Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen Nichtbeschäftigung eines Bühnenkünstlers
Normenkette
BGB §§ 252, 280, 242, 133, 157; ZPO § 287
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 11. Februar 1998 – 2 Sa 1319/97 – teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 6. Mai 1997 – 17 Ca 1609/97 – teilweise abgeändert.
Der Tenor wird – teilweise zur Klarstellung – insgesamt wie folgt gefaßt:
Auf die Aufhebungsklage der Klägerin wird der Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts Hamburg vom 2. Dezember 1996 – BOSchG 25/95 – teilweise aufgehoben und insgesamt wie folgt gefaßt:
Auf die Berufung des Schiedsklägers wird der Schiedsspruch des Bezirksbühnenschiedsgerichts Frankfurt am Main vom 10. März 1995 – BSchG 2/95 – teilweise abgeändert:
Die Schiedsbeklagte wird verurteilt, an den Schiedskläger 6.388,17 DM zu zahlen. Die weitergehende Berufung des Schiedsklägers gegen den Schiedsspruch wird zurückgewiesen.
Im übrigen werden die Aufhebungsklage ab- sowie die Berufung und die Revision des Beklagten zurückgewiesen.
Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens haben der Beklagte zu 7/9 und die Klägerin zu 2/9 zu tragen. Die Kosten des Schiedsverfahrens hat der Schiedskläger zu 8/9 und die Schiedsbeklagte zu 1/9 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Schiedsspruches des Bühnenoberschiedsgerichts, mit dem sie zur Zahlung von Schadensersatz wegen unterlassener Beschäftigung des Beklagten verurteilt worden ist.
Der Beklagte ist geprüfter Bühnenbildner. Er war an verschiedenen deutschen und ausländischen Bühnen als Bühnenbildnerassistent tätig. Teilweise wurden Werkverträge abgeschlossen, teilweise Dienstverträge auf der Basis des “Normalvertrages-Solo”. Ob alle Dienstverhältnisse so abgeschlossen waren, ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Jedenfalls war der Beklagte ab 9. September 1991 auf der Basis des “Normalvertrages-Solo” bei der Stadt N… – Städtische Bühnen – mit einem auf drei Jahre befristeten Vertrag angestellt. Aus diesem Vertrag löste sich der Beklagte einvernehmlich, um bei der Klägerin am Aufbau des Kinder- und Jugendtheaters mitzuwirken.
Diese Mitwirkung geschah für die Zeit von Juni bis August 1992 auf der Basis einer Vereinbarung vom 5. August 1992. Danach erhielt der Beklagte für “Vorarbeiten (…) zu seiner Tätigkeit als technischer Leiter sowie Koordinator von Technik und Ausstattung” eine Nettovergütung von 10.000,00 DM. § 2 dieser Vereinbarung lautete:
“Die Vorarbeiten umfassen insbesondere die Einrichtung der Spiel- und Arbeitsräume des Theaters einschließlich dazu erforderlicher Informations- und Angebotsbeschaffung und Planung, Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen und Materialien, Arbeiten für die Bühnenausstattung für die beiden Eröffnungsstücke “Igelhans” und “Bunker”, für die er die Bühnenbilder entwirft sowie Arbeiten für die visuelle Außendarstellung des Theaters.”
Am 13. August 1992 schloß der Beklagte mit der Klägerin, vertreten durch die Dezernentin für Kultur und Freizeit, folgende Vereinbarung:
“Vorvertrag
Zwischen der Stadt F…, vertreten durch den Magistrat, Dezernat für Kultur und Freizeit
und
Herrn M… B…
wird folgender Vorvertrag geschlossen:
§ 1
Herr B… wird für das kommunale Kinder- und Jugendtheater der Stadt F… als technischer Leiter sowie Koordinator von Technik und Ausstattung angestellt. Zum Aufgabengebiet gehört auch die Koordination der visuellen Außendarstellung des Theaters an Gebäuden und auf Werbe- und Informationsträgern.
§ 2
Herr B… entwirft im Rahmen dieses Vertrages pro Spielzeit die Gesamtausstattung (Bühne und Kostüm) zu einer Inszenierung des Theaters oder die Bühnenbilder zu zwei Inszenierungen und betreut ihre Herstellung.
