Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung eines Hochschuldozenten nach Einigungsvertrag. Direktor für internationale Beziehungen
Leitsatz (redaktionell)
Rückläufer zum Urteil des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Juli 1995 – 2 AZR 169/94 –.
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 22. November 1996 – 3 Sa 1148/95-aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 9. Dezember 1992 – 18 Ca 6957/92 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der 1943 geborene Kläger ist habilitierter Diplom-Afrikanist und Diplom-Soziologe. Er steht seit dem Jahre 1971 in einem Arbeitsverhältnis zur Universität Leipzig, und zwar zunächst als wissenschaftlicher Assistent, später als Oberassistent und seit 1987 als Hochschuldozent. Von 1986 bis 1990 übte der Kläger an der Universität die Funktion des „Direktors für internationale Beziehungen” (im folgenden: DIB) aus.
Mit Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 4. September 1992 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen mangelnder persönlicher Eignung und berief den Kläger gleichzeitig von seinem Amt als Dozent ab.
Mit seiner gegen die Kündigung und die Abberufung gerichteten Klage hat der Kläger vorgetragen, er sei als DIB nicht an der Durchsetzung von SED-Zielen beteiligt gewesen. Er sei lediglich mit der Abwicklung technischer Fragen, wie die Bereitstellung von Valuta, die Unterbringung im Ausland, Reisezeiten usw., betraut worden. Zwar habe er als DIB in dienstlichen Angelegenheiten an das MfS berichten müssen. Zur Entscheidung über Reiseanträge sei er jedoch nicht zuständig gewesen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung noch durch die Abberufung vom 4. September 1992 aufgelöst worden sei.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, dem Kläger fehle wegen seiner langjährigen Funktionsträgerschaft für die SED und seine Tätigkeit als DIB die persönliche Eignung für eine weitere Tätigkeit im Hochschuldienst. Der Kläger habe das SED-System nachhaltig unterstützt und Mitarbeiter und Kollegen durch zögerliche Bearbeitung von Reiseanträgen behindert.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Auf die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Beklagten hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts die zweitinstanzliche Entscheidung durch Urteil vom 26. Juli 1995 (– 2 AZR 169/94 –) aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Zweite Senat hat ausgeführt, es müsse aufgeklärt werden, ob der Kläger in seiner Funktion als DIB in einer herausragenden Funktion an der Umsetzung der SED-Ziele beteiligt gewesen sei. Im erneuten Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Das Landesarbeitsgericht hat nunmehr auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Kündigung vom 4. September 1992 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.
1. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die mangelnde persönliche Eignung des Klägers im Sinne des Abs. 4 Ziff. 1 EV ergebe sich aus seiner Funktion als DIB. Zwar habe der DIB sowohl dem 1. Prorektor wie der Hauptabteilung Internationale Beziehungen des Ministeriums für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR unterstanden, so daß der Spielraum des DIB eingeengt gewesen sei. Auf dem Gebiet der Auslandsdienstreisen sei der DIB deshalb de facto zu einem bloßen Verwaltungs- und Vollzugsorgan degradiert gewesen und habe vorwiegend Aufgaben in technischen, organisatorischen und analytischen Bereichen zu erfüllen gehabt. Generelle Aufgabe des DIB sei allerdings die Gestaltung und Verwaltung der Gesamtheit der akademischen Auslandsbeziehungen der Universität gewesen. Der DIB sei zwar nicht zuständig für die Gewährung und Verweigerung des Reisekaderstatus gewesen. Er habe aber als Mitglied der Beratungs- und Kontrollgruppe des Rektors Einfluß auf die Auswahl und die Bestätigung von Auslands- und Reisekadern nehmen können.
Der Kläger sei damit als DIB an hervorgehobener Stelle für die Reglementierung der Reisen von Universitätsangehörigen in das (westliche) Ausland mitverantwortlich gewesen. Diese hervorgehobene Position habe zu engen dienstlichen Kontakten zum MfS geführt, weil vor jeder Auslandsreise eine Überprüfung durch das MfS anzustellen gewesen sei und ausländische Gäste durch das MfS beobachtet worden seien.
Zwar könne dem Kläger nicht nachgewiesen werden, die Reiseanträge im Fall der Frau Dr. T. bewußt verzögert oder sogar torpediert zu haben. Es komme aber gar nicht darauf an, ob der Kläger besonders negativ gewirkt habe. Seine Stellung als DIB beweise seine besondere Nähe zum SED-Staat. Dies indiziere seine mangelnde Eignung, als Universitätsdozent seine dienstlichen Aufgaben glaubwürdig nach den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wahrzunehmen.
