Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Sozialversicherungsausweis
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zu – 5 AZR 143/94 –
Normenkette
SGB IV §§ 100, 99, 95; SGB X § 115; SGB V § 44; LFZG §§ 1, 9
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Schluß-Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 7. Dezember 1993 – 11 Sa 94/93 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Arbeitgeberin die Lohnfortzahlung für die Tage endgültig verweigern durfte, an denen der Kläger, ihr Arbeitnehmer, seinen Sozialversicherungsausweis bei ihr nicht hinterlegt hatte.
Die Beklagte betreibt mit Erlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit Arbeitnehmerüberlassung, u.a. im Baugewerbe. Sie stellte den Kläger gemäß dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 25. November 1992 als „Helfer” auf Baustellen ein. In einer schriftlichen „Zusatzvereinbarung” vom selben Tag heißt es:
„Zum 01.07.1991 wird eine weitere Änderung in der Sozialgesetzgebung – der Sozialversicherungsausweis – wirksam. … Im Falle von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist uns dieser Ausweis unverzüglich – d.h. am 1. Tag der Krankheit – auszuhändigen. Diese vom Gesetzgeber eingeführte Maßnahme soll dazu dienen, den häufig praktizierten Mißbrauch einzuschränken. Wir weisen darauf hin, daß wir bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit die Lohnfortzahlung verweigern, solange uns der Ausweis nicht ausgehändigt wird. Bei verspäteter Aushändigung wird die Lohnfortzahlung nicht rückwirkend gewährt.”
Infolge eines Arbeitsunfalls war der Kläger vom 1. Dezember 1992 bis 9. Januar 1993 arbeitsunfähig krank. Er übergab der Beklagten seinen Sozialversicherungsausweis am 21. Dezember 1992 gegen 12.00 Uhr. Die Beklagte gewährte ihm für die Zeit vom 1. Dezember bis 21. Dezember 1992, 12.00 Uhr, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Nichtvorlage des Sozialversicherungsausweises rechtfertige es nicht, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall endgültig zu verweigern. § 100 Abs. 2 SGB IV gebe dem Arbeitgeber nur ein zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht. Die Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag sei wegen Verstoßes gegen § 9 LFZG unwirksam. Seinen Sozialversicherungsausweis habe er bei der Beklagten auch nicht früher hinterlegen können. Er habe den Sozialversicherungsausweis beim Arbeitsamt abgegeben gehabt. Den Ausweis habe er von dort infolge der auf dem Arbeitsunfall beruhenden starken Bänderzerrung erst am 12. oder 13. Dezember abholen können.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.605,80 DM brutto nebst 4 % p.a. Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 10. Februar 1993 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, ihr stehe nach § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV in endgültiges Leistungsverweigerungsrecht zu. Zudem habe sie durch ihren Mitarbeiter L. den Kläger in der 49. Kalenderwoche (30. November bis 4. Dezember 1992) aufgefordert, den Sozialversicherungsausweis bei ihr zu hinterlegen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
1. Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten auch für die Zeit vom 1. bis 21. Dezember, 12.00 Uhr, nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG, § 611 BGB ein Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in der geltend gemachten, unstreitigen Höhe zu. Er war durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert, ohne daß ihn ein Verschulden traf. Die Beklagte hat ihm für den Streitzeitraum keine Lohnfortzahlung geleistet. Ihr stand zwar in der Zeit, in der ihr Arbeitnehmer den Sozialversicherungsausweis nicht hinterlegt hatte, ein Zurückhaltungsanspruch zu. Sie ist aber zur endgültigen Verweigerung der Lohnfortzahlung nicht berechtigt.
2. § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV berechtigt den Arbeitgeber nur zur vorübergehenden Nichtleistung der Lohn- oder Gehaltsfortzahlung, solange der Arbeitnehmer den Sozialversicherungsausweis trotz Aufforderung beim Arbeitgeber nicht hinterlegt. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt, indem es angenommen hat, Arbeitgeber seien nach dieser Vorschrift zur endgültigen Leistungsverweigerung berechtigt.
a) Nach § 100 Abs. 2 Satz 1 SGB IV kann der Arbeitgeber „während einer Lohn- oder Gehaltsfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit” die Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises verlangen. § 100 Abs. 2 Satz 2 SGB IV lautet:
„Hat der Arbeitgeber die Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises verlangt, ist er berechtigt, die Lohn- oder Gehaltsfortzahlung zu verweigern, solange der Arbeitnehmer den Sozialversicherungsausweis nicht hinterlegt; dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer die Verletzung seiner Hinterlegungspflicht nicht zu vertreten hat.”
Der Wortlaut des Gesetzes ist unklar. Die Formulierung „solange” sagt nichts eindeutiges darüber aus, welches die konkreten Rechtsfolgen sein sollen, wenn der Arbeitnehmer seinen Sozialversicherungsausweis verspätet hinterlegt. Der Gesetzeswortlaut läßt offen, ob dem Arbeitgeber für die Zeit der Nichtvorlage ein endgültiges Recht zur Verweigerung der Lohn- oder Gehaltsfortzahlung zusteht oder ob es sich hierbei lediglich um ein vorübergehendes, zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht handelt, das ähnlich wie das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB zwar die Fälligkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs von der Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises abhängig macht, bei dem aber andererseits der Arbeitgeber nach der – verspäteten – Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises grundsätzlich zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auch für die davor liegende Zeit verpflichtet bleibt.
b) § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV ist an die Bestimmungen über das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers zur Lohnfortzahlung bzw. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in § 5 Satz 1 Nr. 1 LFZG bzw. – ab 1. Juni 1994 – in § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG angelehnt. Nach diesen Vorschriften ist der Arbeitgeber berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zu verweigern, „solange” der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vorlegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ergab sich aus § 5 Satz 1 Nr. 1 LFZG nur das Recht des Arbeitgebers, die Lohnfortzahlung zeitweise nach Art eines Zurückbehaltungsrechts zu verweigern (grundlegend BAGE 23, 411 = AP Nr. 1 zu § 3 LohnFG). Dasselbe gilt nunmehr für § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG.
Aufgrund dieser Rechtsprechung liegt es nahe, auch die Rechtsfolge aus § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV nur als zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers aufzufassen. Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, daß hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur deren Vorlage, hinsichtlich des Sozialversicherungsausweises dagegen dessen Hinterlegung (auf Verlangen des Arbeitgebers) erforderlich ist. Mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird dem Arbeitgeber ein ärztliches Zeugnis über eine vom Arzt festgestellte krankheitsbedingte Arbeitunfähigkeit vorgelegt; dies genügt in der Regel dem Sicherungsinteresse des Arbeitgebers. Dagegen ist der Sozialversicherungsausweis nicht bloß (nachträglich) vorzulegen, sondern von Beginn des Lohnfortzahlungszeitraumes an körperlich zu hinterlegen, Der Arbeitnehmer muß den Ausweis auf die Dauer seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber überlassen. Der Wortlaut der Norm gibt mithin keinen hinreichenden Aufschluß über ihre Rechtsfolge.
c) In der Literatur werden zu den Rechtsfolgen des § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV unterschiedliche Ansichten vertreten. Zum Teil wird in der Vorschrift nur ein zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht gesehen (Maier in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand September 1994, § 100 SGB IV Rz 12; Hauck/Haines, SGB, Stand Februar 1995, K § 100 SGB IV Rz 12; Krause, GK-SGB IV, § 100 Rz 11; Helml, Entgeltfortzahlungsgesetz, 1995, § 3 EFZG Rz 72; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, Stand April 1995, § 7 EFZG Rz 25; Moritz/Reineck, NZS 1993, 143, 149). Andere sehen in dieser Bestimmung ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht (Gola, Entgeltfortzahlungs-Gesetz, 1994, § 7 Nr. 5.2; derselbe, BB 1994, 1351, 1352; Brecht, Entgelfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall, 1995, § 7 EFZG Rz 14).
d) Die teleologische Auslegung des § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV führt ebenfalls zu keinem eindeutigen Ergebnis. Ziel des „Gesetzes zur Einführung des Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze” vom 6. Oktober 1989 (BGBl I S. 1822) ist die Erweiterung und Verbesserung des Instrumentariums zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung, des Leistungsmißbrauchs und der mißbräuchlichen Ausnutzung der Geringfügigkeitsgrenze (BT-Drucks, 11/2807, S. 1). Dieses gesetzgeberische Ziel wird in § 95 Abs. 1 SGB IV ausdrücklich beschrieben. Auch die Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit soll der Verhinderung des Leistungsmißbrauchs dienen. Dem Arbeitnehmer soll die Möglichkeit genommen werden, während seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit einer anderweiten Beschäftigung nachzugehen. Dem dient die Verpflichtung des Beschäftigten zum Mitführen bzw. zur Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises (§ 99 Abs. 1 und 2 SGB IV) ebenso wie die Verpflichtung des Arbeitgebers nach §§ 102 ff. SGB IV zur Meldung des Beginns der Beschäftigungsverhältnisse bei der Einzugsstelle. Eine Verhinderung des Leistungsmißbrauchs mit Hilfe der Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises beim Arbeitgeber bzw. bei der Krankenkasse kann am besten erreicht werden, wenn der Arbeitnehmer befürchten muß, für die Tage, an denen er den Sozialversicherungsausweis nicht hinterlegt, weder vom Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall noch von der Krankenkasse Krankengeld zu erhalten.
Unter diesen Gesichtpunkten erscheinen die Erwägungen des Berufungsgerichts durchaus beachtlich. Indessen ist nicht zu übersehen, daß der Gesetzgeber für die Krankenkasse und die anderen öffentlichen Leistungsträger einerseits und für den Arbeitgeber andererseits schon vom Wortlaut her unterschiedliche Regelungen für den Fall getroffen hat, daß der Arbeitnehmer bzw. Krankenversicherte der Aufforderung zur Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises nicht nachkommt. Die Krankenkasse, wie auch die Bundesanstalt für Arbeit, kann die Leistung bis zur Nachholung der Hinterlegung ganz oder teilweise versagen oder entziehen; der Träger der Sozialhilfe kann die Leistung beschränken (§ 100 Abs. 1 Satz 4 SGB IV). Hierfür ist ein rechtsförmiges Verfahren vorgeschrieben, da die §§ 66 Abs. 3 und 67 SGB I entsprechend gelten (§ 100 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB IV). Für die Verweigerung der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber ist ein derart differenziertes Instrumentarium im Gesetz nicht vorgezeichnet, wie § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV zeigt. Daher ist nicht nur zweifelhaft, ob der Arbeitgeber – analog den Regelungen für die Verweigerung der Zahlung des Krankengeldes durch die Krankenkasse – die Entgeltfortzahlung nur nach vorheriger vergeblicher Androhung verweigern darf (so wohl Moritz/Reineck, a.a.O.), vielmehr ist auch zu bedenken, daß ein wesentliches Ziel des Gesetzes, nämlich die Vermeidung von Leistungsmißbrauch, geradezu in sein Gegenteil verkehrt werden könnte, wenn der Arbeitgeber zur endgültigen Leistungsverweigerung berechtigt wäre, solange der Arbeitnehmer den Sozialversicherungsausweis nicht hinterlegt hat. Leistet der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung, so kann sich der Arbeitnehmer an die Krankenkasse wenden. Sie ist in der Regel nach § 44 SGB V zur Zahlung des Krankengeldes verpflichtet. Wegen Nichthinterlegung des Sozialversicherungsausweises kann sie ihre Leistung bis zur Nachholung der Hinterlegung zwar ganz oder teilweise versagen oder entziehen; dies ist ihr jedoch nur unter Beachtung des § 66 Abs. 3 und des § 67 SGB I möglich. Insgesamt kann sich daraus ergeben, daß zwar der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweigern kann, weil bei ihm der Sozialversicherungsausweis nicht hinterlegt worden ist, daß aber die Krankenkasse für eben diesen Zeitraum Krankengeld zu zahlen hat. Vom Zweck des Gesetzes her ist es daher nicht ohne weiteres einsichtig, daß der Mißbrauchsbekämpfung damit am besten gedient wäre, wenn § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV den Arbeitgeber zur endgültigen Leistungsverweigerung berechtigte. Ein derartig endgültiges Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers wäre dem Ziel der Mißbrauchsbekämpfung mit Hilfe der Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises nur dienlich, wenn die Krankenkasse gleichermaßen kein Krankengeld zu zahlen hätte, soweit der Arbeitgeber mangels Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall berechtigt verweigert. Eine so weitreichende Konsequenz ist dem Gesetz aber nicht zu entnehmen.
