmensführung und der Arbeitnehmervertretung für erforderlich gehalten, zur sozialen Absicherung verbleibender und freizusetzender Mitarbeiter die nachstehenden Maßnahmen zu vereinbaren und durchzusetzen:
…
11. Falls eine Freisetzung aus strukturellen Gründen von Arbeitnehmern unumgänglich ist, wird die Gewährung einer Abfindung vereinbart. Die Höhe der Abfindung ist zu berechnen
bis zum 40. Lebensjahr:
30 % des tariflichen Bruttomonatslohnes mal den Jahren der Betriebszugehörigkeit
ab dem 41. Lebensjahr:
40 % des tariflichen Bruttomonatslohnes mal den Jahren der Betriebszugehörigkeit
…
Diese Vereinbarung tritt am 01.01.1991 in Kraft und endet am 31.12.1991.”
Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung war die Treuhandanstalt noch alleinige Gesellschafterin der Beklagten.
Im April 1991 wurde im Betrieb der Beklagten ein Betriebsrat nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes gewählt. Mit diesem führte die Beklagte Verhandlungen über eine Änderung der Rationalisierungsvereinbarung, die am 16. Dezember 1991 zu folgender Betriebsvereinbarung führte:
“…
Im Interesse des Bestandes und in Anbetracht der Verlustsituation des Unternehmens sowie mit Rücksicht auf die Erhaltung eines großen Teils der Arbeitsplätze wird die Vereinbarung vom 2. 1. 91 in Ziffer 11 für diejenigen Arbeitnehmer, die ab 30. 9. 91 aus dem Betrieb ausgeschieden sind bzw. bis 31. 12. 91 ausscheiden werden, wie folgt abgeändert:
1. Die Arbeitnehmer erhalten 75 % der nach Ziffer 11 der Vereinbarung vom 2. 1. 91 zu errechnenden Abfindung, und zwar 50 % der Abfindung nach Ziffer 11 zum 31. 1. 92 und 25 % der Abfindung nach Ziffer 11 zum 30. 6. 92.
2. Die restlichen 25 % der Abfindung nach Ziffer 11 erhalten die Arbeitnehmer, wenn
- das Unternehmen bis Ende 1995 aus einem Jahresüberschuß zur Zahlung in der Lage ist oder
- das Unternehmen bis Ende 1995 verkauft oder liquidiert wird oder die Gesamtvollstrekkung/der Konkurs angeordnet wird.
3. Die Vereinbarung vom 2. 1. 91 entfaltet keine Nachwirkung über den 31. 12. 91 hinaus.
4. Diese Vereinbarung wird erst wirksam mit Zustimmung des Gesellschafters des Unternehmens. Für den Fall der Zustimmung ersetzt diese Einigung auch einen etwa erforderlichen Interessenausgleich.
Erteilt der Gesellschafter die Zustimmung nicht, verbleiben beide Betriebspartner bei ihrer jeweiligen Rechtsauffassung.
…”
Die Treuhandanstalt, als Gesellschafterin der Beklagten, versagte im Januar 1992 die Genehmigung dieser Betriebsvereinbarung.
Der Kläger des vorliegenden Verfahrens war seit 1983 bei der Beklagten beschäftigt. Am 30. September 1991 kündigte die Beklagte ihm fristgemäß wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes zum 31. Dezember 1991. Die Parteien schlossen jedoch dann am 19. Oktober 1991 einen Aufhebungsvertrag, in dem es u.a. heißt:
“…
4. Herr B… erhält eine Abfindung.”
Am 15. Oktober 1991 schrieb die Beklagte dem Kläger und einer Vielzahl anderer Arbeitnehmer:
“…
die finanzielle Situation des Unternehmens läßt die Zahlung von Abfindungen aus dem Sozialplan für das Jahr 1991, unabhängig von der Frage der Bindung des Unternehmens an den Sozialplan, nicht zu.
