Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsvereinbarung über Weihnachtsgratifikation. Nachwirkung einer auf das Kalenderjahr abstellenden Regelung. Teilrechte pro rata temporis
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. Senatsbeschluß vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 – (zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen)
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 6, § 87 Abs. 1 Nr. 10; BGB §§ 611, 242
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 07.06.1994; Aktenzeichen 7 Sa 1401/93) |
ArbG Wetzlar (Urteil vom 31.08.1993; Aktenzeichen 1 Ca 310/93) |
Tenor
Die Revision der Klägerin und der Kläger gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 07. Juni 1994 – 7 Sa 1401/93 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation.
Die Beklagte ist die deutsche Tochtergesellschaft eines multinational tätigen Konzerns der Elektro- und Elektronikindustrie. Die Klägerin zu 1) ist seit dem 1. Oktober 1980 als Angestellte, der Kläger zu 2) seit dem 11. Januar 1986 als Angestellter und der Kläger zu 3) seit dem 19. November 1982 als Arbeiter im Betrieb „P. W.” der Beklagten beschäftigt. In ihren zahlreichen Betrieben wendet die Beklagte die jeweiligen regionalen Tarifverträge der Elektro-, Eisen- und Metallindustrie an, darunter auch die für alle Tarifbezirke gleichlautende Regelung einer jährlichen Sonderzahlung. Seit etwa 1953 gewährte die Beklagte zu Weihnachten ihren Arbeitnehmern eine zusätzliche Sonderzahlung. Dies geschah jeweils unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit. Die Höhe der Weihnachtsgratifikation war abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Sie wurde wiederholt aufgestockt und erreichte zuletzt einen Spitzenbetrag von 170 % eines Monatsgehalts.
1979 wurde die Weihnachtsgratifikation erstmals in einer mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung geregelt (Betriebsvereinbarung Nr. 12). Eine Kürzung gegenüber der für 1978 gezahlten Gratifikation fand nicht statt. In der Folgezeit wurde die Gratifikation jährlich durch Betriebsvereinbarung festgelegt. 1980 wurde in der Betriebsvereinbarung Nr. 16 erstmals ein linearer Abzug von 9,5% bei allen Betriebszugehörigkeitsgruppen vorgenommen. 1982 regelten die Beteiligten die Weihnachtsgratifikation in der Betriebsvereinbarung Nr. 21. Sie enthielt u.a. folgende Bestimmungen:
Weihnachtsgratifikation allgemein
Nach sorgfältiger Abwägung der Interessen der Mitarbeiter (Gehalts- und Lohnempfänger sowie Auszubildenden) und der wirtschaftlichen Möglichkeit des Unternehmens sind Geschäftsführung und Gesamtbetriebsrat übereingekommen, die Gratifikation auf einen 13. Monatsverdienst zu begrenzen. Soweit im Jahre 1981 eine höhere Gratifikation bezahlt wurde, bleiben den betreffenden Mitarbeitern die der Berechnung per 1. Dezember 1981 zugrundeliegenden Prozentsätze/Anzahl Stundenlöhne als Besitzstand erhalten.
Weihnachtsgratifikation 1982
Danach zahlt die P. GmbH im Jahre 1982 an ihre Mitarbeiter eine Weihnachtsgratifikation nach folgenden Regeln:
A. Höhe der Weihnachtsgratifikation
…
2. Soweit Mitarbeiter im Jahre 1981 eine höhere Gratifikation erhalten haben, als sich nach A.1. ergibt, ist ihre Gratifikation nach den Berechnungsmodalitäten/Prozentsätze bzw. Anzahl Stundenlöhne) zu ermitteln, die der Gratifikationsberechnung per 01.12.1981 zugrunde lagen.
…
7. Die sich nach den vorstehenden Bestimmungen ergebenden Beträge sind um 9 % zu kürzen. Diese Kürzung gilt nicht für Mindestbeträge und für Gratifikationszahlungen an Auszubildende.
