Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrarbeitsvergütung für eine Sozialpädagogin
Leitsatz (redaktionell)
1. Durch die in SR 2l Nr 3 BAT enthaltene Verweisung auf "die Bestimmungen für die entsprechenden Beamten" wird für Angestellte als Lehrkräfte nicht nur auf Gesetze und Rechtsverordnungen für Beamte Bezug genommen, sondern auch auf die einschlägigen Verwaltungsanordnungen und Erlasse (Bestätigung von BAG 9.6.1982 4 AZR 274/81 = BAGE 39, 138 = AP Nr 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht sowie von BAG 23.9.1981 4 AZR 569/79 = BAGE 36, 218 = AP Nr 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten).
2. Gegen die Wirksamkeit der in Nr 1.3, 1.4.5, 3.2, 3.4.1, 4 und 5 der Hamburger Richtlinien über die Erziehung und den Unterricht an der Schule für Geistigbehinderte vom 24. April 1975 enthaltenen Regelung, nach der die von Sozialpädagogen während der Essenspausen zu erbringende Betreuungsarbeit keinen Unterricht darstellt, bestehen keine Bedenken.
Orientierungssatz
Frage, ob eine als Klassenleiterin an einer Ganztagsschule für Geistigbehinderte tätige Sozialpädagogin für die Betreuung der zu ihrer Klasse gehörenden Kinder während der Essenspausen Mehrarbeitsvergütung verlangen kann; Frage, ob es sich bei dieser Tätigkeit um Erteilung von "Unterricht" handelt.
Normenkette
BAT Anlage SR; MArbV § 5; SchulG HA § 2 Abs. 4, § 41 Abs. 1; MArbV § 2 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 04.05.1983; Aktenzeichen 4 Sa 7/83) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 11.11.1982; Aktenzeichen 8 Ca 172/81) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin für die Betreuung von geistig behinderten Kindern in den Essenspausen Mehrarbeitsvergütung verlangen kann.
Die Klägerin ist Sozialpädagogin; sie arbeitet für die Beklagte als Klassenleiterin an der Sonderschule für Geistigbehinderte, K. Bei dieser Schule handelt es sich um eine Ganztagsschule. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 6. März 1978 haben die Parteien vereinbart, daß sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen bestimmt.
In dem Zeitraum, für den die Klägerin den Zahlungsanspruch geltend macht (= 80 Arbeitstage für die Zeit seit dem 1. Oktober 1980), unterrichtete sie eine Klasse von acht Kindern der Vorstufe. Die Kinder waren etwa sieben bis neun Jahre alt. Sie wiesen unterschiedliche Behinderungen auf, so Down'sches Syndrom (sog. Mongolismus), Autismus und Anfallserkrankungen; in ihrer geistigen Entwicklung waren die Kinder etwa mit eineinhalb- bis dreijährigen Kindern vergleichbar. Neben der Klägerin als Klassenleiterin war eine Erzieherin zur Betreuung der Kinder eingesetzt.
In der Vorstufe der Schule gibt es keine Fächerdifferenzierung. Der Schwerpunkt des Unterrichts liegt im Zurechtfinden in der schulischen Umgebung und im Erlernen elementarer lebenspraktischer Fähigkeiten, beispielsweise selbständiges An- und Auskleiden, Benutzen der Toilette, Waschen, Zähneputzen, Umgang mit Farbe und Papier. Die meisten Kinder haben vor ihrem Schuleintritt keinen Sonderkindergarten oder andere öffentliche Einrichtungen besucht, so daß ihnen die genannten Fähigkeiten erstmals in der Schule systematisch vermittelt werden müssen.
Die Arbeitszeit der Klägerin beträgt wöchentlich 40 Stunden; darin ist eine Unterrichtsverpflichtung von 26 Unterrichtsstunden enthalten. Außerhalb ihrer Unterrichtspflichtstunden obliegen der Klägerin als Klassenleiterin diejenigen Aufgaben, die herkömmlich mit Unterricht und Erziehung zusammenhängen, z. B. Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Elterngespräche, Fertigen von Schülerentwicklungsarbeiten und dergleichen mehr.
Ab dem 1. Oktober 1980 betreute die Klägerin auf Anweisung des Schulleiters, die von der Beklagten schriftlich bestätigt wurde, außerhalb ihrer normalen Unterrichtsverpflichtung die Kinder ihrer Klasse auch in deren Essenspausen an mindestens 80 Arbeitstagen jeweils 30 Minuten.
