Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang. Verpflegungsstelle für Feriengäste
Normenkette
BGB §§ 613a, 615 S. 1; SGB X § 115 Abs. 1; AFG § 141m Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 21.11.1996; Aktenzeichen 7 Sa 609/94) |
ArbG Halberstadt (Urteil vom 26.04.1994; Aktenzeichen 1 Ca 20/94) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 21. November 1996 – 7 Sa 609/94 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus übergegangenem Recht im Anschluß an einen angeblichen Betriebsübergang auf den Beklagten.
Die Arbeitnehmer K., N., P., Pr., S., Se., T. und V. waren bei dem zum FDGB gehörenden „Organisationseigenen Betrieb (OEB) Reisebüro der Gewerkschaften Feriendienst” (künftig: FEDI) beschäftigt. Sie arbeiteten in der ehemaligen Verpflegungsstelle „H.” in E.. Dabei handelte es sich um eine Einrichtung des FEDI, die der gastronomischen Versorgung (Vollpension) der Feriengäste diente, die über den FDGB in Privatquartieren in E. untergebracht waren.
Der FEDI kündigte allen Arbeitnehmern der Verpflegungsstelle „H.” am 2. Januar 1991 ordentlich zum 30. April bzw. 31. Juli 1991 und stellte sie mit sofortiger Wirkung von der Arbeit frei.
Mit Vertrag vom 14. Januar 1991 pachtete der Beklagte „mit Wirkung vom Januar 1991” von der Treuhandanstalt die von dieser „treuhänderisch verwalte-Grundstücke, Flur 18, Flurstück 194/59 in E. mit den aufstehenden Gebäuden und Anlagen, bestehend aus: Ferienhotel ‚H.’ und Nebengebäude”. Gegenstand des Pachtvertrags waren „weiterhin die in den Gebäuden vorhandenen und zum Pachtobjekt gehörenden Einrichtungsgegenstände und Wirtschaftszubehör”. Ausdrücklich nicht Gegenstand des Vertrages war „die Übernahme des Hotelpersonals”.
Nach einer Gewerbeanmeldung vom 11. März 1991 betrieb der Beklagte seit dem 13. März 1991 in den Räumlichkeiten der ehemaligen Verpflegungsstelle „H.” eine „Jugendkneipe/Bistro-Cafe”.
Am 24. Mai 1991 eröffnete das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen des FEDI.
Die Klägerin erbrachte den oben namentlich genannten Arbeitnehmern ab 1. Februar 1991 Leistungen, nach ihrer Aufstellung insgesamt 70.219,52 DM an Konkursausfallgeld, Arbeitslosengeld sowie Krankenversicherungs- und Rentenversicherungsbeiträgen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Vergütungsansprüche der in der Verpflegungsstelle ehemals beschäftigten Arbeitnehmer seien auf sie übergegangen. Der Beklagte sei ab dem 15. Januar 1991 in die Arbeitsverhältnisse eingetreten, da er den Betrieb „H.” mittels Pachtvertrag übernommen habe. Die Kündigungen seien wegen des Betriebsübergangs erfolgt und deshalb unwirksam. Der Betrieb sei nicht stillgelegt worden. Mit dem Pachtvertrag habe der Beklagte die tatsächliche möglichkeit der Betriebsfortführung erlangt. Der Charakter des Betriebes, nämlich Absatz von Speisen und Getränken, sei im wesentlichen erhalten geblieben.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 70.219,52 DM zuzüglich 7,75 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, die Verpflegungsstelle sei zum Jahresende 1990 stillgelegt worden. Er habe kein betriebsbereites Objekt angepachtet. Ein Betriebsübergang liege nicht vor. Das Bistro-Cafe als Jugendkneipe stelle gegenüber der ehemaligen Verpflegungsstelle etwas ganz anderes dar. Alle Arbeitnehmer hätten Aufhebungsverträge zum 30. April 1991 abgeschlossen und wegen der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag unverändert weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei unbegründet, da kein Betriebsübergang auf den Beklagten stattgefunden habe. Mit der Anpachtung der Immobilie durch den Beklagten sei weder das Sortiment an Speisen und Getränken, noch die Betriebsform, noch der Kundenkreis erhalten geblieben. Zudem werde die Immobilie nur teilweise genutzt. Die vom FEDI betriebene Verpflegungsstelle habe dazu gedient, im Rahmen des organisierten, staatlich gelenkten Tourismus der ehemaligen DDR die pauschale Vollverpflegung der in E. untergebrachten Feriengäste des FDGB zu sichern. Der Geschäftsbetrieb einer Verpflegungsstelle sei darauf zugeschnitten gewesen, eine feststehende Zahl von durch den FDGB verschickten Feriengästen zu bestimmten Tageszeiten mit Speisen und Getränken zu versorgen; die Verpflegung sei bereits vor Reiseantritt bezahlt und häufig vom Betrieb oder dem FDGB bezuschußt worden. Damit sei der Verpflegungsstelle die Kundschaft zugeführt worden. Sie habe aufgrund des zugewiesenen Kundenstammes nicht werbend am Markt tätig sein müssen. Nach der vollständigen Einstellung des Geschäftsbetriebes des FEDI seien die Verpflegungsstellen einschließlich der Verpflegungsstelle „H.” nicht mehr in Funktion gewesen. Der FDGB biete nicht mehr in den Betrieben Ferienplätze mit Vollverpflegung an, für die sich seine Mitglieder bewerben können und zugeteilt werden. Der Betrieb eines Bistros/Jugendkneipe durch den Beklagten erfolge in anderer Betriebsform. Er versorge, wenn auch in einem Teil der Räumlichkeiten der ehemaligen Verpflegungsstelle, zwangsläufig einen anderen Kundenkreis. Der Betreiber müsse täglich mit seinen angebotenen Speisen und Getränken um einen gänzlich anderen Gästekreis (Jugendliche) werben. Die Versorgung eines feststehenden und zugeteilten Personenkreises mit Verpflegungsschecks zu bestimmten Tageszeiten stelle demgegenüber etwas wesentlich anderes dar.
B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
Nach § 115 Abs. 1 SGB X geht, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über. Abweichend hiervon gehen die Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die den Anspruch auf Konkursausfallgeld begründen, bereits mit der Stellung des Antrages auf Konkursausfallgeld auf die Bundesanstalt über (§ 141 m Abs. 1 AFG). Der Anspruch auf Arbeitsentgelt kann nur so übergehen, wie er besteht. Fehlt es an einzelnen Anspruchsvoraussetzungen, kann kein Anspruchsübergang erfolgen (vgl. von Maydell/Schellhorn, GK-SGB X 3, § 115 Rz 6 f.; Schroeder-Printzen/Schmalz, SGB X, 2. Aufl., § 115 Anm. 3).
II. Als übergegangene Ansprüche kommen nur solche aus Annahmeverzug (§ 615 Satz 1 BGB) in Betracht. Die Arbeitnehmer, die von der Klägerin Sozialleistungen erhalten haben, haben unstreitig zu keiner Zeit bei dem Beklagten gearbeitet. Die Klägerin hat die Voraussetzungen für einen Annahmeverzug des Beklagten jedoch nicht dargelegt.
1. Allerdings reicht der Vortrag der Klägerin zur Höhe der Vergütungsansprüche der einzelnen Arbeitnehmer und zu den Lohnzahlungszeiträumen aus. Die Klägerin hat im Laufe des Rechtsstreits entsprechende Listen vorgelegt, aus denen sich Vergütungshöhe, Höhe der Sozialleistungen und Zahlungszeiträume ergeben. Der Beklagte hat diesen Vortrag nicht bestritten. Einer näheren Substantiierung der Lohnansprüche bedurfte es daher nicht. Zweifelhaft erscheint nur, ob nicht in den erbrachten Versicherungsbeiträgen Arbeitgeberanteile enthalten sind, die für einen Anspruchsübergang nicht in Betracht kommen.
