Entscheidungsstichwort (Thema)
Ungehörige Kündigung wegen Zugangs am "Heiligen Abend?
Leitsatz (redaktionell)
1. Allein durch ihren Zugang am 24. Dezember ("Heiliger Abend") wird eine Kündigung nicht ungehörig.
2. Ob eine wegen ihrer Begleitumstände - insbesondere ihres Zugangszeitpunkts - ungehörige Kündigung aus diesem Grunde rechtsunwirksam ist, bleibt unentschieden.
Orientierungssatz
1. Der Senat hält auch für Kündigungsrechtsstreitigkeiten die Beschränkung der Revisionszulassung nur insoweit für statthaft, als sich die Zulassung auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffes bezieht, über den auch gesondert entschieden werden kann ....
2. Der Senat gibt daher den im Urteil vom 2.6.1982 7 AZR 32/80 (BAGE 29, 112 = AP Nr 8 zu § 12 SchwbG) vertretenen Rechtsstandpunkt auf.
Normenkette
BGB §§ 242, 626 Abs. 1; ZPO § 546 Abs. 1; ArbGG § 72 Abs. 2 Fassung: 1979-07-02
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 13.01.1983; Aktenzeichen 11 Sa 142/82) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 26.05.1982; Aktenzeichen 2 Ca 716/81) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 23. Dezember 1981 ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen Kündigung.
Der 1929 geborene Kläger ist seit Mai 1959 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) Anwendung. Die Beklagte, eine Aktiengesellschaft, betreibt u.a. die Gasversorgung der Abnehmer der Stadt S. In ihrem Betrieb besteht ein Betriebsrat.
Der Kläger ist krankhaft trunksüchtig. Auf Anraten des Werksarztes der Beklagten unterzog er sich vom 23. Dezember 1978 bis 22. Juni 1979 einer Alkohol-Entziehungskur. Bis Mai 1981 war er im Betrieb der Beklagten nicht mehr durch Alkoholmißbrauch aufgefallen. Nach einer vierwöchigen Kur (wegen Bronchitis) und einem kurzen Urlaub nahm der Kläger am 18. Mai 1981 seine Arbeit in der sog. Gaszählerannahme wieder auf. Seine Aufgabe bestand darin, zusammen mit einem weiteren Mitarbeiter Gaszähler an rotierenden Stahlbürsten über einem mit Lauge gefüllten Becken zu reinigen und unbrauchbare Gaszähler auszusortieren. Am 22. Mai 1981 wurde er während der Arbeitszeit in alkoholisiertem Zustand angetroffen und daraufhin nach Hause geschickt. Aufgrund dieses Vorfalles wurde er am 4. Juni 1981 in der Personalabteilung angehört; für den Wiederholungsfall wurde ihm die fristlose Entlassung angekündigt. Mit Schreiben vom selben Datum wurde der Kläger diesbezüglich abgemahnt.
Am 14. Juli, 17. September, 19. Oktober, 5. November und 8. Dezember 1981 sowie "an weiteren Tagen" war der Kläger alkoholbedingt nicht mehr in der Lage, seiner Arbeit nachzukommen. Er übergab sich, mußte den Sanitätsraum aufsuchen und anschließend nach Hause geschickt werden. Die Vorhaltungen seiner Vorgesetzten und Mitarbeiter, den Alkoholkonsum einzustellen, waren erfolglos. Fast täglich war der Kläger außerstande, eine hinreichende Arbeitsleistung zu erbringen. Wenn sein Arbeitskollege 30 Zähler gereinigt hatte, hatte der Kläger erst die Arbeit an einem Zähler abgeschlossen. Er war ferner nicht mehr in der Lage, die funktionstüchtigen Gaszähler von den unbrauchbaren zu unterscheiden und letztere auszusortieren. Am 9. Dezember 1981 war der Kläger ab 9.00 Uhr außerstande, seine Arbeit fortzusetzen. Er wurde in den Sanitätsraum getragen und am Nachmittag mit dem Dienstwagen nach Hause gefahren.
