Entscheidungsstichwort (Thema)
Beihilfeanspruch für Heimunterbringung eines Kindes
Normenkette
BMT-G §§ 40, 14 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 01.12.1992; Aktenzeichen 6 Sa 247/92) |
ArbG Wuppertal (Urteil vom 16.01.1992; Aktenzeichen 2 Ca 4457/91) |
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 1. Dezember 1992 – 6 Sa 247/92 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Beihilfe zu den Kosten der dauernden Anstaltsunterbringung seiner behinderten Tochter hat, nachdem die Kosten vom Träger der Sozialhilfe erbracht wurden.
Der in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherte Kläger war vom 1. Juni 1970 bis zum Eintritt in seinen Ruhestand am 31. März 1990 als Arbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen (BMT-G) Anwendung. Die Beklagte gewährt Arbeitern Beihilfen in Krankheitsfällen, u.a. nach einer von ihr verfaßten Bekanntmachung der Arbeitsverwaltung Nr. 2/72 vom 4. Januar 1972. Diese lautet:
„Betr.: Beihilfen nach der Beihilfeverordnung (BVO)
Mit Wirkung vom 1. Januar 1971 wurde die Beihilfeverordnung geändert. Die wesentliche Änderung beruht darauf, daß die freiwillig versicherten Angestellten ab 1. Januar 1971 vom Arbeitgeber nach § 405 RVO einen Zuschuß zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag erhalten können. Bei den Angestellten mit einem solchen Zuschuß sind die Aufwendungen im Grundsatz nur noch insoweit beihilfefähig, als sie über die zustehenden Leistungen der RVO-, Ersatz- oder Privatkassen hinausgehen.
Zum 1.1.1972 erfolgt die Übernahme der Lohnempfänger in die Beihilfeverordnung. Damit sind die Lohnempfänger den pflichtversicherten Angestellten gleichgestellt. Das bedeutet, daß sie Anspruch auf Beihilfen zu den Kosten für Zahnersatz, kieferorthop. Behandlungen, Beerdigungen, für die Anschaffung von größeren Hilfsmitteln, wie Hörgeräte usw., sofern die Krankenkassen nur Zuschüsse gewähren, haben. Außerdem werden Zuschüsse zur Säuglings- und Kleinkinderausstattung gewährt.
Wir bitten zu beachten, daß alle Rechnungen, die zur Gewährung von Beihilfen eingereicht werden, mit dem Erstattungsvermerk der Krankenkassen versehen sein müssen. Ferner weisen wir nochmals darauf hin, daß zur Erlangung einer Beihilfe nach der BVO die Anerkennung der Festsetzungsstelle (Abt. 31/3) vor Durchführung einer Maßnahme in folgenden Fällen erforderlich ist:
- …
- …
- …
bei Sanatoriumsaufenthalten (§ 5 BVO)
… „
Die 1960 geborene Tochter des Klägers ist wegen einer körperlichen und geistigen Behinderung in einem Wohnheim der Lebenshilfe e.V. in Wuppertal untergebracht. Die Kosten der Unterbringung trägt der Landschaftsverband Rheinland im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz. Dieser leitete mit Schreiben vom 9. Mai 1985 und 16. März 1991 den Unterhaltsanspruch der Tochter gegenüber dem Kläger in Höhe der dem Kläger von der Beklagten zu den Kosten einer dauernden Anstaltsunterbringung der Tochter zu gewährenden Beihilfe auf sich über. Der Überleitungsanzeige vom 16. März 1991 war eine Kostenaufstellung für den Zeitraum vom 29. März 1985 bis 31. Dezember 1989 beigefügt. Am 29. März 1991 beantragte der Kläger bei der Beklagten Beihilfe. Den Antrag lehnte die Beklagte ab. Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Leistung von Beihilfe in Höhe von 138.267,00 DM.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei nach den bei ihr bestehenden betrieblichen Beihilferegelungen in Verbindung mit § 40 BMT-G und § 5 Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (BVO NW) vom 27. März 1975 (GV. NW. S. 332) zur Gewährung der beantragten Beihilfe an ihn verpflichtet.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 138.267,00 DM nebst 8 % Zinsen seit 4. Dezember 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, es fehle bereits an einem Notstand im Sinne des § 40 BMT-G, da die Kosten der Unterbringung nicht vom Kläger, sondern von dem Landschaftsverband Rheinland aufgebracht worden seien. Die Kosten einer Anstaltsunterbringung eines behinderten Kindes seien nach den bei ihr bestehenden Beihilferegelungen nicht beihilfefähig, da die BVO NW von ihr in modifizierter Form angewendet werde. Beihilfen für Aufwendungen im Sinne von § 5 BVO NW seien nicht vorgesehen. Auch sei das Wohnheim der Lebenshilfe e.V. in Wuppertal keine Einrichtung im Sinne von § 5 BVO NW.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seien Klageantrag weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe die verlangte Beihilfe nicht zu, weil sich aus der Bekanntmachung der Arbeitsverwaltung vom 4. Januar 1972 ergebe, daß die Beklagte sich die Beihilfegewährung für Aufwendungen bei dauernder Anstaltsunterbringung im Einzelfall vorbehalten habe. Die Nichtgewährung von Beihilfe im vorliegenden Fall stehe daher im zutreffend ausgeübten Ermessen der Beklagten.
