Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorruhestandsgeld von Wanderarbeitnehmern
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Anspruch auf Vorruhestandsgeld nach dem Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984 erlischt, sobald ein Arbeitnehmer dem Altersruhegeld ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art beanspruchen kann.
a. Bezüge öffentlich-rechtlicher Art können Renten ausländischer Sozialversicherungsträger sein, wenn EG-Recht oder zwischenstaatliche Regelungen die Gleichbehandlung vorsehen oder die ausländischen Leistungen mittelbar in das deutsche System der sozialen Sicherheit einbezogen sind.
b. Ausländische Sozialversicherungsrenten sind dann einem deutschen Rentenbezug ähnlich, wenn sie bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze gewährt werden, als Lohnersatz gedacht sind und ihrer Gesamtstruktur nach so bemessen sind, daß sie im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellen (im Anschluß an BSG Urteil vom 9. November 1983 - RAr 58/82 = BSGE 43, 26, SozR 4100 § 118 AFG Nr 12).
2. Der Anspruch eines Arbeitnehmers, der in verschiedenen Staaten der Europäischen Gemeinschaft gearbeitet hat und versichert war (Wanderarbeitnehmer), auf Vorruhestandsgeld erlischt teilweise, wenn er nach seinem heimischen Recht früher als nach deutschem Recht eine Teil-Altersrente verlangen kann.
3. Bei Wanderarbeitnehmern, die nach der EWGV 1408/71 bis zum Eintritt des Versorgungsfalles nach deutschem Recht nur die Heimatrente erhalten, erlischt der Anspruch auf Vorruhestandsgeld in dem Verhältnis, in dem die im Ausland zurückgelegten Versicherungszeiten zu deutschen Versicherungszeiten stehen.
Normenkette
TVG § 1; EWGV 1408/71 Art. 44, 49; VRG § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 04.11.1986; Aktenzeichen 6 Sa 937/86) |
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 20.03.1986; Aktenzeichen 2 Ca 2311/85) |
Tatbestand
Der im Mai 1925 geborene Kläger ist Italiener. Er war rd. 16 Jahre in der italienischen Sozialversicherung pflichtversichert. Vom 13. September 1972 bis zum 5. Juli 1978 war er mit geringfügigen Unterbrechungen als Maurer bei verschiedenen Unternehmen des Baugewerbes in der Bundesrepublik tätig. Am 7. Juli 1978 trat er in die Dienste der Beklagten. Während seiner Beschäftigung in der Bundesrepublik war er in der deutschen Rentenversicherung versichert. Auf Veranlassung der Beklagten beantragte er am 24. Oktober 1984 die Gewährung von Vorruhestandsleistungen. In dem für die Streithelferin bestimmten Formularantrag ist aufgeführt, daß ein Nachweis über die Versicherungszeiten in Italien nachgereicht werde. Die Beklagte beantragte bei der Streithelferin, ihr gegenüber die Erstattungspflicht der Vorruhestandsleistungen anzuerkennen. Am 1. Februar 1985 wurde der Kläger in den Vorruhestand versetzt; die Beklagte erbrachte Vorruhestandsgelder in Höhe von 1.700,-- DM monatlich. Für den Kläger stellte die Beklagte einen Arbeitslosen ein. Die Streithelferin erteilte am 14. März 1985 einen Vorbescheid, daß der Kläger die Voraussetzungen für den Bezug von Vorruhestandsgeld bis zum beantragten Vorruhestandsbeginn erfüllt habe. Die Beklagte könne daher im Rahmen der einschlägigen tariflichen Bestimmungen Vorruhestandsgeld an den Kläger zahlen.