Vor allem die Vorfälle vom 8. und 9. Dezember 1981 nahm die Beklagte zum Anlaß, das Kündigungsverfahren gegen den Kläger einzuleiten. Sie informierte den Betriebsausschuß in dessen Sitzung am 22. Dezember 1981 über die Vorfälle, ließ eine Aktennotiz der Fachabteilung vom 10. Dezember 1981 verlesen und beantragte die Zustimmung zur beabsichtigten fristlosen Kündigung, mit der sich der Betriebsrat noch am selben Tage befaßte. Am Vormittag des 23. Dezember 1981 teilte der Betriebsratsvorsitzende der Personalabteilung den Beschluß des Betriebsrats mit: Es solle der Versuch unternommen werden, mit dem Kläger einen Auflösungsvertrag abzuschließen; hilfsweise bestünden keine Bedenken gegen die Kündigung; der Betriebsrat stimme der Kündigung weder zu, noch lehne er sie ab. Am selben Tag ging der Personalabteilung ein Schreiben des Betriebsrats vom 23. Dezember 1981 zu, in dem dieser mitteilte, daß "die Kündigungsangelegenheit P behandelt" worden sei. Am 23. Dezember 1981 gegen 19.30 Uhr wurde das Kündigungsschreiben von Bediensteten der Beklagten in den Briefkasten des Klägers eingeworfen. Der Kläger erlangte am 24. Dezember 1981 von diesem Schreiben Kenntnis.
Mit seiner am 29. Dezember 1981 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Dies folge bereits aus dem Zugang der Kündigung am Heiligen Abend. Ferner sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Aus dem Schreiben des Betriebsrats vom 23. Dezember 1981 und aus den Äußerungen des Betriebsratsvorsitzenden hätte die Beklagte entnehmen müssen, daß der Betriebsrat über die Kündigung nicht abschließend beraten habe. Zudem sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Schließlich liege ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht vor. Am 9. Dezember sei der Kläger nicht alkoholbedingt, sondern wegen eines Kreislaufkollapses arbeitsunfähig gewesen.
Der Kläger hat beantragt
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die fristlose Kündigung der
Beklagten vom 23. Dezember 1981, dem Kläger
zugegangen am 24. Dezember 1981, nicht auf-
gelöst wurde,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über
den 24. Dezember 1981 hinaus zu den seithe-
rigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die umstrittene Kündigung sei wirksam, und behauptet, der Versuch, mit dem Kläger einen Auflösungsvertrag abzuschließen, sei fehlgeschlagen, da sie den Kläger nicht erreicht habe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter; hinsichtlich des Antrags auf Weiterbeschäftigung hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Revision zurückgenommen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist uneingeschränkt zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision im Urteilstenor ohne beschränkenden Zusatz zugelassen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Revision sei "beschränkt zugelassen für die Frage des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB und für die Frage der Ungehörigkeit der Kündigung nach § 242 BGB". Damit ist entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung die Nachprüfung des angefochtenen Urteils nicht auf diese Fragen beschränkt.
1. Nach allgemeiner Rechtsauffassung ist die beschränkte Zulassung der Revision möglich (vgl. BGHZ 53, 152 = AP Nr. 7 zu § 546 ZPO; BGHZ 76, 397 = LM § 546 ZPO Nr. 105 a; BAG 39, 112 = AP Nr. 8 zu § 12 SchwbG; BAG 40, 250 = AP Nr. 1 zu § 72 ArbGG 1979; BGH JR 1984, 113; Tiedtke, Die beschränkte Zulassung der Revision, WM 1977, 666 ff.). Voraussetzung ist jedoch, daß sich die Beschränkung klar und eindeutig aus dem Berufungsurteil ergibt und die Beschränkung der Revision rechtlich zulässig ist (BGH JR 1984, 113, 114).
2. Eine Beschränkung der Revisionszulassung auf "die Frage des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB" und auf "die Frage der Ungehörigkeit der Kündigung nach § 242 BGB" ist unzulässig.
a) Über die Grenzen der Zulässigkeit von beschränkten Rechtsmittelzulassungen bestehen unterschiedliche Auffassungen (vgl. u.a. Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 72 Rz 16 ff. m.w.N.; BAG 39, 112 = AP Nr. 8 zu § 12 SchwbG; BGH JR 1984, 113).
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 7. Juli 1983 - III ZR 119/82 - (JR 1984, 113, 114) ausgeführt, es sei erforderlich, daß sich die beschränkte Zulassung auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffes beziehe, über den in einem besonderen Verfahrensabschnitt durch Teil- oder Zwischenurteil entschieden werden könnte (vgl. auch BGHZ 76, 397, 399 ff. = LM § 546 ZPO Nr. 105 a; BGH Urteil vom 30. September 1980 - VI ZR 213/79 - LM § 546 ZPO Nr. 100). Im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits hat der erkennende Senat demgegenüber eine weitergehende Beschränkbarkeit der Revision angenommen (vgl. BAG 39, 112 = AP Nr. 8 zu § 12 SchwbG). Nach diesem Urteil kann die Revisionszulassung in einem Kündigungsrechtsstreit auch auf bestimmte Unwirksamkeitsgründe beschränkt werden (z.B. § 12 SchwbG). Wendet man diesen Grundsatz auf den vorliegenden Rechtsstreit an, so wäre die vorgenommene Beschränkung der Revisionszulassung statthaft.