Der Streit der Parteien geht darum, ob es sich bei der angeordneten Tätigkeit der Klägerin während der Mahlzeiten der Kinder um Unterricht handelt. Für diesen Fall würde die festgelegte Pflichtstundenzahl überschritten mit der Folge, daß die Beklagte diese Tätigkeit als Mehrarbeit zu vergüten hätte.
Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Zahlungsklage vorgetragen: Bei der Arbeit mit Geistigbehinderten könne nicht zwischen Unterricht und nichtunterrichtender Tätigkeit nach der Thematik unterschieden werden, da den Kindern wegen ihrer Behinderung kein theoretisches Wissen, sondern nur elementare Fähigkeiten vermittelt werden könnten. Dies ergebe sich aus dem von der Beklagten herausgegebenen Lehrplan, der unter seiner Ziff. 5 ausdrücklich das "Lernen im lebenspraktischen Bereich" und unter Ziff. 5.1.1 des Arbeitsplans für die Vor- und Unterstufe Lerninhalte für die Essenspausen enthalte, so Tischdecken, Abräumen, Selbstbesorgung bei Tisch, Streichen von Brot, Schneiden von Obst und Verhalten bei Tisch. Das Verhalten beim Essen könne den Kindern nicht durch theoretischen Unterricht, sondern ausschließlich durch ihr Vorbild und ständiges Einüben während der Mahlzeiten vermittelt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
924,-- DM nebst 4 % Zinsen seit Rechts-
hängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, Unterricht sei nur das, was in der von ihr herausgegebenen Stundentafel (Bl. 22 VA) als solcher bezeichnet werde; hierzu zählten nicht die Essenspausen. Diese dienten nicht der Unterrichtung, sondern ausschließlich der Beköstigung der Kinder.
Bei der Tätigkeit der Klägerin während der Pausenzeiten handele es sich um reine Aufsichtsführung und damit um eine Zusammenhangstätigkeit, die nach Ziff. 2.2 der von der Beklagten herausgegebenen Dienstanweisung außerhalb der Pflichtstunden von den Lehrern zu erledigen sei. Die Klägerin habe während der Essenszeiten der Kinder nur unterstützende Funktion, da die Pausenaufsicht in erster Linie Aufgabe der in der Klasse tätigen Erzieher sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, daß die Stundentafel der Beklagten bestimme, wann die Tätigkeit eines Lehrers Unterricht sei und wann nicht. Dies gelte insbesondere im Schulbereich der Klägerin, bei dem eine Trennung zwischen fachtheoretischem Unterricht und allgemeiner Erziehung nicht eindeutig vorgenommen werden könne. Die Beaufsichtigung und Erziehung der Kinder in den Essenspausen könne nicht schon deshalb Unterricht sein, weil die dabei ausgeübte erzieherische Tätigkeit auch Unterrichtsgegenstand sein könnte. Bei generalisierender Betrachtung gehöre die Beaufsichtigung der Kinder bei den gemeinsamen Mahlzeiten zu den außerunterrichtlichen Tätigkeiten des Sonderschullehrers, durch die eine Überschreitung der wöchentlichen Arbeitszeit nicht eintrete. Die Pausenaufsicht obliege in erster Linie der Erzieherin, die Klägerin leiste dabei nur Hilfestellung.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens hat die Klägerin ausgeführt: Bei ihrer Tätigkeit während der Mahlzeiten der Kinder handele es sich nicht um das Führen von Pausenaufsicht, vielmehr vermittele sie den Schülern mit pädagogischen Methoden grundlegende Fähigkeiten der Selbstbesorgung bei Tisch. Die Vermittlung dieser Fähigkeiten sei auch nach dem Arbeitsplan der Beklagten Unterrichtsgegenstand der Vor- und Unterstufe.
Die Beklagte hat hierauf erwidert, die Pausen dienten ausschließlich der Beköstigung der Kinder, nicht ihrer Unterrichtung. Die Klägerin habe die Kinder während dieser Zeit nicht anzuleiten und ihnen grundlegende Fähigkeiten der Selbstbesorgung bei Tisch beizubringen, sondern sie zu beaufsichtigen.
Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 924,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21. April 1981 verurteilt. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts.
I. Der Klägerin steht entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts die mit der Klage geltend gemachte Mehrarbeitsvergütung nicht zu, denn bei der Betreuung der geistigbehinderten Kinder während der Essenspausen handelt es sich nicht um die Erteilung von Unterricht.
