Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn und Ende der Arbeitszeit - Übergangsregelung
Leitsatz (redaktionell)
Die Übergangsvorschrift des § 2 Abs 2 des 66. Änderungstarifvertrags zum BAT vom 24.4.1991, nach der Regelungen nicht berührt werden, die auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 15 Abs 7 BAT Leistungen vorsahen, enthält lediglich die Wiedergabe des gesetzlichen Günstigkeitsprinzips. Der Arbeitgeber kann daher eine von ihm getroffene Regelung ändern, wenn die Voraussetzungen eines darin erklärten Änderungsvorbehalts vorliegen.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 3; BAT § 15 Abs. 7 Fassung: 1991-04-24
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 02.06.1992; Aktenzeichen 8 Sa 524/92) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 04.02.1992; Aktenzeichen 1 (6) Ca 3033/91) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 04.02.1992; Aktenzeichen 1 Ca 2974/91) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 04.02.1992; Aktenzeichen 1 Ca 2973/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung von Wege- und Umkleidezeiten aufgrund von vertraglichen Regelungen.
Die Kläger sind Krankenpfleger. Die Beklagte ist Träger der Kliniken, in denen die Kläger beschäftigt sind. Auf die Arbeitsverhältnisse findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Dessen § 15 Abs. 7 lautet:
"Die Arbeitszeit beginnt und endet an der Ar-
beitsstelle, bei wechselnden Arbeitsstellen an
der jeweils vorgeschriebenen Arbeitsstelle oder
am Sammelplatz."
Die Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT lautete bis zum 31. März 1991:
"Der Begriff der Arbeitsstelle ist weiter als der
Begriff des Arbeitsplatzes. Er umfaßt z.B. die
Dienststelle oder den Betrieb, während unter dem
Arbeitsplatz der Platz zu verstehen ist, an dem
der Angestellte tatsächlich arbeitet."
Im Urteil vom 18. Januar 1990 (- 6 AZR 386/89 - BAGE 65, 1 = AP Nr. 16 zu § 15 BAT) hat der erkennende Senat in Bestätigung seiner bis dahin verfolgten Rechtsprechung angenommen, daß Arbeitszeit auch die Zeit zwischen dem Betreten der Arbeitsstelle (z.B. des umzäunten Krankenhausgeländes) und dem Arbeitsplatz des Angestellten (z.B. der Station) sein kann. Mit Schreiben vom 15. Oktober 1990 teilte die Beklagte den Klägern mit, daß intensive Gespräche mit dem Personalrat über die Konsequenzen aus diesem Urteil mit dem Ziel einer Dienstvereinbarung über Beginn und Ende der Arbeitszeit geführt worden seien, die jedoch nicht zum Abschluß hätten gebracht werden können. Da zur Zeit nicht abzusehen sei, wann es zum Abschluß einer Dienstvereinbarung komme, habe sich die Betriebsleitung entschlossen, im Vorgriff auf eine endgültige Regelung und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für bestimmte Funktionsgruppen innerhalb der Kliniken mit der Oktober-Gehaltszahlung einen monatlichen Pauschalbetrag als Ausgleich für anfallende Wege- und Umkleidezeiten rückwirkend ab 1. Februar 1990 zu zahlen. Die Kläger erhielten aufgrund dieses Schreibens einen monatlichen Pauschalbetrag von 150,-- DM.
Durch § 1 Nr. 8 Buchst. c des 66. Änderungstarifvertrages zum BAT vom 24. April 1991 (fortan: Änderungstarifvertrag), gültig ab 1. April 1991, wurde Satz 2 der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 geändert, so daß diese nunmehr wie folgt lautet:
"Der Begriff der Arbeitsstelle ist weiter als der
Begriff des Arbeitsplatzes. Er umfaßt z.B. den
Verwaltungs-/Betriebsbereich in dem Gebäude/-
Gebäudeteil, in dem der Angestellte arbeitet."
Die gleichzeitig ergangene Übergangsvorschrift (§ 2 Abs. 2 Änderungstarifvertrag) lautet:
"Eine am 15. März 1991 bestehende örtliche/be-
zirkliche Regelung, die auf der bisherigen Recht-
sprechung des BAG zu § 15 Abs. 7 BAT beruht und
zusätzliche Geldleistungen oder zusätzliche Frei-
zeit vorsieht, wird für die vom Geltungsbereich
dieser Regelung erfaßten Arbeitnehmergruppen
durch das Inkrafttreten der Neufassung des Sat-
zes 2 der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT nicht
berührt."