b) Nach erneuter Prüfung gelangt der Senat zu dem Ergebnis, daß die verfahrensrechtlichen Besonderheiten für Kündigungsrechtsstreitigkeiten (vgl. etwa §§ 4, 5, 6, 7, 9, 13 Abs. 3 KSchG) es nicht zwingend gebieten, für Kündigungsrechtsstreitigkeiten andere Maßstäbe für die Beschränkbarkeit der Revisionszulassung als für andere Rechtsstreitigkeiten zugrunde zu legen. Auch in einem Kündigungsrechtsstreit kann nicht in einem besonderen Verfahrensabschnitt durch Teil-, Zwischen- oder Grundurteil über bestimmte Unwirksamkeitsgründe der Kündigung gesondert entschieden werden. Der Umstand, daß ein Arbeitnehmer die Überprüfung der Kündigung gemäß § 6 KSchG auf bestimmte Unwirksamkeitsgründe beschränken kann, rechtfertigt keine Abweichung von den allgemein anerkannten Grundsätzen der Beschränkbarkeit der Revision. Der Senat hält daher auch für Kündigungsrechtsstreitigkeiten die Beschränkung der Revisionszulassung nur insoweit für statthaft, als sich die Zulassung auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffes bezieht, über den auch gesondert entschieden werden könnte. Bei einer Beschränkung der Revision auf bestimmte Unwirksamkeitsgründe der Kündigung bestünde die Gefahr, daß das Revisionsgericht eine rechtsfehlerhafte Entscheidung des Berufungsgerichts nicht abändern könnte und stattdessen ein Rechtsgutachten zu einer an sich nicht entscheidungserheblichen Rechtsfrage erstatten müßte. Der Senat gibt daher den im Urteil vom 2. Juni 1982 (BAG 39, 112 = AP Nr. 8 zu § 12 SchwbG) vertretenen Rechtsstandpunkt auf.
3. Ist demnach die Beschränkung der Revision, wie vom Landesarbeitsgericht vorgenommen, unzulässig, ist das angefochtene Urteil in vollem Umfang zu überprüfen. Am Ergebnis der Entscheidung ändert dies allerdings nichts, denn die Revision erweist sich als unbegründet. Es kommt daher für die vorliegende Entscheidung auf die geänderte Rechtsauffassung des Senats nicht entscheidend an.
II. Die Revision ist unbegründet. Denn die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die streitgegenständliche Kündigung sei rechtswirksam, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit dieser Würdigung Tatsachenfeststellungen zugrundeliegen, ist der Senat hieran gebunden, da die Revision Verfahrensrügen nicht erhoben hat. Die Rechtsausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen keine Rechtsfehler erkennen.
1. Dies gilt zunächst von der Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es habe ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorgelegen (§ 626 Abs. 1 BGB bzw. § 53 Abs. 1 BMT-G II).
Diese Würdigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. BAG 2, 214, 215 = AP Nr. 4; 2, 207, 212 = AP Nr. 5, zu II der Gründe; 9, 263, 265 = AP Nr. 42, zu III 2 der Gründe, alle zu § 626 BGB) kann das Revisionsgericht nur prüfen, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes richtig erkannt und angewendet hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Tatrichter von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der überhaupt einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abgeben kann, wenn sich die erforderliche Interessenabwägung auf alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles erstreckt und wenn diese Umstände vollständig und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen worden sind. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil stand.
a) Das Landesarbeitsgericht ist von einem Sachverhalt ausgegangen, der als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Es hat festgestellt, der Kläger werde aufgrund der Auswirkungen seiner Trunksucht auf Dauer nicht in der Lage sein, seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen. Gemäß § 138 Abs. 3 ZPO gelte als zugestanden, daß der Kläger weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht eine brauchbare Arbeitsleistung erbringen könne, sei es, daß er die Arbeitszeit im Sanitätsraum oder zu Hause verbringe, sei es, daß er sich zwar am Arbeitsplatz aufhalte, dort aber eine völlig unzureichende Leistung aufweise, beispielsweise einen Zähler reinige, während sein Arbeitskollege im gleichen Zeitraum 30 Zähler reinige. Auch sei unstreitig, daß das alkoholbedingte Unvermögen des Klägers praktisch tagtäglich festgestellt worden sei und daß der Kläger den zu sich genommenen Alkohol nicht vertrage; deshalb sei es laufend zu völlig unzumutbaren Situationen für die Mitarbeiter gekommen. Die Beklagte habe annehmen dürfen, daß sich der Zustand des Klägers in Zukunft nicht bessern werde. Demgegenüber habe der Kläger keine Umstände genannt, die den Rückschluß auf eine günstigere Prognose gestatten würden.
