Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der weiteren Probe. Ankleide- und Schminkzeiten
Leitsatz (redaktionell)
Ankleide- und Schminkzeiten sind kein Bestandteil der weiteren Probe in Kostüm und Maske nach § 5 Abs 2 Normalvertrag Chor vom 5.5.1980. Die für das Anlegen von Kostüm und Maske erforderlichen Zeiten werden durch das monatliche Gehalt nach dem Chorgagentarifvertrag abgegolten.
Normenkette
TVG § 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 10.07.1984; Aktenzeichen 3 Sa 778/84) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 04.04.1984; Aktenzeichen 6 Ca 3917/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um Arbeitsentgelt für die Schmink- und Ankleidezeit vor einer Probe.
Die Beklagte unterhält ein Opernhaus, in dem der Kläger seit mehreren Jahren als Opernchorsänger beschäftigt ist. Der Kläger ist Obmann des Opernchorvorstandes.
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen des Tarifvertrages "Normalvertrag Chor" (im folgenden Normalv Chor) vom 11. Mai 1979 kraft Tarifbindung der Parteien Anwendung. In diesem Tarifvertrag ist u.a. bestimmt:
§ 4
(1) Das Opernchormitglied ist im Rahmen
seines Kunstfaches verpflichtet, bei
allen Veranstaltungen (Aufführungen
und Proben) der im Arbeitsvertrag
bezeichneten Bühne(n) mitzuwirken....
§ 5
...
(5) Die Dauer der Haupt- und Generalproben
ist zeitlich nicht begrenzt.
Bei der Hauptprobe, bei der Generalprobe und
bei einer weiteren Probe ist das Opernchormitglied
zur Mitwirkung in Kostüm und Maske
verpflichtet. Die weitere Probe in Kostüm und
Maske soll vier Stunden nicht überschreiten.
Sie kann im Benehmen mit dem Opernchorvorstand
verlängert werden, wenn sie nicht wegen der Länge
des Werkes oder aus betrieblichen Gründen geteilt
wird.
...
§ 10
(1) Das Opernchormitglied hat Anspruch auf
ein festes monatliches Gehalt nach Maßgabe
eines besonderen Tarifvertrages (Chorgagentarifvertrag).
...
§ 11
(1) Mit dem festen Gehalt sind die von dem
Opernchormitglied nach diesem Tarifvertrag
zu erbringenden Arbeitsleistungen abgegolten,
soweit sich aus Absatz 2 nichts
anderes ergibt.
...
Der Kläger nahm am 18. Oktober 1983 in der Zeit von 18.00 Uhr bis 22.00 Uhr an einer Probe in Kostüm und Maske für die Aufführung der Oper Turandot teil. Er befand sich entsprechend einer Weisung der Theaterleitung bereits seit 17.30 Uhr zum Anlegen von Kostüm und Maske im Theater.
