Entscheidungsstichwort (Thema)

Innerbetrieblicher Schadensausgleich. Umwegfahrt

 

Normenkette

BGB §§ 611, 282

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 20.02.1991; Aktenzeichen 7 Sa 706/90)

ArbG Bonn (Urteil vom 18.06.1990; Aktenzeichen 3 Ca 750/90)

 

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 20. Februar 1991 – 7 Sa 706/90 – wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Beklagte war bei der Klägerin, die in B. ein Autohaus betreibt, ab dem 1. August 1989 als Nachwuchsverkäufer zu einem Bruttomonatsgehalt von 1.900,– DM beschäftigt. Am 4. August 1989 erhielt der Beklagte von dem Verkäufer S. den Auftrag, mit einem als Vorführwagen zugelassenen Sportwagen zur Kraftfahrzeugzulassungsstelle in M. zu fahren, um dort ein anderes Fahrzeug anzumelden. Der Beklagte wählte nicht die kürzeste Straßenverbindung über B. und A., sondern fuhr über die Bundesstraße nach B. zum Autobahnanschluß B. und von dort über die Autobahn A. nach M. Der Umweg betrug ca. 20 km. Auf der Autobahnausfahrt M. kam der PKW nach rechts von der Fahrbahn ab und geriet in den dortigen Graben. Das Fahrzeug wurde beschädigt. Der Beklagte rief seinen Vater herbei und dieser wiederum die Polizei, die den Beklagten wegen Verletzung der §§ 3, 18 StVO verwarnte und ein Verwarnungsgeld in Höhe von 40,– DM erhob.

Der PKW wurde in die Werkstatt der Klägerin abgeschleppt und dort repariert. Mit Rechnung vom 21. September 1989 verlangte die Klägerin vom Beklagten Bezahlung von Reparaturkosten in Höhe von 7.286,25 DM ausschließlich Mehrwertsteuer.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin diesen Betrag abzüglich einer verrechneten Gegenforderung in Höhe von 736,40 DM geltend.

Sie hat behauptet, ihr Mitarbeiter S. habe dem Kläger aufgetragen, auf dem kürzesten Weg nach M. zu fahren. Der Beklagte habe den Umweg über die Autobahn offenbar gewählt, um den Sportwagen einmal aus fahren zu können. Darauf, daß der Vorführwagen nicht vollkaskoversichert gewesen sei, habe der Verkäufer S. den Beklagten zu Beginn seiner Tätigkeit hingewiesen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.549,85 DM nebst 10,5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, die Strecke über B. und A. erfordere einen erheblich größeren Zeitaufwand, weil hier mehrere Orte durchquert werden müßten, die Geschwindigkeitsbegrenzungen vorsähen. In K. habe er einen potentiellen Kunden aufgesucht, mit dem es noch Fragen abzuklären gegolten habe.