§ 3
Der Vertrag beginnt am 1. September 1992 und endet am 31. Juli 1995.
§ 4
Herr B… erhält eine Gage von monatlich 5.930,– DM.
§ 5
Weitergehende Vereinbarungen über Art und Umfang der Leistungen werden so bald als möglich im Anstellungsvertrag mit der Leitung des Theaters geregelt.
§ 6
Grundsätzlich richtet sich das Vertragsverhältnis nach dem Bühnentechnikertarifvertrag und den sonstigen zwischen dem Deutschen Bühnenverein – Bundesverband deutscher Theater – und der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehörigen geschlossenen Tarifverträgen.
Die Altersversorgung richtet sich nach der Satzung der Versorgungsanstalt der Deutschen Bühnen.
Für Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis sind die Bühnenschiedsgerichte zuständig.
(…)”
Weitere Vereinbarungen wurden zwischen den Parteien nicht geschlossen. Das Bruttomonatsgehalt des Beklagten betrug zuletzt 6.388,17 DM.
In der Spielzeit 1992/1993 entwarf der Beklagte zwei Bühnenbilder. In der Spielzeit 1993/1994 entwarf er ein Bühnenbild und betreute dessen Herstellung. Zum 1. Januar 1994 schloß die Klägerin das kommunale Kinder- und Jugendtheater. Die Stillegungsentscheidung teilte sie dem Beklagten mit Schreiben vom 17. Januar 1994 mit. Gleichzeitig bot sie dem Beklagten an, sich ein anderes Engagement zu suchen. Sie beschäftigte den Beklagten nicht mehr mit der Erstellung von Bühnenbildern. Seine Gage erhielt er bis zum Ablauf des Vertrages weiter.
Mit Schreiben vom 25. September 1994 verlangte der Beklagte von der Klägerin neun Monatsgagen wegen der Nichtabnahme von drei Bühnenbildern.
Diesen Anspruch hat der Beklagte im schiedsgerichtlichen Verfahren weiterverfolgt. Er hat dort vorgetragen, das kommunale Kinder- und Jugendtheater sei zu klein gewesen, um die technische und die künstlerische Abteilung zu trennen. Deshalb seien in seiner Person sowohl die technische Koordination als auch die Bühnenbildnertätigkeit vereint worden. Vor der Schließung des Theaters sei er zu mehr als der Hälfte seiner Tätigkeit mit bühnenbildnerischen Aufgaben befaßt gewesen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Klägerin habe ihn als Bühnenbildner beschäftigen müssen. Wegen Nichterfüllung dieser Pflicht stehe ihm entsprechend der ständigen Praxis der Bühnenschiedsgerichte eine pauschalierte Entschädigung in Höhe von neun Bruttomonatsgehältern zu.
Im bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren hat der Beklagte beantragt,
die Klägerin zu verurteilen, an ihn als Entschädigung für drei nicht abgenommene Entwürfe von Bühnenbildern und für die nicht abgenommene Betreuung von deren Herstellung eine Entschädigung zu bezahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber 57.500,00 DM beträgt.
Die Klägerin hat im bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, dem Beklagten seien keine Zusagen über einen Einsatz als Bühnenbildner gemacht worden. Im übrigen seien mögliche Ansprüche des Beklagten nach der tariflichen Ausschlußfrist verfallen.
Das Bezirksbühnenschiedsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Bühnenoberschiedsgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme in Höhe von 28.746,77 DM stattgegeben. Es hat § 2 der Vereinbarung vom 13. August 1992 dahingehend ausgelegt, daß der Beklagte nicht nur als technischer Koordinator, sondern auch als Bühnenbildner einzusetzen gewesen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Aufhebungsklage der Klägerin und vormaligen Schiedsbeklagten. Sie hat vorgetragen, der Beklagte sei seit dem 1. Januar 1994 freigestellt gewesen. Er habe daher die Möglichkeit gehabt, sich weiterzubilden und einen Schaden durch ein sofortiges Neuengagement zu verhindern.
