Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlußfrist für die Erstattung von Vorruhestandsgeld - Insolvenzsicherung durch die ZVK
Leitsatz (redaktionell)
Eine Partei, die sich auf den Ablauf einer tariflichen Ausschlußfrist beruft, muß die Voraussetzungen des anzuwendenden Tarifvertrages in den Tatsacheninstanzen darlegen. Der Grundsatz, daß tarifvertragliche Ausschlußfristen von Amts wegen zu berücksichtigen sind, verpflichtet die Gerichte für Arbeitssachen nicht zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis von einer tariflichen Norm beherrscht wird (Anschluß an BAG Urteil vom 12. Juli 1972 - 1 AZR 445/71 - AP Nr 51 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
Orientierungssatz
Auslegung der §§ 11 und 5 des Tarifvertrages über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26.9.1984 in der Fassung vom 17.12.1985 und des § 16 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 3.2.1981 in der Fassung vom 26.9.1984.
Normenkette
TVG § 1; VRG § 9 Abs. 1; KO § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a; BauRTV § 16 Fassung 1984-09-26
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erstattung von Vorruhestandsgeld.
Der Beklagte ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Er hat als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien gemäß § 10 Abs. 1 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages für den Vorruhestand im Baugewerbe (VRTV-Bau) vom 26. September 1984 in der Fassung vom 17. Dezember 1985 seit dem 1. Januar 1986 dem Bauarbeitgeber 90 % des gezahlten tariflichen Vorruhestandgeldes zu erstatten, wenn der Vorruhestand der gewerblichen oder angestellten Arbeitnehmer des Arbeitgebers nach dem 31. Dezember 1985 begann. Nach § 11 Abs. 1 VRTV-Bau hat der Beklagte die vollen tariflichen Vorruhestandsleistungen wie ein Arbeitgeber zu gewähren, wenn über das Vermögen des Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet worden ist (§ 9 Abs. 1 VRG). Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsleistungen gegen seinen Arbeitgeber geht in diesem Fall nach § 11 Abs. 2 VRTV-Bau auf den Beklagten über.
Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin ist am 5. Dezember 1986 das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Konkursverwalter bestellt worden. Die Gemeinschuldnerin unterhielt einen baugewerblichen Betrieb.
Nach dem 31. Dezember 1985 und vor Eröffnung des Konkursverfahrens waren die Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin Theo D , Maria A und Horst L in den tariflichen Vorruhestand getreten und hatten von der Gemeinschuldnerin Vorruhestandsgeld bezogen. Gegenüber den Arbeitnehmern Theo D und Maria A blieb die Gemeinschuldnerin das monatliche Vorruhestandsgeld vom 1. Oktober 1986 an und gegenüber dem Arbeitnehmer Horst L vom 1. November 1986 an schuldig. Der Beklagte gewährte im Rahmen der Insolvenzsicherung die Vorruhestandsgelder in voller Höhe. Unter Abzug des dem Arbeitgeber zustehenden 90 %-igen Erstattungsbetrages verlangte er von dem Kläger mit Schreiben vom 8. August 1988 die Erstattung folgender Beträge als Masseforderung:
Monat Oktober 1986 DM 768,70
Monat November 1986 DM 1.018,01
Monat 01.12.-05.12. 1986 DM 169,65.
Der Kläger macht im Wege der negativen Feststellungsklage geltend, dem Beklagten stehe kein Erstattungsanspruch zu. Der Anspruch sei wegen Nichteinhaltung der Ausschlußfrist des § 16 BRTV-Bau verfallen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt
festzustellen, daß die Beklagte keinen Masse-
schuldanspruch gem. § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO in Höhe
von DM 1.956,36 für Vorruhestandsleistungen an
die Arbeitnehmer Theo D und Maria A in
der Zeit vom 1. 0ktober 1986 bis 5. Dezember 1986
sowie für Vorruhestandszahlungen an den Arbeit-
nehmer Horst L in der Zeit vom 1. November
1986 bis 5. Dezember 1986 besitzt.Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Erstattungsanspruch der Beklagten unterliege nicht der Verfallsvorschrift des § 16 BRTV-Bau. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Verfahrensziel weiter. Der Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist unbegründet.