2. Lohnansprüche aus Annahmeverzug setzen zunächst das Bestehen eines Arbeitserhältnisses voraus. Ein Arbeitsverhältnis könnte hier nur nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB begründet worden sein. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß ein Betriebsübergang auf den Beklagten nicht erfolgt ist.
a) Ein Betriebsübergang setzt die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff „Einheit” bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Eine Einheit darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln (ständige Rechtsprechung des Senats im Anschluß an das Urteil des EuGH vom 11. März 1997 – Rs C-13/95 – EuGHE I 1997, 1259 = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187 [Ayse Süzen]; Senatsurteil vom 22. Mai 1997 – 8 AZR 101/96 – AP Nr. 154 zu § 613 a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 2 der Gründe; Senatsurteil vom 11. September 1997 - 8 AZR 555/95 – AP Nr. 16 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B 1 der Gründe; Senatsurteil vom 11. Dezember 1997 – 8 AZR 426/94 – AP Nr. 171 zu § 613 a BGB, zu B I der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Senatsurteil vom 22. Januar 1998 – 8 AZR 243/95 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu B II 1 der Gründe).
Danach stellt die Verpachtung eines funktionsfähigen Betriebes einen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang dar. Durch sie bleibt die Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit gewahrt. Wird der Betrieb nicht gleichzeitig oder nicht schon vorher stillgelegt, bleibt die organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestehen. Die künftige Stillegung oder Änderung des Betriebs durch den Pächter steht dem Betriebsübergang nicht entgegen. Insoweit genügt die Möglichkeit zu einer unveränderten Fortsetzung des Betriebs seitens des Pächters (vgl. auch Senatsurteil vom 27. April 1995 – 8 AZR 197/94 – BAGE 80, 74 = AP Nr. 128 zu § 613 a BGB, zu B II 2 b und 3 a der Gründe; BAG Urteil vom 19. November 1996 – 3 AZR 394/95 – AP Nr. 152 zu § 613 a BGB, zu II 1, 2 der Gründe).
b) Der Betrieb „Verpflegungsstelle H.” war bei Beginn des Pachtverhältnisses am 15. Januar 1991 bereits stillgelegt. Der Beklagte hat nicht einen funktionsfähigen Betrieb gepachtet, sondern im März 1991 einen neuen Betrieb eröffnet. Die Identität der wirtschaftlichen Einheit ist nicht erhalten geblieben.
Eine Einrichtung zur gastronomischen Versorgung (Vollpension) der Ferienfäste, die in Privatquartieren im gesamten Ort E. untergebracht waren, bestand am 15. Januar 1991 nicht mehr und konnte auch nicht wieder eingerichtet werden. Der Beklagte hat mit der Eröffnung einer „Jugendkneipe” bzw. eines „Bistro-Cafes” einen ganz andersartigen Betrieb eröffnet, der nicht nur anderen Zwecken diente, sondern auch andere Betriebsabläufe, -tätigkeiten und -methoden sowie anderes Personal erforderte. Die bisherigen Betriebsmittel (Großküche, Speisesaal, Verwaltung) waren hierfür nicht brauchbar. Unerheblich ist, ob etwa einzelne Arbeitnehmer auch die Arbeit in der Jugendkneipe bewältigt hätten.
Der Beklagte hat nicht selbst frei entschieden, einen übernommenen Betrieb stillzulegen und stattdessen die bezeichnete neue betriebliche Tätigkeit aufzunehmen. Vielmehr wäre eine im wesentlichen unveränderte Fortführung der Verpflegungsstelle völlig unmöglich gewesen. Aufgrund der Auflösung des FDGB und der Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse bestand für den Betrieb einer Verpflegungsstelle im bisherigen Sinne endgültig kein Bedürfnis mehr. Dementsprechend hat die Klägerin nicht einmal ansatzweise vorgetragen, der Beklagte habe dieselbe oder eine ähnliche Tätigkeit fortgeführt, er habe auch nur einen Teil der Arbeitnehmer übernommen, er habe die Kundschaft oder einen Teil derselben behalten oder sonstige immaterielle Aktiva der Verpflegungsstelle genutzt. Zwar hat der Beklagte die alten sächlichen Betriebsmittel erhalten, doch hat er diese weder unverändert weiter genutzt, noch hätte er dies überhaupt tun können. Er hat die bisherige Betriebs- und Produktionsgemeinschaft nicht übernommen (und dann aufgelöst), sondern nur einzelne Betriebsmittel der ehemaligen Verpflegungsstelle erworben.
3. Da schon kein Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten bestand, kommt es auf die weiteren Voraussetzungen eines Annahmeverzugs nach den §§ 293 ff. BGB nicht an.
C. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Noack, Hannig
Fundstellen
Haufe-Index 1257092 |
ZInsO 1999, 362 |