Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 28. April 1993 – 6 (4) Sa 143/92 – aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 12. August 1992 – IV Ca 3963/91 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der im Jahre 1943 geborene Kläger erwarb 1968 einen Abschluß als Diplomsportlehrer für Volkssport an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Anschließend war er bis 1980 als Kreissportlehrer, von 1980 bis 1982 als Hauptkreissportlehrer und von 1982 bis 1990 als stellvertretender Vorsitzender für Kinder- und Jugendsport im Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) – Kreisvorstand G. – tätig. Durch Überleitungsvertrag vom 21. Juni 1990 wurde er ab 1. August 1990 als Sportlehrer in den Schuldienst übernommen und erteilte seitdem an der J. Oberschule in G. Sportunterricht in den Klassen 5 bis 11. Der Kläger war Mitglied der SED.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 1991 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1992 wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Er sei nicht persönlich ungeeignet. Er habe bis 1980 neben seinen Aufgaben als Übungsleiter im Trainingszentrum „Geräteturnen” und der fachlichen und organisatorischen Betreuung der ehrenamtlichen Übungsleiter in den Sportarten Turnen und Fechten auch Sportunterricht an verschiedenen Schulen in G. erteilt. Für die politische Auswahl von Sportlern sei er zu keiner Zeit zuständig gewesen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch Kündigung der Beklagten vom 09.12.1991 nicht beendet wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,
ferner für den Fall des Obsiegens im Feststellungsantrag,
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht, die ursprünglich vorhandene Qualifikation des Klägers sei durch seine 20jährige Tätigkeit als hauptamtlicher Mitarbeiter im DTSB entwertet. Der Kläger sei also für eine Tätigkeit als Lehrer an allgemeinbildenden Schulen nicht mehr geeignet. Der Leistungssport sei in der DDR ein Politikum und ein Aushängeschild des Regimes gewesen. Die Auswahl der zu fördernden Kinder und Jugendlichen sei gerade auch unter dem Gesichtspunkt der politischen Zuverlässigkeit des Elternhauses und fehlender Westkontakte vorgenommen worden. In höheren Funktionen des Sportwesens tätige Personen hätten somit darauf zu achten gehabt, daß der Einfluß der SED im Sportbereich sichergestellt gewesen sei. Als stellvertretender Vorsitzender für Kinder- und Jugendsport im DTSB habe der Kläger eng mit dem zweiten Sekretär der SED-Kreisleitung zusammenarbeiten müssen und sei diesem gegenüber rechenschaftspflichtig gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückweisung der Berufung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Kündigung vom 9. Dezember 1991 hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Kündigung vom 9. Dezember 1991 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgerecht zum 31. März 1992 aufgelöst. Der Kläger entspreche im Sinne der Bestimmungen des Einigungsvertrages nicht den Anforderungen, die an einen Lehrer zu stellen seien. Der Kläger habe jedenfalls von 1980 bis 1990 herausgehobene hauptamtliche Funktionen im DTSB ausgeübt, die über eine bloße Parteimitgliedschaft hinaus eine besondere Identifikation mit den Vorstellungen und Zielen der SED beinhaltet hätten. Es sei gerichtsbekannt, daß der Leistungssport im SED-Staat ein Politikum von hohem Rang gewesen sei. Das Regime habe sich durch herausragende sportliche Erfolge größere internationale Anerkennung erhofft. Es habe alles daran gesetzt, daß bekannte Sportler nicht Republikflucht begingen und sich bei internationalen Wettkämpfen nicht in den Westen absetzten. Politische Zuverlässigkeit der Sportler sei deshalb eine unbedingte Voraussetzung für die Förderung gewesen. Die Auswahl förderungswürdiger Sportler gerade auch unter den vorgenannten Gesichtspunkten sei Aufgabe der hauptamtlichen Sportfunktionäre gewesen. Sie hätten eine wirksame politisch-ideologische Arbeit im DTSB durchzusetzen gehabt. Der Kläger habe demgegenüber keine Umstände vorgetragen, die die gegebene besondere Identifikation mit dem SED-Staat und die daraus folgende Ungeeignetheit für den Lehrerberuf entkräften könnten.