Der Kläger hat gemeint, ihm stehe ein Betrag von 6,-- DM als Überstundenvergütung für eine am 18. Oktober 1983 geleistete 1/2 Stunde Mehrarbeit zu. Die von der Beklagten zum Anlegen von Kostüm und Maske angeordnete Zeit der Anwesenheit ab 17.30 Uhr bis zum Beginn der Probe auf der Bühne sei Bestandteil der Probe. Dafür schulde ihm die Beklagte Mehrarbeitsvergütung, weil die weitere Probe in Kostüm und Maske insgesamt somit von 17.30 Uhr bis 22.00 Uhr gedauert habe, obwohl sie nach § 5 Abs. 5 Satz 3 Normalv Chor nur vier Stunden habe dauern dürfen. Die Probe sei - unstreitig - weder im Benehmen mit dem Opernchorvorstand verlängert noch geteilt worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den
Kläger 6,-- DM zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Schmink- und Ankleidezeit sei nicht Bestandteil der weiteren Probe und könne daher nicht auf die nach dem Tarifvertrag zulässige Zeit von vier Stunden für die weitere Probe angerechnet werden. Der mit dem Anlegen von Kostüm und Maske verbundene Zeitaufwand sei vielmehr mit der Gage des Chormitglieds abgegolten.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klagebegehren erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, der Kläger könne eine zusätzliche Vergütung in Höhe von 6,-- DM nicht verlangen, weil er am 18. Oktober 1983 keine halbe Überstunde geleistet habe. Die von der Beklagten angeordnete Anwesenheit ab 17.30 Uhr zum Anlegen von Kostüm und Maske vor Beginn der Probe auf der Bühne von 18.00 Uhr könne bei der Berechnung der Probendauer in Kostüm und Maske nicht mitgerechnet werden. Der Wortlaut des § 5 Abs. 5 Satz 3 Normalv Chor rechtfertige ein solches Verständnis nicht. Es spreche vielmehr dafür, daß die weitere Probe erst nach Anlegen von Kostüm und Maske beginne. Das folge auch aus dem Sinn und Zweck der Tarifnorm. Chorgesangs- und Bühnenproben seien nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2 Normalv Chor zeitlich begrenzt. Der Beginn solcher Proben falle auf den Zeitpunkt, an dem das Chormitglied zur Erprobung seiner künstlerischen Darbietung zur Verfügung stehe. Nichts anderes könne für die weitere Probe im Sinne von § 5 Abs. 5 Satz 3 Normalv Chor gelten, die zwar zeitlich begrenzt sein solle, aber wie die Chorgesangs- und Bühnenprobe mit dem Zeitpunkt beginne, zu dem das Chormitglied zur Probe der künstlerischen Darbietung zur Verfügung stehe. Geprobt werde auch bei der weiteren Probe die künstlerische Darstellung. Dazu stehe das Chormitglied erst nach dem Anlegen von Kostüm und Maske zur Verfügung.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bezahlung einer halben Stunde Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 6,-- DM.
1. Der Normalv Chor vom 11. Mai 1979 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 5. Mai 1980 sowie der Chorgagentarifvertrag vom 16. Februar 1979 in der Fassung des Tarifvertrags vom 27. Oktober 1982 zur Wiedereinsetzung des Chorgagentarifvertrages enthalten keine Regelungen über Mehrarbeit wie andere Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (vgl. z. B. §§ 17, 35 BAT). Da der Kläger auch nicht behauptet, unzulässige Mehrarbeit im Sinne der Arbeitszeitordnung geleistet zu haben, scheidet ein unmittelbarer Anspruch aus § 15 AZO aus. Er kann ihn daher nur aus § 612 BGB herleiten, der eingreift, wenn von einem Opernchorsänger tariflich nicht zulässige Probezeiten (Überstunden bei Proben) verlangt worden sind (BAGE 38, 383, 392 = AP Nr. 20 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag). Denn tariflich nicht zulässige Probezeiten sind nach denselben Grundsätzen wie gesetzlich unzulässige Mehrarbeit zu vergüten (BAG, aaO; BAGE 28, 21, 23 = AP Nr. 1 zu § 90 SeemG).
a) Entgegen der Auffassung der Revision hat die Beklagte jedoch am 18. Oktober 1983 nicht die Ableistung einer halben Stunde tariflich unzulässiger Probezeit verlangt. Denn die Schmink- und Ankleidezeit vor der weiteren Probe gem. § 5 Abs. 5 Normalv Chor gehört nicht zur Probe.
b) Der Tarifvertrag enthält keine Definition des Begriffs "weitere Probe". Er ist daher durch Auslegung zu ermitteln. Die Auslegung normativer Teile von Tarifverträgen erfolgt nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Wortlaut. Es ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (ständige Rechtsprechung des BAG, zuletzt erkennender Senat Urteil vom 14. Mai 1987 - 6 AZR 555/85 - und vom 30. April 1987 - 6 AZR 428/84 -, beide zur Veröffentlichung bestimmt; BAG Urteil vom 24. September 1986 - 4 AZR 400/85 - AP Nr. 2 zu § 2 BAT). Ferner ist der tarifliche Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen, weil dieser Anhaltspunkt für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, ggfls. eine praktische Tarifausübung ergänzend heranziehen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, aaO; Urteil des Senats vom 30. April 1987 - 6 AZR 644/84 - zur Veröffentlichung vorgesehen; BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).