B. …
C. Sonstige Bestimmungen
…
5. Die vorstehend vereinbarten Unternehmens Zuwendungen sind freiwillige Leistungen, soweit sie tarifliche Ansprüche übersteigen. Aus ihrer Zahlung kann insofern kein weiterer Anspruch in bezug auf Zahlung und Höhe für die Zukunft hergeleitet werden.
Auch in den Folgejahren schlossen die Betriebspartner jährlich eine neue Betriebsvereinbarung über die Zahlung der Weihnachtsgratifikation. In diesen Betriebsvereinbarungen wurde jeweils festgehalten, daß die Gratifikation derjenigen Mitarbeiter, die 1981 eine höhere Gratifikation erhalten hatten, nach den Sätzen der Betriebsvereinbarung Nr. 21 zu berechnen sei. Außerdem war in allen Betriebsvereinbarungen eine Klausel enthalten, wonach die Zuwendung eine freiwillige Leistung sei, soweit sie die tarifliche Zuwendung übersteige; aus der Zahlung könne kein Anspruch für die Zukunft hergeleitet werden. Eine entsprechende Regelung wurde zuletzt am 9. Oktober 1991 mit der Betriebsvereinbarung Nr. 59 für das Jahr 1991 getroffen.
In der Zeit zwischen dem 22. September und 28. Oktober 1992 verhandelten die Betriebspartner über die Gratifikation für das Jahr 1992. Eine Vereinbarung kam jedoch nicht zustande, da die Beklagte eine Leistungskürzung anstrebte, mit der der Gesamtbetriebsrat nicht einverstanden war. Die Beklagte kündigte daraufhin den Mitarbeitern mit einem Rundschreiben vom 5. November 1992 die Zahlung eines um 20 % gekürzten Weihnachtsgeldes an. Die Leistung stehe unter dem Vorbehalt einer etwaigen Regelung durch die Einigungsstelle. Außerdem wurde auf die Freiwilligkeit der Zahlung hingewiesen. Denjenigen Mitarbeitern, die auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung Nr. 21 im Jahre 1991 eine höhere Gratifikation erhalten hatten, wurde die ungeschmälerte Zahlung auch für 1992 zugesagt. Die Beklagte wies zugleich darauf hin, daß sie – nach entsprechender Kündigung der Betriebsvereinbarung Nr. 21 – für 1993 keine über das tarifliche Mindestmaß (damals maximal 60 % eines Monatsgehalts) hinausgehende Gratifikation zahlen werde.
Die Beklagte hat den Klägern für 1992 ein um 20 % gekürztes Weihnachtsgeld gezahlt. Sie kündigte die Betriebsvereinbarung Nr. 21 mit Schreiben vom 8. Dezember 1992 zum 31. März 1993. 1993 hat sie die Zahlung einer übertariflichen Gratifikation ganz eingestellt.
Die Kläger haben für das Jahr 1992 die Zahlung der Differenzbeträge zu der in 1991 gezahlten Weihnachtsgratifikation begehrt. Sie haben sich zum einen auf die Betriebsvereinbarung Nr. 21 berufen, welche die früheren individualrechtlichen Ansprüche übernommen und festgeschrieben habe. Ihr Anspruch folge aber auch aus der Betriebsvereinbarung Nr. 59, die fortgelte, weil sie sich nicht nur auf das Jahr 1991 beziehe. Vielmehr sei angesichts der langjährigen Gewährung einer Gratifikation und der Aneinanderreihung jährlicher Betriebsvereinbarungen von einer Dauerregelung auszugehen, die nur jeweils aktualisiert worden sei. Da die Beklagte die Betriebsvereinbarung Nr. 59 nicht gekündigt habe, gelte sie weiter. Auch wenn man davon ausgehe, daß sie befristet gewesen und ohne weiteres ausgelaufen sei, wirke sie jedenfalls bis zu einer Neuregelung nach. Die Beklagte habe nämlich die Zahlung einer zusätzlichen Gratifikation nicht gänzlich eingestellt, sondern lediglich eine mitbestimmungspflichtige Umgestaltung vorgenommen.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 1.023,– DM netto, an den Kläger zu 2) 1.007,– DM netto, an den Kläger zu 3) 800,– DM netto zu zahlen, jeweils nebst 4 % Zinsen seit der Rechtshängigkeit der Klage.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Kläger könnten sich auf die Betriebsvereinbarung Nr. 21 schon deshalb nicht stützen, weil sie nicht zu dem von der Besitzstandsregelung erfaßten Personenkreis gehörten.
