Orientierungssatz

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch Arzt im Ausland)

Der Beweiswert ärztlicher Atteste eines ausländisches Arztes kann aus dem Inhalt der Bescheinigungen (Zweifel an der sachlichen Richtigkeit) und aus weiteren besonderen Umständen (innerhalb von 6 Jahren zum vierten Mal im Erholungsurlaub in der Heimat erkrankt) beeinträchtigt werden.

 

Normenkette

ZPO § 286; LFZG § 3 Abs. 2, § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 30.01.1984; Aktenzeichen 2 Sa 146/82)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 03.06.1982; Aktenzeichen 4 Ca 540/81)

 

Tatbestand

Der Kläger, ein am 15. August 1943 geborener türkischer Staatsangehöriger, war bei der Beklagten vom 23. Juni 1971 bis zum 30. Juni 1983 als Arbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund ordentlicher Kündigung der Beklagten durch gerichtlichen Vergleich vom 8. September 1983. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TVArb) in der Fassung vom 8. August 1980 anzuwenden. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die Zeit vom 22. Juni bis zum 2. August 1981 Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 3.512,25 DM brutto zu gewähren. Zunächst haben die Parteien weiter darüber gestritten, ob die Beklagte dem Kläger auch für die Zeit vom 10. Oktober bis zum 10. November 1980 Lohnfortzahlung schulde (2.542,29 DM brutto). Diesen Teil der Klage hat der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 30. Januar 1984 jedoch zurückgenommen.

Die Beklagte hatte dem Kläger für die Zeit vom 25. Mai bis zum 19. Juni 1981 Erholungsurlaub gewährt, den der Kläger in seiner Heimat in der Türkei verbrachte. Mit Telegramm vom 22. Juni 1981 meldete der Kläger sich krank. Er legte anschließend mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, ausgestellt von dem Arzt Dr. E B. Das erste Attest, datierend vom 19. Juni 1981, gibt an, daß der Kläger, wie durch Untersuchung festgestellt, an einer Bronchitis leide, daß ihm ein ärztliches Rezept verschrieben worden und daß er für zehn Tage arbeitsunfähig sei (Bl. 42, 376 d.A.). Das zweite Attest ist ausgestellt am 29. Juni 1981 (Bl. 43 d.A.); danach hat der Arzt beim Kläger eine Lungenentzündung festgestellt und ihm für 15 Tage Bettruhe verordnet. Das dritte Attest, mit dem Datum vom 16. Juli 1981, gibt an, beim Kläger sei aufgrund einer Untersuchung eine Bronchitis festgestellt, es sei ihm ein ärztliches Rezept verschrieben, er sei für zehn Tage arbeitsunfähig (Bl. 44, 376 d.A.). Das vierte Attest, ausgestellt am 18. Juli 1981 (Bl. 366, 367 d.A.) gibt an, der Kläger sei untersucht worden, bei ihm sei eine Lungenentzündung festgestellt worden, ihm seien 20 Tage Bettruhe verordnet worden.

Der Kläger hat vorgetragen, er sei in der angegebenen Zeit arbeitsunfähig krank gewesen. Den Nachweis dafür habe er durch die Atteste des Arztes Dr. E B erbracht. Daß es sich hierbei um Bescheinigungen eines Privatarztes handele, stehe seinem Anspruch nicht entgegen. § 20 Abschnitt I Abs. 2 TVArb verlange lediglich eine "ärztliche Bescheinigung" zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

3.512,25 DM brutto nebst 4 % Zinsen

seit dem 30. Oktober 1981 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, daß der Kläger in der von ihm behaupteten Zeit arbeitsunfähig krank gewesen sei. Jedenfalls aber habe er eine Arbeitsunfähigkeit nicht ordnungsgemäß nachgewiesen. Die von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen reichten hierfür nicht aus, weil sie nicht den Anforderungen entsprächen, die nach dem Abkommen über Soziale Sicherheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Erkrankungen in der Türkei zu stellen seien. Auffällig sei, daß der Kläger sich in den letzten Jahren immer wieder gegen Ende seines Erholungsurlaubs, den er jeweils in der Türkei verbracht habe, arbeitsunfähig krank gemeldet habe. Das sei geschehen 1976 für 59 Tage, 1978 für 31 Tage und 1980 für 55 Tage. Schließlich gebe auch der Inhalt der ärztlichen Bescheinigungen von Dr. B zu Zweifeln Anlaß.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, die ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Sache bedarf weiterer Aufklärung durch die Vorinstanz.

I. Der Kläger hat bislang nicht nachgewiesen, daß er in der Zeit vom 22. Juni bis zum 2. August 1981 (dem Ablauf der Sechs-Wochen-Frist) arbeitsunfähig krank gewesen ist. Wegen der besonderen Umstände des Falles vermögen die vom Kläger vorgelegten Urkunden den erforderlichen Nachweis nicht zu erbringen.