Wir setzen Sie davon in Kenntnis, daß auch in Ihrem Fall die Sozialplanabfindung nicht ausgezahlt werden kann.
Das Unternehmen ist bemüht, darum mit dem Betriebsrat aufgrund der neu eingetretenen Umstände den Versuch zu unternehmen, Teile der Abfindung im Rahmen einer neuen Vereinbarung zu sichern.”
Der Kläger verlangte mit Klage zum Kreisgericht vom 20. Dezember 1991 von der Beklagten die Zahlung der Abfindung nach der Rationalisierungsvereinbarung. Er ist der Ansicht, diese sei wirksam zustande gekommen, da die seinerzeit bestehende vertragsschließende Arbeitnehmervertretung nach demokratischen Grundsätzen gewählt worden sei und deshalb nach den Übergangsregelungen des Einigungsvertrages zum Zeitpunkt des Abschlusses der Rationalisierungsvereinbarung die Rechte und Pflichten eines Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz wahrgenommen habe.
Die Betriebsvereinbarung vom 16. Dezember 1991, durch welche die Rationalisierungsvereinbarung hätte abgeändert werden sollen, sei mangels Genehmigung durch die Treuhandanstalt nicht wirksam geworden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.561,60 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Februar 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich darauf, aus der Rationalisierungsvereinbarung könne der Kläger keine Rechte herleiten, da diese nicht wirksam zustande gekommen sei. Die vertragsschließende Arbeitnehmervertretung sei nicht nach demokratischen Grundsätzen gewählt worden. So seien insbesondere nicht alle Arbeitnehmer des Betriebes wahlberechtigt gewesen, sondern lediglich die Mitglieder des FDGB.
Im übrigen sei die Geschäftsgrundlage für die Rationalisierungsvereinbarung deshalb entfallen, weil die seinerzeitige Unternehmenskonzeption von der Entlassung von 50 Arbeitnehmern ausgegangen sei, während dann doch die Kündigung von 159 Beschäftigten erforderlich geworden sei. Auch habe sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens im Laufe des Jahres 1991 erheblich verschlechtert.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme zur Frage, ob das Wahlrecht bei der Wahl der Arbeitnehmervertretung am 15. und 16. Februar 1990 der gesamten Belegschaft zugestanden hat, zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
I. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbegründung zunächst ihren schon in den Vorinstanzen vertretenen Rechtsstandpunkt weiterverfolgt. Der Senat hat unter Berücksichtigung dieser Revisionsbegründung am 13. März 1996 in den Parallelverfahren – 10 AZR 809/94 – und – 10 AZR 835/94 – die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Er hat auf der Grundlage der nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, daß bei der Wahl im Februar 1990 nicht nur Gewerkschaftsmitglieder, sondern alle Arbeitnehmer mit Ausnahme der befristet beschäftigten polnischen und russischen Arbeitnehmer wahlberechtigt waren, dahin erkannt, daß die Wahl vom Februar 1990 demokratischen Grundsätzen entsprach. Dem Betriebsgewerkschaftsrat hätten daher die Rechte eines Betriebsrates nach dem BetrVG zugestanden. Die am 2. Januar 1991 abgeschlossene Rationalisierungsvereinbarung sei daher wirksam zustande gekommen. Die weiteren Angriffe der Revision hat der Senat als unbegründet erachtet. Die genannten Urteile sind den Parteien bekannt. Auf sie nimmt der Senat Bezug.