Die Klägerin hat beantragt,
den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts Hamburg vom 2. Dezember 1996 – BOSchG 25/95 – aufzuheben und die Berufung des Schiedsklägers gegen den Schiedsspruch des Bezirksbühnenschiedsgerichts Frankfurt vom 10. März 1995 – BSchG 2/95 – zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat erwidert, er sei nicht seit Januar 1994 freigestellt gewesen, sondern habe bis Sommer, wahrscheinlich sogar bis Oktober 1994 das Theater zusammen mit dem Intendanten aufgelöst. Er habe versucht, beim Jugendtheater in W… eine Stelle zu erhalten. Dies sei ihm aber nicht gelungen. Auch sonst habe er sich nicht erfolgversprechend bewerben können. Er habe keiner Weiterbildung, sondern der Verwirklichung seiner künstlerischen Vorstellungen in der Praxis bedurft.
Andere Arbeitnehmer sowohl aus dem künstlerischen als auch dem technischen Bereich hätten Abfindungen erhalten. Diese hätten sich nach den Grundsätzen der Bühnenschiedsgerichte gerichtet.
Das Arbeitsgericht hat der Aufhebungsklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist zum Teil begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur teilweisen Klageabweisung. Das angefochtene Urteil des Bühnenoberschiedsgerichts ist aufrechtzuerhalten, soweit es die Klägerin zur Zahlung von 6.388,17 DM verurteilt hat. Die Schiedsklage ist in Höhe eines Bruttomonatsgehaltes begründet. Dementsprechend ist die Aufhebungsklage insoweit mangels Verletzung einer Rechtsnorm (§ 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG) unbegründet.
I. Der Beklagte hat gegen die Klägerin einen Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB wegen vertragswidriger Nichtbeschäftigung. Diese Bestimmung bleibt neben § 615 BGB anwendbar. Ihre Voraussetzungen liegen vor:
1. Maßgebliche vertragliche Grundlage war der Vorvertrag vom 13. August 1992, nachdem eine endgültige Vereinbarung nicht getroffen wurde und der Beklagte seine Tätigkeit aufnahm. Danach war die Klägerin zur Beschäftigung des Beklagten als Bühnenbildner verpflichtet. Das hat das Bühnenoberschiedsgericht durch Auslegung der Vereinbarung der Parteien festgestellt. Diese Feststellung ist durch die Gerichte für Arbeitssachen nur nach denselben Maßstäben zu überprüfen, die im Verhältnis zwischen dem Bundesarbeitsgericht als Revisionsgericht und den Tatsacheninstanzen gelten (grundlegend BAG Urteil vom 18. April 1986 – 7 AZR 114/85 – BAGE 51, 374, 382 f. = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, zu II 2 der Gründe). Geht es – wie hier – um die Auslegung von Individualvereinbarungen durch das Tatsachengericht, sind dessen Auslegungsergebnisse nur beschränkt überprüfbar. Es ist nur zu prüfen, ob die Auslegung gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob sie wesentliche Umstände unberücksichtigt läßt und ob sie rechtlich möglich ist (BAG Urteil vom 28. Mai 1997 – 4 AZR 546/95 – BAGE 86, 43, 54 = AP Nr. 26 zu § 4 TVG Nachwirkung, zu 2b bb (2) der Gründe). Bei der Auslegung von Verträgen ist nach §§ 133, 157 BGB in erster Linie der gewählte Wortlaut und der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille maßgeblich (BGH Urteil vom 10. Dezember 1992 – I ZR 186/90 – BGHZ 121, 13, 16). Weiterhin sind alle Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, die dafür von Bedeutung sind, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt und wie der Empfänger der Erklärung diese verstanden hat oder verstehen mußte (BAG Urteil vom 6. Februar 1974 – 3 AZR 232/73 – AP Nr. 38 zu § 133 BGB, zu II 2 der Gründe). Ein übereinstimmender wirklicher Wille der Parteien geht dabei dem Wortlaut vor (BAG Urteil vom 12. Juni 1975 – 3 AZR 355/74 – AP Nr. 39 zu § 133 BGB, zu II 2a der Gründe).