1. Nach den allgemeinen Regeln über die Verteilung der Beweislast muß der Arbeiter die Tatsache seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit beweisen. Diesen Beweis erbringt er regelmäßig durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung (dazu ausführlich BAG 28, 144 = AP Nr. 2 zu § 3 LohnFG). Für Arbeiter der Beklagten gilt nichts anderes. Auch § 20 Abschnitt I Abs. 2 TVArb verlangt nur die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung oder - an deren Stelle - die Bescheinigung des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung. Davon ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen. Es hat jedoch erkannt, daß der Beweiswert der vom Kläger zu den Akten gegebenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Arztes Dr. E B beeinträchtigt ist (s. zu 2). Diese Beeinträchtigung ergibt sich allerdings nicht aus dem Umstand, daß es sich bei den Bescheinigungen um solche handelt, die von einem ausländischen Arzt im Ausland ausgestellt worden sind.

a) § 3 Abs. 1 LohnFG regelt allgemein die Pflichten, die den arbeitsunfähig erkrankten Arbeiter treffen (Anzeige- und Nachweispflichten). § 3 Abs. 2 regelt dagegen den besonderen Fall, daß der Arbeiter im Ausland arbeitsunfähig krank wird. Aus Inhalt und Aufbau dieser Bestimmung folgt, daß auch der im Ausland erkrankte - deutsche oder ausländische - Arbeiter dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer mitteilen und eine entsprechende ärztliche Bescheinigung übersenden muß. Wenn auch der ausländische Arzt nicht verpflichtet ist, den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterrichten (§ 3 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 3 LohnFG), so ist durch die genannte Vorschrift doch klargestellt, daß einer im Ausland ausgestellten Bescheinigung eines ausländischen Arztes im allgemeinen der gleiche Beweiswert zukommt wie einer im Geltungsbereich des Gesetzes ausgestellten Bescheinigung. Das muß jedenfalls dann gelten, wenn die Bescheinigung erkennen läßt, daß der ausländische Arzt zwischen bloßer Erkrankung und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unterscheidet und damit eine den Begriffen des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts entsprechende Beurteilung vorgenommen hat (so das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 20. Februar 1985 - 5 AZR 180/83 - zu I 1 a der Gründe; vgl. weiter Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 3 Rz 1, 50, 62, 63; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., § 3 C 312, jeweils m. w. N.).

b) Tritt die Arbeitsunfähigkeit in einem Lande ein, das mit der Bundesrepublik Deutschland ein zwischenstaatliches Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat, dann ist der Arbeiter gehalten, sich an den für seinen Aufenthaltsort zuständigen ausländischen Sozialversicherungsträger zu wenden und dort die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes vorzulegen. Die weiteren Benachrichtigungen erfolgen dann durch den Sozialversicherungsträger (vgl. Senatsurteil, aaO, zu I 1 b der Gründe). Eine derartige Regelung gilt auch im Verhältnis zur Türkei (Gesetz zu dem Abkommen vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 13. September 1965, BGBl. II S. 1169). Das geschilderte Verfahren soll der V e r e i n f a c h u n g dienen (vgl. Kaiser/Dunkl, aaO, § 3 Rz 70). Der Arbeiter kommt seiner Verpflichtung gemäß § 3 Abs. 2 LohnFG nach, wenn er die in den zwischenstaatlichen Abkommen zur Erhaltung seiner Ansprüche - auch in bezug auf Sachleistungen - vorgesehenen Schritte unternimmt (vgl. Kaiser/Dunkl, aaO).

Auf der anderen Seite kann es dem in seinem Heimatland erkrankten ausländischen Arbeiter jedoch nicht verwehrt sein, unmittelbar das in § 3 Abs. 2 LohnFG geregelte Verfahren einzuhalten. Er muß dann allerdings damit rechnen, daß er die dadurch entstehenden besonderen Kosten selbst zu tragen hat. Weiter ist zu verlangen, daß die von dem ausländischen Arzt ausgestellten Bescheinigungen im wesentlichen den Anforderungen genügen, die in den zwischenstaatlichen Abkommen über Soziale Sicherheit aufgestellt sind, z. B. hinsichtlich der Vornahme von (eigenen) Kontrolluntersuchungen (vgl. dazu Kaiser/Dunkl, aaO, § 3 Rz 71). Der Kläger hat der Beklagten seine Arbeitsverhinderung telegrafisch am 22. Juni 1981 mitgeteilt und anschließend ärztliche Bescheinigungen zum Nachweis seiner Erkrankung vorgelegt. Formell ist seine Krankmeldung daher nicht zu beanstanden.

