Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter bei der Zusatzversorgung der Deutschen Bundespost
Normenkette
Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) § 42; Versorgungstarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost § 3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EGVtr Art. 119; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 28. Februar 1995 – 3 Sa 43/93 – wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1. September 1992 die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie in der Zeit vom 27. April 1970 bis zum 31. August 1992 bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) versichert gewesen wäre.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin ab dem 1. September 1992 Anspruch auf eine Zusatzversorgung hat.
Die am 4. August 1932 geborene Klägerin, die Mitglied der Deutschen Postgewerkschaft ist, war vom 27. April 1970 bis zum 31. August 1992 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als teilzeitbeschäftigte Angestellte tätig. Ihre wöchentliche Arbeitszeit betrug vom 27. April 1970 bis zum 15. Februar 1972 22,1 Stunden, ab dem 16. Februar 1972 18,4 Stunden, ab dem 1. April 1983 22,1 Stunden, ab dem 1. Dezember 1983 18,4 Stunden, ab dem 1. März 1988 17,6 Stunden und ab dem 1. Januar 1990 bis zu ihrem Ausscheiden wegen Erreichens des Rentenalters 10,2 Stunden. Der Arbeitsverdienst der Klägerin lag stets über der Geringfügigkeitsgrenze des Sozialversicherungsrechts.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) Anwendung. Nach § 42 TV Ang sind die Angestellten bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrages der Deutschen Bundespost in seiner jeweiligen Fassung zu versichern. § 3 des Versorgungstarifvertrages bestimmte vom 1. Januar 1988 bis zum 31. März 1991:
„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn
- er das 17. Lebensjahr vollendet hat,
- er vom Beginn der Pflicht zur Versicherung an bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Wartezeit nach der Satzung der VAP erfüllen kann, wobei frühere Zeiten, die auf die Wartezeit angerechnet werden, zu berücksichtigen sind,
- seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens 18 Stunden beträgt.”
Die bis zum 31. Dezember 1987 § 3 Buchst. c Versorgungstarifvertrag entsprechende Vorschrift des § 3 Buchst. b lautete:
„seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens die Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Wochenarbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt.”
Seit dem 1. April 1991 gilt § 3 Buchst. c in der folgenden Fassung:
„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn
…
c) er in einem Arbeitsverhältnis steht, in dem er nicht nur im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV geringfügig beschäftigt ist.”
Aufgrund der von ihr geschuldeten Wochenarbeitszeit war die Klägerin nur vom 22. April 1970 bis zum 15. Februar 1972, 1. April 1983 bis 30. November 1983 und 1. April 1991 bis 31. August 1992 bei der VAP versichert. Da sie hiermit nicht die erforderlichen Mindestversicherungszeiten erfüllt, erhält die Klägerin von der VAP keine Zusatzversorgung.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie müsse neben ihrer gesetzlichen Rente eine Zusatzversorgung erhalten, als ob sie während der gesamten Zeit der Beschäftigung bei der VAP versichert gewesen wäre. Die tarifliche Regelung, die unterhälftig beschäftigte Angestellte von der Zusatzversorgung ausschließe, sei nichtig.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin – beginnend mit dem 1. September 1992 – eine monatliche Rente in der Höhe zu zahlen, die zu zahlen wäre, wenn sie in der Zeit vom 27. April 1970 bis zum 31. März 1991 bei der VAP versichert gewesen wäre,
hilfsweise,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin für die Zeit vom 27. April 1970 bis einschließlich 31. August 1992 auf Kosten der Beklagten in einer der Höhe ihres jeweils bezogenen Gehaltes entsprechenden Weise bei der VAP nachzuversichern,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der der Klägerin dadurch entstanden ist, daß die Klägerin von der Beklagten in der Zeit vom 27. April 1970 bis einschließlich 31. August 1992 nicht auf Kosten der Beklagten bei der VAP versichert wurde.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die tarifliche Bestimmung für wirksam. Sie verstoße weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen Art. 119 EG-Vertrag. Jedenfalls dürfe der Gleichheitssatz nicht rückwirkend zu Lasten der Beklagten angewendet werden. Dies gelte besonders, weil sich hieraus eine zusätzliche erhebliche Kostenbelastung ergeben würde. Darüber hinaus sei der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 119 EG-Vertrag und dem Zusatzprotokoll des Vertrages von Maastricht zu Art. 119 EG-Vertrag zu entnehmen, daß eine rückwirkende Anwendung des Gleichheitssatzes im Betriebsrentenrecht für Zeiten vor dem 17. Mai 1990 ausscheide.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Beklagte muß die Klägerin, was die Zusatzversorgung angeht, so stellen, als wäre die Klägerin während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost versichert gewesen. Dabei hat der Senat nur zur Klarstellung in den Entscheidungstenor auch die Beschäftigungszeiten aufgenommen, in denen die Klägerin tatsächlich bei der VAP versichert war, ohne allein hierdurch allerdings einen Anspruch auf Versichertenrente zu erwerben.