aa) Dem Wortlaut des § 5 Abs. 5 Satz 3 Normalv Chor ist der Wille der Tarifvertragsparteien zu entnehmen, die zeitlich auf vier Stunden begrenzte weitere Probe zu dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, in dem der Chorsänger Kostüm und Maske angelegt und zur erprobenden Darbietung seiner künstlerischen Leistung bereit ist. Denn die weitere Probe in Kostüm und Maske soll vier Stunden nicht überschreiten. Hätten die Tarifvertragsparteien die Vorarbeiten an Kostüm und Maske der weiteren Probe hinzurechnen wollen, hätte eine Formulierung wie Probe mit Kostüm und Maske nahegelegen.
bb) Die weiteren Regelungen über Chorgesangsproben, Bühnenproben, Haupt- und Generalprobe des § 5 Abs. 1 bis 6 Normalv Chor und damit der tarifliche Gesamtzusammenhang rechtfertigen entgegen der Auffassung der Revision keine vom Wortlaut abweichende Auslegung. Wenn die Höchstdauer der weiteren Probe in Kostüm und Maske im Vergleich zur Chorgesangsprobe und zur Bühnenprobe tariflich um zwei Stunden bzw. eine Stunde verlängert worden ist, so ist das nicht darin begründet, daß das Anlegen von Kostümen erfahrungsgemäß einen Zeitraum von ca. 30 Minuten erfordert und das erstmalige Ausleuchten der Bühne unter Berücksichtigung des durch Kostüm und Maske vermittelten visuellen Eindrucks ebenfalls einen Zeitraum von maximal 30 Minuten umfaßt und beides somit zu einer aufwendigen Verlängerung der Bühnenprobe aufgrund des Tragens von Kostüm und Maske auf der Bühne innerhalb der Probe führt. Die Revision sieht damit zu Unrecht in der weiteren Probe nur eine veränderte, unter Erschwernissen stattfindende Bühnenprobe. Die Festlegung der Höchstdauer der weiteren Probe von vier Stunden ist aber nicht in der lediglich graduellen Verschiedenheit zur Bühnenprobe, sondern in dem besonderen Gewicht begründet, das die Tarifvertragsparteien dieser weiteren Probe zumessen. Sie haben nämlich der weiteren Probe im Sinne von § 5 Abs. 5 Normalv Chor eine ähnliche Bedeutung gegeben wie der Hauptprobe und Generalprobe. Sie dient ebenso wie diese der näheren Vorbereitung der zeitlich alsbald anstehenden Vorstellung. Davon zu unterscheiden sind die noch nicht unmittelbar aufführungsbezogenen Chorgesangsproben und Bühnenproben (so auch BAGE 38, 383, 390, aaO), die der grundsätzlichen Einstudierung und Überprüfung der individuellen und kollektiven Gesangsleistung des Chorsängers bzw. der Kontrolle des Einstudierten im Aufführungsraum unter Aufgabenverteilung zwischen Chor, Solisten und Orchester auf der Bühne dienen und deren Anzahl im Gegensatz zur weiteren Probe, Hauptprobe(n) und Generalprobe nicht vorgeschrieben ist.
cc) Der Kläger kann sich bei der Auslegung des für ihn maßgeblichen § 5 Abs. 5 Normalv Chor auch nicht darauf berufen, das Anlegen von Kostüm und Maske durch die zuständigen Mitarbeiter müsse zum Zweck der Aufrechterhaltung eines reibungslosen Vorstellungsablaufs ebenfalls probiert werden. Den Bedürfnissen für die Tätigkeit der Maskenbildner und der Garderobe wird durch andere Regeln Rechnung getragen, z. B. durch die Bestimmungen des Bühnentechnikertarifvertrages vom 25. Mai 1961 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 24. Mai 1984 für Maskenbildner mit überwiegend künstlerischer Tätigkeit und durch die Vorschriften der Sonderregelung 2 g MTL II in Verb. mit den bezirklichen Vereinbarungen für die Garderobefrauen in Landesbühnen. Diese sind für die Auslegung der nur für Chorsänger geltenden, auf deren arbeitstäglichen Besonderheiten zugeschnittenen Tarifnormen nicht heranzuziehen.
