Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialprogramm. Finanzierung durch die Treuhandanstalt
Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Zahlung eines Überbrückungsgeldes, der in einem vor dem 1. Juli 1990 abgeschlossenen Sozialprogramm vorgesehen ist, besteht nicht, wenn die Leistungen aus dem Sozialprogramm von der Finanzierung durch die Treuhandanstalt abhängen und diese keine Mittel zur Verfügung stellt (Fortführung von BAG Urteil vom 11. August 1993 – 10 AZR 485/92 – AP Nr. 70 zu § 112 BetrVG 1972).
Normenkette
BetrVG § 112; AGB-DDR § 28
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 08.12.1992; Aktenzeichen 1 Sa 42/92) |
KreisG Chemnitz (Urteil vom 24.03.1992; Aktenzeichen 6 Ca 2414/91) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 8. Dezember 1992 – 1 Sa 42/92 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch der Beklagten auf Zahlung eines Überbrückungsgeldes aufgrund eines betrieblichen Sozialprogramms (SP).
Die Beklagte war seit dem 19. Februar 1968 beim Rechtsvorgänger der Klägerin, dem VEB R…, zunächst als Ökonomieleiterin und dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Direktion tätig.
Am 12./18. Juni 1990 unterzeichneten der Betriebsdirektor des VEB Robotron, der Rat des Betriebsdirektors und der Vorsitzende des Betriebsvorstandes der IG Metall ein “Sozialprogramm” zur Milderung und zum Ausgleich von Nachteilen, die den Arbeitnehmern der Klägerin durch damals bevorstehende Umstrukturierungen erwachsen würden.
In § 6 SP ist u.a. folgendes festgelegt:
- “
Arbeitnehmer, die in der neuen Tätigkeit ihren bisherigen Nettodurchschnittslohn nicht wieder erreichen, erhalten Überbrükkungsgeld für 1 Jahr.
Das Überbrückungsgeld wird in Höhe der voraussichtlichen Minderung des Nettodurchschnittslohnes mit Aufnahme der neuen Arbeitsaufgabe als Gesamtbetrag gezahlt.”
§ 14 SP trifft als “Schlußbestimmungen”, soweit hier von Interesse, folgende Regelung:
“Zur Finanzierung dieses Sozialprogramms ist es erforderlich, finanzielle Mittel von der Treuhandanstalt zu erhalten. Die Partner vereinbaren daher, gemeinsam bei den zuständigen Ministerien und der Treuhandanstalt vorstellig zu werden, um die notwendigen Finanzierungen einzufordern.”
Mit Schreiben vom 15. Juni 1990 beantragte die Klägerin bei den zuständigen Ministerien und mit Schreiben vom 25. Juni 1990 bei der Treuhandanstalt Mittel zur Finanzierung des Sozialprogramms. Im Juni 1990 leistete sie noch aus eigenen Mitteln Zahlungen in Ostmark an Arbeitnehmer, die bereits von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen waren. Mit Schreiben vom 2. Juli 1990 und 17. Juli 1990 wurde eine staatliche Finanzierung abgelehnt.
Am 6. September 1990 unterzeichneten die Parteien mit Wirkung ab 1. September 1990 im Zusammenhang mit den betrieblichen Umstellungen einen Änderungsvertrag, der für die Beklagte eine andere Tätigkeit und eine um monatlich 250,00 DM brutto (156,50 DM netto) geringere Vergütung vorsah. Vor Abschluß des Bnderungsvertrages erklärte der Personalleiter der Klägerin gegenüber der Beklagten, sie könne Überbrückungsgeld beziehen und er werde dies befürworten.
Im November 1990 lehnte die Klägerin die Zahlung von Überbrückungsgeld ab. Mit Schreiben vom 11. Dezember 1990 erhielt die Klägerin auch von der Treuhandanstalt die Mitteilung, daß Mittel für das Sozialprogramm nicht zur Verfügung ständen.