II. Die Beklagte hat später ihren Revisionsangriff erweitert und ihrer Ansicht nach neue Tatsachen in den Rechtsstreit eingeführt. Sie hält dies für zulässig, weil noch in der Revisionsinstanz neue Tatsachen vorgebracht werden könnten, auf die nach § 580 Nr. 7b ZPO ein Wiederaufnahmeverfahren gestützt werden kann. Sie behauptet, sie habe nach Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht – nach dem 31. Mai 1994 – Urkunden aufgefunden, von denen sie bislang keine Kenntnis gehabt habe. Es sei dies einmal das Protokoll über die Wahl im Betriebsteil K… vom April 1990, das in weiteren noch vor dem Landesarbeitsgericht anhängigen Verfahren vom Klägervertreter überreicht worden sei. Weiter habe sie noch statistische Unterlagen über die Zahl der in den einzelnen Betriebsteilen beschäftigten Arbeitnehmer auch über die Zahl der beschäftigten Russen sowie Arbeitnehmerlisten aufgefunden, aus denen sich ergebe, daß auch die russischen Arbeitnehmer überwiegend unbefristet beschäftigt gewesen seien. Danach seien im Januar 1990 in der Brotfabrik 743, im Betriebsteil K… 425, in einem Betrieb C… 57 und einem weiteren Betrieb L… 73 Arbeitnehmer, insgesamt also 1.298 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Für den Februar 1990 lauteten die Zahlen 740, 426, 56 und 68, zusammen 1.290.
Aus dem Protokoll über die Wahl einer Arbeitnehmervertretung im Betriebsteil K… ergebe sich, daß entweder die im Februar 1990 nur für die Brotfabrik gewählte Betriebsvertretung nicht befugt gewesen sei, die Rationalisierungsvereinbarung für das gesamte Unternehmen der Beklagten abzuschließen oder aber es sei bei der Wahl im Februar 1990 die Selbständigkeit des Betriebsteils K… mißachtet worden, so daß die Betriebsratswahl deswegen nichtig gewesen sei. Zumindest sei davon auszugehen, daß die Arbeitnehmer des Betriebsteils K… sowohl im Februar 1990 als auch noch einmal im April 1990 Vertreter in den Betriebsgewerkschaftsrat gewählt hätten.
Aus der Differenz zwischen der Zahl der im Januar und Februar 1990 beschäftigten Arbeitnehmer – 1.298 und 1.290 – zur Zahl der im Protokoll über die Wahl vom Februar 1990 angegebenen Wahlberechtigten von 1.037 folge zwingend, daß offensichtlich nicht alle Arbeitnehmer wahlberechtigt gewesen seien, vielmehr nur die Mitglieder des FDGB. Dafür spreche auch der Passus im Protokoll über die Wahl im Betriebsteil K…, wonach über die Anzahl der wahlberechtigten Mitglieder keine Aussage getroffen werden könne “aufgrund der lückenhaften Kassierung” (der Gewerkschaftsbeiträge). Seien aber nicht alle Arbeitnehmer wahlberechtigt gewesen, sondern nur die Gewerkschaftsmitglieder, dann sei die Wahl im Februar 1990 nicht nach demokratischen Grundsätzen erfolgt. Unzutreffend sei auch die Feststellung, daß die russischen und polnischen Arbeitnehmer nur befristet beschäftigt gewesen seien.
III. Auch dieses Vorbringen der Beklagten rechtfertigt keine andere Entscheidung.
1. Es kann unentschieden bleiben, ob und in welchem Umfang über § 580 Nr. 7b ZPO neue Tatsachen in der Revisionsinstanz vorgetragen werden können. Die von der Beklagten jetzt vorgetragenen Tatsachen sind jedenfalls nicht neu.
a) Schon im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht Leipzig am 16. September 1993 ist von Klägerseite vorgetragen worden: “Vom Ablauf gleich sei die Wahl im Betriebsteil K… vom 23. bis 27. April 1990 erfolgt, hier seien von den Wählern ein bis drei Wahlstimmen für vier Kandidaten möglich gewesen”. Damit wußte die Beklagte zumindest von diesem Tage an, daß auch im Betriebsteil K… im April 1990 eine Wahl stattgefunden hat. Das später in anderen Verfahren zu den Akten gereichte Protokoll über diese Wahl verschaffte ihr daher nicht erstmals Kenntnis von dieser Wahl.
