Entscheidungsstichwort (Thema)
Verrechnungsklausel eines Altersvorsorgetarifvertrages. Auslegung der Verrechnungsklausel eines Altersvorsorgetarifvertrages. Verrechnung. Aufrechnung. Pensionsrückstellung. Aufwendungen. fehlende gesetzliche Unverfallbarkeit der bereits bestehenden Versorgungszusage. Klageänderung in der Revisionsinstanz. Feststellungsinteresse. Möglichkeit einer Klage auf künftige Leistung. Betriebliche Altersversorgung. Tarifauslegung. Prozessrecht
Orientierungssatz
- Bei der “Verrechnung” nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge – abgeschlossen zwischen den in der Tarifgemeinschaft des Groß- und Außenhandels und der Dienstleistungen in Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossenen Verbänden einerseits sowie der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, Landesverband Nordrhein-Westfalen, und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung im Deutschen Gewerkschaftsbund Landesbezirksleitung Nordrhein-Westfalen andererseits – handelt es sich um keine Aufrechnung iSd. § 387 BGB. Die Saldierung bedarf keiner Willenserklärung nach § 388 BGB.
- Die dem Anwachsen der Versorgungsanwartschaften Rechnung tragenden jährlichen Erhöhungen der Pensionsrückstellungen sind Aufwendungen iSd. § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge.
- Eine Verrechnung nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge setzt nicht voraus, dass die Aufwendungen für eine betriebliche Altersversorgung geleistet werden, die den Anforderungen der §§ 2 und 7 TV Altersvorsorge entspricht.
- Eine einschränkende Auslegung des § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge ist dann geboten, wenn die bereits bestehende Versorgungszusage noch nicht zu einer gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft geführt hat.
- In der Revisionsinstanz sind Klageänderungen zulässig, wenn es sich um Fälle des § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO handelt und der neue Antrag sich auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt oder auf unstreitiges tatsächliches Vorbringen stützt.
Normenkette
BetrAVG § 1 Auslegung; TVG § 1; Tarifvertrag über Altersvorsorge §§ 2-3, 7, 10; ZPO § 256 Abs. 1, §§ 259, 264 Nrn. 2-3; BGB §§ 387-388
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger bei der Hamburger Pensionskasse von 1905 VVaG (HPK) zu versichern.
Der am 7. November 1952 geborene Kläger ist seit dem 1. Juni 1981 bei der Beklagten beschäftigt. Sie hat eine betriebliche Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung zugesagt, die in einer seit dem 1. Januar 1980 geltenden Konzernbetriebsvereinbarung enthalten ist. Nr. VII dieser Versorgungsordnung (VersO 1980) regelt die Höhe der Alters- und Invalidenrente wie folgt:
“1. Die Alters- und Invalidenrente beträgt pro anrechnungsfähiges Dienstjahr 0,4 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes, …
2. Als anrechnungsfähige Dienstjahre gelten die vollen Jahre, die der Betriebsangehörige zwischen dem 20. und 65. Lebensjahr ununterbrochen bei der S…-Gruppe verbracht hat. …
6. Für den rentenfähigen Arbeitsverdienst gilt ein Höchstbetrag von DM 2.500,--.”
Der rentenfähige Arbeitsverdienst des Klägers beläuft sich auf den Höchstbetrag von 2.500,00 DM/1.278,23 Euro. Nach dem von der Heubeck AG erstellten versicherungsmathematischen Gutachten über die Pensionsverpflichtungen der Beklagten betrugen die steuerrechtlich zulässigen Rückstellungen für die Versorgungsanwartschaft des Klägers zum 31. Dezember 2000 16.040,00 DM/8.201,12 Euro und zum 31. Dezember 2001 17.453,00 DM/8.923,58 Euro. Eine Rückdeckung für die Versorgungsanwartschaften nach der VersO 1980 besteht nicht.
Am 25. Mai 2000 schlossen die in der Tarifgemeinschaft des Groß- und Außenhandels und der Dienstleistungen in Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossenen Verbände mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, Landesverband Nordrhein-Westfalen und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen im Deutschen Gewerkschaftsbund Landesbezirksleitung Nordrhein-Westfalen den Tarifvertrag über Altersvorsorge (TV Altersvorsorge), der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifbindung anzuwenden ist. Er lautet auszugsweise wie folgt:
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Grundsatz
1. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen den Aufbau einer zusätzlichen Altersversorgung anbieten.