Gegen die Ablehnung der Zahlung des Überbrückungsgeldes rief die Beklagte die betriebliche Schiedsstelle an. Diese entschied mit Beschluß vom 19. April 1991, daß die Klägerin aufgrund des Sozialprogramms verpflichtet sei, an die Beklagte für die Monate September 1990 bis März 1991 Überbrückungsgeld i.H.v. 1.880,00 DM zu zahlen. Gegen diesen Beschluß legte die Klägerin am 3. Mai 1991 Einspruch beim Kreisgericht ein.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, der Beklagten stehe kein Anspruch auf Überbrückungsgeld aus dem Sozialprogramm zu. Das Sozialprogramm sei unwirksam, da die Vertragschließenden nach dem bis zum 1. Juli 1990 geltenden Recht der DDR nicht zum Abschluß einer derartigen Vereinbarung befugt gewesen seien. Zumindest sei es unwirksam geworden, nachdem § 121 AGB-DDR, der die Zahlung von Überbrückungsgeld regelte, zum 1. Juli 1990 aufgehoben worden sei. Im übrigen sei die nach § 14 des Sozialprogramms erforderliche Finanzierung durch die Treuhandanstalt nicht erfolgt. Der Beklagten stehe auch kein individualrechtlicher Anspruch aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beschluß Nr. 10/91 der Schiedsstelle der A… AG vom 19. April 1991 aufzuheben und den Antrag der Beklagten auf Zahlung von 1.880,00 DM Überbrückungsgeld als unbegründet abzuweisen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
widerklagend,
die Klägerin zu verurteilen, an sie (7 × 250,00 DM brutto =) 1.750,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen hieraus seit Antragstellung zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hält die Regelung über die Zahlung von Überbrückungsgeld in § 6 des Sozialprogramms für wirksam. Sie meint im übrigen, ihr stehe ein Anspruch nach Vertrauensschutzgesichtspunkten zu, da ihr bei Abschluß des Änderungsvertrages die Zahlung des Überbrückungsgeldes zugesichert worden sei. Zumindest sei die Klägerin an die Regelungen im Sozialprogramm unter dem Gesichtspunkt einer Gesamtzusage gebunden.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Zahlungsbegehren weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht erkannt, daß der Beklagten ein Anspruch auf Überbrükkungsgeld nicht zusteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, ein kollektivrechtlicher Anspruch der Beklagten auf Überbrückungsgeld scheitere daran, daß § 121 AGB-DDR, der ein Überbrückungsgeld vorsah, mit dem 30. Juni 1990 ersatzlos gestrichen worden sei. Nach diesem Zeitpunkt hätten Ansprüche auf Überbrückungsgeld deshalb nicht mehr entstehen können. Der Beklagten stehe auch kein individualrechtlicher Anspruch zu. Die Zahlung sei durch den Personalleiter nicht zugesichert worden. Dieser habe nur in Aussicht gestellt, daß er die Zahlung an die Beklagte befürworten werde.
II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis zuzustimmen. Der Beklagten steht ein Anspruch auf Überbrückungsgeld weder aus dem Sozialprogramm noch auf einzelvertraglicher Grundlage zu.
1. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Sozialprogramm als Betriebskollektivvertrag i.S.v. § 28 AGB-DDR oder als Normenvertrag besonderer Art zu bewerten ist und der Betriebsdirektor, der Rat des Betriebsdirektors und der Vorsitzende des Betriebsvorstandes der IG Metall als Vertragspartner überhaupt legitimiert waren, durch eine derartige Vereinbarung Ansprüche auf Überbrükkungsgeld zu begründen (vgl. BAG Beschluß vom 26. Mai 1992 – 10 ABR 63/91 – AP Nr. 1 zu § 28 AGB-DDR).
Ein Anspruch der Beklagten auf Überbrückungsgeld aus dem Sozialprogramm als kollektivrechtliche Anspruchsgrundlage ist schon deshalb nicht begründet, weil es an der nach § 14 des Sozialprogramms erforderlichen Finanzierung durch die Treuhandanstalt fehlt.
Der Senat hat bereits im Urteil vom 11. August 1993 (– 10 AZR 485/92 – AP Nr. 70 zu § 112 BetrVG 1972) entschieden, daß keine rechtlichen Bedenken dagegen bestehen, daß die Betriebspartner in einem Sozialplan einen Abfindungsanspruch von einer entsprechenden Zweckzuwendung der Treuhandanstalt abhängig machen. Eine vergleichbare Fallgestaltung ist vorliegend gegeben.