Darüber hinaus stehe nicht außer jedem Zweifel fest, ob dem Kläger noch eine ausreichende fachliche Qualifikation als Schulsportlehrer zuzusprechen sei.
Der Wirksamkeit der Kündigung stehe nicht die fehlende Anhörung des Personalrats entgegen. Unstreitig habe kein Personalrat bei der kündigenden Behörde bestanden und ein Personalrat einer unteren Stelle sei nicht zu beteiligen gewesen. § 82 Abs. 5 und 6 des Personalvertretungsgesetzes der DDR sei nicht entsprechend anwendbar.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
I. Der Feststellungsantrag des Klägers umfaßt allein den punktuellen Streitgegenstand der §§ 4, 7 KSchG. Die Antragsbegründung behandelt ausschließlich die Frage, ob die Kündigung vom 9. Dezember 1991 wirksam ist. Die Auslegung des Antrages ergibt daher, daß der Kläger nur eine Kündigungsschutzklage, jedoch keine weitergehende Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO erhoben hat (vgl. Senatsurteil vom 16. März 1994 – 8 AZR 97/93 – AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969).
II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten vom 9. Dezember 1991 nicht mit Ablauf des 31. März 1992 aufgelöst worden. Die streitgegenständliche Kündigung ist nach Abs. 4 Ziff. 1 EV weder wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers noch wegen mangelnder fachlicher Qualifikation des Klägers gerechtfertigt und deshalb gemäß § 1 Abs. 1 des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes unwirksam.
1. Der Kündigungsgrund der mangelnden persönlichen Eignung liegt nicht vor.
a) Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Der Kläger unterrichtete zum Zeitpunkt des Beitritts an einer öffentlichen Schule, gehörte daher dem öffentlichen Dienst an.
b) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 18. März 1993 und 4. November 1993 (– 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX und – 8 AZR 127/93 – AP Nr. 18, a.a.O., jeweils auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen) die Wirksamkeit der Kündigung nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung beurteilt und hierzu im einzelnen folgende Grundsätze entwickelt:
Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht.
Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen; denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.
Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX. auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B II 3 b der Gründe).
c) Das Landesarbeitsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, die vom Kläger im DTSB – Kreis G. – wahrgenommenen hauptamtlichen Funktionen würden eine besondere Identifikation des Klägers mit dem SED-Staat belegen. Der erkennende Senat hat bereits mit Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 39/93 – in einem Fall eines als Diplomlehrer für Sport und Geographie, der zum DTSB delegiert war und dort, wie der Kläger des vorliegenden Rechtsstreits, bis zum stellvertretenden Vorsitzenden für Kinder- und Jugendsport des Kreisvorstandes des DTSB aufgestiegen war, entschieden, daß diese Aufgabe zwar als „staatstragend” bezeichnet werden könne, ein Indiz einer mangelnden persönlichen Eignung mit ihr aber nicht verbunden sei. Der Sport stand in der ehemaligen DDR zwar im Dienste der Partei- und Staatsinteressen und war anders organisiert als in der Bundesrepublik Deutschland. Daraus ergibt sich aber noch nicht, daß die Organisation des Jugendsportes auf Kreisebene und die damit verbundene Anleitung von Trainern eine besondere Systemnähe begründeten. Ebensowenig kann den Feststellungen des angefochtenen Berufungsurteils entnommen werden, der stellvertretende Vorsitzende im Kreisvorstand des DTSB, der nicht allgemeiner Vertreter des ersten Vorsitzenden, sondern für die Bereiche Kinder- und Jugendsport zuständig war, habe eine hervorgehobene Position innegehabt oder gar überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken gehabt.
2. Der Kündigungsgrund der mangelnden fachlichen Qualifikation (Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 EV) liegt gleichfalls nicht vor. Der Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt dargelegt, welche Anforderungen er an die berufliche Qualifikation der bei ihm tätigen Sportlehrer stellt. Dementsprechend ist die Feststellung mangelnder Qualifikation des Klägers ausgeschlossen.
III. Über den Weiterbeschäftigungsantrag ist in der Revisionsinstanz nicht mehr zu entscheiden.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Krause, Ma. Schallmeyer
Fundstellen