Am 27. August 1985 fragte die Beklagte bei der Streithelferin an, wie sie sich verhalten solle. Sie habe den baugewerblichen Mitteilungen entnommen, daß der Kläger mit Vollendung des 60. Lebensjahres keinen Anspruch auf Vorruhestandsleistungen mehr habe. Als Italiener habe er nach einer Wartezeit von 15 Versicherungsjahren mit Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf Altersrente. Die Rente sei sehr klein; davon könne dieser nicht leben. Sie habe keine Möglichkeit, ihn wieder einzustellen, da sie inzwischen die Stelle mit einem Arbeitslosen besetzt habe. Mit Ablauf des Monats Juli stellte die Beklagte die Zahlung von Vorruhestandsleistungen ein. Am 27. August 1985 meldete sich der Kläger arbeitslos; seither bezieht er ein Arbeitslosengeld in Höhe von 274,80 DM wöchentlich. Im Jahre 1986 bewilligte die italienische Sozialversicherung eine Altersrente in Höhe von umgerechnet 590,-- DM ab Juni 1985.
Der Kläger hat mit der am 16. Oktober 1985 erhobenen Klage vorgetragen, er habe sich auf die Angaben der Beklagten verlassen, daß er bis zum 63. Lebensjahr Vorruhestandsleistungen erhalte.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
für die Zeit vom 1. August bis 30.
Oktober 1985 5.100,-- DM netto und
ab 1. November 1985 monatlich 1.700,-DM
netto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, sie habe zunächst nicht gewußt, daß der Kläger in Italien rentenberechtigt gewesen sei und damit ein Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlöschen könne. Trotz wiederholter Rückfragen habe die Streithelferin sie erst am 14. Oktober 1985 unterrichtet.
Die Streithelferin ist dem Rechtsstreit auf seiten der Beklagten beigetreten. Sie hat vorgetragen, ihr Vorbescheid sei richtig gewesen. Der Kläger habe zunächst Anspruch auf Vorruhestandsleistungen gehabt. Bei Antragstellung seien die Versicherungszeiten in der italienischen Sozialversicherung noch nicht nachgewiesen worden. Im Vorbescheid habe sie auch darauf hingewiesen, daß die Beklagte nach Maßgabe des Tarifvertrages zahlen könne.
Die Streithelferin hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verlangt der Kläger über den Monat Juli 1985 hinaus Vorruhestandsgeld in Höhe von 1.700,-- DM monatlich.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Dem Kläger steht Vorruhestandsgeld zu. Es bedarf jedoch noch weiterer Feststellungen, in welcher Höhe er es verlangen kann.
I. Für den Kläger sind Ansprüche auf Vorruhestandsleistungen entstanden. Die Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch auf Vorruhestandsleistungen erwächst, sind in dem Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe (Vorruhestandstarifvertrag = VRTV- Bau) vom 26. September 1984 geregelt. Nach § 2 VRTV-Bau entsteht ein Anspruch auf Vorruhestandsgeld, wenn der Arbeitnehmer auf seinen Antrag in den Vorruhestand versetzt worden ist, das 58. Lebensjahr vollendet hat sowie im Jahre 1985 vor 1928 geboren worden ist und bestimmte versicherungsrechtliche Mindestvoraussetzungen erfüllt hat. Diese Voraussetzungen lagen bei dem Kläger vor.
Der Kläger ist auf seinen Antrag vom 24. Oktober 1984 mit Wirkung vom 1. Februar 1985 in den Vorruhestand versetzt worden. Die Vorruhestandsvereinbarung umfaßt ihrem Inhalt nach zwei Rechtsgeschäfte, nämlich die Vereinbarung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Vereinbarung über die Gewährung von Vorruhestandsleistungen (vgl. Faude/Schüren, Vorruhestandsgesetz, 1985, Einführung Rz 30 - 32). Bei Abschluß der Vorruhestandsvereinbarung war der im Jahre 1925 geborene Kläger 59 Jahre alt.