Der Aufbau der zusätzlichen Altersversorgung kann durch eine betriebliche Versorgungseinrichtung (Pensionskasse, rückgedeckte, unmittelbare Versorgungszusage oder rückgedeckte Unterstützungskasse) oder durch die Mitgliedschaft in einer überbetrieblichen Pensionskasse oder rückgedeckten Unterstützungskasse erfolgen. Der Arbeitgeber kann auch Direktversicherungen abschließen.
Die Entscheidung über die angebotene Versorgungseinrichtung trifft der Arbeitgeber.
2. Für den Fall, dass der Arbeitgeber keine Einrichtung gem. Ziff. 1 anbietet, hat der/die Arbeitnehmer/in Anspruch auf Anmeldung bei der Hamburger Pensionskasse von 1905 VVaG (HPK). …
§ 3
Altersvorsorge
1. Vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer/innen und Auszubildende haben Anspruch auf eine kalenderjährliche Einmalzahlung in Höhe von DM 312,-/Euro 159,52 (Altersvorsorgebetrag), die ausschließlich für Zwecke der Altersvorsorge verwendet werden muss.
…
2. Der Altersvorsorgebetrag wird jeweils bis zum 30. November eines jeden Jahres vom Arbeitgeber dem Versorgungsträger zugewendet. Eine Barauszahlung ist ausgeschlossen.
…
3. Für den Eintritt in die Altersversorgung gilt Folgendes: Eine Wartezeit besteht nicht. …
§ 7
Rentenzahlung und Insolvenzsicherung
1. Die angebotene tarifliche Altersvorsorge muss neben weiteren möglichen Leistungsarten eine lebenslange Altersrente umfassen und einen an den/die Arbeitnehmer/in insolvenzsicher verpfändeten Anspruch im Wert der eingezahlten Beträge garantieren.
…
§ 10
Anrechnung bestehender Leistungen
Etwa bereits bestehende Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung werden von dieser tariflichen Altersvorsorge nicht berührt und haben umgekehrt auf diese keinen Einfluss.
Bisher vom Arbeitgeber freiwillig geleistete Aufwendungen zur Altersversorgung können mit den nach diesem Vertrag bestehenden Ansprüchen gem. § 3 Ziff. 1 verrechnet werden.”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihn nach § 2 Ziff. 2 TV Altersvorsorge bei der HPK anmelden und zu seinen Gunsten nach § 3 Ziff. 1 TV Altersvorsorge bei diesem Versorgungsträger jährlich einen Beitrag von 159,52 Euro/312,00 DM einzahlen. Die von der Beklagten zugesagte, in der VersO 1980 geregelte Altersversorgung genüge nicht den Anforderungen des § 2 Ziff. 1 TV Altersvorsorge, weil die notwendige Rückdeckung fehle. Auch eine Verrechnung nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge sei nicht möglich. Sie setze voraus, dass die bereits bestehende Altersversorgung die von § 2 Ziff. 1 TV Altersvorsorge geforderten Sicherheiten biete. Ziel der Tarifvertragsparteien sei es gewesen, für eine besonders geschützte Altersversorgung der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer zu sorgen. Die Anlage der Versorgungsbeträge müsse in einer Weise erfolgen, die den Versorgungszweck unter keinen Umständen gefährde. Abgesehen davon seien die Rückstellungen keine geleisteten Aufwendungen iSd. § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge. Keinesfalls könnten die bereits in der Vergangenheit gebildeten Pensionsrückstellungen mit den Ansprüchen auf spätere Beitragszahlung verrechnet werden.
