Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme von Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis
Normenkette
Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung für die metallverarbeitende Industrie Nordrhein-Westfalens vom 15. März 1994 § 3 (TV BS)
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. August 1996 – 4 (9) Sa 1267/95 – wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts insgesamt aufgehoben.
Hinsichtlich des Zahlungsantrags des Klägers wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Im übrigen wird unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bochum vom 27. Juni 1995 – 2 Ca 746/95 – die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers gegen dieses Urteil zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger nach Abschluß seiner Berufsausbildung in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen, sowie über die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Pflicht.
Der Kläger wurde von der Beklagten seit dem 1. September 1991 zum Industriemechaniker ausgebildet. Auf das Ausbildungsverhältnis fand der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung für die metallverarbeitende Industrie Nordrhein-Westfalens vom 15. März 1994 (TV BS) kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Dort ist u.a. folgendes bestimmt:
„§ 3
Übernahme von Auszubildenden
1. Auszubildende werden im Grundsatz nach erfolgreich bestandener Abschlußprüfung für mindestens sechs Monate in ein Arbeitsverhältnis übernommen, soweit dem nicht personenbedingte Gründe entgegenstehen. Der Betriebsrat ist hierüber unter Angabe der Gründe zu unterrichten.
2. Mit Zustimmung des Betriebsrats kann von der Verpflichtung nach Abs. 1 abgewichen werden, wenn das Angebot eines Arbeitsverhältnisses wegen akuter Beschäftigungsprobleme im Betrieb nicht möglich ist, oder der Betrieb über seinen Bedarf hinaus Ausbildungsverträge abgeschlossen hat.”
Mit Schreiben vom 11. November 1994 teilte die Beklagte dem Kläger unter Berufung auf § 21 Abs. 4 Ziff. 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens (MTV-Metall) mit, er werde nach Ende seiner Ausbildungszeit nicht in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Die Beklagte lehnte auch eine Übernahme des Klägers gemäß § 3 TV BS ab.
Der Kläger bestand am 25. Januar 1995 die Abschlußprüfung. Am nächsten Tag bot er der Beklagten vergeblich seine Arbeitsleistung ausdrücklich an.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht,
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ihm den Abschluß eines Arbeitsvertrages anzubieten,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn als Montagearbeiter in der 36-Stunden-Woche tatsächlich zu beschäftigen,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.759,17 DM nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 11. März 1995 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, wegen der krankheitsbedingten Fehlzeiten und häufiger Verspätungen des Klägers nicht zur Übernahme verpflichtet gewesen zu sein.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte nach dem Klageantrag verurteilt. Gegen dieses Urteil hat zunächst die Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat Anschlußberufung eingelegt und insgesamt beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bochum vom 27. Juni 1995
- festzustellen, daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn als Montagearbeiter in der 35-Stunden-Woche tatsächlich zu beschäftigen,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 19.970,82 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich aus 3.759,17 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 11. März 1995 sowie 4 % Zinsen auf den sich aus 16.211,65 DM brutto ergebenden Nettobetrag ab Zustellung dieses Schriftsatzes abzüglich vom Arbeitsamt Gelsenkirchen gezahlten Arbeitslosengeldes von 2.250,70 DM netto zu zahlen,
- hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ihm den Abschluß eines Arbeitsvertrages anzubieten.
Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten festgestellt, daß zwischen den Parteien (nur) in der Zeit vom 26. Januar 1995 bis zum 25. Juli 1995 ein Arbeitsverhältnis eines Montagearbeiters bestanden hat, und die Berufung im übrigen zurückgewiesen. Auf die Anschlußberufung des Klägers hat es die Beklagte verurteilt, an den Kläger insgesamt 19.608,42 DM brutto abzüglich 2.250,70 DM netto Arbeitslosengeld nebst jeweils 4 % Zinsen aus dem sich aus 3.759,17 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 11. März 1995 sowie dem sich aus 15.649,25 DM brutto abzüglich 2.250,70 DM netto ergebenden Restnettobetrag seit dem 30. Januar 1996 zu zahlen. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt mit ihrer Revision die Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es die Klage abgewiesen hat, und die Zurückweisung der Berufung der Beklagten. Beide Parteien beantragen jeweils die Zurückweisung der gegnerischen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die Revision der Beklagten ist dagegen begründet. Sie führt hinsichtlich der Feststellung und Beschäftigung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Klageabweisung. Wegen des Zahlungsantrags war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Regelung des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.
I. Die Revision des Klägers ist sowohl hinsichtlich des Feststellungsantrags als auch hinsichtlich des Beschäftigungsverlangens unbegründet.
1. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts entsteht aufgrund der Tarifvorschrift in § 3.1 TV BS mit dem Abschluß der Ausbildung nicht automatisch ein Arbeitsverhältnis. Die Tarifnorm begründet lediglich einen Anspruch auf Abschluß eines Arbeitsvertrags. Das ergibt die Auslegung der Vorschrift, wie der Senat seit seinem Urteil vom 14. Mai 1997 (– 7 AZR 159/96 – AP Nr. 2 zu § 611 BGB Übernahme ins Arbeitsverhältnis) in ständiger Rechtsprechung zu insoweit gleichlautenden Tarifnormen in Tarifverträgen anderer Bezirke der Metallindustrie entschieden hat (zuletzt Urteil vom 13. Mai 1998 – 7 AZR 297/97 –, n.v.). Darauf wird verwiesen. Deshalb kann der über den landesarbeitsgerichtlichen Ausspruch hinausgehende Antrag, den Bestand eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses festzustellen, keinen Erfolg haben.
2. Auch aufgrund des arbeitsgerichtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien entstanden. Wie der Kläger letztlich zutreffend erkannt hat, kommt dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz neben der tariflichen Anspruchsgrundlage keine Bedeutung für das Zustandekommen eines Anschlußarbeitsverhältnisses zwischen den Parteien zu. Er könnte allenfalls auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses Einfluß haben, wenn die Beklagte zur Übernahme nach dem TV BS verpflichtet gewesen wäre (dazu unter I 4).
3. Der Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur tatsächlichen Beschäftigung des Klägers ist unbegründet, weil ein Arbeitsverhältnis nicht begründet worden ist.
4. Der mit der Anschlußberufung des Klägers gestellte Hilfsantrag auf Verurteilung der Beklagten zum Abschluß eines Arbeitsvertrags ist angesichts des eingeschränkten Antrags, das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben, soweit es die Klage abgewiesen hat, nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Deshalb kann der Senat abweichend von den bisher entschiedenen Fällen nicht beurteilen, ob der Kläger unter Beachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes einen noch heute realisierbaren Anspruch auf Abschluß eines Dauerarbeitsverhältnisses nach § 3 TV BS hat. Das kann allenfalls Gegenstand des weiteren Berufungsverfahrens sein.
II. Die Revision der Beklagten ist begründet.
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat zwischen den Parteien zu keiner Zeit ein Arbeitsverhältnis bestanden. Auf die Ausführungen zu I.1 wird verwiesen. Der entsprechende Feststellungsantrag des Klägers ist dementsprechend unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteilsaussprüche abzuweisen.
2. Hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten entsprechend den Zahlungsanträgen des Klägers ist der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte mit unzutreffender Begründung zur Zahlung eines Geldbetrags verurteilt. Für eine abschließende Entscheidung des Senats fehlt es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen und der erforderlichen Würdigung des Sachverhalts durch die Vorinstanzen.
a) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte schulde dem Kläger Vergütung aus Annahmeverzug nach § 615 BGB, ist rechtsfehlerhaft, weil zwischen den Parteien bisher kein Arbeitsverhältnis besteht und deshalb diese Vorschrift nicht zur Anwendung kommen kann.
b) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht aber davon ausgegangen, der Arbeitgeber schulde dem Auszubildenden für die Zeit nach Abschluß der Ausbildung nach den §§ 284, 285, § 280 Abs. 1, § 287 Satz 1, § 251 BGB Schadensersatz in Geld, wenn er mit ihm schuldhaft keinen Arbeitsvertrag geschlossen hat, obwohl keiner der Ausnahmetatbestände des § 3 Nr. 1 oder des § 3 Nr. 2 TV BS vorliegt (ständige Rechtsprechung des Senats seit den Urteilen vom 14. Oktober 1997 – 7 AZR 298/96 – und – 7 AZR 811/96 – zur Veröffentlichung bestimmt; vgl. auch die Urteile vom 29. April 1998 – 7 AZR 125/97 – und – 7 AZR 540/97 – n.v., sowie das Urteil vom 13. Mai 1998 – 7 AZR 297/97 – n.v.). Das Landesarbeitsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nach § 3 Nr. 1 TV BS seien nicht gegeben, weil es den Begriff der personenbedingten Gründe im Sinne dieser Tarifnorm ausschließlich auf der Grundlage des § 1 Abs. 2 KSchG beurteilt und insbesondere verhaltensbedingte Gründe nicht miteinbezogen hat.