Der Kläger hatte auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Vorruhestandes erfüllt. Er hat innerhalb der letzten 15 Jahre vor Beginn des Vorruhestandes eine Wartezeit von 120 Monaten in Betrieben des Baugewerbes zurückgelegt (§ 2 Abs. 2 lit. b VRTV-Bau). Er war vom 13. September 1972 bis zum 31. Januar 1985 mit nur ganz geringfügigen Unterbrechungen von jeweils einigen Tagen im Baugewerbe beschäftigt. Er hat innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses mindestens 1.080 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung im Sinne von § 168 AFG gestanden (§ 2 Abs. 2 lit. c VRTV-Bau). Er hat schließlich vom 7. Juli 1978 bis zum 31. Januar 1984 ununterbrochen als Bauarbeiter bei der Beklagten gearbeitet. Damit hat er alle Voraussetzungen für die Versetzung in den Vorruhestand erfüllt (§ 2 Abs. 2 lit. d VRTV-Bau).
II. Der Anspruch des Klägers auf Vorruhestandsgeld ist nicht vollständig mit Ablauf des Monats Juli 1985 erloschen. Er besteht in geringerer Höhe bis zum 31. Mai 1988 weiter (Vollendung seines 63. Lebensjahres).
1. Nach § 8 Abs. 1 VRTV-Bau erlischt der Anspruch auf Vorruhestandsgeld mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Monat, von dem an der ausgeschiedene Arbeitnehmer Altersruhegeld vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder eine andere der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b und Abs. 2 des Gesetzes zur Förderung von Vorruhestandsleistungen (Vorruhestandsgesetz-VRG) vom 13. April 1984 (BGBl I, 601) vorgesehenen Leistungen verlangen kann. Er erlischt spätestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres.
a) Der Kläger konnte bei der Einstellung der Vorruhestandsleistungen am 31. Juli 1985 weder vorgezogenes Altersruhegeld für weibliche Versicherte mit Vollendung des 60. Lebensjahres (§ 1248 Abs. 3 RV0, § 25 Abs. 3 AVG), noch flexibles Altersruhegeld mit Vollendung des 60. Lebensjahres für Schwerbehinderte, Berufs- und Erwerbsunfähige (§ 1248 Abs. 1 RV0, § 25 Abs. 1 AVG, § 48 Abs. 1 RKG) verlangen, noch stand ihm bereits flexibles Altersruhegeld mit Vollendung des 63. Lebensjahres zu (§ 1248 Abs. 1 RV0, § 25 Abs. 1 AVG, § 48 Abs. 1 RKG). Ein vorgezogenes Altersruhegeld wegen vorangegangener Arbeitslosigkeit (§ 1248 Abs. 2 RV0) konnte den Bezugszeitraum der Vorruhestandsleistungen nicht begrenzen, weil der Bezug von Vorruhestandsleistungen einer Beschäftigung gegen Entgelt gleichsteht (§ 1248 Abs. 4 Satz 2 in Verbindung mit Satz 6 RV0).
b) Der Anspruch ist aber auch nicht vollständig erloschen, weil der Kläger Altersruhegeld oder ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art beanspruchen kann (§ 8 Abs. 1 VRTV-Bau in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VRG). § 8 Abs. 1 VRTV-Bau will gewährleisten, daß der Arbeitgeber nur so lange Vorruhestandsleistungen zu gewähren braucht, wie dieser seinerseits Ansprüche auf den Zuschuß zum Vorruhestandsgeld gegen die Bundesanstalt für Arbeit hat. Der Anspruch auf den Zuschuß des Arbeitgebers gegen die Bundesanstalt für Arbeit setzt voraus, daß der ausgeschiedene Arbeitnehmer noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat oder noch nicht vorgezogenes oder flexibles Altersruhegeld oder ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art beanspruchen kann. Das Tatbestandsmerkmal "ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art" ist aus § 118 Abs. 1 Nr. 4 AFG entnommen. Danach ruht der Anspruch des Arbeitslosen auf Arbeitslosengeld, wenn ihm ein Anspruch auf Altersruhegeld aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder Angestellten, Knappschaftsruhegeld oder Knappschaftsausgleichsleistungen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung oder ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art zuerkannt sind.