II. Diese Ausführungen des angefochtenen Urteils halten der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nicht stand. Ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf die verlangte Beihilfe hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Insoweit bedarf es weiterer tatrichterlicher Feststellungen.
1. Der Kläger kann seinen Anspruch nicht unmittelbar aus der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen im Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (BVO NW) vom 27. März 1975 (GV. NW. S. 332) bzw. der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen an Angestellte, Arbeiter und Auszubildende NW (BVO AnG) vom 9. April 1965 (GV. NW. S. 108) herleiten.
Der Kläger gehört nicht zu den in § 1 BVO NW aufgeführten Kreis der beihilfeberechtigten Personen. Auch die BVO Ang, nach deren § 1 Angestellte und Arbeiter im Dienst des Landes, der Gemeinden, der Gemeindeverbände und der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Beihilfen in entsprechender Anwendung der für Beamte geltenden Bestimmungen erhalten, vermag einen Beihilfeanspruch des Klägers nicht zu begründen. Die Beklagte wird in der Rechtsform einer privaten Aktiengesellschaft betrieben und gehört deshalb nicht zu den in § 1 BVO Ang angeführten Arbeitgebern.
2. Auch aus § 40 BMT-G ergibt sich unmittelbar kein Anspruch des Klägers auf die begehrte Beihilfe. Danach können Arbeiter, deren arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 BMT-G beträgt, beim Vorliegen eines nachgewiesenen Notstands in sinngemäßer Anwendung der Grundsätze für Beamte oder nach den beim Arbeitgeber jeweils geltenden Bestimmungen Beihilfen gewährt werden. Als reine Verweisungsnorm bezieht sich diese Vorschrift, ebenso wie § 40 BAT (vgl. Senatsurteil vom 18. Januar 1983 – 3 AZR 520/80 – AP Nr. 2 zu § 40 BAT), lediglich auf bereits vorhandene Beihilferegelungen des tarifgebundenen Arbeitgebers. Fehlt beim Arbeitgeber eine Beihilferegelung, so greift die Verweisung des BMT-G nicht ein, und ein Anspruch des Arbeitnehmers ist mangels Rechtsgrundlage zu versagen.
Einem Anspruch des Klägers steht nicht entgegen, daß nach § 40 BMT-G Arbeitern „bei Vorliegen eines nachgewiesenen Notstandes …” Beihilfen gewährt werden können. Die Auslegung dieser Regelung ergibt, daß dem Arbeitgeber lediglich ein Ermessen für die Schaffung einer Beihilferegelung eingeräumt wird. Dagegen ist von der Regelung eine Ermessensentscheidung im Einzelfall nicht gedeckt. Das Vorliegen eines Notstandes ist soweit dann anzunehmen, wenn die Beklagte eine Beihilfegewährung für Aufwendungen bei dauernder Anstaltsunterbringung zugesagt hat.
