Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschäftigungszeit. Überleitungsvertrag. Beschäftigungszeit einer Krankenschwester, die in einem vom Land fortgeführten Bezirkskrankenhaus tätig war, das in einem Überleitungsvertrag die Zeit ihrer Tätigkeit bei einem VEB als Betriebszugehörigkeit berücksichtigt hatte

 

Leitsatz (amtlich)

Die Berücksichtigung der Tätigkeit bei einem früheren Arbeitgeber als Zeit der Betriebszugehörigkeit in einem Überleitungsvertrag nach §§ 51, 53 AGB-DDR führt allein nicht dazu, daß diese Zeit als Beschäftigungszeit nach § 19 BAT-O anzuerkennen ist. Dies kommt nur in Betracht, wenn auch die tariflichen Voraussetzungen dafür vorliegen.

 

Normenkette

BAT-O § 19; Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O Nr. 1; Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O Nr. 2; Einigungsvertrag Art. 13; AGB-DDR §§ 51, 53

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 12.06.1995; Aktenzeichen 8 Sa 619/94)

ArbG Suhl (Urteil vom 21.03.1994; Aktenzeichen 5 Ca 3446/93)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt die Anrechnung von Zeiten ihrer früheren Tätigkeiten als Beschäftigungszeiten bei dem Beklagten.

Die Klägerin war seit dem 5. Juli 1976 im Bezirkskrankenhaus … als Fachkrankenschwester beschäftigt. Auf eigenen Wunsch wechselte sie mit Wirkung vom 16. Februar 1984 in den VEB Baumontagekombinat … in dessen Kombinatsbetrieb Industriebau … (fortan: VEB) und war dort als Mitarbeiterin in der gesundheitlichen Betreuung tätig. Ab dem 9. April 1990 war sie als Fachkrankenschwester im Bezirkskrankenhaus … aufgrund eines zwischen dem VEB, dem Bezirkskrankenhaus … und ihr abgeschlossenen Überleitungsvertrages tätig. In diesem ist vereinbart:

“ …

4.

Zusätzliche Vereinbarungen (z.B. Teilbeschäftigung, Dauer des befristeten Arbeitsvertrages, besondere Kündigungsfristen, Regelungen für Heimarbeiter, Werkwohnung, übernommene Ansprüche).

Betriebszugeh.: 16.2.84

Kündigungsfrist: 3 Monate

Kündigungstermin: nur zum Monatsende

7.

Änderungen der in diesem Überleitungsvertrag vereinbarten Bedingungen können gemäß § 49 AGB nur in Übereinstimmung zwischen den betroffenen Partnern des Überleitungsvertrages erfolgen. Sie bedürfen der Schriftform. Soweit arbeitsrechtliche Bestimmungen andere Regelungen treffen, sind entgegenstehende Vereinbarungen dieses Überleitungsvertrages gegenstandslos. In diesen Fällen gelten die arbeitsrechtlichen Bestimmungen.

Dieser Überleitungsvertrag kann nur nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen (§§ 51, 53 AGB) aufgelöst werden.

… ”

Die Klägerin arbeitet derzeit als Fachkrankenschwester für Anästhesie in dem von dem Beklagten übernommenen und als Landesklinik fortgeführten ehemaligen Bezirkskrankenhaus …. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft. Tarifbindung der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung. In § 19 BAT-O heißt es:

  • Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.

    Ist der Angestellte aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, so gilt die vor dem Ausscheiden liegende Zeit nicht als Beschäftigungszeit, …

  • Übernimmt ein Arbeitgeber eine Dienststelle oder geschlossene Teile einer solchen von einem Arbeitgeber, der von diesem Tarifvertrag erfaßt wird oder diesen oder einen anderen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts anwendet, so werden die bei der Dienststelle bis zur Übernahme zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe des Absatzes 1 als Beschäftigungszeit angerechnet.

  • Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991:
  • Als Übernahme im Sinne des Absatzes 2 gilt auch die Überführung von Einrichtungen nach Artikel 13 des Einigungsvertrages.
  • Ist infolge des Beitritts der DDR der frühere Arbeitgeber weggefallen, ohne daß eine Überführung nach Artikel 13 des Einigungsvertrages erfolgt ist, gelten als Beschäftigungszeiten nach Maßgabe des Absatzes 1

    • für Angestellte der Länder

      Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, soweit das Land deren Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche derselben ganz oder überwiegend übernommen hat,

Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin vom 23. Juni 1993 auf Anrechnung der Beschäftigungszeit vom 5. Juli 1976 bis 8. April 1990 mit Schreiben vom 14. Juli 1993 ab.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Anrechnung der Zeiten ihrer früheren Tätigkeit als Beschäftigungszeiten nach § 19 BAT-O i.V.m. den Vereinbarungen im Überleitungsvertrag.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß sie unter Zugrundelegung des Überleitungsvertrages vom 9. April 1990 bei dem Beklagten eine ununterbrochene Beschäftigungszeit seit dem 5. Juli 1976 aufweist.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anrechnung der zuerst im Bezirkskrankenhaus … und anschließend beim VEB zurückgelegten Beschäftigungszeiten nach § 19 BAT-O, weil sie ihr Arbeitsverhältnis mit dem Bezirkskrankenhaus … im Jahre 1984 auf eigenen Wunsch beendet und er nicht die Aufgaben des VEB übernommen habe. Eine Verpflichtung zur Anrechnung ergebe sich auch nicht aus dem Überleitungsvertrag.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin weiterhin ihren Klageanspruch. Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen.

1. Die Klägerin hat keinen tarifvertraglichen Anspruch gegen den Beklagten auf Anrechnung der Zeiten ihrer Tätigkeit vom 5. Juli 1976 bis zum 8. April 1990 als Beschäftigungszeit i.S.d. § 19 BAT-O.

a) Die Anrechnung der Tätigkeit der Klägerin vom 5. Juli 1976 bis zum 15. Februar 1984 im Bezirkskrankenhaus … als Beschäftigungszeit ergibt sich nicht aus § 19 Abs. 1 BAT-O. Nach dieser Tarifbestimmung findet eine Anrechnung nur statt, wenn die Beschäftigungszeit bei demselben Arbeitgeber zurückgelegt wurde und der Angestellte aus diesem Arbeitsverhältnis nicht auf eigenen Wunsch ausgeschieden ist. Beides liegt nicht vor. Das Bezirkskrankenhaus … und der Beklagte sind nicht derselbe Arbeitgeber. Darüberhinaus ist die Klägerin auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Bezirkskrankenhaus … ausgeschieden, weil sie dort keine Schichtarbeit mehr leisten wollte.

§ 19 Abs. 2 BAT-O findet keine Anwendung, weil das Bezirkskrankenhaus … als Arbeitgeber den BAT-O nicht angewendet hat.

Eine Anrechnung nach den Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O scheidet ebenfalls aus. Nr. 1 der Übergangsvorschriften kommt nicht in Betracht, weil die Klägerin auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Bezirkskrankenhaus … ausgeschieden ist. Dieser Ausschlußtatbestand ergibt sich aus der Verweisung in Nr. 1 der Übergangsvorschriften auf § 19 Abs. 2 BAT-O, welcher seinerseits nur zu einer Anrechnung der Beschäftigungszeit nach Maßgabe von § 19 BAT-O Abs. 1 führt (Clemens/Scheuring/Steingen/ Wiese, ATB-Ang, Stand März 1996, § 19 BAT-O Erl. 6.1). Entsprechendes gilt für Nr. 2 der Übergangsvorschriften.

b) Eine Anrechnung der Tätigkeit der Klägerin beim VEB vom 16. Februar 1984 bis zum 8. April 1990 kann mangels rechtlicher Identität des Beklagten mit dem VEB nicht nach § 19 Abs. 1 BAT-O erfolgen. Da der Beklagte den VEB nicht übernommen hat, entfällt auch eine Anrechnung nach § 19 Abs. 2 BAT-O.

Eine Anrechnung findet auch nicht nach den Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O statt. Der Beklagte hat weder den VEB überführt (Nr. 1 der Übergangsvorschriften) noch war dieser ein zentrales oder örtliches Staatsorgan oder eine nachgeordnete Einrichtung oder ein Betrieb, dessen Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche der Beklagte ganz oder überwiegend übernommen hat (Nr. 2 der Übergangsvorschriften).