Die damit vom Landesarbeitsgericht auf Dauer angenommene Unfähigkeit des Klägers, seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, stellt einen Sachverhalt dar, der unabhängig von den Ursachen dieser Unfähigkeit als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Auf die Ausführungen der Revision zum Verschulden des Klägers am Entstehen seiner Trunksucht kommt es deshalb in diesem Zusammenhang nicht an.
b) Auch im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung hat die Revision keine Umstände anführen können, die das Landesarbeitsgericht nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt hätte.
Insbesondere hat das Landesarbeitsgericht eingehend gewürdigt, daß es sich beim Kläger um einen altersgesicherten Arbeitnehmer handelt, dem gemäß § 52 Abs. 1 BMT-G II nicht mehr ordentlich hätte gekündigt werden können. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. insbes. das zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmte Senatsurteil vom 14. November 1984 - 7 AZR 474/83 - m.w.N.) hat es angenommen, daß bei einem aufgrund Tarifvertrages nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmer für die im Rahmen der Interessenabwägung zu treffende Würdigung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, nicht auf die fiktive Frist für eine ordentliche Kündigung, sondern auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung abzustellen ist. Ebenfalls in Übereinstimmung mit dem angeführten Senatsurteil hat das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt, daß die durch den tariflichen Ausschluß der ordentlichen Kündigung bedingte langfristige Vertragsbindung unter Beachtung ihres Sinns und Zwecks je nach der Art des Kündigungsgrundes zugunsten oder zuungunsten des Arbeitnehmers ins Gewicht fallen kann. Wenn das Landesarbeitsgericht bei dieser Abwägung der auf Dauer erheblich verminderten oder ganz entfallenen Leistungsfähigkeit des Klägers entscheidendes Gewicht i.S. einer Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beigemessen hat, so steht auch dies in Übereinstimmung mit den Ausführungen des erkennenden Senats im angeführten Urteil vom 14. November 1984, denen zufolge bei Dauertatbeständen oder Vorfällen mit Wiederholungsgefahr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber eher unzumutbar sein kann als bei einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer.
Auch alle weiteren möglicherweise für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sprechenden Umstände hat das Landesarbeitsgericht eingehend gewürdigt. Dennoch ist es zu dem Ergebnis gelangt, der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht bis zum Ablauf des Monats zumutbar, in dem der Kläger das 65. Lebensjahr vollenden werde (§ 55 Abs. 1 BMT-G II). Insoweit versucht die Revision lediglich, ihre Würdigung an die Stelle der des Tatsachenrichters zu setzen; einen Rechtsfehler zeigt sie damit nicht auf.
2. Gegen die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB bzw. § 53 Abs. 2 BMT-G II) sei gewahrt, wendet sich die Revision nicht. Das Berufungsurteil ist auch insoweit rechtsfehlerfrei. Denn die Kündigungserklärungsfrist begann erst zu laufen, als am 11. Dezember 1981 einer der zur Kündigung berechtigten Hauptabteilungsleiter der Beklagten von den seit der Abmahnung vom 4. Juni 1981 eingetretenen alkoholbedingten Ausfällen des Klägers erfahren hatte.
3. Die Kündigung ist auch nicht gemäß § 102 BetrVG unwirksam.
Die Voraussetzungen des § 102 BetrVG sind gewahrt, wenn der Arbeitgeber das Anhörungsverfahren ordnungsgemäß einleitet und mit dem Ausspruch der Kündigung wartet, bis die in § 102 Abs. 2 BetrVG vorgesehenen Fristen abgelaufen sind oder der Betriebsrat schon vorher eine abschließende Stellungnahme abgegeben hat, aus der der Arbeitgeber entnehmen kann, daß der Betriebsrat eine weitere Erörterung des Falles nicht mehr wünscht (BAG 27, 209, 215 = AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972, zu III 2 der Gründe; 28, 81, 82 = AP Nr. 8 zu § 102 BetrVG 1972, zu 2 der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht ist aufgrund einer eingehenden Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, bei der mündlichen Mitteilung des Betriebsratsvorsitzenden vom 23. Dezember 1981 handele es sich um eine derartige abschließende Stellungnahme. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärung des Betriebsrats von diesem Tage. Da sich das Landesarbeitsgericht mithin mit der mündlichen Stellungnahme des Betriebsratsvorsitzenden sowohl isoliert als auch zusammen mit der schriftlichen Erklärung des Betriebsrats befaßt hat, bedarf es keiner Aufklärung, ob auch letztere dem Arbeitgeber bereits vorlag, als die Kündigung seinen Machtbereich verließ.