2. Die Beeinträchtigung des Beweiswertes der ärztlichen Atteste des Dr. E B ergibt sich jedoch aus dem Inhalt der Bescheinigungen selbst und aus weiteren besonderen Umständen.

a) Aus den Attesten vom 19. und 29. Juni, vom 16. und 18. Juli 1981 (Bl. 42, 43, 44, 367 d.A.) ist zu entnehmen, daß der Arzt den Kläger untersucht und bei ihm bestimmte Krankheitserscheinungen festgestellt hat. Der Arzt hat den Kläger auch jeweils für arbeitsunfähig befunden, wie aus der klarstellenden Äußerung der Dolmetscherin in der Verhandlung vor dem Berufungsgericht (Bl. 376 d.A.) hervorgeht. Der Arzt hat danach zwischen Krankheit und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unterschieden.

b) Die Bescheinigungen lassen aber über diesen Tatbestand hinaus nicht erkennen, ob der Kläger wirklich durchgehend vom 19. Juni bis zum 2. (bzw. 8.) August arbeitsunfähig krank gewesen ist. Es kann nicht ausreichen, wenn der Arzt den Kläger am 19. Juni 1981 für zehn Tage wegen einer Bronchitis krank schreibt, ohne in den nächsten Tagen auch nur eine Kontrolluntersuchung durchzuführen. Als unzureichend muß in dieser Hinsicht ferner das zweite Attest vom 29. Juni 1981 angesehen werden. Danach hat der Arzt eine Lungenentzündung festgestellt und Bettruhe von 15 Tagen angeordnet. Es fehlt aber jede Angabe darüber, ob der Arzt während dieser Zeit weitere Untersuchungen vorgenommen und was er zur Versorgung seines Patienten veranlaßt hat. Die gleichen Bedenken müssen gegenüber den weiteren Attesten vom 16. und vom 18. Juli 1981 erhoben werden. Am 16. Juli stellt der Arzt nach voraufgegangener Lungenentzündung eine erneute Bronchitis fest, und am 18. Juli soll der Kläger wiederum an einer Lungenentzündung erkrankt sein. Besonders im letztgenannten Fall kann es nicht ausreichen, wenn dem Patienten lediglich 20 Tage Bettruhe verordnet werden, ohne daß weitere ärztliche Bemühungen (wie z. B. Kontrolluntersuchungen) ersichtlich sind.

c) Weiter müssen sich auch Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigungen wegen des Umstandes einstellen, daß dem Kläger damit (d.h. im Jahre 1981) innerhalb von sechs Jahren zum vierten Male im Zusammenhang mit gewährtem Erholungsurlaub Arbeitsunfähigkeit bestätigt worden ist. Krankheitszufälle dieser Art sind nach der Lebenserfahrung nicht wahrscheinlich und müssen daher als geeignet angesehen werden, den Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung zu mindern. Dabei ist auffällig, daß der Kläger im Jahre 1980 zwar am 30. September vom Krankenhaus in Ankara bis zum 9. Oktober für arbeitsunfähig befunden, dann aber - ohne ausdrückliche Notwendigkeit einer Kontrolluntersuchung - für arbeitsfähig erklärt worden ist, während er anschließend - nach dem Befund des Privatarztes Dr. B - wegen Gelenkrheumatismus insgesamt 30 Tage und wegen einer Lungenentzündung 20 Tage das Bett hat hüten müssen (Bl. 39, 40, 41 d.A.). Auch wenn der Kläger seine Sachanträge aus dem Jahre 1980 im letzten Termin vor dem Berufungsgericht zurückgenommen hat, müssen diese Vorgänge berücksichtigt werden, weil die Beklagte sich ausdrücklich darauf berufen hat.

II. Nachdem die vom Kläger vorgelegten Nachweise über Arbeitsunfähigkeit inhaltlich als erschüttert anzusehen sind, muß ihm jetzt Gelegenheit gegeben werden, den Beweis für die behauptete Arbeitsunfähigkeit mit anderen Mitteln zu führen. Der Kläger hat im Schriftsatz vom 25. November 1983 (Bl. 338, 339 d.A.) den Arzt Dr. B als Zeugen dafür benannt, daß er während der von dem Zeugen bescheinigten Zeiten tatsächlich arbeitsunfähig krank gewesen ist. Diesem Beweisantritt muß nachgegangen werden. Dabei bleibt es dem Landesarbeitsgericht überlassen, ob ihm eine schriftliche Beantwortung seiner Beweisfragen (§ 377 Abs. 3, Abs. 4 ZPO) ausreicht oder ob es eine Vernehmung des Arztes im Wege der Rechtshilfe durch ein türkisches Gericht für erforderlich hält.

Dr. Thomas Dr. Gehring ist durch Schneider

Urlaub an der Unter-

schrift verhindert

Dr. Thomas

Döring Dr. Schönherr

 

Fundstellen

EzA § 3 LohnFG, Nr 11 (ST1-4)

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