b) Unzutreffend ist auch die Behauptung, sie, die Beklagte, habe erst jetzt statistische Unterlagen über die Zahl der Beschäftigten in den Monaten Januar und Februar 1990 aufgefunden. Ebenfalls im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht Leipzig vom 16. September 1993 hat die Beklagte zu Protokoll vorgetragen, “im Februar 1990 seien 1.132 Betriebsangehörige zuzüglich 36 sowjetische Staatsbürger bei ihr beschäftigt gewesen. Mithin fehlten etwa 100 Betriebsangehörige bei der Wahl als Stimmberechtigte”. Eine so genaue Aussage ist nur aufgrund bekannter Unterlagen möglich. Die Zahl 1.132 entspricht genau der Zahl der in der Brotfabrik und im Betriebsteil K… beschäftigten Arbeitnehmer, wie sie sich aus der jetzt zu den Akten gereichten Aufstellung für Januar 1990 ergibt. Danach waren in den beiden Betriebsteilen einschließlich der 36 russischen Arbeitnehmer 1.168 Arbeitnehmer beschäftigt. Es handelt sich daher bei den jetzt von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen nicht um “neue Tatsachen” i.S. des Revisionsrechts, sondern um Tatsachen, die schon vor dem Arbeitsgericht in den Prozeß eingeführt worden sind.
Das Landesarbeitsgericht hat in seinem Urteil hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen, damit auch auf das Vorbringen der Parteien zu Protokoll der Sitzung des Arbeitsgerichts vom 16. September 1993. Der Senat kann daher den Umstand, daß im April 1990 noch im Betriebsteil K… gewählt worden ist, sowie die vorgetragenen Zahlen zu den wahlberechtigten und beschäftigten Arbeitnehmern berücksichtigen.
2. Das Landesarbeitsgericht ist in seiner Entscheidung weder darauf eingegangen, daß im April 1990 auch im Betriebsteil Kondi noch gewählt worden ist, noch hat es bei seiner Beweiswürdigung die Differenz zwischen der Zahl der angeblich Wahlberechtigten von 1.037 und der im Februar beschäftigten Arbeitnehmer von 1.132 gewürdigt.
Ob darin ein Verstoß gegen § 286 ZPO liegt, wonach das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu entscheiden hat, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist, kann dahingestellt bleiben. Diesen Fehler hat die Beklagte in ihrer ersten Revisionsbegründung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nicht gerügt. An die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, daß bei der Wahl im Februar 1990 grundsätzlich alle Arbeitnehmer – mit Ausnahme der befristet beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer – und nicht nur Gewerkschaftsmitglieder wahlberechtigt waren, ist der Senat daher gebunden.
IV.1. Daß der Ausschluß der befristet beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer der Wahl nicht den Charakter einer Wahl nach demokratischen Grundsätzen nimmt, hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13. März 1996 ausgesprochen und im einzelnen begründet. Daran hält der Senat fest. Er ist in dieser Entscheidung auch auf die anderen Einwände der Beklagten, die den Wegfall der Geschäftsgrundlage und den Verstoß der Rationalisierungsvereinbarung gegen die gemeinsame Erklärung der Treuhandanstalt und der Gewerkschaften betreffen, eingegangen und hat diese zurückgewiesen. Die Beklagte hat diese Einwände nicht weiter aufrecht erhalten.
Vom Senat ist daher nur noch zu prüfen, ob die Wahl des Betriebsgewerkschaftsrates im Februar 1990 im Hinblick darauf unwirksam war, daß noch im April 1990 im Betriebsteil K… eine Wahl stattgefunden hat und daß bei der Wahl von einer Zahl wahlberechtigter Arbeitnehmer ausgegangen worden ist, die von der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer erheblich abweicht.
2. Aus dem gesamten Vorbringen der Parteien und aus den Aussagen der vernommenen Zeugen ergibt sich hinsichtlich der im April noch durchgeführten Wahl im Betriebsteil K… folgendes:
Die Arbeitnehmer der Beklagten wollten offenbar für die Betriebsteile Brotfabrik und K… eine einheitliche Interessenvertretung, einen Betriebsgewerkschaftsrat, wählen.