Aus den Schlußbestimmungen des § 14 des Sozialprogramms folgt eindeutig, daß zu seiner Finanzierung erforderlich war, finanzielle Mittel von der Treuhandanstalt zu erhalten. Die Vertragschließenden waren sich damit einig, daß Ansprüche aus dem Sozialprogramm nur entstehen sollten, wenn die Treuhandanstalt die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellte. Damit spricht vieles dafür, daß die Finanzierung des Sozialprogramms durch die Treuhandanstalt von den Vertragschließenden gleichsam als Geschäftsgrundlage für die Umsetzung des Sozialprogramms angesehen wurde (vgl. Belling, Anm. zum Senatsurteil vom 11. August 1993, EWiR 1994, 17).
Durch diese Regelung wurde der wirtschaftlichen Lage der Klägerin im Juni 1990 Rechnung getragen. Dies entsprach der zum 1. Juli 1990 in Kraft tretenden gesetzlichen Regelung in § 112 BetrVG. Die Klägerin verfügte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialprogramms im Juni 1990 nicht über ausreichende eigene Mittel, die im Sozialprogramm vereinbarten Leistungen zu erbringen. Nur in geringem Umfange konnten noch im Juni 1990 Leistungen in Ostmark erbracht werden. Die Begründung weiterer Ansprüche, insbesondere solcher, die erst nach dem 1. Juli 1990 entstehen sollten, kam deshalb nur für den Fall in Betracht, daß diese einer durch Zuwendungen der Treuhandanstalt entsprechend veränderten wirtschaftlichen Lage entsprachen. Ohne die erwarteten und von der Klägerin noch im Juni 1990 bei der Treuhandanstalt geltend gemachten Mittel waren die im Sozialprogramm getroffenen Regelungen wirtschaftlich nicht gerechtfertigt.
Eine Finanzierung des Sozialprogramms durch die Treuhandanstalt ist endgültig gescheitert. Die Klägerin hat dazu vorgetragen, daß sie durch Schreiben der Treuhandanstalt vom 11. Dezember 1990 davon in Kenntnis gesetzt worden sei, daß Mittel zur Finanzierung des Sozialprogramms nicht zur Verfügung ständen. Auch aus dem Vortrag der Beklagten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Treuhandanstalt zum damaligen oder zu einem späteren Zeitpunkt Zuwendungen erbracht oder angekündigt hat. Deshalb war auch eine mögliche Verurteilung zu einer zukünftigen Leistung nach § 259 ZPO (vgl. BAG Urteil vom 10. Dezember 1992 – 8 AZR 20/92 – AP Nr. 1 zu § 20b Parteien-G DDR; BAG Urteil vom 11. August 1993 – 10 AZR 485/92 – AP Nr. 70 zu § 112 BetrVG 1972 nicht in Betracht zu ziehen.
2. Der Beklagten steht auch kein einzelvertraglicher Anspruch auf Überbrückungsgeld zu.
Zutreffend führt das Landesarbeitsgericht aus, daß sich ein solcher nicht aus den Äußerungen des Personalleiters bei Abschluß des Änderungsvertrages ergibt. Wie die Beklagte selbst vorträgt, hat der Personalleiter geäußert, daß sie Überbrückungsgeld beziehen könne und er dies befürworten werde. Mit Recht folgert das Landesarbeitsgericht daraus, daß damit der Beklagten keine Zusage erteilt wurde, Überbrückungsgeld auch dann zu zahlen, wenn die Voraussetzungen nach dem Sozialprogramm dafür nicht vorlägen. Die Äußerung des Personalleiters, die nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der zum damaligen Zeitpunkt allgemeinen Auffassung entsprach, durch das Sozialprogramm werde ein Anspruch auf Überbrückungsgeld begründet, enthält keine von dieser Rechtsgrundlage unabhängige Zusicherung und ist zudem nur darauf gerichtet, daß er den Anspruch der Beklagten befürworten werde.
Soweit die Beklagte darüber hinaus geltend macht, die Klägerin habe sich durch den Abschluß des Sozialprogramms auf betrieblicher Ebene im Sinne einer Gesamtzusage gebunden, kann sie damit keinen Erfolg haben. Selbst wenn eine Umdeutung des Sozialprogramms in diesem Sinne in Betracht käme, stände die entsprechende Selbstbindung der Klägerin doch ebenfalls unter dem Vorbehalt der Finanzierung der zugesagten Leistungen durch die Treuhandanstalt. Diese ist jedoch, wie ausgeführt wurde, gescheitert.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Weinmann, Bacher
Fundstellen
Haufe-Index 856638 |
BB 1994, 1084 |
NZA 1995, 91 |