Differenzierung bei Nachtarbeitszuschlägen ist grundsätzlich zulässig
Viele Tarifverträge differenzieren zwischen gelegentlicher und regelmäßiger schichtplanmäßiger Nachtarbeit und sehen für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vor. Ziemlich unfair, zumindest aus der Sicht vieler Beschäftigter, die regelmäßig Nachtarbeit im Schichtmodell leisten. Auch im vorliegenden Fall forderte eine Schichtarbeiterin höhere Zuschläge, rund 400 weitere Klagen sind beim BAG anhängig. Nach der Entscheidung des EuGH, dass allein das oberste Arbeitsgericht im Rechtsstreit um unterschiedlich hohe Nachtzuschläge zuständig ist, muss das BAG in diesen Verfahren entscheiden.
Die unterschiedliche Entlohnung der Nachtarbeit ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich zulässig, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt. Dieser könne auch darin liegen, dass mit einem höheren Zuschlag neben den gesundheitlichen Belastungen der Schichtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen. So war es in diesem Fall -die Klage der Coca-Cola Mitarbeiterin blieb somit ohne Erfolg. Je nach tariflicher Regelung kann die Beurteilung in weiteren Verfahren anders ausfallen.
Arbeitnehmerin im Schichtmodell erhält geringere Zuschläge
Die Arbeitnehmerin ist in der Getränkeindustrie, beim Unternehmen Coca-Cola, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag der Erfrischungsgetränke-Industrie Anwendung. Der Tarifvertrag regelt, dass der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit 20 Prozent und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 Prozent der Stundenvergütung beträgt. Die Mitarbeiterin erhält danach einen Zuschlag von 20 Prozent für die Nachtarbeit, die sie in einem Schichtmodell leistet. Sie klagte, da die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge ihrer Auffassung nach gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung gebe es nicht. Insbesondere seien Mitarbeitende, die regelmäßig nachts arbeiteten, viel höheren Gesundheitsgefährdungen und Störungen ihres sozialen Umfelds ausgesetzt als Beschäftigte, die nur gelegentlich Nachtarbeit leisteten.
BAG befragt EuGH zur unterschiedlichen Vergütung bei Nachtzuschlägen
Das Bundesarbeitsgericht setzte den Fall ebenso wie ein Parallelverfahren zunächst aus. Es wollte zunächst vom EuGH die Vereinbarkeit mit europäischem Recht geklärt wissen. Der Gerichtshof in Luxemburg verwies die Sache zurück. In seinem Urteil machte er deutlich, dass die Festsetzung des Lohn‑ und Gehaltsniveaus der Vertragsautonomie der Sozialpartner auf nationaler Ebene und der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet vorbehalten bleibt. Die konkreten Bestimmungen der Richtlinie zur Nachtarbeit (Art. 8 und 13) betreffen nach Aussage des EuGHs nur Dauer und Rhythmus der Nachtarbeit und damit den Gesundheitsschutz und die Sicherheit der Nachtarbeitenden, wobei den Mitgliedstaaten aber keine Verpflichtungen auferlegt würden. Damit hatte allein das BAG in der Sache zu entscheiden.
BAG: Differenzierung bei Nachtarbeitszuschlägen ist zulässig
In diesem ersten Grundsatzurteil hat das BAG festgestellt, dass eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist. Dieser müsse aus dem Tarifvertrag erkennbar sein. Vorliegend sollte, laut der tarifvertraglichen Regelung im MTV, ein höherer Zuschlag für gelegentliche Nachtarbeit neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgleichen. Dies sei ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung, entschied das BAG.
Tarifautonomie ermöglicht Gründe für Ungleichbehandlung bei Nachtarbeitszuschlag
Tarifvertragsparteien dürften im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie grundsätzlich mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke verfolgen. Dieser weitere Zweck ergab sich für das BAG aus dem Inhalt der Bestimmungen des MTV, wobei eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge nicht erfolgt sei. Hier verwies das BAG darauf, dass es im Ermessen der Tarifvertragsparteien liege, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen.
Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Februar 2023, Az: 10 AZR 332/20, EuGH, Urteil vom 7. Juli 2022 in den Verfahren C‑257/21 und C‑258/21, Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2020, 10 AZR 332/20 (A); Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juni 2020, Az: 8 Sa 2030/19
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