Daß für die Betriebsteile Brotfabrik und K… eine gemeinsame Arbeitnehmervertretung gewählt werden sollte, ergibt sich zunächst schon aus dem Protokoll über die Wahl in der Brotfabrik vom Februar 1990. Nachdem dort zunächst acht Kandidaten als gewählt ausgewiesen worden sind, heißt es weiter, daß über die drei noch zu wählenden Kandidaten zur Erreichung der personellen Stärke noch durch die Vertrauensleutevollversammlung entschieden werden müsse. Der Zeuge K… hat ausgesagt, daß insgesamt nach Meinung der Gewerkschaft elf bis zwölf Kandidaten zu wählen gewesen wären, was die Zahl der noch fehlenden drei zu wählenden Kandidaten erklärt. Im Betriebsteil K… sind dann im April auch noch weitere drei Kandidaten gewählt worden, wobei vier Kandidaten insgesamt kandidiert haben. Ein Arbeitnehmer des Betriebsteils K… hatte auch schon bei der Wahl in der Brotfabrik kandidiert und war dort gewählt worden. Zu Protokoll des Arbeitsgerichts ist erklärt werden, die Wahl im Betriebsteil K… habe später erfolgen sollen und sei dort in gleicher Weise abgelaufen.
Daraus ergibt sich, daß die Arbeitnehmer und die an der Wahl Beteiligten davon ausgingen, daß für einen aus elf Mitgliedern bestehenden Betriebsgewerkschaftsrat acht Mitglieder in der Brotfabrik und die weiteren Mitglieder im Betriebsteil K… gewählt werden sollten, wobei die Wahlen in den beiden Betriebsteilen zeitversetzt stattfinden sollten.
Dieses Vorgehen entspricht nicht den Vorschriften über die Wahl eines Betriebsrates. Waren die Betriebsteile Brotfabrik und K… selbständige Betriebe, hätten für beide Betriebe selbständige Arbeitnehmervertretungen gewählt werden müssen. Bildeten beide Betriebsteile einen einheitlichen Betrieb, hätten die Arbeitnehmer beider Betriebsteile gemeinsame Mitglieder des Betriebsgewerkschaftsrates wählen müssen, so daß alle Arbeitnehmer aus allen Kandidaten jeweils elf Bewerber hätten ankreuzen können.
Für die Wahl der Arbeitnehmervertretungen i.S. von § 30 Nr. 3 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 (MantelG) war aber nicht erforderlich, daß diese den Vorschriften über die Wahl eines Betriebsrates entsprach, es reichte aus, daß die Wahl nach demokratischen Grundsätzen in geheimer Abstimmung erfolgte.
Die Annahme, daß die Arbeitnehmer der Brotfabrik und des Betriebsteils K… je eine Gruppe bildeten, die jeweils ihre Vertreter in den gemeinsamen Betriebsgewerkschaftsrat zu wählen hatte, widerspricht nicht demokratischen Grundsätzen einer Wahl. Auch bei der Betriebsratswahl wählen grundsätzlich die Gruppen der Arbeiter und Angestellten ihre Vertreter in den Betriebsrat, § 14 Abs. 2 BetrVG. Eine gemeinsame Wahl aller Betriebsratsmitglieder muß ausdrücklich beschlossen werden. Bei einer Gruppenwahl werden die Vertreter der Gruppe in getrennten Wahlgängen gewählt. Diese Wahlgänge können auch zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden. Von daher ist es auch unschädlich, daß die Wahl im Betriebsteil K… erst im April 1990 stattgefunden hat.