1. Das Landesarbeitsgericht hat seinen gegenteiligen Standpunkt im wesentlichen wie folgt begründet:
Nach der detaillierten und seitens der Beklagten unwidersprochenen Beschreibung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz über den Tagesablauf und die Unterrichtsgestaltung sei davon auszugehen, daß es sich bei der Tätigkeit der Klägerin während der Mahlzeiten der Kinder nicht um deren Beaufsichtigung, sondern um Unterricht handele. Zwischen den Parteien sei es unstreitig, daß die Kinder bei ihrem Schuleintritt nicht in der Lage seien, selbständig zu essen; sie hätten sich in der Regel nie zuvor eine Scheibe Brot gestrichen oder ein Getränk eingeschenkt. Einige Kinder seien nur breiige Nahrung gewöhnt und könnten noch nicht kauen. Intensiver Anleitung bedürfe nicht nur die Einnahme der Mahlzeit an sich, sondern auch die mit den Mahlzeiten zusammenhängenden Tätigkeiten, wie das Tischdecken und Abräumen. Um nicht an die Stelle der von den Richtlinien der Beklagten pädagogisch angestrebten Verselbständigung der Kinder die Versorgung durch die Betreuer treten zu lassen, müsse die Klägerin unterrichtend tätig sein; sie habe beispielsweise den Kindern möglichst viele Verrichtungen zur selbständigen Erledigung übertragen. Angesichts der sehr unterschiedlichen Behinderungen und Entwicklungsstadien der Kinder stehe die Klägerin dabei stets vor der Aufgabe, individualisierend, jedem Kind entsprechend seiner Behinderung und seinen Entwicklungsmöglichkeiten, die jeweils pädagogisch angezeigten Lernhilfen zu geben. Ihre Tätigkeit im Zusammenhang und während der Mahlzeiten der Kinder unterscheide sich ihrer Art nach nicht von ihrer sonstigen Unterrichtstätigkeit, die sich auf die Vermittlung einfachster Kenntnisse und Fähigkeiten beschränke. Die pädagogischen Erfordernisse ließen eine bloße Beaufsichtigung der Kinder während ihrer Mahlzeiten nicht zu. Beaufsichtigung setze stets voraus, daß die Schüler ein bestimmtes Verhalten, bestimmte Fähigkeiten und Regeln beherrschten, deren Einhaltung die Aufsichtsperson nur noch zu überwachen habe, nur im Ausnahmefall sei dabei ein Einschreiten der Aufsichtsperson erforderlich. Bei der herkömmlich von den Lehrern anderer Schularten zu leistenden "Pausenaufsicht" handele es sich um eine Aufsichtstätigkeit in diesem Sinne; sie werde zutreffend unter Ziff. 2.2 der Dienstanweisung der Beklagten als Beispiel für die "herkömmlich mit Unterricht und Erziehung zusammenhängenden Aufgaben" genannt. Anders sei es bei den von der Klägerin unterrichteten geistigbehinderten Kindern, denen elementare Fähigkeiten der Einnahme der Mahlzeiten und der Selbstbesorgung bei Tisch erst noch vermittelt werden müßten und die hierzu intensiver Unterrichtung bedürften. Die Vorstellung einer bloßen Beaufsichtigung der Kinder werde der Schulwirklichkeit bei Geistigbehinderten nicht gerecht.
Aus der von der Beklagten unwidersprochenen Beschreibung der Mahlzeiten durch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz ergebe sich eindeutig, daß die Klägerin hier nicht lediglich der Erzieherin Hilfestellung leiste, sondern die zuvor genannte Unterrichtung verantwortlich wahrnehme.
Entgegen der Ansicht der Beklagten könne nicht allein nach der unter Ziff. 4 ihrer Richtlinien formulierten Stundentafel bestimmt werden, wann die Tätigkeit eines Lehrers Unterricht sei und wann nicht. Es sei vielmehr die von der Klägerin tatsächlich geleistete Tätigkeit daraufhin zu bewerten, ob diese Unterricht darstelle oder nicht.
Ebensowenig könne darauf abgestellt werden, daß unter Ziff. 1.4.5 der genannten Richtlinien die Essenszeiten als festliegende Unterbrechungen des Unterrichts genannt würden. Die genannten Mahlzeiten strukturierten den Tagesablauf und den Schulalltag der Klägerin. Dieser Tagesablauf sei für die Schüler aller Altersgruppen und Schulstufen der Schule gleich beschrieben; schon hieraus ergebe sich, daß er nicht auf die besonderen Bedürfnisse und Unterrichtserfordernisse der Schulanfänger zugeschnitten sei und ihm keinesfalls entnommen werden könne, wann die Tätigkeit eines Lehrers Unterricht darstelle und wann nicht.
