Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliches Weihnachtsgeld bei Erziehungsurlaub
Leitsatz (redaktionell)
Begriff des „Beschäftigtseins” in einem Unternehmen am 1. Juli eines Kalenderjahres (Fortführung der Rechtsprechung des Senats aus dem Urteil vom 14. Juni 1995 – 10 AZR 394/94 –, nicht veröffentlicht).
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 23.02.1995; Aktenzeichen 3b Ca 2436/94) |
Tenor
1. Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 23. Februar 1995 – 3 b Ca 2436/94 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Sprungrevision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung des tariflichen Weihnachtsgeldes für das Jahr 1994.
Die Klägerin ist gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag vom 20. Juli 1988 seit 15. September 1988 als Fleischfachverkäuferin bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis werden nach Ziffer 14 des Arbeitsvertrages die Tarifverträge der co op, u.a. die Tarifvereinbarung über das 13. Monatsentgelt zwischen der co op Schleswig-Holstein eG, Sitz Kiel, und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, Landesbezirk Nord, Sitz Hamburg, sowie der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, Landesverband Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, Sitz Kiel, vom 27. August 1992 angewandt. Diese Tarifvereinbarung regelt den Weihnachtsgeldanspruch wie folgt:
„§ 2 – Grundsatz
Das 13. Entgelt setzt sich aus zwei Teilbeträgen (Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld) zusammen und kommt in zwei Raten zur Auszahlung und zwar Ende Mai (Urlaubsgeld) und Ende November (Weihnachtsgeld).
…
§ 5 – Weihnachtsgeldanspruch
Anspruch auf die Ende November fällige Leistung (Weihnachtsgeld) haben Beschäftigte, die am 1. Juli im Unternehmen beschäftigt waren und sich am 30. November des jeweiligen Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden.
Auszubildende, die am 01.08. eine Ausbildung beginnen, erhalten 5/6 der Leistungen, die an Auszubildende zu erbringen sind.
Scheidet ein/e Beschäftigte/r, die/der diese Leistung erhalten hat, bis zum 31. März (einschließlich) des folgenden Jahres aus dem Unternehmen aus, so hat sie/er den Betrag zurückzuzahlen. Der Betrag ist mit Ende des Arbeitsverhältnisses fällig.
Abs. 3 gilt nicht für Beschäftigte nach vollendeter dreijähriger Betriebszugehörigkeit.
Ausgenommen hiervon sind Fälle, bei denen das Beschäftigungsverhältnis aufgrund grob treuewidrigen Verhaltens (z.B. Diebstahl etc.) beendet wird.
In den Fällen des Abs. 1 Satz 1 und 2 bleibt der Anspruch bestehen, wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen erfolgt, die das Unternehmen zu vertreten hat.”
Die Klägerin hat am 30. Dezember 1993 entbunden. Nach Beendigung der Mutterschutzfrist nach der Entbindung (§ 6 MuSchG) nahm sie Erziehungsurlaub bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes in Anspruch. Die Beklagte gewährte ihren Mitarbeitern ein 13. Monatsentgelt nach der Tarifvereinbarung vom 27. August 1992; an die Klägerin zahlte sie für 1994 kein Weihnachtsgeld.
Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe ein Anspruch auf das Weihnachtsgeld in Höhe von 1.500,00 DM zu, da sie die tariflichen Voraussetzungen von § 5 der Tarifvereinbarung erfülle.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.500,00 DM brutto nebst 12 % Zinsen auf den Auszahlungsbetrag seit dem 1. Dezember 1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, die Klägerin habe keinen Anspruch auf das tarifliche Weihnachtsgeld, da sie am 1. Juli nicht im Unternehmen beschäftigt gewesen sei. Der Begriff der Beschäftigung am 1. Juli sei etwas anderes als der Begriff des Bestandes eines Arbeitsverhältnisses. Allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses sei für die Zahlung des Weihnachtsgeldes nicht ausreichend. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während des Erziehungsurlaubs stelle den typischen Fall der Nichtbeschäftigung dar, weil wechselseitige Leistungsverpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis zu dieser Zeit nicht bestünden.
Das Arbeitsgericht hat – auf Antrag beider Parteien durch den Vorsitzenden allein – der Klage im wesentlichen – bis auf die 4 % übersteigende Zinsforderung – stattgegeben und die Sprungrevision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin steht nach § 5 Abs. 1 der Tarifvereinbarung über das 13. Monatsentgelt zwischen der co op Schleswig-Holstein eG. Kiel, und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, Landesbezirk Nord, Sitz Hamburg, sowie der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, Landesverband Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, Sitz Kiel, vom 27. August 1992 das Weihnachtsgeld in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 1.500,00 DM zu.
1. Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig. Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil die Sprungrevision ausdrücklich zugelassen und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in den Entscheidungsgründen bejaht. Hieran ist das Revisionsgericht nach § 76 Abs. 2 Satz 2 ArbGG gebunden. Die Zustimmung der Klägerin zu der Sprungrevision ist der Revisionsschrift der Beklagten beigefügt (§ 76 Abs. 1 Satz 3 ArbGG).
2. Die Sprungrevision der Beklagten hat jedoch keinen Erfolg, weil der Klägerin das tarifliche Weihnachtsgeld zusteht.
a) Zutreffend hat das Arbeitsgericht angenommen, die Klägerin erfülle die in § 5 Abs. 1 der Tarifvereinbarung aufgeführten Voraussetzungen; sie stand am 1. Dezember 1994 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis zu der Beklagten und war am 1. Juli 1994 im Unternehmen der Beklagten im Tarifsinne „beschäftigt”.