Bezüge ähnlicher Art können auch Bezüge aus einer ausländischen Rentenversicherung sein. Sie sind Bezüge öffentlich-rechtlicher Art, wenn EG-Recht oder zwischenstaatliche Regelungen die Gleichbehandlung vorsehen oder die ausländischen Leistungen mittelbar in das deutsche System der sozialen Sicherheit einbezogen sind. Nach der V0 (EWG) Nr. 1408/71 des Rates der EG vom 14. Juni 1971 sind Renten aus der italienischen Sozialversicherung den deutschen gleichgestellt. Die Renten aus der italienischen Sozialversicherung finden bei der Ermittlung der Versorgungsbezüge eines Wanderarbeitnehmers Anwendung. Der Gesetzgeber ist bei Erlaß des Vorruhestandsgesetzes auch davon ausgegangen, daß Renten ausländischer gesetzlicher Rentenversicherungen Bezüge öffentlich-rechtlicher Art sein können (BT-Drucks. 10/880 S. 15). Schließlich entspricht nur diese Auslegung auch dem Gesetzeszweck, den Doppelbezug von sozialrechtlichen Leistungen zu verhindern.
Die Bezüge öffentlich-rechtlicher Art sind dann einem deutschen Rentenbezug ähnlich, wenn sie bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze gewährt werden, als Lohnersatz gedacht sind und ihrer Gesamtstruktur nach so bemessen sind, daß sie im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellen. Dagegen ist ihre konkrete Höhe im Einzelfall unerheblich, da es auch in Deutschland Minimalrenten gibt (ebenso für § 118 AFG: BSGE 43, 26; Urteil vom 9. November 1983 - RAr 58/82 - SozR 4100 § 118 AFG Nr. 12; Hennig/Kühl/Heuer, AFG, Stand April 1987, § 118 Anm. 7; Erlaß der Bundesanstalt für Arbeit vom 22. September 1971 - III a 4 - 7118 zu I, Dienstblatt 1971, 996).
Der Kläger konnte ab 1. Juni 1985 Altersrente aus der italienischen Sozialversicherung verlangen. Voraussetzungen einer Altersrente aus der italienischen Sozialversicherung sind bei Frauen die Vollendung des 55. Lebensjahres und bei Männern die Vollendung des 60. Lebensjahres und 15 Versicherungsjahre. Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger; er wurde am 27. Mai 1986 60 Jahre und hatte eine Versicherungszeit von 16 Jahren in der gesetzlichen italienischen Sozialversicherung nachgewiesen.
2. Gleichwohl kann damit noch nicht angenommen werden, daß der Anspruch auf Vorruhestandsgeld vollständig erloschen ist. Soweit es in § 8 Abs. 1 VRTV-Bau um deutsche Renten geht, handelt es sich jeweils um die gesamten beim Versicherungsfall fällig werdenden Renten oder um deutsche Renten, die sich noch um Renten aus ausländischen Versicherungszeiten erhöhen können. Dagegen handelt es sich bei der von der italienischen Sozialversicherung gezahlten Rente um eine Teilrente, die ausschließlich nach italienischem Recht berechnet wird und die wegen des vorzeitigen Versicherungsfalls nur für einen begrenzten Lebensabschnitt gezahlt wird.
Die Rentenberechnung erfolgt bei Wanderarbeitnehmern, die in mehreren EG-Staaten versichert waren, nach Art. 44 ff. V0 (EWG) Nr. 1408/71. Nach Art. 44 Abs. 2 wird bei einem Wanderarbeitnehmer, dessen Rente sich nach dem Recht von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten richtet, nach Eintritt des Versicherungsfalles das Rentenfeststellungsverfahren hinsichtlich aller Rechtsvorschriften eingeleitet, die für den Versicherten gelten. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Voraussetzungen von Art. 49 V0 (EWG) Nr. 1408/71 vorliegen oder falls der Versicherte dies ausdrücklich beantragt.