Der Kläger hat in den Vorinstanzen zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, zu seinen Gunsten bei der Hamburger Pensionskasse von 1905 VvaG 52,00 DM/26,59 Euro für November und Dezember 2000 und 312,00 DM/159,52 Euro für das Jahr 2001 einzuzahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, solange das Arbeitsverhältnis besteht und der Tarifvertrag über Altersvorsorge vom 25. Mai 2000 für den Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen in Kraft und auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist, jeweils zum 30. November eines jeden Jahres, beginnend mit dem Jahr 2002, zugunsten des Klägers bei der Hamburger Pensionskasse von 1905 VvaG 159,52 Euro einzuzahlen,
- hilfsweise zu dem Antrag zu 2., festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, beginnend mit dem Jahr 2002 zum 30. November eines jeden Jahres zugunsten des Klägers bei der Hamburger Pensionskasse von 1905 VVaG 159,52 Euro einzuzahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die dem Kläger erteilte Versorgungszusage erfülle die Voraussetzungen des § 2 Ziff. 1 TV Altersvorsorge. Jedenfalls sei eine Verrechnung nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge möglich. Dabei seien die gesamten Rückstellungen zu berücksichtigen. Auch die bereits in der Vergangenheit gebildeten Rückstellungen seien verrechnungsfähige Aufwendungen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht den Hauptanträgen stattgegeben. Im Revisionsverfahren hat der Kläger den bisherigen Hilfsantrag als zweiten Hauptantrag und den bisherigen zweiten Hauptantrag als Hilfsantrag gestellt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Entrichtung von Beiträgen an die HPK nicht zu. Die Beklagte hat sich zu Recht auf die Anrechnungsvorschrift des § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge berufen.
Im Revisionsverfahren hat der Kläger den Leistungsantrag auf künftige Beitragszahlung nicht mehr als Haupt-, sondern als Hilfsantrag und stattdessen den Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zu künftiger Beitragszahlung nicht mehr als Hilfs-, sondern als Hauptantrag gestellt. Weder diese Umstellung noch der Feststellungsantrag sind prozessrechtlich zu beanstanden.
I. In der Revisionsinstanz sind Klageänderungen zulässig, wenn es sich um Fälle des § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO handelt und der neue Antrag sich auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt oder auf unstreitiges tatsächliches Vorbringen stützt (vgl. ua. BAG 7. November 1995 – 9 AZR 645/94 – BAGE 81, 249, 251 f.; 24. September 1996 – 3 AZR 423/95 –, zu A der Gründe). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Hauptantrag ist durch die Umstellung auf eine Feststellungsklage iSd. § 264 Nr. 2 ZPO beschränkt und der Hilfsantrag durch die Umstellung auf eine Leistungsklage erweitert worden. Lediglich die Form, nicht aber der Inhalt des Rechtsschutzbegehrens hat sich geändert. Der zu beurteilende Sachverhalt ist derselbe. Die Umstellung der Anträge führt nicht zu einer Einbeziehung neuer Tatsachen.
II. Der Feststellungsantrag erfüllt die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat das erforderliche Feststellungsinteresse. Die Möglichkeit, eine Klage auf künftige Leistung nach § 259 ZPO zu erheben, beseitigt das Feststellungsinteresse nicht. Dem Kläger steht ein Wahlrecht zu (vgl. ua. BAG 15. Januar 1992 – 7 AZR 194/91 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 84 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 110, zu I 2 der Gründe; 29. Oktober 1997 – 5 AZR 573/96 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 51 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 19, zu I der Gründe; 22. Februar 2000 – 3 AZR 39/99 – AP BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 13 = EzA BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 3, zu A der Gründe, jeweils mwN).
III. Der Kläger hat ausdrücklich darauf hingewiesen, es sei innerprozessuale Bedingung für den hilfsweise gestellten Leistungsantrag nach § 259 ZPO, dass der Feststellungsantrag unzulässig sei. Da diese innerprozessuale Bedingung nicht eingetreten ist, steht der Hilfsantrag nicht zur Entscheidung des Senats.
Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte ist nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge nicht verpflichtet, zugunsten des Klägers Beiträge an die HPK zu leisten.
I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die dem Kläger zugesagte, in der VersO 1980 geregelte betriebliche Altersversorgung nicht den Anforderungen des § 2 Ziff. 1 TV Altersvorsorge entspricht. Die Beklagte hat die dem Kläger versprochenen Versorgungsleistungen nach der VersO 1980 selbst zu erbringen. Damit handelt es sich um eine unmittelbare Versorgungszusage. § 2 Ziff. 1 TV Altersvorsorge verlangt für derartige Zusagen eine Rückdeckung, die unstreitig fehlt.
Für eine vom klaren Wortlaut abweichende einschränkende Auslegung (teleologische Reduktion) besteht kein Anlass. § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge sorgt dafür, dass sich der Schutz der Versorgungsberechtigten auf das Gebotene beschränkt und die Leistungen der Arbeitgeber, die bereits vor In-Kraft-Treten des TV Altersvorsorge freiwillige Versorgungszusagen erteilt hatten, nicht unberücksichtigt bleiben.
II. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Beklagte nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge berechtigt, die bilanzrechtlich zulässigen Erhöhungen der Rückstellungen für die im jeweiligen Kalenderjahr nach der VersO 1980 erworbenen Versorgungsanwartschaften mit der kalenderjährlichen Einmalzahlung nach § 3 TV Altersvorsorge zu “verrechnen”. Auf Grund der Verrechnung besteht keine Zahlungspflicht der Beklagten nach § 3 TV Altersvorsorge mehr. Bei der “Verrechnung” handelt es sich um keine Aufrechnung iSd. § 387 BGB. Die Saldierung bedarf keiner Willenserklärung nach § 388 BGB. Die Voraussetzungen der Verrechnungsvorschrift des § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge sind erfüllt.
1. Die dem Anwachsen der Versorgungsanwartschaften Rechnung tragenden jährlichen Erhöhungen der Pensionsrückstellungen sind Aufwendungen iSd. § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge.
a) Während § 7 TV Altersvorsorge auf die “eingezahlten Beträge” abstellt, verwendet § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge den weiten Begriff “Aufwendungen”, der sich auch auf unmittelbare Versorgungszusagen anwenden lässt. § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge orientiert sich nicht an den Versorgungsleistungen, sondern an dem zugrunde liegenden Aufwand. Bei der unmittelbaren Versorgungszusage zahlt der Arbeitgeber selbst die Versorgungsleistungen aus seinem Vermögen. Die Rückstellungen bewirken, dass die späteren Ausgaben bereits das Wirtschaftsjahr belasten, in dem die ungewissen Verbindlichkeiten verursacht werden, also die Versorgungsanwartschaften entstehen. Das Betriebsvermögen und der ausschüttbare Gewinn verringern sich durch die Pensionsrückstellungen. Das Unternehmenskapital wird vor allem zum Schutz der Gläubiger gebunden.
b) Das Landesarbeitsgericht und der Kläger scheinen die Bildung eines zweckgebundenen, abgetrennten Sondervermögens für erforderlich zu halten. Der Kläger fordert die “konkrete” Bildung von Rückstellungen und das Landesarbeitsgericht spricht von der “Schaffung (effektiver) finanzieller Rücklagen”. Derartige einschränkende Anforderungen lassen sich § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge nicht entnehmen. Bereits die Bilanzierung der Pensionsrückstellung löst die Bindung und Belastung des Unternehmens aus.
Das Landesarbeitsgericht hat nicht zwischen Rückstellungen und Rücklagen unterschieden. Es sah in den von der Beklagten bilanzierten Rückstellungen “solche Rücklagen, die zwar für die Altersversorgung gedacht, aber jederzeit aus anderen Gründen wieder auflösbar” seien. Rücklagen sind variable Teile des Eigenkapitals, die sich aus Kapital- und Gewinnrücklagen zusammensetzen (vgl. § 266 Abs. 3 Buchst. A HGB, §§ 270, 272 HGB). Gewinnrücklagen bestehen aus nicht ausgeschütteten Gewinnen. Kapitalrücklagen sind einlagenähnliche Beträge, die dem Eigenkapital zusätzlich zum gezeichneten Kapital (= Stammkapital) zugeführt werden. Da die Rücklagen das Eigenkapital erhöhen, stellen sie begriffsnotwendig keine Belastung des Unternehmens dar, sondern verbessern dessen Vermögenslage. Rückstellungen sind nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden. Diese Passivierung verschlechtert die Ertragslage und verringert das nach § 266 Abs. 3 Buchst. A HGB in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital. Die Rückstellungen dürfen nach § 249 Abs. 3 Satz 2 HGB nur aufgelöst werden, soweit der Grund hierfür entfallen ist. Demnach handelt es sich um dauerhafte Belastungen, die nicht zur Disposition des Unternehmens stehen.
c) Die Aufwendungen sind iSd. § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge “geleistet”, wenn sich das Eigenkapital des Unternehmens entsprechend verringert. Die Pensionsrückstellungen gewährleisten eine periodengerechte Zuordnung des für die betriebliche Altersversorgung erforderlichen Aufwands. Jedenfalls können die für dasselbe Kalenderjahr gebildeten Rückstellungen und nach § 3 TV Altersvorsorge anfallenden Einmalzahlungen miteinander verrechnet werden. Ob § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge auch eine Verrechnung mit den in früheren Jahren gebildeten Rückstellungen zulässt, kann im vorliegenden Fall offen bleiben.