Diese Grundsätze hat das Bühnenoberschiedsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angewandt. Es hat ausgehend vom Wortlaut der Vereinbarung die näheren Umstände des Vertragsabschlusses berücksichtigt. Der Vertragsabschluß geschah vor dem Hintergrund, daß der von der Klägerin mit der Theatergründung betraute Gründungsbeauftragte Wert auf eine bühnenbildnerische Leistung des Beklagten legte. Wenn das Bühnenoberschiedsgericht deshalb § 2 des Vorvertrages der Parteien nicht nur als Arbeitspflicht des Beklagten, sondern auch als Anspruch auf entsprechende Tätigkeit ausgelegt hat, ist dies nicht zu beanstanden. Diese einzelvertragliche Vereinbarung erhält ihre besondere Bedeutung gerade dadurch, daß ansonsten – zumindest grundsätzlich – nicht der NV-Solo, der einen Beschäftigungsanspruch vorsieht, sondern der BTT, der ihn nicht vorsieht, zwischen den Parteien vereinbart wurde.
Die Auslegung des Bühnenoberschiedsgerichts liegt auch sonst nahe. Gerade im Theaterbereich hat der Beschäftigungsanspruch eine lange Tradition. Er ist historisch gesehen sogar die Wurzel des allgemeinen arbeitsrechtlichen Beschäftigungsanspruches (vgl. dazu Großer Senat des BAG Beschluß vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 – BAGE 48, 122, 130 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht, zu C I 1a der Gründe). Tarifrechtlich findet der Beschäftigungsanspruch seinen Niederschlag in § 6 NV-Solo. Diese Bestimmung ist auch auf Bühnenbildner anzuwenden. § 1 Ziff. 2 NV-Solo gilt für die dort im einzelnen aufgezählten Künstler sowie “Personen in ähnlicher Stellung”. Das sind Bühnenkünstler im engeren Sinne, soweit ihnen ein eigenverantwortlicher künstlerischer Entscheidungsbereich verbleibt (vgl. Reupke, Bühnenschiedsgerichte in der Bewährung, S. 73 ff.). Eine solche kreative Aufgabenstellung haben auch Bühnenbildner (vgl. in ähnlichem Zusammenhang LAG Berlin Urteil vom 16. August 1983 – 9 Sa 23/83 – AP Nr. 44 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu 2c der Gründe; sowie Reupke, aaO, Anm. 254). Dementsprechend wird in der Praxis des Bühnenoberschiedsgerichts der tarifvertragliche Beschäftigungsanspruch auch Bühnenbildnern zuerkannt (Riepenhausen, Das Arbeitsrecht der Bühne, 2. Aufl. 1956, S. 91). Wenn dem Beklagten deshalb bühnenbildnerische Aufgaben übertragen wurden, lag es nahe, daß die Parteien auch die im Theaterbereich üblichen Rechtsfolgen auslösen wollten.
Demgegenüber überschreitet die gegenteilige Auslegung der vertraglichen Beziehungen der Parteien durch das Landesarbeitsgericht die Grenzen einer revisionsrechtlichen Überprüfung der Entscheidung des Bühnenoberschiedsgerichts. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob es sich um einen Verfahrensfehler des Landesarbeitsgerichts oder um eine falsche Anwendung materiellen Rechts handelt. Der Beklagte hat den Mangel in der Revisionsschrift rechtzeitig und ordnungsgemäß benannt und damit die Anforderungen an eine entsprechende Rüge erfüllt.
2. Diese vertragliche Pflicht oblag der Klägerin als Nebenpflicht. Das entspricht der Rechtsnatur des allgemeinen Beschäftigungsanspruches, der sich aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 242 BGB in Verbindung mit dem Persönlichkeitsrecht und der sich daraus ergebenden vertraglichen Förderungspflicht des Arbeitgebers ergibt (vgl. dazu Großer Senat des BAG Beschluß vom 27. Februar 1985, aaO, zu C I 2b der Gründe).