c) Der Senat hat in seinen bereits angeführten Urteilen vom 14. Oktober 1997 entschieden, daß der Begriff der „personenbedingten Gründe” in § 3 Nr. 1 TV BS nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG zu verstehen ist. Denn beim TV BS geht es nicht um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein bereits bestehendes bestandsgeschütztes Arbeitsverhältnis durch Kündigung aufgelöst werden kann, sondern darum, ob ein Arbeitsverhältnis überhaupt erst begründet werden soll. Auch die dem § 1 Abs. 2 KSchG zugrunde liegende Unterscheidung zwischen in der Person bzw. in dem Verhalten liegenden Gründen entspricht nicht dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien. Es kann nicht angenommen werden, die Tarifvertragsparteien hätten etwa in Fällen grober Pflichtverletzungen, die sich auf die Durchführung eines Arbeitsverhältnisses belastender auswirken können als Gründe in der Person des Auszubildenden, dem Arbeitgeber keine Möglichkeit zur Ablehnung der Übernahme einräumen wollen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien mit dem Begriff „personenbedingt” in § 3 Nr. 1 TV BS (im Gegensatz zu den aus der Arbeitgebersphäre stammenden Gründen des § 3 Nr. 2 TV BS) die aus der Sphäre des Auszubildenden stammenden und damit auch verhaltensbedingte Gründe erfassen wollten, während in § 3 Nr. 2 TV BS die aus der Arbeitgebersphäre stammenden Tatbestände geregelt sind.
d) Diese unzutreffende Tarifauslegung erfordert die Aufhebung des Urteils. Angesichts des Fehlens einer dem vorinstanzlichen Gericht zugewiesenen tarifrechtlichen Bewertung der von den Parteien vorgebrachten Tatsachen kann der Senat den Rechtsstreit selbst nicht entscheiden, sondern er muß ihn zurückverweisen. Das Landesarbeitsgericht wird im erneuten Berufungsverfahren eine tatrichterliche Würdigung vorzunehmen haben, ob die im konkreten Einzelfall geltend gemachten „personenbedingten Gründe” eine Übernahme des Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 3 Nr. 1 TV BS „entgegenstehen”. Dabei hat es sich nicht an den vergleichbaren Begriffen des Kündigungsschutzgesetzes, sondern nur am Sinn und Zweck der tariflichen Regelung zu orientieren. Die Tarifvertragsparteien haben verhindern wollen, daß der Auszubildende im unmittelbaren Anschluß an seine Berufsausbildung arbeitslos wird. Ihm soll durch eine an das Ausbildungsverhältnis anschließende Weiterbeschäftigung in einem Arbeitsverhältnis der Erwerb von Berufspraxis ermöglicht werden, um seine Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Auch soll für den Fall einer sich an das sechsmonatige bzw. 12-monatige Arbeitsverhältnis anschließenden Arbeitslosigkeit erreicht werden, daß dem Arbeitslosengeld gemäß § 112 Abs. 2 AFG der in dem Arbeitsverhältnis erzielte Verdienst und nicht gemäß § 112 Abs. 5 Nr. 2 AFG die niedrigere Ausbildungsvergütung zugrunde gelegt wird. Beide Zwecke sollen nach den Vorstellungen der Tarifvertragsparteien durch den Austausch von Leistung und Gegenleistung in einem funktionierenden Arbeitsverhältnis und nicht durch eine einseitige Leistung des Arbeitgebers an den Auszubildenden erreicht werden. Deshalb sind als „entgegenstehende personenbedingte Gründe” in erster Linie solche Umstände anzusehen, die einem zweckentsprechenden Vollzug des Arbeitsverhältnisses, auch unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen Arbeitsleistung und/oder einem vertragsgerechten Verhalten des übernommenen Auszubildenden, in Frage stellen können.
Tatsachen für eine derartige Beeinträchtigung eines künftigen Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitgeber darzulegen. Denn mit der Geltendmachung eines vom Regelfall abweichenden Ausnahmetatbestandes macht er eine rechtsvernichtende Einwendung geltend. Der Arbeitgeber genügt seiner Darlegungslast nicht mit dem bloßen Hinweis auf vergangene Ereignisse, wie etwa während des Ausbildungsverhältnisses eingetretene krankheitsbedingte Fehlzeiten oder ein Fehlverhalten des Auszubildenden. Erforderlich ist vielmehr eine Prognose des Arbeitgebers, in welcher Weise und in welchem Ausmaß das Arbeitsverhältnis durch zu erwartende Umstände in seiner zukünftigen Durchführung belastet sein werde. Hierfür können zwar in der Vergangenheit liegende Umstände ein Indiz sein; dies aber erspart nicht den Vortrag des Arbeitgebers über Art und Umfang der drohenden Beeinträchtigung des regelmäßig nur zwölf Monate andauernden Arbeitsverhältnisses. Dazu wird das Landesarbeitsgericht im erneuten Berufungsverfahren der Beklagten ebenso wie der Klägerin für eine Erwiderung Gelegenheit zu geben haben. Schließlich wird das Landesarbeitsgericht die Einwände der Beklagten zur Höhe des Schadens zu beurteilen haben.
Unterschriften
Dörner, Schmidt, Gräfl, Zumpe, Bea
Fundstellen