Unerheblich ist auch, ob bei der Wahl der Betriebsbegriff verkannt worden ist, d.h. ob man zu Unrecht davon ausgegangen ist, daß für die Brotfabrik und den Betriebsteil K… eine gemeinsame Arbeitnehmervertretung zu bilden ist. Die Verkennung des Betriebsbegriffes macht auch nach dem Betriebsverfassungsgesetz die Betriebsratswahl nur anfechtbar, nicht aber nichtig (BAGE 30, 12 und 46, 363 = AP Nr. 1 und 3 zu § 1 BetrVG 1972). Eine Anfechtung der Wahlen vom Februar und April 1990 ist aber zu keiner Zeit erfolgt. Die Beklagte hat vielmehr noch am 28. Juni 1990 den Betriebsgewerkschaftsrat als ordnungsgemäß gewählte Vertretung der Beschäftigten anerkannt.
Für die Annahme der Beklagten, die Arbeitnehmer des Betriebsteils K… hätten schon im Februar 1990 mitgewählt und dann noch einmal im April für ihren Betriebsteil weitere Mitglieder gewählt, gibt es keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Die Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer von 1.037 bezieht sich offensichtlich auf beide Betriebsteile. Gewählt haben dann von diesen im Februar 615 Arbeitnehmer – bei 743 Beschäftigten in der Brotfabrik – und 165 im April – bei 425 Beschäftigten im Betriebsteil K…. Außerdem hat der Zeuge Kr… bekundet, die Arbeitnehmer im Betriebsteil K… hätten nur einmal gewählt.
Aus dem bislang nicht berücksichtigten Umstand, daß noch im April 1990 im Betriebsteil K… eine Wahl stattgefunden hat, ergibt sich daher nicht die Unwirksamkeit der Wahl des Betriebsgewerkschaftsrates, der die Rationalisierungsvereinbarung vom Januar 1991 abgeschlossen hat.
3. Auch die Differenzen zwischen den Zahlen der wahlberechtigten und beschäftigten Arbeitnehmer führen nicht dazu, daß die Wahl des Betriebsgewerkschaftsrates unwirksam war.
Im Protokoll über die Wahl in der Brotfabrik vom Februar 1990 heißt es, daß 1.037 Beschäftigte wahlberechtigt seien. Nach der Darstellung der Beklagten waren in der Brotfabrik und im Betriebsteil K… im Januar 1990 – ohne die russischen Arbeitnehmer – 1.132 und im Februar 1990 1.130 Arbeitnehmer beschäftigt. In diesen Zahlen sind nach der Aufstellung der Beklagten jedoch im Januar 167 und im Februar 171 “Jugendliche” enthalten. Bringt man diese Zahlen in Abzug, so ergeben sich für Januar 965 und für Februar 959 erwachsene Beschäftigte. Diese Zahl kommt der im Protokoll angegebenen Zahl von 1.037 wahlberechtigten Arbeitnehmern nahe. Worauf diese Differenz zurückzuführen ist, ist nach Ansicht des Senats heute nicht mehr feststellbar.
Die Differenz kann nach den bisherigen Feststellungen nicht damit erklärt werden, daß nur Mitglieder des FDGB wahlberechtigt waren. Dem steht einmal die nicht gerügte gegenteilige Feststellung des Landesarbeitsgerichts entgegen. Auch aus dem weiteren, bislang nicht ausdrücklich berücksichtigten Vorbringen der Parteien ergeben sich keine durchgreifenden Bedenken gegen diese Feststellung. Die Zeugin O… hat ausgesagt, daß Voraussetzung für eine Kandidatur auch von Mitgliedern der Initiativgruppe war, daß alle Arbeitnehmer wählen durften. Die Zeugin O… als Mitglied der Initiativgruppe hat auch kandidiert, so daß offenbar die von der Initiativgruppe gestellte Bedingung eingehalten worden ist. Die Zeugin D… hat ausgesagt, daß damals schon neben dem FDGB auch die westdeutsche Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten im Betrieb vertreten war. Auch das läßt es nahezu als unmöglich erscheinen, daß bei dieser Wahl nur FDGB-Mitglieder wahlberechtigt gewesen sein sollen.