Die Betriebsvereinbarung Nr. 59 habe mit der Zahlung der Gratifikation für 1991 ihren Zweck erfüllt und damit ihr Ende gefunden, ohne daß es einer Kündigung bedurft hätte. Die jährlich neue Festlegung der Gratifikation durch Betriebsvereinbarungen habe nicht zu einer „betrieblichen Übung” geführt. Die Betriebsvereinbarung Nr. 59 wirke schon deshalb nicht nach, weil sie einen einmaligen Fall geregelt habe – nämlich die Gratifikation nur für das Jahr 1991. Außerdem handele es sich um eine freiwillige Betriebsvereinbarung, so daß grundsätzlich keine Nachwirkung in Betracht komme. Daran ändere nichts der Umstand, daß es sich um eine teilmitbestimmte Regelung gehandelt habe. Für das Jahr 1992 sei ein vollkommen neuer „Topf” vorgesehen worden. Das bei der Verteilung dieses Topfes bestehende Mitbestimmungsrecht sei gewahrt worden, da der Gesamtbetriebsrat der angestrebten Verteilungsrelation nicht widersprochen habe. Im übrigen sei nur eine gleichmäßige Kürzung der Gratifikation aller Arbeitnehmer um 20 % vorgenommen worden. Diese Kürzung wegen einer wirtschaftlichen Krise sei zur Sicherung der Arbeitsplätze erforderlich gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch der Kläger auf Zahlung des jeweiligen Differenzbetrages zwischen der für das Jahr 1992 gezahlten Weihnachtsgratifikation und der um 20 % höheren Gratifikation des Jahres 1991 zutreffend verneint.
I. Die Kläger können sich nicht auf den Teil „Weihnachtsgratifikation allgemein” der Betriebsvereinbarung Nr. 21 berufen. Dieser ist zwar erst zum 31. März 1993 gekündigt worden, war also in dem hier allein maßgeblichen Jahr 1992 noch in Kraft. Keiner der Kläger gehört aber zu dem nach dem allgemeinen Teil der Betriebsvereinbarung Nr. 21 „bestandsgeschützten” Arbeitnehmerkreis. Die Kläger zu 2) und 3) sind erst seit dem 11. Januar 1986 bzw. 19. November 1982, und damit nach dem maßgeblichen Stichtag
1. Dezember 1981, in den Betrieb eingetreten. Die Klägerin zu 1) war zwar schon seit dem 1. Oktober 1980 bei der Beklagten beschäftigt. Sie erhielt aber aufgrund ihrer kurzen Betriebszugehörigkeit am 1. Dezember 1981 noch nicht eine Gratifikation, die einen 13. Monatsverdienst überstieg. Damit scheidet die Betriebsvereinbarung Nr. 21 als Anspruchsgrundlage für alle drei Kläger von vornherein aus.
II. Die Kläger können ihre Ansprüche auch nicht aus der Betriebsvereinbarung Nr. 59 herleiten. Diese hatte Wirkung nur für das Jahr 1991. Sie endete, ohne daß es einer Kündigung bedurfte, und wirkte auch für das Jahr 1992 nicht nach.