Das Arbeitsgericht geht zutreffend davon aus, daß die tarifliche Anspruchsvoraussetzung, „am 1. Juli im Unternehmen beschäftigt …”, lediglich den Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Juli erfordert und nicht eine tatsächliche Arbeitsleistung an diesem Tag. Dies folgt aus dem Tarifwortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang der Tarifvereinbarung, die bei der Tarifauslegung maßgebend zu berücksichtigen sind (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).
Bereits der Wortlaut der tariflichen Bestimmung läßt nicht allein den Schluß zu, daß eine tatsächliche Arbeitsleistung am 1. Juli eines Kalenderjahres zu verlangen ist. Mit dem Begriff des „Beschäftigtseins” in einem Unternehmen wird nach allgemeinem Sprachgebrauch – wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht nur eine tatsächliche Arbeitsleistung im Unternehmen, sondern auch generell der Bestand eines Arbeitsverhältnisses zu dem Unternehmen bezeichnet.
Aus dem tariflichen Gesamt Zusammenhang folgt jedoch, daß die Tarifvertragsparteien mit dem Beschäftigtsein in dem Unternehmen am 1. Juli des Kalenderjahres lediglich den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt fordern. Die Tarifvertragsparteien verlangen sowohl für den Anspruch auf das Urlaubsgeld (§ 4 Abs. 1 der Tarifvereinbarung) als auch für den Anspruch auf das Weihnachtsgeld jeweils eine bestimmte Dauer des Arbeitsverhältnisses vor und nach dem Fälligkeitstag; damit knüpfen sie an die erbrachte und zukünftige Betriebstreue an. Schon mit diesem Gesichtspunkt steht es nicht im Einklang, auf ein tatsächliches „Beschäftigtsein” gerade an dem jeweiligen Stichtag, 1. Januar oder 1. Juli, abzustellen. Ein solches Verständnis der tariflichen Anspruchsvoraussetzungen führte auch nicht zu sachgerechten und praktisch brauchbaren Ergebnissen. Eine Auslegung, wonach es für die Zahlung des Weihnachtsgeldes auf eine tatsächliche Arbeitsleistung am 1. Juli ankommt, führte zu rein zufälligen Ergebnissen, je nachdem, ob der 1. Juli des Kalenderjahres ein Arbeitstag ist oder nicht und der Arbeitnehmer auch tatsächlich gearbeitet hat. Fällt der 1. Juli z.B. kalendermäßig auf einen Sonntag oder liegt dieser Tag in den Betriebsferien, würde der Anspruch auf das Weihnachtsgeld entfallen. Dies entspricht nicht dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Dies zeigt insbesondere die Regelung für die Zahlung des Urlaubsgeldes in § 4 Abs. 1 der Tarifvereinbarung. Wäre hierfür Voraussetzung, daß der Beschäftigte am 1. Januar des Kalenderjahres tatsächlich im Unternehmen gearbeitet hat, hätte kein Arbeitnehmer einen Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld, weil am 1. Januar die Arbeit wegen des Feiertags ausfällt.
Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, folgt daher aus dem Sinn und Zweck und dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung über die Zahlung des Weihnachtsgeldes in der Tarifvereinbarung vom 27. August 1992, daß die tarifliche Anspruchsvoraussetzung des „Beschäftigtseins am 1. Juli …” lediglich den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt erfordert. Entsprechendes hat der Senat in seinem Urteil vom 14. Juni 1995 (– 10 AZR 394/94 –, n.v.) für das tarifliche Merkmal des „Tätigseins am 1. Juli …” als Anspruchsvoraussetzung für die Zahlung eines Weihnachtsgeldes nach § 21 Abs. 5 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter der co op-Unternehmen (Einzelhandelsbereich) vom 13. Dezember 1989 entschieden.
Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzung, da sie am 1. Juli 1994 weiterhin in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten stand, das jedoch wegen des in Anspruch genommenen Erziehungsurlaubs ruhte.
b) Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, daß sie im gesamten Kalenderjahr 1994 infolge der Mutterschutzfristen und der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs nicht gearbeitet hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 5. August 1992 – 10 AZR 88/90 – AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation, vom 24. März 1993 – 10 AZR 160/92 – AP Nr. 152 zu § 611 BGB Gratifikation und 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – AP Nr. 162 zu § 611 BGB Gratifikation) können die Tarifvertragsparteien in einer tariflichen Regelung über eine Sonderzahlung im einzelnen bestimmen, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen; dies gilt auch bei der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub. Eine solche Regelung haben die Parteien der Tarifvereinbarung über das 13. Monatsentgelt vom 27. August 1992 nicht getroffen. Sie haben weder ausdrücklich geregelt, welchen Einfluß Erziehungsurlaub auf das 13. Monatsentgelt (Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld) haben soll noch haben sie eine anspruchsmindernde oder anspruchsausschließende allgemeine Regelung für die Fälle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses vorgesehen.
Damit steht der Klägerin – wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat – das geltend gemachte Weihnachtsgeld zu; die dagegen gerichtete Revision der Beklagten ist zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Hauck, Böck, Staedtler, Tirre
Fundstellen