Der Vorführwagen sei technisch defekt gewesen. Unmittelbar vor dem Unfall sei die Anzeige des Tachometers und des Drehzahlmessers auf Null gefallen. Sodann hätten beide Vorderräder oder das linke oder das rechte Vorderrad blockiert und das Fahrzeug sei rechtwinklig nach rechts gezogen. Auf der Straße sei lediglich eine Blockierspur zu erkennen gewesen. Seinem Vater habe er gleich erklärt, daß der Unfall auf technisches Versagen zurückzuführen sei. Im Betrieb habe er den Verkäufer S. und den Kraftfahrzeugmeister K. unterrichtet, daß ein technischer Mangel vorgelegen habe. Er hat die Schadenshöhe bestritten und geltend gemacht, seine Haftung sei in Höhe einer Selbstbeteiligung für eine Kaskoversicherung beschränkt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht unter Abweisung der Klage im übrigen den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 4.728,28 DM nebst 10,5 % Zinsen seit dem 12. April 1990 zu zahlen. Mit seiner zugelassenen Revision begehrt der Beklagte Klageabweisung in vollem Umfange.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verurteilt, 4.728,28 DM nebst 10,5 % Zinsen seit dem 12. April 1990 an die Klägerin zu zahlen. Dabei ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß der Beklagte dem Grunde nach wegen positiver Vertragsverletzung verpflichtet ist, der Klägerin den aus dem Unfall vom 4. August 1989 resultierenden Schaden zu ersetzen. Allerdings hat das Berufungsgericht zugunsten des Beklagten angenommen, er hafte lediglich nach den Regelungen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs mit den durch die Rechtsprechung entwickelten Beschränkungen der Haftung. Hierin kann dem Landesarbeitsgericht nicht gefolgt werden. Vielmehr hat bereits der Siebte Senat in seinem Urteil vom 21. Oktober 1983 (BAGE 44, 170, 171 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) zutreffend festgestellt, daß die Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers voraussetzt, daß der Arbeitnehmer den Schaden in Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit verursacht hat. Für die Frage, ob der Arbeitnehmer den Schaden in Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit verursacht hat, kommt es auf einen derartigen inneren Zusammenhang zwischen betrieblicher Tätigkeit und Schadensereignis an, daß die Verfolgung betrieblicher Zwecke als entscheidende Schadensursache anzusehen ist. Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen kann nicht angenommen werden, die Verfolgung betrieblicher Zwecke sei entscheidende Schadensursache gewesen. Die konkrete Sachlage läßt vielmehr den Schluß zu, der Beklagte habe den Pkw zu einer Privatfahrt benutzt. Der Beklagte befuhr nicht die kürzeste Strecke zwischen dem Sitz der Klägerin und der Kraftfahrzeugzulassungsstelle in M., sondern wählte den über die B. und die A. führenden Weg. Damit entschied er sich für einen ca. 20 km langen Umweg. Allein der Umweg war schon deutlich länger als die eigentliche Fahrtstrecke. Diese Wahl traf er, obgleich ihm sein Vorgesetzter S. nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zuvor den Weg über die Landstraße erklärt und damit zumindest die Erwartung zum Ausdruck gebracht hatte, der Beklagte werde über die Landstraße fahren. Des weiteren hat das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß der Beklagte keinen Grund hatte, den ca. 20 km langen Umweg über die Autobahn zu fahren. Das wahre Motiv des Beklagten ist im Rechtsstreit ungeklärt geblieben. Dementsprechend kommt dem Beklagten keine Privilegierung nach den Regeln des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zugute. Es braucht nicht zu Ungunsten des Beklagten vermutet zu werden, wie es die Klägerin annimmt, der Beklagte habe auf der Autobahn den Sportwagen aus fahren wollen. Wird ein sachlicher Grund nicht festgestellt, so wirkt sich dies zum Nachteil des Beklagten aus. Er ist hinsichtlich der seine Haftungsprivilegierung begründenden Tatsachen in Form einer betrieblichen Tätigkeit darlegungs- und beweisbelastet (vgl. Baumgärtel, Die Beweislastverteilung bei der Arbeitnehmerhaftung, Festschrift für Klemens Pleyer 1986, S. 257, 264). Der Arbeitnehmer, der die Haftungsmilderung für sich in Anspruch nimmt, hat darzulegen und zu beweisen, daß der Schaden bei einer betrieblichen Tätigkeit zustandegekommen ist. Dieser Darlegungs- und Beweislast hat der Beklagte nicht entsprochen. Er hat nicht substantiiert vorgetragen, welche anzuerkennende sachliche Erwägung seinem Tun zugrunde lag. Das Landesarbeitsgericht hat daher zutreffend einen inneren Zusammenhang der Umwegfahrt mit dem dienstlichen Auftrag verneint.