1. Die Betriebsvereinbarung Nr. 59 endete, ohne daß es einer Kündigung bedurfte, mit der Gewährung des Weihnachtsgeldes für 1991 – gleichgültig, ob man sie als zeitlich befristet ansieht oder davon ausgeht, daß sie wegen Zweckerreichung wirkungslos wurde. Sie gewährte einen Anspruch auf übertarifliche Gratifikationen nur für das Jahr 1991 und konnte damit keine Wirkung für 1992 entfalten.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Tatsache, daß seit 1979 jährlich eine Betriebsvereinbarung über die Gewährung einer zusätzlichen Weihnachtsgratifikation abgeschlossen worden war. Alle diese Betriebsvereinbarungen begründeten einen Zahlungsanspruch jeweils nur für ein bestimmtes Kalenderjahr. Eine solche Gestaltungsmöglichkeit steht den Betriebsparteien rechtlich offen. Die Kläger vertreten demgegenüber die Ansicht, es sei in Wahrheit von einer kündigungsbedürftigen Dauerregelung auszugehen, die nur jährlich konkretisiert wurde. Das ist nicht überzeugend. Die jährliche Hervorhebung, daß Ansprüche für die Zukunft nicht entstehen, macht deutlich, daß die Beteiligten keine Dauerregelung im Auge hatten; die Beklagte wollte ersichtlich eine so weitgehende Bindung nicht eingehen. Der Gesamtbetriebsrat konnte angesichts der jährlichen Erwähnung des Vorbehalts nach Treu und Glauben nicht von einer Regelung auf unbestimmte Zeit ausgehen. Auch für die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer war das hinreichend deutlich.
2. Der Betriebsvereinbarung Nr. 59 kommt keine Nachwirkung zu. Auch insoweit ist dem Landesarbeitsgericht zu folgen.
Eine teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung über eine freiwillige Leistung kann zwar nach dem Senatsurteil vom 26. Oktober 1993 (– 1 AZR 46/93 – AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung) unter Umständen nachwirken. Die Voraussetzungen hierfür sind jedoch schon dem Grunde nach nicht gegeben. Die Betriebsvereinbarung Nr. 59 regelt nur die Gratifikation für das Jahr 1991. Als Regelung eines einmaligen Sachverhalts gilt ihre Nachwirkung als vertraglich ausgeschlossen.
Die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG ist dispositiv. Sie kann von den Betriebspartnern abbedungen werden (BAG Beschluß vom 9. Februar 1984 – 6 ABR 10/81 – BAGE 45, 132 = AP Nr. 9 zu § 77 BetrVG 1972; Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 4. Aufl., § 77 Rz 60; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG. 17. Aufl., § 77 Rz 61; Kreutz, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 77 Rz 334, 343; Galperin/Löwisch, BetrVG. 6. Aufl., § 77 Rz 45). Ein solcher Ausschluß kann sich aus der Natur der Sache ergeben und damit als konkludent vereinbart gelten. Dies ist vor allem dann anzunehmen, wenn die Betriebsvereinbarung einen einmaligen, zeitlich begrenzten Gegenstand regelt (Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, a.a.O.; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, a.a.O.; Galperin/Löwisch. a.a.O.; ähnlich Kreutz. a.a.O. § 77 Rz 334).
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, daß es seit 1979 jährlich zu einer Einigung kam. Für den Gesamtbetriebsrat war klar zu erkennen, daß die Beklagte sich jeweils nur für ein Jahr festlegen wollte und nicht bereit war, sich – falls es nicht zu einer Neuregelung kommen sollte – im Wege der Nachwirkung dann doch an die Sätze des Vorjahres binden zu lassen. Der Freiwilligkeitsvorbehalt, den die Betriebspartner ausdrücklich vereinbart haben, stellte das klar. Für die Anwendung einer Unklarheitenregel zu Lasten des Arbeitgebers besteht insoweit kein Raum.
Daß dieser Nachwirkungsausschluß nicht sachwidrig war, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht hervorgehoben. Die Höhe eines zusätzlichen jährlichen Weihnachtsgeldes ist abhängig von einer Reihe wirtschaftlicher Faktoren, die nicht alle im voraus abzuschätzen sind. Wenn sich die Beklagte wegen ihrer guten wirtschaftlichen Entwicklung in der Lage sah, über einen längeren Zeitraum hin eine übertarifliche Weihnachtsgratifikation zu erbringen, war dennoch erkennbar, daß sich die Vorraussetzungen jederzeit ändern konnten, künftige Zahlungen also nicht bereits als gesichert, Kürzungen als ausgeschlossen angesehen werden durften.
III. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zu Recht angenommen, daß sich die geltend gemachten Ansprüche nicht aus einer Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Gesamtbetriebsrats ableiten lassen, weil das Weihnachtsgeld einseitig für 1992 um 20 % gekürzt wurde. Es kann dahingestellt bleiben, ob die einseitige Absenkung der Gratifikation gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig war oder – wie die Beklagte meint – mitbestimmungsfrei, weil eine gleichmäßige prozentuale Kürzung aller Gratifikationen erfolgte und sich deshalb die Verteilungsgrundsätze nicht änderten. Aus der Verletzung von Mitbestimmungsrechten folgen keine Zahlungsansprüche, die nicht schon vorher bestanden haben (Senatsurteil vom 20. August 1991 – 1 AZR 326/90 – AP Nr. 50 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Da aber die Betriebsvereinbarung Nr. 59 für 1992 weder unmittelbar noch kraft Nachwirkung galt, fehlte für 1992 eine Anspruchsgrundlage, die durch die Verletzung des Mitbestimmungsrechts beeinträchtigt sein könnte.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht auch individualrechtliche Anspruchsgrundlagen verneint.
1. Die Kläger können ihre Ansprüche nicht aus einer betrieblichen Übung herleiten. Unter einer solchen versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle im Wege einer stillschweigenden Erklärung eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer versprochen werden; aus einem solchen Angebot, das von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen werden kann, erwachsen dann vertragliche Ansprüche auf die übertariflich gewährte Leistung (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 12. Januar 1994 – 5 AZR 41/93 –; BAG Urteil vom 6. September 1994 – 9 AZR 672/92 – AP Nr. 43 und 45 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, beide m.w.N.). Eine solche Interpretation der tatsächlichen Leistungsgewährung ist aber grundsätzlich nur dann möglich, wenn für die Leistung keine andere Rechtsgrundlage gegeben ist. Die betriebliche Übung ergänzt oder ändert die vertraglichen Bestimmungen. Werden Ansprüche bereits aufgrund einer Betriebsvereinbarung gewährt, geht diese vor und läßt keinen Raum für die Annahme einer inhaltsgleichen Zusage auf vertragsrechtlicher Grundlage (BAG Urteil vom 27. Juni 1985 – 6 AZR 392/81 – BAGE 49, 151, 159 = AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG 1972, zu 4 b der Gründe; BAG Urteil vom 26. April 1990 – 6 AZR 278/88 – BAGE 64, 336, 347 = AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung, zu II 4 der Gründe).
2. Ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Differenz ergibt sich auch nicht aus dem Gedanken eines erdienten Anwartschaftsrechts oder eines Teilrechts pro rata temporis.
Allerdings zeichnete sich erst im Oktober 1992 ab, daß es nicht zu einer Einigung zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Beklagten kommen würde. Aufgrund der Entwicklung in der Vergangenheit konnten die Kläger bis zu diesem Zeitpunkt damit rechnen, daß auch für 1992 eine übertarifliche Weihnachtsgratifikation zu erwarten sei. Die Betriebsvereinbarung Nr. 59 war zwar ausgelaufen, die in ihrem allgemeinen Teil unbefristet abgeschlossene Betriebsvereinbarung Nr. 21 galt aber zunächst weiter (s. dazu Senatsbeschluß vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 29/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II A 1 der Gründe). Die Kläger wurden allerdings von dieser Betriebsvereinbarung nicht erfaßt. Solange aber die Betriebsvereinbarung Nr. 21 nicht gekündigt war und die Beklagte den bestandsgeschützten Arbeitnehmern gegenüber zur Zahlung einer zusätzlichen Gratifikation verpflichtet blieb, konnten die nicht bestandsgeschützten Arbeitnehmer immerhin erwarten, daß sie eine übertarifliche Zahlung erhalten würden. Insoweit bestand ein innerer Zusammenhang zwischen der Bestandsschutzregelung und den jährlich befristeten Neuregelungen der Gratifikation für die übrigen Arbeitnehmer, weil die Bestandsschutzregelung andernfalls ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllt hätte, einen Teil der Belegschaft von Gratifikationskürzungen auszunehmen. Es spricht daher vieles für die Annahme, daß bis zu einer gegenteiligen Erklärung ein rechtlich geschütztes Vertrauen der Arbeitnehmer und damit auch der Kläger darauf bestand, daß sie für 1992 eine übertarifliche Zahlung erhielten. Daß dies auch die Beklagte so gesehen hat, zeigt der Umstand, daß sie eine entsprechende Zahlung erbrachte.