Die Beklagte hat seit In-Kraft-Treten des TV Altersvorsorge im Jahre 2000 für die betriebliche Altersversorgung des Klägers nach der VersO 1980 Pensionsrückstellungen gebildet, die über den in § 3 TV Altersvorsorge vorgesehenen Zahlungen liegen. Für das Jahr 2001 beliefen sich die Pensionsrückstellungen für die Versorgungsanwartschaft des Klägers nach dem versicherungsmathematischen Gutachten der Heubeck AG auf 722,46 Euro. Der Kläger hat die Berechnung des Gutachtens nicht in Zweifel gezogen. Er hat auch nicht bestritten, dass die Beklagte die von ihr vorgetragenen Pensionsrückstellungen in ihren Bilanzen ausgewiesen hat. Er hat lediglich die – unzutreffende – Auffassung vertreten, dies reiche nicht aus. Die Pensionsrückstellung von 722,46 Euro für das Jahr 2001 liegt so deutlich über den nach § 3 Ziff. 1 TV Altersvorsorge jährlich zu zahlenden 159,52 Euro, dass eine Unterschreitung dieses Betrages im Jahre 2000 ausgeschlossen ist. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass in Zukunft der Anstieg der Rückstellungen geringer ausfallen könnte als die tariflich vorgeschriebene Einmalzahlung.
2. Entgegen der Ansicht des Klägers setzt eine Verrechnung nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge nicht voraus, dass die Aufwendungen für eine betriebliche Altersversorgung geleistet werden, die den Anforderungen der §§ 2 und 7 TV Altersvorsorge entspricht.
a) Nach § 10 Abs. 1 TV Altersvorsorge haben bereits bestehende Altersversorgungen einerseits und die tarifliche Altersvorsorge andererseits aufeinander keinen Einfluss. Die Versorgungsleistungen können nicht aufeinander angerechnet werden. Sie stehen nebeneinander. Dass bedeutet aber nicht, dass die Arbeitgeber, die bereits freiwillig eine betriebliche Altersversorgung geschaffen hatten, zu doppeltem Aufwand verpflichtet werden sollen. Doppelleistungen der Arbeitgeber werden nicht erst auf der Leistungsebene, sondern nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge schon auf der Aufwandsebene vermieden.
b) Nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge können die Aufwendungen, die der Arbeitgeber bisher freiwillig für eine von ihm geschaffene betriebliche Altersversorgung geleistet hat, mit der in § 3 Ziff. 1 TV Altersvorsorge vorgeschriebenen kalenderjährlichen Einmalzahlung verrechnet werden. Weitere Voraussetzungen enthält § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge nicht. Auf §§ 2 und 7 TV Altervorsorge wird nicht Bezug genommen. Der Systematik des Tarifvertrags und dem sich daraus ergebendem Normzweck entspricht es, dass die Verrechnung nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge nicht von den in §§ 2 und 7 TV Altersvorsorge vorgeschriebenen besonderen Sicherungsmaßnahmen abhängt.
aa) § 2 Ziff. 1 TV Altersvorsorge regelt den “Aufbau” einer zusätzlichen Altersversorgung. Im Aufbaustadium sind die Versorgungsanwärter besonderen Risiken ausgesetzt. Solange sie keine gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben haben, genießen sie nach § 7 Abs. 2 BetrAVG keinen Insolvenzschutz. Nach § 1 Abs. 1 BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (aF) musste der Versorgungsanwärter das 35. Lebensjahr vollendet haben. Außerdem musste entweder die Versorgungszusage mindestens 10 Jahre bestanden haben oder der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens 12 Jahre zurückgelegen und die Versorgungszusage mindestens 3 Jahre bestanden haben. Nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden § 1b BetrAVG (nF) wird die Versorgungsanwartschaft gesetzlich unverfallbar, wenn der Versorgungsanwärter das 30. Lebensjahr vollendet und die Versorgungszusage mindestens 5 Jahre bestanden hat. § 8 TV Altersvorsorge bestimmt zwar, dass die tarifliche Altersvorsorge abweichend von den Vorschriften des Betriebsrentengesetzes sofort unverfallbar ist. Eine lediglich vertragliche Unverfallbarkeit löst aber nicht die Insolvenzsicherung durch den Pensions-Sicherungs-Verein nach § 7 Abs. 2 BetrAVG aus (vgl. ua. BAG 28. März 1995 – 3 AZR 496/94 – BAGE 79, 370, 374; 22. Februar 2000 – 3 AZR 4/99 – AP BetrAVG § 1 Unverfallbarkeit Nr. 9 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 72, zu I der Gründe). Dies gilt auch für Tarifverträge. Die gesetzliche Insolvenzsicherung steht nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien.