Für den Kläger waren am 1. Juni 1985 die Voraussetzungen von Art. 49 Abs. 1 V0 1408/71 erfüllt. Erfüllt ein Wanderarbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nach den Rechtsvorschriften aller Mitglieder, sondern nur die Voraussetzungen nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Staaten, so errechnet jeder zuständige Träger, nach dessen Rechtsvorschriften die Voraussetzungen erfüllt sind, den Teilbetrag der geschuldeten Leistungen. Nach Art. 49 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. ii gilt jedoch die Besonderheit, daß ein Versicherter, der nur die Voraussetzungen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats erfüllt, nur eine Rente unter alleiniger Berücksichtigung der nach diesen Rechtsvorschriften zurückgelegten Zeiten erlangt. Das bedeutet, daß der Kläger bis zum Eintritt eines Versicherungsfalls nach deutschem Recht nur einen Teil seiner Altersversorgung erlangt.
Eine teilweise Leistung der gesetzlichen Altersrente, die nur für einen begrenzten Versicherungszeitraum gezahlt wird, kann nicht den Gesamtanspruch auf Vorruhestandsgeld zum Erlöschen bringen. Der Zweck der Begrenzung des Leistungsbezuges in § 8 Abs. 1 VRTV-Bau für das Vorruhestandsgeld und in § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VRG für den Zuschuß zum Vorruhestandsgeld besteht darin, Doppelleistungen der verschiedenen Sozialversicherungsträger zu verhindern. Wenn die Sozialversicherungsträger aber nur Teilleistungen erbringen, wird dem Gesetzeszweck Genüge getan, wenn der Anspruch auf Vorruhestandsgeld nur anteilig erlischt.
3. Der Anspruch auf Vorruhestandsgeld ist nur in dem Verhältnis erloschen, in dem die Versicherungszeiten in der italienischen Sozialversicherung zur deutschen Sozialversicherung stehen.
a) Aus dem Wortlaut des Tarifvertrages ist unmittelbar nicht zu entnehmen, in welchem Umfang bei dem Teilbezug von Altersrenten der Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlischt. Nach einer vom Arbeitsgericht bei den Tarifpartnern eingeholten Auskunft haben diese bei den Tarifverhandlungen die hier zu beurteilende Fallgestaltung nicht erkannt. Ob der Gesetzgeber diese Fallgestaltung gesehen hat, mag zumindest zweifelhaft sein.
b) Das Bundessozialgericht hat sich in der bisherigen Rechtsprechung allein mit der Auslegung des Begriffs der "ähnlichen Bezüge öffentlich-rechtlicher Art" in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AFG beschäftigt, der allerdings zum Vorbild für die Formulierung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VRG und § 8 Abs. 1 VRTV-Bau geworden ist.
Das Bundessozialgericht hat festgestellt, daß ein Anspruch auf Arbeitslosengeld auch dann ruht, wenn ein Versicherter der Bundesanstalt für Arbeit für eine vorübergehende Versicherung in einer gesetzlichen Rentenversicherung Rentenansprüche erwirbt. Das gelte z.B. für die "pension proportionelle de vieillesse", die der Knappschaftsausgleichsleistung ähnlich sei (BSGE 43, 26), sowie für ein zeitlich beschränktes Übergangsgeld, das die Seemannskasse früheren Seeleuten nach Vollendung des 55. Lebensjahres gewährt (BSG Urteil vom 9. November 1983 - RAr 55/82 - SozR 4100 § 118 AFG Nr. 12) wie schließlich für eine vorgezogene Altersrente einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt (BSG Urteil vom 22. Februar 1984 - 7 RAr 55/82 -). Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob bei den vom Bundessozialgericht entschiedenen Fällen die gezahlten Renten einer Teilrente gleichzusetzen sind. In jedem Fall sind die Begriffe der "ähnlichen Bezüge öffentlich-rechtlicher Art" in § 118 Abs. 1 Nr. 4 AFG und § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VRG nicht in vollem Umfang inhaltsgleich. § 118 Abs. 1 Nr. 4 AFG will verhindern, daß die Bundesanstalt für Arbeit unzureichende Leistungen der Altersversorgung durch Versicherungsleistungen aufstocken muß, die wegen des Versicherungsfalles der Arbeitslosigkeit gezahlt werden. Im Verhältnis des Vorruhestandes zum Ruhestand geht es darum, einen aus dem Arbeitsleben in den Vorruhestand getretenen Arbeitnehmer in den endgültigen Ruhestand überzuleiten, und zwar sobald wie möglich und in einem solchen Umfang, wie er Altersversorgungsleistungen erhält.