2. Die Klägerin hat auch keinen einzelvertraglichen Anspruch auf Anrechnung der geltendgemachten Beschäftigungszeit.

a) Die Auslegung von Ziff. 4 des Überleitungsvertrages vom 9. April 1990 durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich bedenkenfrei.

aa) Bei Verträgen, die zum Teil vorgedruckte, zum Teil einzelvertragliche Klauseln enthalten, ist der gesamte Vertrag als nichttypischer Vertrag i.S.d. Rechtsprechung zu § 73 ArbGG anzusehen (BAGE 57, 1, 7 = AP Nr. 2 zu § 53 BAT, zu II 2a der Gründe). Um einen solchen handelt es sich bei dem hier vorliegenden Überleitungsvertrag. Vor der Ziff. 1 dieses Vertrages wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Rechte und Pflichten des Werktätigen und des Betriebes sich aus dem Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. Juni 1977 etc. ergeben. Während die Ziffern 5 bis 8 der Formularurkunde typisierte Klauseln darstellen, ist dies hinsichtlich der maschinenschriftlichen Eintragung unter Ziff. 4 des Vertrages nicht der Fall.

Bei nicht typischen Verträgen ist die in den Tatsacheninstanzen vorgenommene Auslegung durch das Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbar; das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Berufungsgericht bei der von ihm vorgenommenen Auslegung gegen materiell-rechtliche Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) verstoßen hat. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn gegen Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen worden oder wenn der Auslegungsstoff nicht vollständig verwertet worden ist (BAGE 57, 1 = AP, aaO; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 73 Rz 15 bis 17).

bb) Diesem eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stand.

Das Landesarbeitsgericht geht zutreffend davon aus, daß mit der Vereinbarung: “Betriebszugeh.: 16.2.1984” rechtsverbindlich eine Anrechnung der Betriebszugehörigkeit beim VEB auf das auf das Bezirkskrankenhaus … übergeleitete Arbeitsverhältnis festgelegt werden sollte. Daraus ergibt sich aber keine Verpflichtung des Beklagten, der das Bezirkskrankenhaus … als Landesklinik fortführt, diese Zeit der Betriebszugehörigkeit auch als Beschäftigungszeit i.S.v. § 19 BAT-O anzuerkennen.

Mit Recht nimmt das Landesarbeitsgericht an, daß der Umfang der mit der Anerkennung der Betriebszugehörigkeit verbundenen Verpflichtungen nach der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Überleitungsvertrages geltenden Rechtslage zu bestimmen ist. Danach hatte die Betriebszugehörigkeit Bedeutung bei Zuwendungen beim Arbeitsjubiläum, der Zahlung von Zuschlägen zur Jahresendprämie und der Gewährung von Treueprämien aufgrund von Rahmen- oder Betriebskollektivverträgen (vgl. Dobberahn/Erasmy, NZA 1994, 107, 108). Ein weitergehender rechtsgeschäftlicher Verpflichtungswille kann der Vereinbarung über die Betriebszugehörigkeit im Überleitungsvertrag nicht entnommen werden (vgl. BAG Urteil vom 16. März 1994 – 10 AZR 606/93 – AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 1. April 1993 – 4 AZR 73/93 (A) – AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bewachungsgewerbe; Clemens/ Scheuring/Steingen/Wiese, aaO, Erl. 5). Diese läßt insbesondere schon deshalb nicht den Schluß auf eine verbindliche Festlegung der Beschäftigungszeit i.S.v. § 19 BAT-O zu, weil diese tarifliche Regelung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Überleitungsvertrages noch gar nicht absehbar war.

b) Da die Vereinbarung über die Betriebszugehörigkeit im Überleitungsvertrag somit einen anderen Inhalt hat, als die tarifliche Regelung über die Beschäftigungszeit i.S.v. § 19 BAT-O, kann ihr Vorrang vor der tariflichen Regelung nicht mit dem Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 TVG begründet werden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Schmidt, Bengs, P. Stahlheber

 

Fundstellen

Haufe-Index 872491

NZA 1997, 266

PflR 1997, 118

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