Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeugnis. Schlussnote. Darlegungslast
Leitsatz (amtlich)
Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zeugnis bescheinigt, er habe seine Leistungen „zur vollen Zufriedenheit” erbracht, hat der Arbeitnehmer im Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen die Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, die eine bessere Schlussbeurteilung rechtfertigen sollen.
Orientierungssatz
1. Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zeugnis bescheinigt, er habe seine Leistungen „zur vollen Zufriedenheit” erbracht, hat der Arbeitnehmer die Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, die eine bessere Schlussbeurteilung rechtfertigen sollen.
2. Welche Schlussnoten in den Zeugnissen einer Branche am häufigsten vergeben werden, ist ohne unmittelbaren Einfluss auf die Darlegungs- und Beweislast für die zusammenfassende Gesamtbeurteilung der Leistung im Arbeitszeugnis.
Normenkette
GewO § 109; ZPO §§ 144, 402 ff.
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. März 2013 – 18 Sa 2133/12 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Gesamtbewertung der Leistung der Klägerin in einem Zeugnis.
Die Klägerin war in der Zahnarztpraxis der Beklagten ab dem 1. Juli 2010 im Empfangsbereich und als Bürofachkraft beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörten ua. die Praxisorganisation, Betreuung der Patienten, Terminvergabe, Führung und Verwaltung der Patientenkartei, Ausfertigung von Rechnungen und Aufstellung der Dienst- und Urlaubspläne. Darüber hinaus half die Klägerin bei der Erstellung des Praxisqualitätsmanagements. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Kündigung der Klägerin mit Ablauf des 30. Juni 2011. Nachdem diese die Beklagte Ende September 2011 an die Ausstellung eines qualifizierten Zeugnisses erinnert hatte, erhielt sie ein Arbeitszeugnis.
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen den Inhalt des von der Beklagten erteilten Zeugnisses gewandt. Hinsichtlich der in der Revisionsinstanz allein noch streitigen Gesamtbewertung ihrer Leistungen hat die Klägerin die Auffassung vertreten, ihr stünde die Beurteilung „stets zur vollen Zufriedenheit” zu, weil ihre Arbeit tadellos gewesen sei, sie verschiedene Verbesserungen in der Praxis eingeführt habe und die von der Beklagten angeführten Mängel nicht zuträfen.
Die Klägerin hat – soweit für die Revision von Bedeutung – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen mit dem Inhalt:
„…
In der Zusammenarbeit erlebten wir Frau … als engagierte Mitarbeiterin, die sich für die Belange unserer Praxis einsetzte und die ihr übertragenen Arbeiten stets zu unserer vollen Zufriedenheit ausführte.
…”
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Klägerin sei allenfalls die Gesamtbewertung „zur vollen Zufriedenheit” zu attestieren. Die Klägerin habe keine überdurchschnittlichen Leistungen erbracht. Es sei zu zahlreichen Fehlleistungen in Bezug auf das im Arbeitsvertrag vereinbarte Leistungsspektrum gekommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die auf die Gesamtbewertung beschränkte Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt diese ihr Ziel der Klageabweisung hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Gesamtbewertung weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts durfte die Berufung der Beklagten nicht zurückgewiesen werden. Ob die Klägerin gemäß § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO Anspruch auf ein Zeugnis mit der Endnote „gut” hat und sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis als richtig erweist, lässt sich auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen nicht beurteilen. Die Sache ist daher nicht zur Endentscheidung reif und war somit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht ist zwar unter Hinweis auf die vom Senat im Urteil vom 14. Oktober 2003 (– 9 AZR 12/03 – zu IV 2 b der Gründe, BAGE 108, 86) aufgestellten Rechtssätze zur Darlegungs- und Beweislast zutreffend davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer, der eine überdurchschnittliche Beurteilung im Zeugnis erstrebt, entsprechende Leistungen vortragen und ggf. beweisen muss. Jedoch hat es den Begriff „überdurchschnittliche Beurteilung” verkannt. Entgegen seiner Annahme liegt eine überdurchschnittliche Leistung vor, wenn sie der Schulnote „gut” oder „sehr gut” entspricht. Welche Schulnoten in den Zeugnissen einer Branche am häufigsten vergeben werden, ist ohne unmittelbaren Einfluss auf die Darlegungs- und Beweislast.