c) Die Bundesanstalt für Arbeit hat mit Dienstblatt/Runderlaß vom 14. Juni 1985 - 82/85 - (Dienstblatt 1985, 1) für den Bezug des Zuschusses zum Vorruhestandsgeld angenommen, daß die Gewährung einer ausländischen Rente dann den Anspruch auf Zuschuß ausschließt, wenn die ausländische Rente die Hauptversorgung des Arbeitnehmers darstelle. Eine Aufgliederung nach Haupt- und Nebenversorgung sei stets dann vorzunehmen, wenn die spätere Gesamtversorgung nach deutschem und ausländischem Recht auf einzelnen Teilansprüchen beruht, die zu unterschiedlichen Zeiten entstehen. Die Hauptversorgung sei grundsätzlich diejenige, die auf mehr als der Hälfte der bis dahin zurückgelegten und für die Höhe dieser Teilaltersversorgung maßgebenden Zeiten herangezogen werde (unter II 2.1, aa0). Die Bundesanstalt für Arbeit nimmt mithin an, daß - am Beispiel eines italienischen Arbeitnehmers - der Anspruch auf Zuschuß dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer längere Zeit in Italien als in Deutschland versichert war (vgl. Beispiel zu II 2.2, aa0).
Der Senat folgt dieser Auffassung nicht. Der Wortlaut des Gesetzes läßt eine Aufteilung nach Haupt- und Nebenversorgung nicht zu; sie ist auch dem geltenden System des Sozialversicherungsrechts fremd (Siegers/Reichling/Müller, Vorruhestand, 59er-Regelung, 2. Aufl. 1985, § 2 VRG, zu 3). Sie würde den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen. Ein Arbeitnehmer, der nur kürzere Zeit in Italien als in der Bundesrepublik versichert gewesen ist, könnte nach der Auffassung der Bundesanstalt für Arbeit neben seiner Teilrente nach italienischem Recht das Vorruhestandsgeld beziehen; dagegen verlöre er bei längerer Versicherung in der Bundesrepublik sein gesamtes Vorruhestandsgeld. Es gibt bei einer am Gerechtigkeitszweck orientierten Auslegung keine hinreichende sachliche Rechtfertigung, je nach Dauer der Versicherungszeit dem einen Arbeitnehmer eine Überversorgung zu gewähren und den anderen Arbeitnehmer in seinen Rechten zu beschränken. Schließlich widerspricht die Aufgliederung nach Haupt- und Nebenversorgung bei unterschiedlichen Zeiten des Versicherungsfalles im Ausland und in der Bundesrepublik Deutschland dem Zweck des VRG. Durch das Vorruhestandsgesetz soll erreicht werden, daß die Arbeitslosigkeit gemildert wird, indem ältere Arbeitnehmer in den vorgezogenen Ruhestand treten und damit ihre Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Bei einer Aufgliederung nach Haupt- und Nebenversorgung wird aber dem älteren ausländischen Arbeitnehmer, dessen Hauptversorgung im Ausland liegt, die Versetzung in den Vorruhestand wirtschaftlich unmöglich gemacht. In den Fällen, in denen zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach ausländischem oder deutschem Recht der Versicherungsfall eintritt, muß es zu einer gleitenden Versetzung in den Vorruhestand und Ruhestand kommen mit entsprechenden Leistungskürzungen im Vorruhestand.