Wesentliche Entlastungstatsachen seien nicht ersichtlich. Die Betätigungen des Klägers nach der „Wende” belegten lediglich, daß der Kläger unbestrittener Fachmann auf seinem Gebiet sei und ein besonderes fachliches Engagement zeige.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht leitet zu Unrecht aus der früheren Tätigkeit des Klägers als DIB seine mangelnde Eignung für eine Tätigkeit als Hochschuldozent her.
1. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung, ob eine mangelnde persönliche Eignung im Sinne des Abs. 4 Ziff. 1 EV besteht, eine umfassende Einzelfallprüfung verlangt und im Rahmen der Gesamtwürdigung die Ausübung bestimmter Aufgaben in der früheren DDR nur dann belastend gewertet, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hatte, aufgrund derer er in herausgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – BAGE 76, 323 = AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX).
2. Der Kläger hatte als DIB weder in herausgehobener Stellung noch überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken.
a) Das Amt des Klägers als DIB war nicht partei-ideologisch ausgerichtet. Der Beklagte hat weder eine besondere Parteinähe des DIB-Amts vorgetragen, noch hat er behauptet, der Kläger habe Parteiarbeit geleistet. Dem Kläger oblag keine politische Kontroll- oder Berichtstätigkeit für die SED. Hierunter fallen die dienstlichen Melde- und Auskunftspflichten des Klägers gegenüber dem MfS nicht. Solche dienstlichen Verpflichtungen gegenüber dem MfS bestanden im System der DDR vielfach, z.B. bei Behördenleitern, Abteilungsleitern und Schuldirektoren. Ein Eignungsmangel im Sinne des Abs. 4 Ziff. 1 EV ist damit nicht verbunden (vgl. Urteil des Senats vom 12. Dezember 1996 – 8 AZR 219/95 –, n.v., zu B III 1 a der Gründe; Urteil des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 30. August 1995 – 2 AZR 692/94 –, n.v., zu II 2 der Gründe).
b) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei als DIB an hervorgehobener Stelle für die Reglementierung der Reisen der Universitätsangehörigen verantwortlich gewesen, steht zu den getroffenen Feststellungen im Widerspruch. Gegen die hervorgehobene Stellung des DIB spricht bereits, daß dieser direkt dem 1. Prorektor der Universität unterstellt war, so daß sein Entscheidungsspielraum eingeengt war. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen das Landesarbeitsgericht folgt, war der DIB auf dem Gebiet der Auslandsdienstreisen zu einem bloßen Verwaltungs- und Vollzugsorgan degradiert. Der DIB war weder für die Bestimmung der Reisekader noch für die Genehmigung einer Auslandsreise zuständig, sondern hatte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts allenfalls als Mitglied der Beratungs- und Kontrollgruppe des Rektors ein Mitwirkungsrecht. Die fehlende Ausreisefreiheit ergab sich aus der Rechtslage in der DDR. Der Kläger hatte sich als DIB in dem vorgegebenen Rahmen zu bewegen, ohne eine nennenswerte Verantwortung für diese Rechtslage und deren Folgen zu tragen.
3. Eine mangelnde persönliche Eignung des Klägers kann auch nicht mit seiner individuellen Amtsführung als DIB begründet werden. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß dem Kläger keine besonders negative Amtsführung angelastet werden könne. Dem Kläger könne auch nicht nachgewiesen werden, daß er die Reiseanträge im Fall der Frau Dr. T. bewußt verzögert oder torpediert habe. Diese Feststellungen greift der Beklagte erfolglos mit Verfahrensrügen an. Der Vortrag des Beklagten ist schon deshalb unbehelflich, weil die bloße verzögerliche Behandlung zweier Reiseanträge durch den Kläger ohnehin nicht ausreichend wäre, seine mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV zu begründen. Angesichts der in der früheren DDR fehlenden Ausreisefreiheit hätte es schon eines Vortrags des Beklagten bedurft, der Kläger habe durch seine Amtsführung als DIB die in der DDR bestehenden beschränkten Ausreisemöglichkeiten über den Einzelfall hinausgehend allgemein durch willkürliche oder schikanöse Behandlung der Reiseanträge weiter eingeschränkt.
Nach alledem läßt sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten in der Revisionsinstanz nicht feststellen, der Kläger habe in repressiver oder schädigender Form sein Amt als DIB zu Lasten der betroffenen Bürger ausgeübt, was als Indiz für eine Nichteignung im heutigen öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland gewertet werden könnte (vgl. dazu BVerfG Beschluß vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140, 156 f. = AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu C I 3 b bb der Gründe).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Noack, Hannig
Fundstellen