Auch aus dem Vermerk im Protokoll über die Wahl im Betriebsteil K…, daß über die Anzahl der wahlberechtigten Mitglieder z.Zt. aufgrund der lückenhaften Kassierung keine Aussage getroffen werden könne, folgt nicht, daß nur FDGB-Mitglieder wahlberechtigt waren. Der Zeuge Kr… hat dazu ausgesagt, daß wegen der lückenhaften Kassierung eben nicht festgestellt werden konnte, wer noch Mitglied ist im FDGB, und daß deshalb alle wahlberechtigt waren. Daraus ergibt sich allenfalls ein – nicht gerade demokratischer – Grund dafür, daß alle Arbeitnehmer wahlberechtigt waren, nicht aber umgekehrt, daß nur die FDGB-Mitglieder wählen konnten.
Diese Würdigung des gesamten Parteivorbringens ergibt, daß auf der einen Seite grundsätzlich alle Arbeitnehmer wahlberechtigt sein sollten, daß aber auf der anderen Seite eine möglicherweise größere Zahl von Arbeitnehmern als nicht wahlberechtigt angesehen worden ist. Diese Entscheidung mag fehlerhaft gewesen sein. Sie begründet jedoch nicht die Feststellung, daß allein deswegen die Wahl nicht nach demokratischen Grundsätzen stattgefunden hat. Verstöße gegen das Wahlrecht führen auch bei der Betriebsratswahl nach § 19 BetrVG nur zur Anfechtbarkeit der Wahl, machen die Wahl aber als solche noch nicht nichtig. Ein Verstoß gegen das Wahlrecht liegt aber gerade dann vor, wenn wahlberechtigte Arbeitnehmer nicht in die Wählerliste aufgenommen worden sind und deswegen zur Wahl nicht zugelassen wurden.
Die Entscheidung des Achten Senats vom 12. November 1992 (– 8 AZR 232/92 – BAGE 71, 360 = AP Nr. 1 zu § 30 MantelG DDR), steht dem nicht entgegen. Wenn hier der Achte Senat ausgesprochen hat, daß eine Wahl von Arbeitnehmervertretungen nach demokratischen Grundsätzen voraussetze, daß alle Arbeitnehmer des Betriebes das aktive Wahlrecht hatten, so bezog sich diese Entscheidung darauf, daß an der zu beurteilenden Wahl lediglich Mitglieder des FDGB teilnehmen konnten. Der Ausschluß einer Gruppe von Arbeitnehmern, insbes. aus für diese Wahl zweckwidrigen Gründen wie der Nichtzugehörigkeit zu einer Gewerkschaft, verstößt gegen den Grundsatz einer gleichen Wahl. Davon zu unterscheiden ist aber der Fall, daß zur Wahl grundsätzlich alle Arbeitnehmer – hier mit Ausnahme der nur kurzzeitig beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer – wahlberechtigt waren, dann aber rechtsfehlerhaft eine Zahl von nicht nach besonderen Merkmalen umschriebenen Arbeitnehmern nicht in die Wählerliste aufgenommen worden sind und deswegen nicht wählen konnten.
V. Damit ist die Wahl des Betriebsgewerkschaftsrates im Frühjahr 1990 nach demokratischen Grundsätzen erfolgt und daher wirksam.
Die Beklagte hat dies auch kurze Zeit nach der Wahl ausdrücklich schriftlich anerkannt, so daß möglicherweise verbleibende Zweifel zu ihren Lasten gehen. Der Betriebsgewerkschaftsrat war daher auch befugt, die Rationalisierungsvereinbarung vom 2. Januar 1991 abzuschließen. Diese ist wirksam. Aus dieser Rationalisierungsvereinbarung ergibt sich unstreitig der Abfindungsanspruch des Klägers. Das Landesarbeitsgericht hat daher der Klage zu Recht stattgegeben, so daß sich die Revision des Beklagten als unbegründet erweist.
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Hauck, Böck, Lindemann, Wolf
Fundstellen
Haufe-Index 885431 |
NZA 1997, 509 |