A. Der Senat hat davon abgesehen, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des Senats vom 7. März 1995 (– 3 AZR 321/94 – und – 3 AZR 625/94 – n.v.) auszusetzen. Die Klägerin hat ein Recht darauf, daß die Fachgerichte ihren Anspruch abschließend beurteilen. Dieses Interesse überwiegt im Hinblick auf das Alter der Klägerin gegenüber den Interessen der Beklagten, weitere Prozeßkosten zu ersparen.
B. Gegenstand des Rechtsstreits ist, wie in der Urteilsformel klarzustellen war, die Feststellung einer Verschaffungspflicht der Beklagten.
Wie sich aus den von der Klägerin gestellten Anträgen insgesamt und deren Prozeßvortrag ergibt, geht es ihr nicht darum, wie sie die von ihr geltend gemachte Zusatzrente erhält. Sie will festgestellt wissen, daß die Beklagte ihr ab dem 1. September 1992 – auf welchem Weg auch immer – Versorgungsleistungen verschafft, als wäre sie während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses und nicht nur in den die Mindestversicherungszeit nicht ausfüllenden Beschäftigungszeiten bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost versichert gewesen.
Dieser Feststellungsantrag ist zulässig.
I. Der Antrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die für den Inhalt des Anspruchs maßgeblichen Umstände stehen zwischen den Parteien fest. Dies gilt für den Zeitraum, sowie die Art und den Umfang der Tätigkeit, für welche die Klägerin die zusätzliche Altersversorgung beansprucht.
II. Für diesen Antrag besteht auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.
1. Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Verschaffungsanspruch handelt es sich um ein Rechtsverhältnis i.S. des § 256 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin ist Rentnerin. Der Versorgungsfall ist eingetreten.
2. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Inhalts ihres Verschaffungsanspruchs. Dem steht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegen, daß bei der Klägerin der Versorgungsfall bereits eingetreten und deshalb eine Leistungsklage an sich möglich ist. Der Vorrang der Leistungsklage gilt nicht uneingeschränkt. Er dient der prozeßwirtschaftlich sinnvollen Erledigung von Rechtsstreitigkeiten. Deshalb ist eine Feststellungsklage trotz der an sich gegebenen Möglichkeit einer Leistungsklage dann zulässig, wenn auf diesem Weg eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozeßwirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen. Im vorliegenden Fall erfordert die Bezifferung der Versorgungsleistungen zum einen die Aufklärung länger zurückliegender Sachverhalte, zum anderen aufwendige und schwierige Berechnungen, die wegen des differenzierten Systems der Zusatzversorgungskasse und der zahlreichen Satzungsänderungen nur von besonders geschulten Personen zuverlässig durchgeführt werden können. Beiden Parteien kann dieser Aufwand erst dann zugemutet werden, wenn feststeht, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine den tariflichen Vorschriften entsprechende Versorgung zu verschaffen (BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu A III 2 b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
C. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte muß der Klägerin die geforderten Versorgungsleistungen verschaffen. Dies folgt aus § 42 TV Ang. Der Ausschluß der unterhälftig beschäftigten Arbeitnehmer von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist insoweit unwirksam, als er die mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausschließt. Das hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO; Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Zuletzt hat der Senat am 12. März 1996 in mehreren Urteilen diese Rechtsprechung trotz der von der Beklagten auch im vorliegenden Rechtsstreit vorgebrachten Bedenken bestätigt (u.a. – 3 AZR 993/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Der Senat sieht weiterhin keinen Anlaß, von seiner Rechtsprechung abzuweichen.
I. Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen. Dies wird im Senatsurteil vom 7. März 1995 (aaO) näher ausgeführt. Auf die Begründung kann der Senat Bezug nehmen.
II. Der bis zum 31. März 1991 geltende Ausschluß von mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräften wird den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, dessen Inhalt der Senat im Urteil vom 7. März 1995 beschrieben hat, nicht gerecht. Es gab keine sachlich einleuchtenden Gründe für eine Gruppenbildung, die allein auf den zeitlichen Umfang der Arbeit abstellt.
1. Es kommt nicht darauf an, welche Rechtsüberzeugungen während der Zeit bestanden, in der nach dem Versorgungstarifvertrag unterhälftig beschäftigte Arbeitnehmer von der Zusatzversorgung ausgeschlossen waren (Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – aaO, zu B II 2 d bb der Gründe). Der Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG hat sich im Laufe der Zeit nicht geändert. Deshalb hat Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht zeitweise eine Differenzierung nach dem zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung gestattet. Zwar kann eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu einer Änderung der Beurteilung einer Rechtsfrage führen. Vorliegend haben sich aber die tatsächlichen Verhältnisse, was Teilzeitarbeit angeht, nicht entscheidend geändert. Lediglich die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hat zugenommen. Die Rechtsfrage, wie Teilzeit arbeitsrechtlich zu ordnen ist, ist die gleiche geblieben. Von der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist die Änderung der jeweiligen Rechtsauffassung, der Wandel der Rechtserkenntnisse, zu unterscheiden. Ein solcher Wandel führt nicht zu einer Änderung der Norm. Er kann allenfalls einer Rechtsprechung entgegenstehen, welche die heutigen Vorstellungen auf Sachverhalte überträgt, die längere Zeit zurückliegen. Dies hat aber mit dem Norminhalt des Art. 3 Abs. 1 GG nichts zu tun.
2. Im übrigen verweist der Senat, was die Gruppenbildung und deren rechtliche Beurteilung betrifft, auf seine Ausführungen im Urteil vom 7. März 1995.
III. Der Verstoß der tariflichen Regelung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG führt im Ergebnis zur Unwirksamkeit der Ausschlußregelung. Im übrigen sind die tarifvertraglichen Versorgungsregelungen einschließlich der den Versorgungsanspruch begründenden Grundregel des § 42 TV Ang wirksam. Die Unwirksamkeit des Ausnahmetatbestandes, der die Klägerin ausgrenzte, führt zur Anwendbarkeit der Grundregel. Auch hierzu sind keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden. Der Senat nimmt deshalb auf seine Ausführungen im Urteil vom 7. März 1995 Bezug.
IV. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgende Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Belastungen steht dem Verschaffungsanspruch der Klägerin nicht entgegen. Der von der Beklagten geltend gemachte Rückwirkungsschutz kann auch nicht auf Europarecht gestützt werden.