Bei der Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe aus der Stellungnahme des Betriebsrats entnehmen dürfen, er habe die Angelegenheit abschließend beraten und wünsche keine weitere Erörterung mehr, handelt es sich um die Auslegung einer atypischen Erklärung, die vom Revisionsgericht nur beschränkt nachgeprüft werden kann. Der Nachprüfung unterliegt nur, ob der Tatrichter Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände unbeachtet gelassen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG 4, 360, 364 = AP Nr. 15 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu II der Gründe). Derartige Rechtsfehler sind weder von der Revision aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.
4. Schließlich hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, die Kündigung sei auch nicht deshalb rechtsunwirksam, weil sie aufgrund des Zeitpunkts ihres Zugangs beim Kläger ungehörig sei.
Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die am 23. Dezember 1981 um 19.30 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfene Kündigung erst am 24. Dezember 1981 zugegangen ist, weil am Vorabend mit einer Kenntnisnahme durch den Kläger nicht mehr gerechnet werden konnte. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 8. Dezember 1983 - 2 AZR 337/82 - EzA § 130 BGB Nr. 13).
In Übereinstimmung mit der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist auch der erkennende Senat der Auffassung, daß der somit anzunehmende Zugang am 24. Dezember 1981 nicht dazu führt, die Kündigung sei ungehörig. Der Senat hat bereits Zweifel, ob die bloße "Ungehörigkeit" einer Kündigung zu ihrer Unwirksamkeit führen kann; ein Fall des § 138 BGB liegt hier schon deshalb nicht vor, weil der 24. Dezember ("Heiliger Abend") i.S. des staatlichen Feiertagsrechts, des Arbeitsrechts und des Gewerberechts als Werktag gilt (BAG Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 AZR 512/81 - zur Veröffentlichung bestimmt). Aber selbst wenn sich aus § 242 BGB die Unwirksamkeit einer nach ihren Begleitumständen, insbesondere ihres Zugangszeitpunkts, ungehörigen Kündigung herleiten ließe, genügt hierfür nicht allein der Zeitpunkt des Zugangs. Hinzukommen muß eine Beeinträchtigung berechtigter Interessen des Erklärungsempfängers, insbesondere auf Achtung seiner Persönlichkeit. Dies kann der Fall sein, wenn der Erklärende absichtlich oder aufgrund einer auf Mißachtung der persönlichen Belange des Empfängers beruhenden Gedankenlosigkeit einen Zugangszeitpunkt wählt, der den Empfänger besonders beeinträchtigt.
An diesen Voraussetzungen fehlt es, wie das Landesarbeitsgericht erkannt hat, im Entscheidungsfall. Schon eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen des Klägers ist in einem Zugang am Vormittag des "Heiligen Abends", an dem ein großer Teil der Arbeitnehmer sogar noch arbeitet, nicht zu sehen. Vor allem aber hatte die Beklagte wegen des drohenden Ablaufs der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ein berechtigtes Interesse daran, dem Kläger die Kündigung ohne weitere Verzögerung zugehen zu lassen. Da der Kläger dieses Interesse erkennen konnte und deshalb im Verhalten der Beklagten keine Mißachtung seiner Persönlichkeit sehen durfte, ist für die Annahme einer ungehörigen Kündigung kein Raum.
III. Die Revision des Klägers war deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Roeper Dr. Becker Dr. Steckhan
Nehring Jubelgas
Fundstellen
DB 1985, 2003-2004 (LT1-2) |
NJW 1987, 94 |
ARST 1985, 183-184 (LT1-2) |
NZA 1986, 97-98 (LT1-2) |
AP § 626 BGB (LT1-2), Nr 88 |
AR-Blattei, ES 970 Nr 34 (LT1-2) |
AR-Blattei, Konkurs Entsch 34 (LT1-2) |
EzA § 242 BGB, Nr 38 |
EzBAT § 54 BAT, Nr 22 (ST1-2) |