1. Nach § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO kann der Arbeitnehmer verlangen, dass sich die Angaben im Zeugnis auch auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken. Allerdings begründet diese Vorschrift keinen Anspruch auf ein „gutes” oder „sehr gutes” Zeugnis, sondern „nur” auf ein leistungsgerechtes Zeugnis. Erst wenn der Arbeitnehmer dargelegt hat, leistungsgerecht sei ausschließlich eine überdurchschnittliche Beurteilung, hat der Arbeitgeber die Tatsachen vorzutragen, die dem entgegenstehen sollen (BAG 14. Oktober 2003 – 9 AZR 12/03 – zu IV 2 b cc der Gründe, BAGE 108, 86; ähnlich zur Leistungsbeurteilung bei tariflichem Leistungsentgelt BAG 18. Juni 2014 – 10 AZR 699/13 – Rn. 43).
a) Die Rechtsprechung zur Darlegungslast des Arbeitnehmers, wenn er mit der Gesamtbewertung „befriedigend” im Zeugnis nicht einverstanden ist, wurde nicht auf der Grundlage empirischer Untersuchungen entwickelt. Solche Erkenntnisse sind nur zur Ermittlung eines sogenannten Zeugnisbrauchs, der zB in häufig verwendeten Formulierungen „Zeugnissprache”) seinen Ausdruck finden kann, von Bedeutung. Insofern hat der Senat auf eine empirische Untersuchung von Weuster/Scheer zurückgegriffen, um zu ermitteln, welchen Bedeutungsgehalt die in qualifizierten Zeugnissen häufig genutzte sogenannte Zufriedenheitsskala hat (vgl. BAG 14. Oktober 2003 – 9 AZR 12/03 – zu III 4 a der Gründe, BAGE 108, 86). Ausgehend von den dem Arbeitnehmer übertragenen Tätigkeiten und dem sich daraus ergebenden Anforderungsprofil wird danach die Leistung des Arbeitnehmers daran gemessen, wie der Arbeitgeber mit der Aufgabenerfüllung „zufrieden” war. Der Begriff „zufrieden” bezeichnet abweichend vom üblichen Sprachgebrauch nicht die subjektive Befindlichkeit des Arbeitgebers. Er enthält vielmehr eine auf die Arbeitsaufgabe abgestellte Beurteilung, die sich an den objektiven Anforderungen orientiert, die üblicherweise an einen Arbeitnehmer mit vergleichbarer Aufgabe gestellt werden (vgl. dagegen zum individuellen Maßstab im Kündigungsrecht: BAG 17. Januar 2008 – 2 AZR 536/06 – Rn. 15 mwN, BAGE 125, 257; 11. Dezember 2003 – 2 AZR 667/02 – zu B I 2 b der Gründe, BAGE 109, 87). Verstärkende oder abschwächende Zusätze führen zu einer Schul- oder Prüfungsnoten vergleichbaren Skala, die von „sehr gut” bis hin zu „mangelhaft” reicht.