1. Ob und in welchem Umfang gegenüber Rechtsprechungsänderung Vertrauensschutz einzuräumen ist, ist unterschiedlich zu beantworten je nachdem, ob es sich um eine Änderung der Rechtsprechung oder eine Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze handelt. Die Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze kann nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden mit einem Wandel der Rechtsauffassungen. Jedenfalls gewinnt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Vertrauensschutz um so größere Bedeutung, je stärker die Rechtsprechung sich der Rechtssetzung nähert, wie dies etwa im Bereich der Rechtsfortbildung der Fall ist. Umgekehrt gilt, daß jeder Richter seiner Entscheidung die Erkenntnisse zugrunde legen muß, die er hier und heute gewinnt. Auch das hat der Senat eingehend im Urteil vom 7. März 1995 dargelegt und im Urteil vom 12. März 1996 (– 3 AZR 993/94 –, aaO, zu C I 4 der Gründe) ergänzt. Hierauf wird zunächst verwiesen. Zusammengefaßt gilt, daß die Erwartung eines Arbeitgebers oder der Tarifvertragsparteien, eine Regelung sei rechtlich nicht zu beanstanden, ansonsten fehlende Sachgründe nicht ersetzen kann. Es kann dahinstehen, ob überhaupt ein schützenswertes Vertrauen darauf entstehen kann, daß die Gerichte trotz besserer Erkenntnis ihre Rechtsprechung nicht mehr für zurückliegende Zeiträume ändern. Zumindest hat eine Interessenabwägung zu erfolgen, die nicht nur Ursache und Umfang des Vertrauens in eine bestimmte Gesetzesauslegung, sondern auch dden Gedanken der materiellen Gerechtigkeit zu berücksichtigen hat. Bei einer solchen Abwägung verdient das Interesse der Beklagten, von zusätzlichen Belastungen und Verwaltungsmehraufwand verschont zu bleiben, keinen Vorrang gegenüber dem Interesse der benachteiligten Arbeitnehmer an der uneingeschränkten Beachtung des Gleichheitssatzes. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist in besonderem Maße Ausdruck der materiellen Gerechtigkeit. Seiner besonderen Bedeutung entspricht es, daß grundsätzlich auch für zurückliegende Zeiträume gleiche Entgelte für gleiche Arbeit zu leisten sind und nicht ohne sachlichen Grund bestimmte Personengruppen vorübergehend schlechter behandelt werden dürfen, auch wenn der Verstoß gegen den Gleichheitssatz erst nachträglich erkannt wird. Gegenüber diesem überragenden Interesse muß das Interesse der Beklagten zurücktreten, die finanziellen Belastungen zu vermeiden, die sich aus der Rechtsprechung ergeben und deren Bedeutung vor dem Hintergrund der gesamten Versorgungs- und Personalkostenbelastung der Beklagten gewichtet werden muß.
2. Die Beklagte kann sich zur Begründung ihres Anspruchs auf Vertrauensschutz nicht auf Art. 119 EG-Vertrag und auf die in Maastricht beschlossene Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag berufen. Es geht nicht um den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, sondern um die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten. Das Geschlecht der Arbeitnehmer spielt bei der Entscheidung des Senats keine Rolle. Die Entscheidung hängt nicht davon ab, ob Frauen und Männer in unterschiedlichem Umfang betroffen sind.
Die Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag enthält auch keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem jede Rückwirkung in allen Fragen der Ungleichbehandlung ausgeschlossen ist. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte dieser Norm bieten hierfür Anhaltspunkte. Es geht hier nur um eine Beschränkung der rückwirkenden Belastung aus der Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 119 EG-Vertrag. Diese Auslegung ist derart offenkundig, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof selbst kein Raum für einen vernünftigen Zweifel am Auslegungsergebnis bleiben kann. Es bestand deshalb auch kein Anlaß, die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Protokollerklärung der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf zurückliegende Zeiten entgegenstehen kann (Art. 177 EG- Vertrag). Im übrigen hat der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom 28. September 1994 (– Rs C-57/93 – „Vroege”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 32; – Rs C-128/93 – „Fisscher”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 33) bereits klargestellt, daß das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll Nr. 2 zu Art. 119 EG-Vertrag sogar in dessen Anwendungsbereich keine Auswirkung auf den Anspruch auf Anschluß an ein Betriebsrentensystem hat, um den es der Klägerin geht.
V. Der Anspruch auf Verschaffung der Versorgung ist nicht verjährt. Die Ansprüche der Klägerin auf Zahlung einzelner Raten können zwar verjähren. Die Verjährung beginnt aber erst mit der Entstehung des Anspruchs. Die streitigen Ansprüche der Klägerin für die Zeit ab dem 1. September 1992 sind nicht verjährt. Die Klage wurde am 8. September 1992 erhoben.
Unterschriften
Dr. Heither, Bepler, zugleich für den wegen Urlaubs an der Unterschrift verhinderten Richter Kremhelmer, Schwarze, Köhne
Fundstellen