3. Entfällt der Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers ersatzlos, wird die Erfüllung des Beschäftigungsanspruches unmöglich (BAG Urteile vom 13. Juni 1990 – 5 AZR 350/89 – EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 44, zu I 1a der Gründe, und vom 4. September 1985 – 5 AZR 90/84 –, n.v., zu I 2a der Gründe).
4. Die Klägerin hat die Unmöglichkeit zu vertreten.
5. Der Beklagte hat in ausreichender Weise einen Schaden dargelegt. Das Bühnenoberschiedsgericht hat ihn jedoch zu hoch geschätzt.
a) Wird ein Bühnenkünstler – also auch ein Bühnenbildner – nicht beschäftigt, so kann ihm dadurch in seinem beruflichen Fortkommen ein Schaden erwachsen (§§ 249, 251, 252 Satz 1 BGB). Typischerweise läßt er sich im Einzelfall nicht näher belegen, ergibt sich aber trotzdem aufgrund folgender Erwägungen (vgl. BAG Urteil vom 12. November 1985 – 3 AZR 576/83 – AP Nr. 23 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, zu II 2a der Gründe; Wandtke/Fischer/Reich, Theater und Recht, S. 31 Rz 37 und S. 75 Rz 152; Angele, Das Recht auf angemessene Beschäftigung im Theaterrecht, Diss. jur. Köln 1966, S. 62 f.; Riepenhausen, aaO, S. 106 mit Hinweis auf die hergebrachte Argumentation des Bühnenoberschiedsgerichtes; kritisch Reupke, aaO, S. 146 ff.): Dem Künstler wird die Möglichkeit genommen, seine Kunst öffentlich zu zeigen und sein Können zu beweisen. Er kann seine künstlerischen Fähigkeiten nicht weiterbilden und erweitern. Dadurch können ungünstige Urteile in der Fachöffentlichkeit entstehen.
Zumindest die ersten beiden Gesichtspunkte treffen auch auf den vorliegenden Fall zu. Dem Beklagten ist die Möglichkeit genommen worden, durch weitere Bühnenbilder öffentlich zu überzeugen. Er konnte nicht seine praktischen Fertigkeiten an neuen Aufgaben messen und sie damit erweitern.
b) Der dem Beklagten so entstandene Schaden ist nach § 287 ZPO zu schätzen. Dafür bedarf es – entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts – keiner weiteren Anhaltspunkte. Das ergibt sich aus der besonderen Situation der Bühnenkünstler. Anders als in anderen Berufen bedürfen sie nicht nur der ständigen Berufspraxis. Sie sind darüber hinaus in sonst unvergleichlicher Weise auf Kontakte und Bekanntheit in der Fachöffentlichkeit und Popularität beim Publikum angewiesen. Diese besonderen Umstände weisen deutlich auf einen Schaden bei mangelndem Einsatz hin. Zugleich steht diese besondere Situation einer genauen Bezifferung des Schadens entgegen. Die Maßstäbe müssen deshalb aus der Erfahrungswelt der Bühnenkünstler gewonnen werden. Das hat das Bühnenoberschiedsgericht, dem neben dem Obmann vier Beisitzer vom Fach angehören (§ 7 Ziff. 1 Bühnenschiedsgerichtsordnung) getan. In nunmehr jahrzehntelanger Praxis sind Maßstäbe für eine angemessene Schätzung nach § 287 ZPO entwickelt worden, die für die Bemessung von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung einer Beschäftigungspflicht heranzuziehen sind (BAG Urteil vom 12. November 1985, aaO, zu II 3b der Gründe).
Danach wird für eine Spielzeit, während derer der Künstler nicht beschäftigt wurde, ein Schadensbetrag von bis zu sechs Monatsgagen festgesetzt (BAG Urteil vom 12. November 1985, aaO; Wandtke/Fischer/Reich, aaO, S. 76 Rz 153; Reupke, aaO, S. 146). Allerdings handelt es sich nicht um einen starren Wert. Wird ein Künstler beispielsweise in der Saison vor oder nach der Saison, während derer er nicht beschäftigt wird, von seinem Arbeitgeber angemessen beschäftigt, werden drei Monatsgagen angesetzt. Es kommt sogar eine Herabsetzung auf eine Monatsgage in Betracht (Riepenhausen, aaO, S. 109).
c) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Bühnenoberschiedsgericht mit viereinhalb Bruttomonatsgehältern eine zu hohe Entschädigung festgesetzt. Zutreffend ist das Bühnenoberschiedsgericht von einem Einsatzwert von neun Bruttomonatsgehältern ausgegangen, weil der Beklagte für anderthalb Jahre keine Bühnenbilder abgeben konnte. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Halbierung dieses Einsatzwertes durch das Bühnenoberschiedsgericht, weil der Beklagte nicht nur Bühnenbildner, sondern auch technischer Leiter war und deshalb die bühnenbildnerische Tätigkeit nicht seine volle Arbeitskraft in Anspruch nahm.
Das Bühnenoberschiedsgericht hat jedoch nicht beachtet, daß im vorliegenden Fall eine atypische Ursache zur Nichtbeschäftigung führte. Für den Beklagten bestand keine Gefahr einer Rufschädigung. Der Fachöffentlichkeit waren die Gründe der Nichtbeschäftigung bekannt, nämlich die Schließung des kommunalen Kinder- und Jugendtheaters in F…. Ebenso war öffentlich bekannt, daß die Schließung finanzpolitisch begründet war und nicht auf ein berufliches Versagen des Beklagten zurückging. Das Bühnenoberschiedsgericht hat zudem – worauf die Aufhebungsklage zu Recht hingewiesen hat – übersehen, daß der Beklagte sich jederzeit von seinem Vertrag hätte lösen und anderweitig Beschäftigung suchen können. Das folgt aus dem Schreiben der Klägerin vom 17. Januar 1994. Dies ist bei einer Schätzung nach § 287 ZPO zu berücksichtigten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte konkret eine andere Beschäftigungsmöglichkeit hatte. Ebenso wie der Schaden an sich nur aufgrund sehr abstrakter Gesichtspunkte ermittelt werden kann, sind auch die Besonderheiten, die ihn verringern können, auf dieser abstrakten Ebene zu berücksichtigen. Dazu gehört es im vorliegenden Falle, daß der Beklagte abstrakt die Möglichkeit hatte, sein Können anderweitig anzubieten und einzusetzen. Damit stand es ihm offen, auch die anderen Schadensursachen (Mangel an öffentlicher Darstellung und Erweiterung eigener Erfahrungen) auszuräumen. Diese abstrakte Bewertung führt zu einer weitgehenden Minderung des pauschal bemessenen Schadensersatzanspruches. In Anlehnung an die Praxis der Bühnenschiedsgerichte in besonderen Ausnahmefällen ist deshalb der ersatzfähige Schaden mit einem Bruttomonatsgehalt zu bemessen.
d) Da der dem Beklagten zugesprochene Schadensersatz den in anderen Rechtsverhältnissen und nicht im Arbeitsverhältnis der Parteien entgangenen Gewinn ausgleichen soll, steht dem Beklagten der Schadensersatz weder “brutto” noch “netto”, sondern als nicht näher zu kennzeichnende Geldschuld zu.
II. Der Schadensersatzanspruch ist nicht aufgrund des Vorvertrages in Verbindung mit § 4 Abs. 1 BTT und § 20a NV-Solo verfallen. Der Beklagte war zwar verpflichtet, seine Forderung innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen, doch hat der Beklagte diese Ausschlußfrist mit seinem Schreiben vom 25. September 1994 gewahrt. Die Ausschlußfrist begann erst mit der Entstehung des Schadensersatzanspruches. Dies war am 31. Juli 1994 der Fall, denn die vertragswidrige Nichtbeschäftigung des Beklagten als Dauertatbestand endete erst zu diesem Zeitpunkt.
III. Die Parteien haben die Kosten des gerichtlichen Verfahrens gemäß §§ 92, 97 ZPO und des schiedsgerichtlichen Verfahrens nach § 13 Ziff. 1 Satz 1 der Bühnenschiedsgerichtsordnung anteilig zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Haible, R. Iskra
Fundstellen
Haufe-Index 2628998 |
ZTR 1999, 516 |