1. Die negative Feststellungsklage ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Der Kläger hat als Konkursverwalter ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung, ob die mit Schreiben vom 8. August 1988 von dem Beklagten geltend gemachte Masseforderung besteht. Um das Konkursverfahren sachgerecht abwickeln und die Konkursmasse ordnungsgemäß verteilen zu können, muß der Konkursverwalter sich nämlich Gewißheit über die Rangordnung der zu berichtigenden Masseschulden und Konkursforderungen verschaffen.
2. Die (negative) Feststellungsklage ist unbegründet, da dem Beklagten in vollem Umfang die Masseforderung in Höhe von 1.956,36 DM zusteht, deren er sich im Schreiben vom 8. August 1988 berühmt hat. Der Beklagte kann nämlich aus übergegangenem Recht von dem Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin, bei denen die Vorruheständler Theo D , Maria A und Horst L bis zum Eintritt in den Vorruhestand beschäftigt waren, eine Befriedigung der in den letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung nicht erfüllten Ansprüche auf Vorruhestandsgeld aus der Konkursmasse verlangen, soweit er im Rahmen der Insolvenzsicherung den seit dem 1. Januar 1986 vom Arbeitgeber zu tragenden Eigenanteil von 10 v.H. der Vorruhestandsleistungen gewährt hat.
a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Gemeinschuldnerin für ihre früheren Arbeitnehmer Theo D und Maria A in der Zeit vom 1. Oktober bis 5. Dezember 1986 sowie für den Arbeitnehmer Horst L in der Zeit vom 1. November bis 5. Dezember 1986 kein Vorruhestandsgeld gezahlt. Aufgrund des für allgemeinverbindlich erklärten VRTV-Bau stand den im Verlaufe des Jahres 1986 in den Vorruhestand getretenen Arbeitnehmern nach dessen § 5 Abs. 1 jedoch ein Anspruch auf ein monatlich zu zahlendes Vorruhestandsgeld in Höhe von 75 v.H. des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes zu. Nach Eröffnung des Konkursverfahrens waren diese Ansprüche als "Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis" im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 3 a KO als Masseschulden gemäß § 57 KO vorweg aus der Konkursmasse zu berichtigen. Zu dieser konkursrechtlichen Einordnung hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinen Urteilen vom 15. Januar 1991 (- 3 AZR 186/90 - und - 3 AZR 490/90 - AP Nr. 31, 32 zu § 59 KO) eingehend Stellung genommen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 10. September 1992 (- 1 BvR 633/91 - BB 1992, 2150) die Annahme der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Dritten Senats vom 15. Januar 1991 (- 3 AZR 490/90 -) mit der Begründung abgelehnt, daß die vom Dritten Senat vorgenommene Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Konkursordnung verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auslegung an.
b) Das Recht der Arbeitnehmer, vorweg aus der Masse Befriedigung verlangen zu können, ist als Vorzugsrecht im Sinne von § 401 Abs. 2 BGB (BAG Urteil vom 15. Januar 1991 - 3 AZR 186/90 - AP Nr. 31 zu § 59 KO; BGHZ 34, 293, 298) auf den Beklagten übergegangen. Der Forderungsübergang ist in § 11 Abs. 2 VRTV-Bau geregelt worden. Insoweit findet ein gesetzlicher Forderungsübergang im Sinne des § 412 BGB statt, da nach Art. 2 EGBGB auch die Rechtsnormen eines Tarifvertrages als gesetzliche Bestimmungen im Sinne des BGB anzusehen sind.
Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des tariflichen Forderungsübergangs sind erfüllt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte nach Eröffnung des Konkursverfahrens die vollen tariflichen Vorruhestandsleistungen gewährt (§ 11 Abs. 1 Satz 1 VRTV-Bau).