Die Anbahnung adäquaten Verhaltens beim Essen werde in den oben genannten Richtlinien sowohl in Ziff. 3.4.1 als Sondermaßnahme im pädagogischen Bereich, als auch unter Ziff. 5.1.1 als Element des Lehrplans im "Arbeitsplan für die Vor- und Unterstufe" innerhalb des Lernbereichs "Lernen im lebenspraktischen Bereich" genannt. Damit habe die Beklagte selbst eine ausdrückliche Einbindung in den Lehrplan vorgenommen.
Dem widerspreche auch nicht, daß in der oben genannten Stundentafel für das Mahlzeitentraining keine Unterrichtsstunden vorgesehen seien. Das Verhalten bei den Mahlzeiten sei als Unterrichtsgegenstand ausschließlich im Arbeitsplan der Vor- und Unterstufe vorgesehen; für diese Schulstufen sehe die Stundentafel anders als in den höheren Schulstufen keine Fächerdifferenzierung vor, sondern nenne lediglich die Gesamtunterrichtszeit der Schüler, in der die Lerninhalte insgesamt zu unterrichten seien.
Die Tätigkeit der Klägerin während der Mahlzeiten der Kinder sei als Unterrichtstätigkeit dem meßbaren und überprüfbaren Teil, nämlich der abzuleistenden Pflichtstundenzahl, zuzurechnen. Diese Zuordnung entspreche auch Sinn und Zweck der in Ziff. 2.2 und Ziff. 2.3 der genannten Dienstanweisung vorgenommenen Differenzierung von Unterricht und herkömmlich mit Unterricht und Erziehung zusammenhängenden Aufgaben. Sämtliche in Ziff. 2.2 als Zusammenhangstätigkeiten angeführten Beispiele, nämlich Aufsicht, Führung von Arbeits- und Pensumsberichten, Fertigen von Schülerberichten, Erteilen und Ausfertigen von Zeugnissen, Mitwirkung bei der Erarbeitung von Lehrplänen sowie Vorbereitung und Abnahme von Schulprüfungen, hätten gemeinsam keine Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten oder Lehrplaninhalten zum Gegenstand. Dagegen seien die Tätigkeiten, die die Klägerin im Zusammenhang und während der Mahlzeiten der Kinder verrichte, auf die Vermittlung elementarer Fähigkeiten in dem betreffenden Bereich gerichtet, so daß sie als Unterricht zu qualifizieren seien.
2. Diese Ausführungen werden von der Revision mit Recht bekämpft. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin in den Essenspausen erbrachte Betreuungsarbeit zu Unrecht als "Unterricht" qualifiziert.
a) Aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme bestimmt sich das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen. Es gelten somit auch die Sonderregelungen für Angestellte als Lehrkräfte (SR 2 l BAT) an allgemeinbildenden Schulen und berufsbildenden Schulen. In SR 2 l Nr. 3 BAT ist bestimmt, daß die §§ 15 - 17, 34 Abs. 1 Satz 2 und 3 und § 35 BAT keine Anwendung finden, daß vielmehr "die Bestimmungen für die entsprechenden Beamten" gelten. Zu diesen Lehrkräften gehört die Klägerin, denn sie war in dem Klagezeitraum als Lehrkraft (Klassenleiterin) im Angestelltenverhältnis an einer staatlichen Sonderschule für Geistigbehinderte beschäftigt. Wegen der in SR 2 l Nr. 3 BAT enthaltenen Verweisung auf die entsprechenden beamtenrechtlichen Bestimmungen findet auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin die Überstundenregelung des § 17 BAT keine Anwendung. Durch SR 2 l Nr. 3 BAT wird nicht nur auf Gesetze und Rechtsverordnungen für Beamte Bezug genommen, sondern auch auf die einschlägigen Verwaltungsanordnungen und Erlasse (vgl. BAG 39, 138 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht; BAG 36, 218 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, Kommentar zum BAT, Stand: Juli 1985, Anm. 1 zu SR 2 l Nr. 3). Die Arbeitszeit für Beamte wird gemäß § 76 Abs. 1 des Hamburgischen Beamtengesetzes (HmbBG) i.d.F. vom 29. November 1977 (GVBl. S. 367) durch den Senat geregelt. In der für die Freie und Hansestadt Hamburg geltenden Verwaltungsanordnung des Senatsamts für den Verwaltungsdienst vom 25. September 1974 (Mitteilungen S. 217) ist