b) Wird dem Arbeitnehmer bescheinigt, er habe „zur vollen Zufriedenheit” oder „stets zur Zufriedenheit” des Arbeitgebers gearbeitet, wird das der Note „befriedigend” zugerechnet, teils einer Zwischennote „voll befriedigend” oder auch als „gutes befriedigend” oder „gehobenes befriedigend” verstanden. In gleicher Weise werden den Graden der Zufriedenheitsskala – ausgehend von einer durchschnittlichen Leistung – Aussagen wie über- oder unterdurchschnittlich zugerechnet. Danach setzt die Endnote „gut” voraus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr als die „volle Zufriedenheit” bescheinigt. Das kann durch Berücksichtigung des für die Beurteilung besonders wichtigen Zeitmoments geschehen, mit dem der Arbeitgeber die Beständigkeit der Leistungen charakterisiert. „Gut” im Sinne der Zufriedenheitsskala ist ein Arbeitnehmer nur dann, wenn ihm bescheinigt wird, er habe „stets”, „immer” oder „durchgehend” zur vollen Zufriedenheit des Arbeitgebers gearbeitet (BAG 14. Oktober 2003 – 9 AZR 12/03 – zu III 4 a der Gründe mwN, BAGE 108, 86). Dieses Verständnis der mithilfe der Begriffe der Zufriedenheitsskala zum Ausdruck gebrachten Gesamtbeurteilung gilt unverändert. Auch die Klägerin hat nicht geltend gemacht, dass die Formulierung „stets zur vollen Zufriedenheit” inzwischen der Schulnote „befriedigend” entspreche. Ebenso wenig finden sich in der Literatur Anhaltspunkte für eine entsprechende Veränderung der Zeugnissprache (vgl. ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 109 GewO Rn. 32 f.; HWK/Gäntgen 6. Aufl. § 109 GewO Rn. 32; Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 147 Rn. 23; Küttner/Poeche Personalbuch 2014 Zeugnis Rn. 31; Schleßmann Das Arbeitszeugnis 20. Aufl. S. 194 ff.; Huber/Müller Das Arbeitszeugnis in Recht und Praxis 15. Aufl. S. 69 ff.).
c) Daran gemessen handelt es sich bei der von der Beklagten zugestandenen Gesamtbeurteilung „zur vollen Zufriedenheit” um die Bescheinigung einer durchschnittlichen Leistung entsprechend einer mittleren Note in der Zufriedenheitsskala. Dies gilt unabhängig davon, ob man von einer sechsstufigen (Schaub/Linck aaO) oder einer fünfstufigen (ErfK/Müller-Glöge aaO Rn. 32; zu „Zwischennoten” vgl. Schleßmann aaO S. 196) Skala ausgeht. Der Senat hat im Urteil vom 14. Oktober 2003 (– 9 AZR 12/03 – zu III 4 a der Gründe mwN, BAGE 108, 86) auf eine Schul- oder Prüfungsnoten vergleichbare Skala abgestellt, die von „sehr gut” über „gut” und „befriedigend” bis hin zu „ausreichend” und „mangelhaft” reicht. Es ist weder von der Klägerin behauptet worden noch sonst erkennbar, dass sich in der Praxis oberhalb der Beurteilung „stets zur vollsten Zufriedenheit” bzw. der Endnote „sehr gut” eine weitere Beurteilungsstufe etabliert hätte mit der Folge, dass die Beurteilung „zur vollen Zufriedenheit” der unteren Hälfte der Skala zuzuordnen wäre. Einer neuen Höchstnote in der Zufriedenheitsskala, zB durch eine – gegen jedes Sprachempfinden verstoßende – weitere Steigerung der „vollsten” Zufriedenheit durch eine „allervollste” Zufriedenheit, bedarf es nicht (zur Wortschöpfung „vollste”: vgl. BAG 21. Juni 2005 – 9 AZR 352/04 – zu I 2 der Gründe, BAGE 115, 130; ErfK/Müller-Glöge aaO).
d) Nach der verbreiteten Definition der Schulnoten (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 3. Oktober 1968; vgl. § 58 Abs. 3 SchulG Berlin; § 48 Abs. 3 SchulG NRW; § 5 Abs. 2 Notenbildungsverordnung Baden-Württemberg; § 59 Abs. 2 Thüringer SchulO) soll die Note „befriedigend” erteilt werden, wenn die Leistung im Allgemeinen den Anforderungen entspricht. Dagegen wird mit „gut” bewertet, wenn die Leistung den Anforderungen voll entspricht. Ein „sehr gut” ist zu erteilen, wenn die Leistung den Anforderungen in besonderem Maße entspricht. Die von der Klägerin begehrte Gesamtbewertung ihrer Leistung mit „stets zur vollen Zufriedenheit” bringt vor diesem Hintergrund zum Ausdruck, dass der Arbeitnehmer weniger Fehler gemacht und/oder mehr bzw. bessere Leistungen erbracht hat, als nach den objektiven Anforderungen erwartet werden konnte, die üblicherweise an einen Arbeitnehmer mit vergleichbarer Aufgabe gestellt werden. Dabei ist zu beachten, dass auch die Ausdrücke „stets” oder „immer” im vorliegenden Zusammenhang der Zeugnissprache eine eigenständige Bedeutung haben. Sie bedeuten ein „Mehr” im Vergleich zu dem, was üblicherweise erwartet werden konnte. Sie meinen aber nicht, dass dem Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses nie ein Fehler unterlaufen ist. Dies kann ein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer regelmäßig nicht erwarten.
2. Die vom Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen zu den Ergebnissen der Untersuchungen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Personalmanagement Services GmbH sind auch aus anderen Gründen nicht geeignet, der Beklagten die Darlegungs- und Beweislast dafür aufzuerlegen, dass die Leistungen der Klägerin nicht mit der Schlussbeurteilung „stets zur vollen Zufriedenheit” zu bewerten sind. Bei diesen Studien handelt es sich nicht um Sachverständigengutachten iSd. § 144 iVm. §§ 402 ff. ZPO (vgl. zur Zuziehung eines Sachverständigen zur Feststellung eines Zeugnisbrauchs BAG 12. August 2008 – 9 AZR 632/07 – Rn. 25, BAGE 127, 232) oder amtliche Statistiken. Die Klägerin hat sie weder als Privatgutachten und damit urkundlich belegtes Parteivorbringen nach § 138 ZPO (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 73. Aufl. Übers. § 402 Rn. 21) in das Verfahren eingeführt, noch wurden sie auf andere Art und Weise Bestandteil der Gerichtsakte. Auch hat das Landesarbeitsgericht die Offenkundigkeit iSd. § 291 ZPO der von ihm angenommenen Ergebnisse dieser Untersuchungen, die ihm nach dem Inhalt der Gerichtsakte nicht vorlagen, nicht ausdrücklich festgestellt. Allerdings hat die Beklagte gegen die vom Landesarbeitsgericht – aufgrund der vom Arbeitsgericht herangezogenen Studien – getroffenen Feststellungen keine zulässigen Revisionsangriffe erhoben, sodass die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gemäß § 559 Abs. 2 ZPO für den Senat bindend sind. Sie sind jedoch nicht geeignet, die Klägerin von ihrer Darlegungs- und Beweislast zu entbinden.
a) Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 15. November 2011 (– 9 AZR 386/10 – BAGE 140, 15) darauf abgestellt, Adressat eines Zeugnisses sei ein größerer Personenkreis, der nicht zwangsläufig über ein einheitliches Sprachverständnis verfüge. Dementsprechend sei als maßgeblicher objektiver Empfängerhorizont die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlich Beteiligten oder Angehörigen des vom Zeugnis angesprochenen Personenkreises zugrunde zu legen. Zur Beurteilung einer Formulierung sei auf die Sicht eines objektiven und damit unbefangenen Arbeitgebers mit Berufs- und Branchenkenntnissen abzustellen.
b) Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts beziehen sich jedoch nicht auf die Gesundheitsbranche. Die Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg basiert auf der Auswertung von 802 anonymisierten Zeugnissen, die eine entsprechende Anzahl von Arbeitnehmern (ein Zeugnis pro Person) der Manpower GmbH & Co. KG von ihren vorangegangenen Arbeitgebern erhalten hatten. Dabei stammten gemäß dem vom Landesarbeitsgericht zitierten Aufsatz von Düwell/Dahl 47,6 % der Zeugnisse aus dem Bereich kaufmännisch/verwaltend, 17,1 % aus dem Bereich Kundenservice/ Verkauf, 16,2 % aus dem Bereich gewerblich/handwerklich, 9,5 % aus dem Bereich technisch/Konstruktion, 2,0 % aus dem Bereich Forschung/Entwicklung, 1,6 % aus dem Bereich Gesundheit/Pflege sowie 6,0 % aus anderen Arbeitsbereichen (Düwell/Dahl NZA 2011, 958, 959). In Bezug auf den streitgegenständlichen Arbeitsbereich ist die Datenbasis damit nicht aussagekräftig. Es wurden lediglich die Zeugnisse von etwa 13 Arbeitnehmern aus dem Bereich Gesundheit/Pflege, in dem die Beklagte tätig ist, ausgewertet (1,6 % von 802). Die Beklagte verweist zutreffend darauf, dass Rückschlüsse auf die „Durchschnittsnote” in diesem Bereich danach nicht möglich sind, zumal nach Angaben des Statistischen Bundesamts zum 31. Dezember 2012 rund 5,2 Millionen Menschen und damit etwa jeder achte Beschäftigte in Deutschland im Gesundheitswesen tätig war (Pressemitteilung Nr. 75/14 des Statistischen Bundesamts vom 5. März 2014).
c) Entsprechendes gilt für die zweite vom Landesarbeitsgericht herangezogene Untersuchung der Personalberatungsgesellschaft Personalmanagement Services GmbH. Aus welchen Branchen die Zeugnisse stammten, die in dieser Untersuchung analysiert wurden, wird weder im Berufungsurteil erläutert noch in dem dort zitierten Aufsatz, in dem diese Studie ohnehin nur im Rahmen einer Fußnote ergänzend erwähnt wird (Düwell/Dahl NZA 2011, 958 [Fn. 15]).
d) Selbst wenn die Ergebnisse der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Studien repräsentativ wären und im Bereich Gesundheit/Pflege überwiegend gute oder sehr gute Endnoten vergeben würden, muss ein Arbeitnehmer, wenn er eine bessere Schlussbeurteilung als „zur vollen Zufriedenheit” beansprucht, im Zeugnisrechtsstreit entsprechend bessere Leistungen vortragen und ggf. beweisen.
aa) Ein vom Arbeitgeber gemäß § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO auszustellendes qualifiziertes Zeugnis muss in erster Linie wahr sein (st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 11. Dezember 2012 – 9 AZR 227/11 – Rn. 21 mwN, BAGE 144, 103). Der Gesetzesentwurf zu dieser Bestimmung spricht von einem „schutzwürdigen Interesse der einstellenden Arbeitgeber an einer möglichst wahrheitsgemäßen Unterrichtung über die fachlichen und persönlichen Qualifikationen” (BT-Drucks. 14/8796 S. 25). Bei der Wahrheitspflicht handelt es sich um den bestimmenden Grundsatz des Zeugnisrechts (Müller AiB 2012, 387, 388: „oberster Grundsatz”; vgl. auch ErfK/Müller-Glöge aaO Rn. 22 ff.). Sie umfasst alle Fragen des Zeugnisrechts (BAG 9. September 1992 – 5 AZR 509/91 – zu III der Gründe). Insbesondere wird auch der Wohlwollensgrundsatz, wonach das Fortkommen des Arbeitnehmers durch den Zeugnisinhalt nicht unnötig erschwert werden darf, durch die Wahrheitspflicht begrenzt. Ein Zeugnis muss nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein (BAG 11. Dezember 2012 – 9 AZR 227/11 – aaO).
bb) Auch in der Literatur werden die Ergebnisse der angeführten Untersuchungen nicht notwendig als Zeichen einer generell gestiegenen Leistungsfähigkeit gewertet (Düwell/Dahl NZA 2011, 958, 959: „Sicher dürfte sein, dass bei 86,6 % [sehr] guten Leistungsbeurteilungen dem Arbeitszeugnis nichts mehr über die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers entnommen werden kann”). Vielmehr wird die von den „Personalern selbst verschuldete … Noteninflation” (Dahl jurisPR-ArbR 6/2013 Anm. 5) damit erklärt, dass Arbeitgeber die Kosten und Mühen eines Zeugnisrechtsstreits verstärkt scheuen und deshalb eine Neigung zu „Gefälligkeitszeugnissen” bestehe (laut Düwell/Dahl aaO entspricht dies einer Selbsteinschätzung der „Personaler”; vgl. auch Sende/Galais/Dahl Personalwirtschaft 7/2011, 35: „Tendenz zu Kuschelnoten”).
cc) Wird von einer Tendenz zur Erteilung von „Gefälligkeitszeugnissen” ausgegangen, kann diese freilich keine Rechtspflicht eines Arbeitgebers begründen, dieser Tendenz Rechnung zu tragen und trotz einer nur durchschnittlichen Leistung des Arbeitnehmers diesem eine gute Leistung zu bescheinigen. Dadurch würden zugleich Arbeitnehmer benachteiligt, die den Anforderungen „gut” gerecht geworden sind. Zwar mag es für manchen Arbeitgeber nachvollziehbare Gründe geben, als „lästig” empfundene Zeugnisstreitigkeiten zu meiden und infolgedessen dem Wohlwollensgrundsatz mehr Raum zu geben als ihm rechtlich zusteht (vgl. Sende/Galais/Dahl aaO: „zu gut verstandene … Wohlwollenspflicht”). Zeugnisse mit Schlussnoten, die den Leistungen eines Arbeitnehmers nicht entsprechen, sind jedoch unwahr und damit gesetzeswidrig. Eine Rechtspflicht, sich einer gesetzeswidrigen Übung anzuschließen, existiert nicht.
II. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil tatsächliche Feststellungen nachzuholen sind und eine umfassende tatrichterliche Würdigung des Vorbringens der Parteien im Rahmen des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorzunehmen ist.
1. Das Landesarbeitsgericht hat – aus seiner Sicht konsequent – nicht geprüft, ob die Klägerin Tatsachen vorgetragen hat, die eine Beurteilung mit „stets zur vollen Zufriedenheit” rechtfertigen. Dies wird es nach der Zurückverweisung nachzuholen haben. Rechtfertigt der Vortrag der Klägerin – vor allem zu ihren überobligatorischen und tadellosen Leistungen – die von ihr verlangte Gesamtbewertung, wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Beklagte beachtliche Einwände vorgebracht und insbesondere dargetan hat, aus welchen Gründen sie der Klägerin über die vertraglich vereinbarte Vergütung hinaus einen Bonus gezahlt hat, obwohl die Leistungen der Klägerin ihrer Ansicht nach weder „sehr gut” noch „gut” waren. Diese Zahlung könnte dafür sprechen, dass auch die Beklagte der Auffassung war, dass die Klägerin besondere Anerkennung verdiente (zur Bindung des Arbeitgebers an frühere Beurteilungen des Arbeitnehmers nach Treu und Glauben vgl. BAG 21. Juni 2005 – 9 AZR 352/04 – zu I 2 der Gründe mwN, BAGE 115, 130).
2. Angesichts der Darlegungs- und Beweislastverteilung wird der Klägerin ggf. die Möglichkeit zu eröffnen sein, weitere Tatsachen zur Stützung ihres Klagebegehrens vorzutragen, und der Beklagten ggf. Gelegenheit zu geben sein, ihre Einwände zu ergänzen. Im Hinblick auf die Substanziierungslast der Klägerin wird das Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Grad der notwendigen Konkretisierung immer auch von den Einlassungen der Gegenseite abhängt.
3. Obgleich der Beklagten bei der Bewertung der Leistungen der Klägerin ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist (vgl. BAG 14. Oktober 2003 – 9 AZR 12/03 – zu IV 2 b cc der Gründe, BAGE 108, 86), hätte die Beklagte diesen überschritten, wenn sie sich bei der Beurteilung erkennbar von sachfremden Motiven hätte leiten lassen. Dafür könnten die Formulierungen in dem der Klägerin von der Beklagten zunächst erteilten Zeugnis sprechen. Insofern wird das Landesarbeitsgericht zu bewerten haben, ob die Gesamtbeurteilung im Zeugnis auch Ausdruck der Enttäuschung der Beklagten über den mit der Eigenkündigung zum Ausdruck gebrachten Abkehrwillen der Klägerin war.
Unterschriften
Brühler, Krasshöfer, Klose, W. Schmid, Ropertz
Fundstellen
Haufe-Index 7650605 |
BAGE 2015, 66 |
BB 2014, 2932 |
BB 2015, 1216 |
DB 2015, 7 |
DB 2015, 868 |
DStR 2014, 12 |
DStR 2015, 2618 |