3. Die Entstehungsgeschichte des § 100 Abs. 2 Satz 2 SGB IV wie auch die Gesetzesbegründung sprechen dafür, daß dem Arbeitgeber für die Dauer der Nichthinterlegung des Sozialversicherungsausweises nur ein zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht zustehen soll.
a) Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung war ein – wie auch immer geartetes – Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers im Fall der Nichthinterlegung des Sozialversicherungsausweises nicht vorgesehen. Vielmehr enthält der Regierungsentwurf als § 100 Abs. 2 SGB IV nur die Formulierung, die dann als Satz 1 des § 102 Abs. 2 SGB IV Gesetz geworden ist (BT-Drucks, 11/2807, S. 4), Die Einzelbegründung zum Regierungsentwurf enthält keinen Hinweis auf eine Sanktionsmöglichkeit des Arbeitgebers (BT-Drucks, 11/2807, S. 14). Der Bundesrat regte in seiner Stellungnahme an, dem § 100 Abs. 2 SGB IV folgenden Satz anzufügen: „Kommt der Leistungsempfänger der Aufforderung zur Hinterlegung nicht nach, kann der Arbeitgeber die Lohn- und Gehaltsfortzahlung verweigern” und führte zur Begründung aus, „die Arbeitgeber sollten – vergleichbar der Regelung im Lohnfortzahlungsgesetz bei Nichtvorlage der Krankmeldung – eine Sanktionsmöglichkeit erhalten, um den Arbeitnehmer zur Vorlage des Sozialversicherungsausweises anzuhalten” (BT-Drucks, 11/2807, S. 20). In ihrer Gegenäußerung hierzu erklärte die Bundesregierung, bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs sei die vom Bundesrat geforderte Regelung von allen Beteiligten für nicht erforderlich gehalten worden; gleichwohl werde sie den Vorschlag des Bundesrates nochmals prüfen. Allerdings werde sie
„keine Regelung in Erwägung ziehen, die über eine § 5 des Lohnfortzahlungsgesetzes entsprechende Regelung und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinausgehe. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber berechtigt, die Lohnfortzahlung zu verweigern, solange der Arbeiter die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes nicht vorlegt. Dies gilt nicht, wenn der Arbeiter die Verletzung dieser ihm obliegenden Verpflichtung zu vertreten hat. Wird die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung später vorgelegt, so ist die Krankenvergütung ab ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit nachzuzahlen” (BT-Drucks, 11/2807, S. 22).