Die dadurch entstehende Sicherungslücke wird durch die tarifvertraglich vorgeschriebenen Sicherungsmaßnahmen geschlossen. Wenn der Arbeitgeber die tarifliche Altersvorsorge durch eine unmittelbare Versorgungszusage aufbaut, verlangt § 2 Ziff. 1 Satz 2 TV Altersvorsorge eine Rückdeckung. Außerdem muss nach § 7 Ziff. 1 TV Altersvorsorge die angebotene tarifliche Altersvorsorge einen an den Arbeitnehmer insolvenzsicher verpfändeten Anspruch im Wert der eingezahlten Beträge garantieren.
bb) Von Sicherungslücken kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber bereits vor In-Kraft-Treten des TV Altersvorsorge eine betriebliche Altersversorgung geschaffen und dem Arbeitnehmer eine Versorgungszusage erteilt hatte. Im vorliegenden Fall war die nach der VersO 1980 erworbene Versorgungsanwartschaft des Klägers nach § 1 Abs. 1 BetrAVG aF bereits seit dem 1. Juni 1991 und damit vor In-Kraft-Treten des TV Altersvorsorge gesetzlich unverfallbar. Am 1. Juni 1991 bestand die Versorgungszusage 10 Jahre und der Kläger hatte auch das 35. Lebensjahr vollendet. Seither ist seine Versorgungsanwartschaft durch den Pensions-Sicherungs-Verein nach § 7 Abs. 2 BetrAVG insolvenzgesichert. Der gesetzliche Insolvenzschutz gewährt ein derartiges Maß an Sicherheit, dass die Betriebsrentner einer Aktiengesellschaft nach § 225 Abs. 1 Satz 3 AktG bei einer Kapitalherabsetzung, nach § 303 Abs. 2 AktG bei der Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages und nach § 321 Abs. 2 AktG bei einer Eingliederung grundsätzlich keine Sicherheitsleistung verlangen können (BAG 30. Juli 1996 – 3 AZR 397/95 – BAGE 83, 356, 367 ff.). Dementsprechend ist es kein Versehen, sondern grundsätzlich systemgerecht, dass die Verrechnungsvorschrift des § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge nicht die in §§ 2 und 7 TV Altersvorsorge vorgeschriebenen Sicherungsmaßnahmen verlangt. Ziel des TV Altervorsorge ist es, eine insolvenzgesicherte Mindestversorgung der Arbeitnehmer zu schaffen. Die Arbeitgeber sollen jedoch nicht dazu verpflichtet werden, unabhängig von einer bereits bestehenden, von ihnen finanzierten und insolvenzgesicherten betrieblichen Altersversorgung weitere Zahlungen für die tarifliche Altersversorgung ihrer Arbeitnehmer aufzubringen.
cc) Nach der vom Kläger vertretenen Auslegung des § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge könnte die Beklagte eine Verpflichtung zu doppelter betrieblicher Altersversorgung nur dadurch vermeiden, dass sie die nach der VersO 1980 bestehende betriebliche Altersversorgung trotz Insolvenzsicherung noch rückdeckt. Den Tarifvertragsparteien kann nicht unterstellt werden, dass sie die Verrechnungsmöglichkeit nach § 10 Abs. 2 TV Altersvorsorge und damit die Zahlungspflicht nach § 3 Ziff. 1 TV Altersvorsorge von einer unnötigen Rückdeckung abhängig machen und einen nahe liegenden Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG riskieren wollten.
dd) Eine einschränkende Auslegung des § 10 Abs. 2 TV Altervorsorge (teleologische Reduktion) ist nach der Tarifsystematik und dem Regelungszweck allerdings dann geboten, wenn die bereits bestehende Versorgungszusage noch nicht gesetzlich unverfallbar ist. Dies ist hier nicht der Fall.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Oberhofer, Rödder
Richter Bepler ist durch Urlaub an der Unterschrift gehindert.
Reinecke
Fundstellen
Haufe-Index 1210349 |
FA 2005, 88 |
NZA 2005, 711 |
AP, 0 |
EzA-SD 2004, 15 |
NJOZ 2005, 2387 |