Im April 1991 wies die Beklagte die Kläger darauf hin, daß aufgrund des Änderungstarifvertrags die Wegezeiten zwischen Pforte und Arbeitsbereich nicht mehr als Arbeitszeit gewertet werden könnten. Wegen der geänderten Tariflage stellte sie ab Mai 1991 die Zahlung der Pauschalbeträge ein.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Beklagte sei aufgrund der Übergangsvorschrift in § 2 Abs. 2 Änderungstarifvertrag weiterhin zur Zahlung der Pauschalbeträge verpflichtet.
Die Kläger zu 1) bis 3) haben jeweils beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 600,-- DM
nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zah-
len,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie ab
1. September 1991 die Pauschale gemäß § 15
Abs. 7 BAT in Höhe von monatlich 150,-- DM zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie brauche die im Vorgriff auf eine endgültige Regelung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gezahlte Pauschale nicht weiterzahlen, weil es im Hinblick auf die Neufassung der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT zu einer Regelung mit dem Personalrat nicht mehr kommen könne.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr ursprüngliches Klageziel weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist nicht begründet. I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es bestehe kein Anspruch der Kläger auf Weiterzahlung der monatlichen Pauschalen. Die einseitig vom Arbeitgeber angeordnete Abgeltung von Wege- und Umkleidezeiten habe unter dem Vorbehalt einer endgültigen Regelung durch eine Dienstvereinbarung gestanden. Mit der seit 1. April 1991 geltenden Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT sei die Grundlage für eine solche Dienstvereinbarung jedoch entfallen, so daß die Beklagte die Zahlungen habe einstellen können. Auch aus der Übergangsvorschrift des § 2 Abs. 2 Änderungstarifvertrag lasse sich der Zahlungsanspruch nicht herleiten. Nach dieser Vorschrift solle eine bisherige Regelung durch die Neufassung der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT "nicht berührt" werden. Dies bedeute, daß die bisherige Regelung inhaltlich mit der vorgesehenen und hier ausgeübten Beendigungsmöglichkeit bestehen geblieben sei. Einen weitergehenden Bestandsschutz bewirke die tarifliche Übergangsregelung nicht.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
II. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zahlung von monatlich 150,-- DM für Wege- und Umkleidezeiten gemäß dem Schreiben der Beklagten vom 15. Oktober 1990. Die Beklagte durfte die Zahlung des Pauschalbetrages für die Wegezeiten zwischen der Pforte des Krankenhauses und den Arbeitsbereichen der Kläger ab dem Monat Mai 1991 einstellen.
1. Aufgrund des Schreibens vom 15. Oktober 1990 gewährte die Beklagte den Klägern als Ausgleich für anfallende Wege- und Umkleidezeiten einen Pauschalbetrag von 150,-- DM monatlich. Diesen arbeitsvertraglichen Anspruch auf diese Leistung hat die Beklagte jedoch rechtswirksam beseitigt, indem sie unter Hinweis auf die ab 1. April 1991 geänderte Tariflage die Zahlungen ab dem Monat Mai 1991 eingestellt hat. Die Beklagte war dazu berechtigt, weil sie sich ausdrücklich die Änderung ihrer einseitigen Zusage vorbehalten hatte. Das Landesarbeitsgericht hat das Schreiben der Beklagten vom 15. Oktober 1990 in diesem Sinne ausgelegt, weil die Zahlung "im Vorgriff auf eine endgültige Regelung und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" erfolgt sei. Diese Auslegung der Willenserklärung der Beklagten ist vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln, Erfahrungssätze oder Denkgesetze verletzt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (ständige Rechtsprechung vgl. etwa BAGE 55, 309, 314 = AP Nr. 13 zu § 74 c HGB, zu I der Gründe). Eine derartige Rechtsverletzung ist weder ersichtlich noch wird sie von der Revision gerügt. Damit konnte die Beklagte die Zahlung der monatlichen Pauschalbeträge einstellen, weil es aufgrund der geänderten Tariflage nicht mehr zu der von der Beklagten und dem Personalrat zunächst angestrebten Dienstvereinbarung auf der Grundlage des § 15 Abs. 7 BAT a.F. kommen konnte, sich vielmehr die ab 1. April 1991 geltende Tariflage als die endgültige Regelung erwies.