dd) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, aus § 7 Abs. 3 der Hausordnung für den Opernchor, der als Anl. 2 gem. § 25 Satz 2 Normalv Chor Bestandteil des Tarifvertrages ist, könne nicht gefolgert werden, die Ankleide- und Schminkzeit sei Bestandteil der weiteren Probe. Die Vorschrift enthält eine direktionsrechtliche Anweisung der Tarifvertragsparteien, die der Ordnung im Theater dient. Einen Rückschluß auf die Auslegung des § 5 Abs. 5 Satz 3 Normalv Chor läßt die Bestimmung nicht zu.
2. Handelt es sich bei der halbstündigen Ankleide- und Schminkzeit nicht um einen Teil der Probe, so stellt sich die für diese Tätigkeit aufgewendete Arbeitszeit des Klägers als eine Arbeitsleistung dar, die mit dem festen monatlichen Gehalt nach § 10 Abs. 2 Normalv Chor in Verb. mit den Bestimmungen des Chorgagentarifvertrages abgegolten ist. Zwar bestimmt § 11 Abs. 1 Normalv Chor, daß mit dem festen Gehalt die von Opernchormitgliedern nach dem Tarifvertrag zu erbringenden Arbeitsleistungen abgegolten sind. Das sind die zunächst in § 4 erwähnten Aufführungen und Proben sowie die dort im einzelnen genannten Veranstaltungen. Zeiten für Schminken und Ankleiden werden dort nicht genannt. Damit wird diese Tätigkeit jedoch nicht zu einer besonders zu vergütenden Arbeitsleistung. Denn in § 4 Normalv Chor wird nicht abschließend geregelt, welche konkreten Arbeitsleistungen des Opernchorsängers mit seiner monatlichen Gage vergütet werden sollen. Der Sinn der Vorschriften der §§ 4, 10 und 11 Normalv Chor erschließt sich erst aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Auch ohne ausdrückliche Regelung ergibt sich daraus neben der Verpflichtung des Opernchormitglieds auf individuell-häusliche Probenarbeit an Stimme, Partitur und Text (BAGE 45, 238, 244 = AP Nr. 22 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag), daß der Opernchorsänger für Zeiten vor den Vorstellungen, der General- und Hauptprobe und der weiteren Probe zum Kostümieren und Maskieren Zeit aufwenden muß, die nur dann zusätzlich zu vergüten ist, wenn sie den staatlichen Arbeitszeitrahmen der Arbeitszeitordnung übersteigt und Mehrarbeit im Sinne dieses Gesetzes ist. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß mit der weiteren Probe zusätzliche Beschwernisse durch Kostümieren und Maskieren verbunden sind. Diese Tatsache war den sachkundigen Tarifvertragsparteien bei der Fassung der Normen bekannt. Es hätte ihnen freigestanden, dafür nach § 11 Abs. 2 Normalv Chor eine besonders angemessene Vergütung zugunsten der Sänger vorzunehmen, wie es für die Sonderleistungen nach § 4 Abs. 2 Normalv Chor ausdrücklich vorgesehen ist.
3. Liegt somit ein zweifelsfreies Auslegungsergebnis vor, kommt es auf die Anschauung der betroffenen Berufskreise nicht an. Es kann somit dahingestellt bleiben, ob die insoweit erhobene Verfahrensrüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe den diesbezüglichen Vortrag der Beklagten nicht verwenden dürfen, zulässig und begründet ist.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Dr. Röhsler Dörner
zugleich für den
erkrankten Richter
Dr. Jobs
Oberhofer Fischer
Fundstellen
RdA 1988, 60 |
AP § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag (LT1), Nr 32 |