e) Bei der Berechnung des Vorruhestandsgeldes ist das Verhältnis der ausländischen und inländischen Versicherungszeiten zu ermitteln und das Vorruhestandsgeld entsprechend diesem Verhältnis zu kürzen. Dagegen kommt es auf die Höhe der nach ausländischem oder deutschem Recht gezahlten Teilrenten nicht an. Durch die Regelungen über den Vorruhestand soll es dem Arbeitnehmer ermöglicht werden, vorzeitig die Arbeit aufzugeben und in den Ruhestand zu treten. Die Vorruhestandsleistungen des Arbeitgebers, zu denen die Bundesanstalt für Arbeit einen Zuschuß zahlt, können die nach den verschiedenen Rentensystemen bestehenden wirtschaftlichen Unterschiede (ungleiche Höhe der Renten) nicht ausgleichen. Insoweit muß jeder Versicherte das Risiko seiner Versicherung, unter der er gelebt und gearbeitet hat, tragen. Maßgebend für die Aufteilung können nur die nach ausländischem oder deutschem Recht zurückgelegten Versicherungszeiten sein. Dieser Aufteilungsmaßstab entspricht auch dem Berechnungssystem der Renten von Wanderarbeitnehmern, die Versicherungszeiten in verschiedenen Ländern zurückgelegt haben.
Die Aufteilung nach Versicherungszeiten macht es notwendig, das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben, das von seinem Standpunkt aus nicht genötigt war, die italienischen Versicherungszeiten genau festzustellen. Da der Kläger rd. 16 Jahre in Italien und zwölf Jahre in der Bundesrepublik tätig war, wird sein Vorruhestandsgeld ca. 12/28 der bisherigen Höhe betragen. Diese Annahme reicht aber nicht aus, die Forderung genau zu berechnen. Dies wird das Landesarbeitsgericht nachholen müssen.
III. Die Aufhebung und Zurückverweisung ist auch nicht deswegen entbehrlich, weil der Vorruhestand aus anderen Gründen sein Ende gefunden hat. Der Kläger hat sich, als die Vorruhestandsleistungen ausblieben, am 27. August 1985 arbeitslos gemeldet und zumindest während des Bezugszeitraumes vorübergehend Arbeitslosengeld bezogen. Der Senat kann unentschieden lassen, ob die Bundesanstalt für Arbeit das Arbeitslosengeld zu Recht bewilligt hat oder ob sie einen Ablehnungsgrund nach § 118 Abs. 1 Nr. 4 AFG hatte. In jedem Fall war der Zweck des Vorruhestandes nach der Arbeitslosmeldung nicht mehr erreichbar. Entscheidend ist aber, daß im VRTV-Bau die Beantragung von Arbeitslosengeld nicht als Beendigungstatbestand für den Vorruhestand normiert ist. Dann hätte es aber zu dessen Beendigung einer rechtsgeschäftlichen Maßnahme der Beklagten bedurft. Hierbei kann zunächst offenbleiben, ob es eine außerordentliche Kündigung des Vorruhestandes oder nur einen Widerruf von Vorruhestandsgeld gibt. Die Beklagte hat weder das eine noch das andere erklärt, so daß der Anspruch auf Vorruhestandsgeld bis zum 31. Mai 1988 dem Grunde nach weiterbesteht.
Schaub Griebeling Dr. Peifer
Dr. Bächle Zilius
Fundstellen
Haufe-Index 438570 |
BAGE 58, 260-269 (LT1-3) |
BAGE, 260 |
DB 1988, 2159-2160 (LT1-3) |
NZA 1988, 460 |
NZA 1989, 312-313 (LT1-3) |
RdA 1988, 381 |
AP § 2 VRG (LT1-3), Nr 3 |
AR-Blattei, ES 1750 Nr 5 (LT1-3) |
AR-Blattei, Vorruhestand Entsch 5 (LT1-3) |
EzA § 2 VRG Bauindustrie, Nr 1 |
IPRax 1989, 385-387 (ST1-2) |
SGb 1988, 457 (K) |