die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Lehrer auf 40 Stunden festgelegt worden. Die für die Klägerin maßgebliche Pflichtstundenzahl beträgt 26 Unterrichtsstunden pro Woche. Den im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrkräften steht ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung nur dann zu, wenn sie über die maßgebliche Pflichtstundenzahl hinaus Unterricht erteilen. Dies ergibt sich aus den nach SR 2 l Nr. 3 BAT zur Anwendung gelangenden beamtenrechtlichen Bestimmungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 6, § 5 der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsentschädigung für Beamte vom 26. April 1972, BGBl. I S. 747; Nr. 1.3.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsentschädigung für Beamte vom 6. August 1974, GMBl. S. 386; Nr. 1 in Verbindung mit Nr. 2.2 der Hamburger Richtlinien über Mehrarbeit und Nebenbeschäftigung von Lehrern im Schuldienst vom 1. Dezember 1973). Vergütungspflichtige Mehrarbeit i.S. der Nr. 1 der zuletzt genannten Richtlinien liegt nur dann vor, wenn es sich dabei um eine im Rahmen des Hauptamtes angeordnete oder genehmigte Unterrichtstätigkeit handelt, die über die wöchentliche Pflichtstundenzahl einer Lehrkraft hinausgeht.
b) Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, daß die nach § 41 Abs. 1 i.V. mit § 2 Abs. 4 des Schulgesetzes der Freien und Hansestadt Hamburg - Hamburger SchG - vom 17. Oktober 1977 (GVBl. S. 297) zuständige Behörde dazu ermächtigt ist, in Form von Verwaltungsvorschriften den gesetzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule zu konkretisieren. Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Ermächtigung hat die Beklagte "Richtlinien für die Erziehung und den Unterricht an der Schule für Geistigbehinderte" vom 24. April 1975 erlassen. Die zuletzt genannten Richtlinien gelten aufgrund der Verweisungsregelung in SR 2 l Nr. 3 BAT auch für Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis. Dies gilt ebenso für die "Dienstanweisung für Lehrer und anderes pädagogische Personal an hamburgischen staatlichen Schulen vom 22. Januar 1975" (i.d.F. vom 21. Juli 1977).
Die erwähnte Dienstanweisung vom 22. Januar 1975 (DA) gilt nach deren Ziff. 1.1 auch für Sozialpädagogen und damit auch für die Klägerin. Nach Ziff. 2.2 DA ist der Lehrer "dafür verantwortlich, daß seine Unterrichts- und Erziehungsarbeit den Richtlinien und Lehrplänen entspricht". In der zuletzt genannten Ziffer der DA wird außerdem bestimmt, daß dem Lehrer "die herkömmlichen mit Unterricht und Erziehung zusammenhängenden Aufgaben, z.B. Aufsicht, Führung von Arbeitsberichten oder Pensumheften, Fertigen von Schülerberichten, Erteilen und Ausfertigen der Zeugnisse, Mitwirkung bei der Erarbeitung von Lehrplänen obliegen". Aus den Ziffern 1.3, 1.4.5, 3.2, 3.4.1, 4 und 5 der "Richtlinien über die Erziehung und den Unterricht an der Schule für Geistigbehinderte" vom 24. April 1975 geht hervor, daß die Tätigkeit der Klägerin während der Essenszeiten keinen Unterricht darstellt, sondern zu den in Ziff. 2.2 der DA beispielhaft aufgeführten - mit Unterricht und Erziehung zusammenhängenden - Aufgaben gehört. Gegen die Wirksamkeit dieser nach § 41 Abs. 1 i. V. mit § 2 Abs. 4 Hamburger SchG erlassenen Verwaltungsregelungen bestehen keine Bedenken. Sie verstoßen weder gegen beamtenrechtliche Gesetze oder Verordnungen noch gegen tarifrechtliche Vorschriften. Die hierin enthaltene Bewertung der von Sozialpädagogen während der Essenspausen zu erbringende Betreuungsarbeit i. S. einer Zusammenhangstätigkeit kann angesichts des Umstandes, daß eine exakte Unterscheidung von Unterrichtserteilung und sonstigen Betreuungsmaßnahmen bei der Erziehung von geistigbehinderten Kindern anhand von materiellen Abgrenzungskriterien kaum möglich ist, nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden.