4. Ob sich ein Anspruch des Klägers aus § 40 BMT-G in Verbindung mit den bei der Beklagten geltenden Beihilferegelungen ergibt, kann in der Revisionsinstanz mangels tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden.
a) Der Anspruch des Klägers auf Beihilfe für Aufwendungen bei dauernder Anstaltsunterbringung ist nicht gemäß § 40 Satz 2 BMT-G in der Fassung vom 24. April 1991 ausgeschlossen, weil diese Neuregelung im vorliegenden Fall noch nicht zur Anwendung kommt. Der Kläger hat mit Antrag vom 29. März 1991 Beihilfen für Aufwendungen der Anstaltsunterbringung seiner Tochter in dem Zeitraum vom 29. März 1985 bis 31. März 1990 geltend gemacht. Der Anspruch des Klägers richtet sich damit allein nach § 40 BMT-G in der bis 30. März 1991 geltenden Fassung, die eine Einschränkung von Beihilfeleistungen für Aufwendungen im Sinne von § 5 BVO NW nicht vorsieht.
b) Eine bei der Beklagten geltende Beihilferegelung kann sich aus der Bekanntmachung der Arbeitsverwaltung vom 4. Januar 1972 ergeben.
Das Landesarbeitsgericht hat die Bekanntmachung dahin ausgelegt, daß sich die Beklagte die Gewährung von Beihilfe für Aufwendungen bei dauernder Anstaltsunterbringung im Einzelfall vorbehalten habe. Diese Auslegung ist nicht rechtsfehlerfrei. Das Landesarbeitsgericht hat dabei den wesentlichen Umstand übersehen, daß nach Absatz 2 Satz 1 dieser Bekanntmachung vom Grundsatz her die Lohnempfänger den pflichtversicherten Angestellten gleichgestellt sind. Damit wird es zunächst Feststellungen dazu zu treffen haben, ob an pflichtversicherte Angestellte Beihilfe für Aufwendungen bei dauernder Anstaltsunterbringung gezahlt wird oder nicht. Ohne eine dazu getroffene Feststellung ist die rechtliche Bewertung der in Abs. 3 aufgeführten Beihilfefälle als Regel- oder Ausnahmetatbestand nicht möglich.
Dieser Rechts fehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Da keine Feststellungen dazu getroffen sind, ob die Beklagte an pflichtversicherte Angestellte Beihilfe für Aufwendungen bei dauernder Anstaltsunterbringung gewährt, mußte der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.
c) Für den Fall, daß das Landesarbeitsgericht den Beihilfeanspruch des Klägers bejaht, wird es zu prüfen haben, ob die Notwendigkeit der dauernden Anstaltsunterbringung der Tochter des Klägers gegeben ist und ob die Unterbringung in dem Wohnheim die Voraussetzungen nach § 5 BVO NW erfüllt. Die verlangte Beihilfe ist nur dann begründet, wenn eine Krankheit vorliegt, die nach ärztlicher Feststellung eine dauernde Unterbringung erfordert und durch das vorhandene Personal die erforderliche Pflege gewährleistet ist.
5. Im übrigen wird das Landesarbeitsgericht bei Vorliegen eines Beihilfeanspruchs rechtlich davon ausgehen müssen, daß der Anspruch nicht nach § 13 Abs. 3 BVO NW ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift wird Beihilfe nur gewährt, wenn diese innerhalb einer Antragsfrist von zwei Jahren nach Entstehen der Aufwendungen (§ 3 Abs. 5 Satz 2), spätestens jedoch zwei Jahre nach der ersten Rechnungsstellung beantragt wird. Da die Geltendmachung hier in der Übersendung der Aufstellung über die entstandenen Kosten zu sehen ist (vgl. Senatsurteile vom 24. September 1992 – 6 AZR 307/91 – n. v. und vom 15. Juli 1993 – 6 AZR 685/92 – AP Nr. 2 zu Nr. 1 Beihilfevorschriften, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen), die der Kläger nach dem 16. März 1991 erhalten hat, ist die Frist des § 13 Abs. 3 BVO NW nicht verstrichen. Da die Fälligkeit der Forderung erst zu diesem Zeitpunkt eingetreten ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 1993 – 6 AZR 685/92 –, aaO), ist der Anspruch auch nicht verjährt.
Dem Anspruch steht nicht entgegen, daß die Leistungen zunächst von dem Sozialhilfeträger erbracht wurden. Durch die Überleitung des Unterhaltsanspruchs der Tochter Gabriele gegen den Kläger sind diesem Aufwendungen im Sinne der BVO NW entstanden (vgl. im einzelnen Senatsurteil vom 15. Juli 1993 – 6 AZR 685/92 –, aaO).
III. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mitzuentscheiden haben.
Unterschriften
Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Dr. Wißmann, Dr. Sponer, Bruse
Fundstellen