Bejaht man demnach grundsätzlich eine erdiente Anwartschaft der Kläger, ändert sich im Ergebnis dennoch nichts. Diese erstarkte hier jedenfalls nicht zu einem Vollrecht auf Zahlung genau des gleichen Betrages wie 1991. Die Beklagte hat 1992 eine übertarifliche Gratifikation in Höhe von 80 % der Vorjahresgratifikation gewährt. Wenn die Arbeitnehmer zunächst ihre Arbeit im Vertrauen auf eine übertarifliche Zahlung erbracht haben, ist diesem Vertrauen durch diese Zahlung ausreichend Rechnung getragen worden. Die Höhe der zusätzlichen Gratifikation war auch in der Vergangenheit gelegentlich abgesenkt worden und schon deshalb von vornherein mit einem Unsicherheitsfaktor behaftet. Das gilt um so mehr, als – wie das Landesarbeitsgericht als unstreitig festgestellt hat – die Beklagte in den letzten drei Jahren vor 1992 erhebliche Verluste hatte hinnehmen müssen. Das kann den Klägern nicht verborgen geblieben sein, so daß sie auf eine gegenüber 1991 ungekürzte Fortzahlung der Gratifikation nicht vertrauen durften. Nachdem schließlich die Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat gescheitert waren und die Beklagte gegenüber den Arbeitnehmern die Absenkung der Gratifikation angekündigt hatte, war allen weitergehenden Erwartungen die Grundlage entzogen. Der auf 80 % abgesenkte Betrag entspricht rechnerisch fast genau dem Teil des Jahres 1992, während dessen die Kläger ihre Arbeit in Erwartung einer entsprechenden Regelung erbracht und eine entsprechende Anwartschaft erdient haben mögen.
Es bedarf bei dieser Sachlage nicht der Prüfung, ob sich ein Schutz eventuell erworbener Besitzstände der Kläger unabhängig von der durch die Betriebsvereinbarung Nr. 21 bedingten Situation auch aus einer Übertragung der vom Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Rechtsprechung zur betrieblichen Altersversorgung ableiten ließe. Danach ist zwischen der Kündigung einer Betriebsvereinbarung und den Rechtsfolgen der Kündigung zu unterscheiden; erworbene Besitzstände sind nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit geschützt (vgl. etwa BAG Beschluß vom 10. März 1992 – 3 ABR 54/91 – BAGE 70, 41 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung). Auch wenn man diese für die betriebliche Altersversorgung entwickelten Grundsätze auf andere Fallgestaltungen überträgt (dafür grundsätzlich Hilger, Festschrift für Gaul, S. 327, 337 ff.; offengelassen im Senatsbeschluß vom 26. Oktober 1993 – 1 ABR 46/93 – AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972 Nachwirkung), war hier jedenfalls ein schutzwürdiges Vertrauen auf Zahlung einer ungekürzten Weihnachtsgratifikation nicht berechtigt. Die Kürzung um 20 % war nicht zu beanstanden.
Unterschriften
Dieterich, Wißmann, Rost, Feucht, Rose
Fundstellen