Die Aufgabenstellung der als Klassenleiter beschäftigten Lehrer und Sozialpädagogen wird in Ziff. 1.3 der oben erwähnten Richtlinien im einzelnen festgelegt. Danach sind sie für die Gestaltung von Unterrichts- und Tagesverlauf ihrer Klasse verantwortlich. Sie entwerfen den Unterrichtsplan und beraten ihn mit dem am Unterricht beteiligten Erzieher. Außerdem leiten sie den Erzieher in der Gestaltung der unterrichtsfreien Tageszeit an (Ziff. 1.3 Abs. 3). In Ziff. 1.4.5 der oben genannten Richtlinien ist bestimmt, daß "festliegende Unterbrechungen des Unterrichts die Frühstückspause, das Mittagessen, die Mittagsruhe und die Kaffeepause am Nachmittag sind". Aus der zuletzt genannten Regelung ergibt sich, daß Essenszeiten nicht als Unterrichtszeiten anzusehen sind. Das "Verhaltenstraining während der gemeinsamen Mahlzeiten" gehört nicht zu den in Ziff. 3.2 der oben erwähnten Richtlinien festgelegten Unterrichtsgegenständen, sondern zu den in Ziff. 3.4 aufgeführten "Sondermaßnahmen". In der Stundentafel (Ziffer 4 der oben genannten Richtlinien) sind für "Sondermaßnahmen" keine Lehrerstunden vorgesehen. Dem steht nicht entgegen, daß in dem "Arbeitsplan Vor- und Unterstufe" (Ziff. 5.1.1 der oben genannten Richtlinien) auch die "Essenspausen" mit beispielhaften lebenspraktischen Lernzielen ("Tischdecken, Abräumen, Selbstbesorgung bei Tisch, Streichen von Brot, Schneiden von Obst, Verhalten bei Tisch") erwähnt sind. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, daß nicht der Klassenleiter, sondern der Erzieher in unterrichtsfreien Zeiten dafür verantwortlich ist, die im Unterricht eingeübten sozialen Verhaltensweisen zu festigen (Ziff. 1.3 Abs. 8 Satz 4 der betreffenden Richtlinien). Außerdem führt er Aufsichten in der Mittagsruhe und in den Pausen (Ziff. 1.3 Abs. 8 Satz 5 der betreffenden Richtlinien) durch. Zu den Aufgaben der Klassenleiter gehört es dagegen, den Erzieher bei der Gestaltung der unterrichtsfreien Tageszeit, wozu nach Ziff. 1.4.5 der betreffenden Richtlinien auch die Essenspausen gehören, anzuleiten (Ziff. 1.3 Abs. 3 der betreffenden Richtlinien). Die von einer mit der Klassenleitung betrauten Lehrkraft während der Essenspausen wahrzunehmenden Aufgaben bestehen somit darin, dem mit der Aufsicht betrauten Erzieher die pädagogisch jeweils gebotenen Anweisungen zu erteilen, damit die im "Arbeitsplan Vor- und Unterstufe" für die Essenspausen beispielhaft aufgezeigten lebenspraktischen Lernziele erreicht werden. Die Mitwirkung der Klägerin bei dieser erzieherischen "Sondermaßnahme" stellt nach den insofern eindeutigen Regelungen in den Ziffern 1.4.5, 3.4.1 und der Stundentafel (= Ziffer 4) der betreffenden Richtlinien keine Unterrichtserteilung dar.
c) Angesichts der für Lehrkräfte mit Beamtenstatus unmittelbar und für Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis kraft der Verweisung in SR 2 l Nr. 3 BAT entsprechend geltenden "Richtlinien für die Erziehung und den Unterricht an der Schule für Geistigbehinderte" (vgl. insbesondere Ziffern 1.4.5, 3.4.1 und 4), gegen deren Wirksamkeit keine Bedenken bestehen (s. oben unter II 2 b), sind die Gerichte für Arbeitssachen nicht befugt, die Tätigkeit der Klägerin unter Zugrundelegung von eigenständigen Abgrenzungs- und Bewertungskriterien als Unterricht zu qualifizieren. Es handelt sich um eine als Arbeitszeit zu wertende Zusammenhangstätigkeit.
Da die Klägerin somit keine vergütungspflichtige Mehrarbeit in dem Klagezeitraum erbracht hat, war das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts wiederherzustellen.
Dr. Seidensticker Dr. Steckhan Dr. Becker
Dr. Blaeser Bea
Fundstellen
RdA 1986, 136 |
AP § 17 BAT (LT1-2), Nr 14 |
RiA 1986, 178-179 (T) |