Die übergegangenen Ansprüche sind auch nicht konkursrechtlich im Sinne des § 59 Abs. 2 KO in ihrem Rang herabzustufen. Die gesetzliche Rangrückstellung für die öffentlich-rechtliche Bundesanstalt für Arbeit ist nicht auf den Beklagten als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien übertragbar (BAG Urteil vom 15. Januar 1991 - 3 AZR 186/90 - aaO, zu II 3 c der Gründe).
c) Die Forderung des Beklagten ist auch nicht verfallen. Da Ausschlußfristen eine Forderung in ihrem zeitlichen Umfang begrenzen, müssen die Gerichte für Arbeitssachen tarifliche Ausschlußfristen stets von Amts wegen beachten (BAGE 4, 37, 39 = AP Nr. 4 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; BAG Urteil vom 12. Juli 1972 - 1 AZR 445/71 - AP Nr. 51 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Dies bedeutet aber nicht, daß die Gerichte für Arbeitssachen bei der Entscheidung von Ansprüchen gehalten wären, von Amts wegen zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis von einer tariflichen Norm beherrscht wird (BAG Urteil vom 12. Juli 1972 - 1 AZR 445/71 - AP Nr. 51 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
Aus dem Berufungsurteil ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß auf das frühere Arbeitsverhältnis der Vorruheständler Theo D , Maria A und Horst L die tarifvertragliche Ausschlußfrist des für allgemeinverbindlich erklärten BRTV-Bau vom 3. Februar 1981 in der Fassung vom 26. September 1984 Anwendung fand. Es bedarf daher hier keiner Entscheidung, ob diese tarifliche Ausschlußfrist gegenständlich auch auf Vorruhestandsleistungen anzuwenden ist.
Zwar erfassen die Rechtsnormen des BRTV-Bau seit seiner Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 Abs. 4 TVG auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber im Streitfall fehlen Feststellungen, ob die früheren Arbeitsverhältnisse der drei Vorruheständler überhaupt dem persönlichen Geltungsbereich des BRTV-Bau unterlagen. Anders als der ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärte VRTV-Bau beschränkt nämlich der BRTV-Bau in seinem § 1 Abs. 3 den persönlichen Geltungsbereich auf:
"Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung über die Rentenversi-
cherung der Arbeiter (RVO) versicherungspflichti-
ge Tätigkeit ausüben."
Das Berufungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Tatfrage, ob die drei Vorruheständler Theo D , Maria A und Horst L eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben, ungeklärt sei. Soweit erstmals mit der Revision von Seiten des Klägers behauptet wird, die drei Vorruheständler seien als Arbeiter im Sinne der RVO beschäftigt worden, handelt es sich um einen in der Revisionsinstanz unzulässigen neuen Tatsachenvortrag (§ 561 Abs. 1 ZPO). Es wäre Aufgabe des sich auf die Anwendbarkeit des BRTV-Bau berufenden Klägers gewesen, die Erfüllung der persönlichen Geltungsvoraussetzung dieses Tarifvertrages in den Tatsacheninstanzen darzulegen.
Schließlich kann auch nicht festgestellt werden, daß der Anspruch durch Ablauf der mit § 16 BRTV-Bau im wesentlichen wortgleichen Ausschlußfrist des § 13 Rahmentarifvertrages für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin (RTV-Bau) vom 26. September 1984 verfallen ist. Im Unterschied zum BRTV-Bau ist nämlich der RTV-Bau nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden. Dafür, daß eine Tarifbindung der Gemeinschuldnerin und der betroffenen Vorruheständler im Sinne von § 3 Abs. 1 TVG bestand, gibt es im Berufungsurteil keine Anhaltspunkte.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Leinemann Dörner Düwell
Volpp Dr. Kappes
Fundstellen
Haufe-Index 441766 |
KTS 1994, 121-122 (ST) |
NZA 1994, 274 |
NZA 1994, 274-275 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 1063/93 (S) |
ZIP 1993, 1569 |
ZIP 1993, 1569-1570 (LT1) |
AP § 4 TVG Ausschlußfristen (LT1), Nr 123 |
AR-Blattei, ES 350 Nr 142 (LT1) |
AR-Blattei, ES 370.8 Nr 147 (LT1) |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 104 (LT1) |