2. Dem steht auch § 2 Abs. 2 Änderungstarifvertrag nicht entgegen. Danach wird eine am 15. März 1991 bestehende örtliche/bezirkliche Regelung, die auf der bisherigen Rechtsprechung des BAG zu § 15 Abs. 7 BAT beruht und zusätzliche Geldleistungen oder Freizeit vorsieht, für die vom Geltungsbereich dieser Regelung erfaßten Arbeitnehmergruppen durch das Inkrafttreten der Neufassung des Satzes 2 der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT nicht berührt.
Es kann dahin gestellt bleiben, ob eine einseitige, durch die Beklagte gesetzte Regelung, die im übrigen die Voraussetzungen dieser Besitzstandsklausel erfüllt, als örtliche Regelung im Sinne der Übergangsvorschrift anzusehen wäre (bejahend: Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand März 1993, § 15 Erl. 20 a; Pieper, ZTR 1992, 318, 321; Kiefer, ZTR 1992, 323, 325). Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, daß § 2 Abs. 2 Änderungstarifvertrag verhindern will, daß eine solche vertragliche Regelung für die Zukunft abgeändert wird. Dies ergibt die Auslegung dieser Tarifnorm.
Nach dem Wortlaut der Übergangsregelung werden örtliche und bezirkliche Regelungen durch das Inkrafttreten der Neufassung des Satzes 2 der Protokollnotiz zu § 15 Abs. 7 BAT "nicht berührt". Dadurch haben die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, daß günstigere einzelvertragliche Regelungen aus Anlaß des Inkrafttretens dieser Tarifnorm nicht verdrängt oder verschlechtert werden, sondern bestehen bleiben sollen. Die Übergangsregelung setzt somit eine günstigere Regelung voraus und läßt sie für die erfaßten Arbeitnehmergruppen fortgelten. Sie verhindert damit für die durch die Regelung Begünstigten ein Durchschlagen des neuen, ungünstigeren Tarifrechts auf die günstigeren vertraglichen Arbeitsbedingungen. Eine solche Klausel spricht nur, wie das Berufungsgericht richtig angenommen hat, die Rechtslage aus, die sich ohnehin aus § 4 Abs. 3 TVG ergibt, will aber nicht die außertariflichen Arbeitsbedingungen in zwingende Tarifbedingungen umwandeln (vgl. BAG Urteil vom 6. September 1990 - 6 AZR 612/88 - AP Nr. 1 zu § 2 BAT SR 2 l, zu II 4 der Gründe; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 265).
Entgegen der Auffassung der Revision kann somit nicht angenommen werden, daß die Zusage der Beklagten vom 15. Oktober 1990 auf Dauer in ihrem Bestand unabhängig von ihrem vertraglichen Rechtsinhalt gesichert wurde. Als "effektive" Besitzstandsklausel, die günstigere vertragliche Arbeitsbedingungen nicht nur unberührt läßt, sondern künftigen Veränderungen entziehen will, kann § 2 Abs. 2 Änderungstarifvertrag nicht verstanden werden (vgl. dazu BAG Urteil vom 5. September 1985 - 6 AZR 216/81 - AP Nr. 1 zu § 4 TVG Besitzstand, mit Anm. v. Wiedemann). Dafür hätte es jedenfalls eines deutlichen Anhaltspunktes im Tariftext bedurft. Dieser fehlt jedoch. Die bestehende vertragliche Regelung soll lediglich "nicht berührt" werden. Der Ausschluß einer Kündigung oder einer vorbehaltenen Änderung ist in § 2 Abs. 2 Änderungstarifvertrag nicht bestimmt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Peifer Dr. Jobs Dr. Armbrüster
Kapitza Schwarck
Fundstellen
Haufe-Index 440767 |
DB 1994, 281 (LT1) |
NZA 1994, 137 |
NZA 1994, 137-138 (LT1) |
ZTR 1994, 21-23 (LT1) |
AP § 15 BAT (LT1), Nr 26 |
ArbuR 1993, 373 (L1) |
EzA § 4 TVG Günstigkeitsprinzip, Nr 7 (LT1) |
EzBAT § 15 BAT, Nr 23 (LT1) |
PersR 1994, 141-142 (LT1) |
PersV 1994, 564-565 (L) |
ZfPR 1994, 163 (L) |