Die dann Gesetz gewordene Formulierung des § 100 Abs. 2 Satz 2 SGB IV beruht auf der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß). Die Gesetzesbegründung hierzu lautet:
„Die Arbeitgeber erhalten in Absatz 2 – vergleichbar der Regelung im Lohnfortzahlungsgesetz bei Nichtvorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – eine Sanktionsmöglichkeit, um den Arbeitnehmer zur Vorlage des Sozialversicherungsausweises anzuhalten. Dies entspricht auch einer Forderung des Bundesrates” (BT-Drucks, 11/4865, S. 7 und S. 26).
b) Der Senat kann nicht ausschließen, daß im Gesetzgebungsvorfahren die unterschiedliche Wirkung der nachträglichen Vorlage einer zeitgerecht ausgestellten ärztlichen Bescheinigung über eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und der Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises nicht in vollem Umfang deutlich geworden ist. Die ärztliche Bescheinigung über krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit attestiert einen bestimmten, vom Arzt festgestellten Zustand. Wird die Bescheinigung dem Arbeitgeber verspätet vorgelegt, so ist seinem Sicherungsinteresse grundsätzlich genügt. Er gerät nur nicht in Schuldnerverzug. Die Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises beim Arbeitgeber kann eine nachhaltige Vermeidung eines Leistungsmißbrauchs nur erreichen, soweit sie tatsächlich zeitgerecht erfolgt. Wird der Sozialversicherungsausweis entgegen § 100 Abs. 1 SGB IV verspätet vorgelegt, so bleibt für den Arbeitgeber unerkennbar, ob der Arbeitnehmer in der Zeit seit Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zur Vorlage des Sozialversicherungsausweises nicht doch der Versuchung erlegen war, unter Mitführen bzw. Vorlage seines Sozialversicherungsausweises bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten. Sollte hingegen im Krankheitsfall der Arbeitnehmer tatsächlich trotz attestierter Arbeitsunfähigkeit in einem anderen Arbeitsverhältnis Arbeit geleistet haben, so führte dies wiederum zu erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung. Gleichwohl führen auch diese Erwägungen nicht zu dem Schluß, der Gesetzgeber habe entgegen seiner ausdrücklichen Begründung in § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV nicht nur ein zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht nach Art eines Zurückbehaltungsrechts normiert, sondern ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht. Einer solchen Annahme steht angesichts des mehrdeutigen Gesetzeswortlauts die ausdrückliche Gesetzesbegründung entgegen. Daher kann diese gesetzliche Bestimmung nur dahin verstanden werden, daß der Arbeitgeber nur ein zeitweiliges Leistungsverweigerungsrecht hat, er also nur nicht in Schuldnerverzug gerät, solange der Arbeitnehmer der Aufforderung zur Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises während der Zeit der möglichen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht nachgekommen ist. Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen dürfen nicht am Willen des Gesetzgebers vorbeiführen.
4. Auch die Zusatzvereinbarung der Parteien vom 25. November 1992 gibt der Beklagten kein Recht, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum endgültig zu verweigern, in welchem der Arbeitnehmer seinen Sozialversicherungsausweis bei ihr nicht hinterlegt hat. Diese Vereinbarung ist zumindest insoweit, als in ihr ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht postuliert worden ist, gemäß § 134 BGB nichtig. Die Vereinbarung eines endgültigen Leistungsverweigerungsrechtes überschreitet den Rahmen des § 100 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV. Sie stellt deshalb eine von den Vorschriften des ersten Abschnitts des LFZG zu Lasten des Arbeitnehmers abweichende Vereinbarung dar. Nach § 9 LFZG darf aber insoweit von den Bestimmungen des LFZG nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
5. Bei dieser Rechtslage kann dahinstehen, wie die Regelung über das Verlangen der Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises beim Arbeitgeber nach § 100 Abs. 2 Satz 1 SGB IV im übrigen zu verstehen ist, insbesondere ob der Arbeitgeber generell die Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises verlangen kann oder nur im Rahmen billigen Ermessens im Einzelfall, z.B. bei hinreichendem Verdacht eines Mißbrauchs, wie auch, ob ein solches Verlangen erst nach Eintritt krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit mit Entgeltfortzahlungsfolgen oder unabhängig hiervon erhoben werden darf.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke, Dr. Kalb, Kreienbaum
Fundstellen