Die Pflichtverletzung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise mittels Anscheinsbeweises festgestellt. Ausgehend von dem unstreitigen Tatbestand, daß der Beklagte bei seiner Fahrt mit dem Pkw nach rechts von der Fahrbahn abkam, durfte das Berufungsgericht vom eingetretenen Erfolg auf eine pflichtwidrige Ursache im Verhalten des Beklagten schließen, denn das Abkommen eines Kraftfahrzeuges von der Fahrbahn ist nach den Regeln des Lebens und der Erfahrung regelmäßig auf einen gewöhnlichen Fahrfehler zurückzuführen. Dies wird auch von der Revision nicht gerügt. Der Beklagte macht vielmehr geltend, das Landesarbeitsgericht habe verkannt, daß er konkrete Tatsachen behauptet habe, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines vom Gewöhnlichen abweichenden Verlaufs ergebe. Diese Rüge der Revision gegen die diesbezügliche Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht erfolgreich. Verstöße gegen Denkgesetze oder Verfahrensregeln sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht zu erkennen, daß das Landesarbeitsgericht den Begriff der „ernsthaften Möglichkeit” verkannt hätte. Es hat den vom Beklagten vorgetragenen Indizien kein ausreichendes Gewicht beigemessen, um von der Erschütterung des Anscheinsbeweises auszugehen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat aus der Behauptung des Beklagten, lediglich das rechte oder das linke Vorderrad habe blockiert und, nach den Feststellungen des als Zeugen benannten Vaters des Beklagten, „nur” eine Blockierspur hervorgerufen sowie die behaupteten Äußerungen des Beklagten gegenüber seinem Vater und Mitarbeitern der Klägerin nicht auf das Vorliegen eines technischen Versagens geschlossen. Hierin liegt kein revisionsrechtlich beachtlicher Fehler der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, denn der vom Beklagten gesehene Zusammenhang ist keinesfalls zwingend, zumal der Beklagte jeden konkreten Sachvortrag dazu unterlassen hat, in welchem Fahrzustand sich das Fahrzeug zum Zeitpunkt der behaupteten Defekte befunden haben soll. Z. B. fehlt jede Angabe dazu, ob das Blockieren im regulären Fahrbetrieb, während einer Bremsung oder gar einer Not-(voll-)bremsung eingetreten sein soll. Die etwaigen Gründe eines entsprechenden Bremsvorgangs sind gleichfalls unerwähnt geblieben. Wenn das Landesarbeitsgericht die ausgesprochene Verwarnung wegen Überschreitens der verkehrsordnungsgerechten Geschwindigkeit würdigt, bestätigt sein Ergebnis die Annahme eines typischen Verlaufs.

Die dem Beklagten nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln obliegende Entkräftung der Verschuldensvermutung gemäß § 282 BGB analog ist ihm nicht gelungen.

Eine Minderung der Ersatzpflicht des Beklagten auf die fiktive Selbstbeteiligung einer Vollkaskoversicherung scheidet aus, denn nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war dem Beklagten von seinem Vorgesetzten S. mitgeteilt worden, daß der Vorführwagen nicht vollkaskoversichert war. Er konnte dementsprechend kein Vertrauen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Annahme eines stillschweigenden Haftungsausschlusses bei der Überlassung von Kraftfahrzeugen zu einer Probefahrt (vgl. nur Urteil vom 18. Dezember 1979 – VI ZR 52/78 – NJW 1980, 1681; Urteil vom 10. Januar 1979 – VIII ZR 264/76 – NJW 1979, 643) entwickeln und hätte sich selbst um eine sachgerechte Haftpflichtversicherung bemühen müssen, wie sie mit einer „Versicherung für das gelegentliche Führen und Benutzen fremder versicherungspflichtiger Kraftfahrzeuge” von der Versicherungswirtschaft angeboten wird.

Die vom Landesarbeitsgericht festgestellte Schadenshöhe einschließlich des Zinsschadens ist von der Revision nicht angegriffen worden.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Kremhelmer, Sperl, Brückmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1065154

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge