Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. Direktionsrecht. Außerordentliche fristlose Kündigung eines ordentlich unkündbaren Angestellten (BAT) wegen Weigerung zur Erstellung von Tätigkeitsberichten nach vorgegebenem Muster (Haufe-Formular zum BAT). Direktionsrecht des Arbeitgebers zur Erstellung von Tätigkeitsberichten: Umfang und Grenzen. Verzicht auf Sanktion vertragswidrigen Verhaltens durch Abmahnung und nachfolgende Kündigung. Interessenabwägung
Orientierungssatz
1. In Ausübung des ihm zustehenden Direktionsrechts ist der Arbeitgeber grundsätzlich berechtigt, den Arbeitnehmer anzuweisen, die von ihm erbrachten Arbeitsleistungen zu dokumentieren.
2. Allerdings ist der Arbeitgeber bei der Erteilung von Weisungen nicht frei. Soweit Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen ihm Spielraum für Weisungen lassen, muss der Inhalt einer Weisung “billigem Ermessen” entsprechen.
3. Bei Beantwortung der Frage, in welchem Umfang der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer die Dokumentation des Arbeitsergebnisses verlangen kann, bedarf es in erster Linie einer Überprüfung des mit der Weisung verfolgten Zweckes. Neben der Kontrolle des Arbeitsergebnisses durch den Arbeitgeber können Tätigkeitsaufzeichnungen auch sonstigen Zwecken dienen, zB der zutreffenden Eingruppierung.
4. Die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, berechtigten Weisungen zur Dokumentation der Arbeit zu folgen, kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung bilden.
5. Der Einwand eigener Vertragsuntreue des Gegners (“tu quoque”, § 242 BGB) ist ein Anwendungsfall der unzulässigen Rechtsausübung. Allerdings ist dabei stets ein besonderer, rechtlich relevanter Zusammenhang zwischen der beanspruchten und der selbst ausgeübten Verhaltensweise vorausgesetzt, der den Rechtsanspruch angesichts des eigenen Verhaltens als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt.
Normenkette
BGB §§ 626, 242; GewO § 106
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.12.2005; Aktenzeichen 12 Sa 22/05) |
ArbG Karlsruhe (Urteil vom 14.01.2005; Aktenzeichen 7 Ca 355/04) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Mannheim – vom 14. Dezember 2005 – 12 Sa 22/05 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.
Der Kläger trat 1985 als “Verwaltungsangestellter mit zusätzlicher Hausmeistertätigkeit” in die Dienste des beklagten Forschungszentrums. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Vorschriften des BAT Anwendung. Der Kläger war zuletzt “Leiter Innerer Dienst” und erhielt Vergütung nach VergGr. IVb BAT.
Ab November 2002 kam es zwischen den Parteien zu – auch gerichtlich ausgetragenen – Auseinandersetzungen. Die Beklagte warf dem Kläger verschiedentlich vor, er sei Weisungen nicht nachgekommen. Im August 2003 mahnte die Beklagte den Kläger wegen der vergessenen Umstellung eines Telefons ab. Mit Schreiben vom 18. November 2003 forderte die Beklagte den Kläger mit der Begründung, er sei “schon sehr lange nicht mehr gesehen” worden, auf, ab sofort einen täglichen Tätigkeitsbericht unter Verwendung eines beigelegten Formulars mit den Spalten “Uhrzeit”, “Tätigkeit” und “Anzahl” zu führen. Nachdem der Kläger diese Maßnahme als “Mobbing” bezeichnet hatte, wiederholte die Beklagte ihre Weisung. Mit Schreiben vom 15. Januar 2004 entband die Beklagte den Kläger bis auf weiteres von der Verantwortlichkeit für den Bereich des Inneren Dienstes. Nach erneuter Anweisung im Januar 2004 erstellte der Kläger Tätigkeitsberichte gemäß den ihm von der Beklagten überlassenen Formularen zunächst im Zeitraum vom 2. Februar bis 24. Mai 2004.
Im Februar 2004 trafen sich die Parteien zu einem sog. “Runden Tisch”. Der Kläger verweigerte die Unterzeichnung des darüber erstellten Gesprächsprotokolls mit der Begründung, es sei nicht vollständig. Unter dem 18. Mai 2004 wies die Beklagte den Kläger an, zwecks Erstellung einer neuen Stellenbeschreibung und -bewertung für die Dauer von vier Wochen tägliche Arbeitsaufzeichnungen nach Maßgabe eines (umfangreichen) Formulars des “H…-Verlages” zu führen. Nach einem beigefügten Merkblatt waren – unter Vermeidung pauschaler, undifferenzierter und “rauschgoldartiger” Beschreibungen – alle Tätigkeiten während des Arbeitstages festzuhalten und diese nach Möglichkeit in Arbeitsvorgänge zusammenzufassen.
Mit Schreiben vom 19. Mai 2004 erklärte der Kläger, er werde der Aufforderung der Beklagten nicht nachkommen. Da er nicht mehr offiziell als Leiter Innerer Dienst fungiere und nur die Postverteilung verantworte, wisse er nicht, was sich die Beklagte als sein Tätigkeitsprofil vorstelle. Daraufhin ermahnte der Verwaltungsleiter R… den Kläger mit Schreiben vom 24. Mai 2004, die Anweisung zu befolgen. An den laufenden Aufgaben des Klägers (Post, Sicherheit, Klimaanlage, Möbeltransporte, Besorgungen etc.) habe sich nichts geändert. Die Aufgaben, die aus der behaupteten Leitungsfunktion resultieren könnten, möge der Kläger gesondert aufführen. Nach einer weiteren mündlichen Aufforderung vom 25. Mai 2004 war der Kläger vom 25. Mai bis zum 25. Juni 2004 arbeitsunfähig erkrankt. Unter dem 24. Juni 2004 machte der Kläger durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten geltend, er könne angesichts des ungeklärten Status seiner derzeitigen Aufgaben die Aufzeichnungen nicht erstellen. Am 29. Juni 2004 mahnte die Beklagte den Kläger schriftlich ab. In der Zeit vom 28. Juni bis 5. Juli 2004 erstellte der Kläger Tätigkeitsberichte, allerdings nicht auf den “H…-Formularen”, sondern auf den ihm ursprünglich überreichten (einfachen) Formularen.
Mit Schreiben vom 6. Juli 2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise betriebsbedingt außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. März 2005.
Der Kläger hat – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – die Ansicht vertreten, die außerordentliche fristlose Kündigung sei unwirksam. Die Beklagte habe alles daran gesetzt, ihn zu schikanieren. Infolge der Entbindung von der Leitungsfunktion sei ein Schwebezustand eingetreten, der bis zur arbeitsgerichtlichen Klärung der Frage, wie er zu beschäftigen sei, fortbestehe. Die Beklagte habe kein berechtigtes Interesse daran haben können, qualifizierte Aufschriebe nach Maßgabe einer “H…-Liste” zu erhalten. Ein Arbeitnehmer sei generell nicht zur Erstellung einer Arbeitsplatzbeschreibung verpflichtet, dies sei Aufgabe der Arbeitgeberin.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 6. Juli 2004 nicht aufgelöst ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe sich ohne rechtfertigenden Grund beharrlich geweigert, ihrer Anordnung vom 18. Mai 2004 Folge zu leisten. Sie habe ein rechtliches Interesse daran gehabt, im Detail zu erfahren, ob überhaupt und in welchem Umfang der Kläger Arbeiten verrichte, zumal sie nicht in der Lage gewesen sei, seine Arbeitsabläufe zu überblicken. Die vom Kläger zunächst angefertigten Tätigkeitsberichte seien für eine umfassende Situationsanalyse nicht aussagekräftig gewesen, weil der Zeitanteil pro Arbeitsvorgang gefehlt habe.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat unter Zulassung der Revision die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Weigerung des Klägers, detailliertere Tätigkeitsaufschreibungen zu erstellen, stelle “an sich” einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung dar. Die entsprechende Weisung der Beklagten sei noch vom Direktionsrecht gemäß § 106 GewO gedeckt. Die schriftliche Ankündigung, die Anweisung zu verweigern, rechtfertige “an sich” die außerordentliche Kündigung. Allerdings habe es hiermit wegen der gebotenen Interessenabwägung nicht sein Bewenden. Zum einen sei es selbst im Rahmen einer Eingruppierungsklage nicht Aufgabe des klagenden Arbeitnehmers, “Arbeitsvorgänge” im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu bilden. Zum anderen könne nicht eindeutig festgestellt werden, wie die tatsächlich erstellten Tätigkeitsberichte des Klägers überhaupt konkreter und detaillierter hätten gefasst werden können. Vereinzelte Angaben hätten allerdings näherer Erläuterung und Spezifizierung bedurft. Diesbezüglich sei es jedoch für die Beklagte angebracht und leicht möglich gewesen, punktuell um Nachbesserung zu bitten. Die Beklagte habe durch die letzte Abmahnung vom 29. Juni 2004 die behaupteten Verletzungen der Vertragspflichten durch den Kläger bis zu diesem Zeitpunkt stillschweigend verziehen, unter der Bedingung, dass sie sich in Zukunft nicht wiederholen. In den bis zur Kündigung verbleibenden Arbeitstagen habe der Kläger jedoch hinreichend konkrete Aufschriebe gefertigt. Seine frühere Ankündigung, detailliertere Aufschriebe zu verweigern, habe der Kläger nicht realisiert, so dass das tatsächlich korrekte Verhalten schwerer wiege als der verbale Protest. Hilfsweise seien im Rahmen der Interessenabwägung entlastende Gesichtspunkte zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen. Ua… folgere der Kläger aus der Tatsache, dass die Beklagte ihm die Funktion eines Leiters innerhalb der Hierarchie ihres Forschungsinstituts zugesprochen habe, mit einem gewissen Recht, dass ihm nicht Auskünfte abverlangt werden dürften, die seinen arbeitsvertraglichen Status nicht in vollem Umfang wiederspiegelten. Demgegenüber habe auch die Beklagte wiederum nicht Unrecht, wenn sie den Kläger darauf verweise, er habe seine Tätigkeitsberichte mit einem gewissen Vorbehalt versehen können. Gleichwohl könne der Kläger den sog. tu-quoque-Einwand erheben, wonach sich niemand auf die Vertragsverletzung der anderen Seite berufen könne, wenn er sich im gleichen Kontext nicht vertragsgerecht verhalte.
B. Dem folgt der Senat nur zum Teil.
I. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen greifen allerdings nicht durch.
1. Ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr. 6 ZPO liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung der Revision ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts mit Gründen versehen. Aus der Entscheidung ist zu erkennen, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für das Gericht maßgeblich waren. Es kommt nicht darauf an, ob diese Erwägungen vom Revisionsführer oder vom Revisionsgericht geteilt werden. Die Entscheidungsgründe eines Urteils müssen auch, abgesehen von den gesetzlichen Vorgaben, keinem bestimmten Schema folgen.
2. Soweit die Revision rügt, das landesarbeitsgerichtliche Urteil sei im Zeitpunkt des Verkündungstermins nicht vollständig abgesetzt gewesen – § 60 Abs. 4 Satz 2, § 69 Abs. 1 Satz 2 ArbGG –, führt dies nicht zur Begründetheit der Revision. Die genannten Vorschriften stellen Ordnungsvorschriften dar, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der Verkündung führt (BAG 25. September 2003 – 8 AZR 472/02 – AP BAT-O §§ 22, 23 Nr. 26 = EzA ArbGG 1979 § 69 Nr. 3; 16. Mai 2002 – 8 AZR 412/01 – BAGE 101, 145 mwN; 22. Januar 2002 – 3 ABR 28/01 – AP BetrVG 1972 § 76 Einigungsstelle Nr. 16 = EzA BetrVG 1972 § 76 Nr. 69).
3. Auch die weiter vom Kläger erhobene Rüge, es sei den Gerichtsakten nicht zu entnehmen, dass der handschriftliche Urteilstenor vor dem Zeitpunkt der Verkündung der landesarbeitsgerichtlichen Entscheidung vom Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern unterzeichnet worden sei, greift nicht. Wird ein von der Kammer gefälltes Urteil – wie vorliegend – ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter verkündet, ist die Urteilsformel zwar gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2, § 60 Abs. 3 Satz 2 ArbGG vorher von dem Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern zu unterschreiben. Indes ist auf Grund der Beweiswirkung des Protokolls vom 14. Dezember 2005 davon auszugehen, dass die unterschriebene Urteilsformel im Zeitpunkt der Verkündung vorlag. Grundsätzlich erbringt die Protokollierung der Verkündung des Urteils nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO in Verbindung mit der nach § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO vorgeschriebenen Aufnahme der Urteilsformel in das Protokoll Beweis dafür, dass das Urteil auch in diesem Sinne ordnungsgemäß ist (BAG 16. Mai 2002 – 8 AZR 412/01 – BAGE 101, 145). Äußere Mängel des Protokolls, die aus der Protokollurkunde selbst hervorgingen (vgl. BGH 16. Oktober 1984 – VI ZR 205/83 – NJW 1985, 1782, 1783) sind nicht ersichtlich.
II. Die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung hält jedoch einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zwar geht sie im Ergebnis zu Recht vom Vorliegen eines wichtigen Grundes zur fristlosen Kündigung an sich aus. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung erweist sich jedoch als widersprüchlich. Die Revision rügt zu Recht eine Verletzung von § 54 BAT, § 626 Abs. 1 BGB.
1. Gemäß § 55 Abs. 1 BAT konnte dem ordentlich unkündbaren Kläger nur noch aus einem in seiner Person oder seinem Verhalten liegenden wichtigen Grund gekündigt werden (§ 54 Abs. 1 BAT), wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat.
2. Der in § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1 BAT und inhaltsgleich in § 626 Abs. 1 BGB verwandte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Seine Anwendung durch die Tatsachengerichte kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat (st. Rspr., etwa Senat 27. April 2006 – 2 AZR 386/05 – AP BGB § 626 Nr. 202 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 11).
3. Diesem eingeschränkten revisionsrechtlichen Maßstab hält das angegriffene Urteil nicht stand.
a) Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, das Verhalten des Klägers stelle an sich einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt, indem er sich beharrlich weigerte, ergänzende tägliche Arbeitsaufzeichnungen nach Maßgabe des Formulars des “H…-Verlages” anzufertigen.
aa) Entgegen der Ansicht des Klägers war die Aufforderung der Beklagten vom 18. Mai 2004 zur Erstellung qualifizierter Tätigkeitsberichte von deren Direktionsrecht umfasst. Das Direktionsrecht erlaubt es dem Arbeitgeber, die Einzelheiten der zu erbringenden Arbeitsleistungen zu bestimmen, soweit diese nicht anderweitig geregelt sind. Sein Umfang bestimmt sich vor allem nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages. Es kann einzelvertraglich oder auch durch tarifliche Regelung innerhalb bestimmter Grenzen erweitert werden, soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht (vgl. § 106 GewO; siehe auch: BAG 10. November 1992 – 1 AZR 185/92 – AP LPVG NW § 72 Nr. 6; 30. August 1995 – 1 AZR 47/95 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 44 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 14; 24. April 1996 – 4 AZR 976/94 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 49 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 17; 21. November 2002 – 6 AZR 82/01 – BAGE 104, 16; 27. Mai 2004 – 6 AZR 192/03 – EzBAT BAT § 8 Direktionsrecht Nr. 56). In Ausübung des ihm zustehenden Direktionsrechts ist der Arbeitgeber grundsätzlich berechtigt, den Arbeitnehmer anzuweisen, die von ihm erbrachten Arbeitsleistungen zu dokumentieren. Nicht nur in vertriebsorientierten Branchen kann die Berichterstattung an den Arbeitgeber zu den begleitenden Inhalten der Arbeitsleistung gehören. Grundsätzlich ist jeder Arbeitnehmer verpflichtet, Auskunft über die von ihm geleistete Arbeit zu erteilen (vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 664). Allerdings ist der Arbeitgeber bei der Erteilung von Weisungen nicht frei. Soweit Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen ihm Spielraum für Weisungen lassen, muss der Inhalt einer Weisung “billigem Ermessen” entsprechen (vgl. Luczak in Leinemann GewO Stand März 2007 § 106 Rn. 29; Wank in Tettinger/Wank GewO 7. Aufl. § 106 Rn. 19). Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber seine Weisungen unter Berücksichtigung ua. der betrieblichen Belange und der Interessen des Arbeitnehmers erteilen muss (BAG 23. Juni 1993 – 5 AZR 337/92 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 42 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 13).
(1) Bei Beantwortung der Frage, in welchem Umfang der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer die Dokumentation des Arbeitsergebnisses verlangen kann, bedarf es in erster Linie einer Überprüfung des mit der Weisung verfolgten Zweckes. Neben der Kontrolle des Arbeitsergebnisses durch den Arbeitgeber können Tätigkeitsaufzeichnungen auch sonstigen Zwecken dienen (vgl. BAG 17. Juni 1998 – 2 AZR 599/97 –; 27. April 1994 – 5 AZR 187/93 – RzK I 1 Nr. 88).
(2) Findet auf ein Arbeitsverhältnis die Vergütungsordnung des BAT Anwendung, kann der Arbeitgeber auf die Erstellung konkreter Tätigkeitsberichte durch den Arbeitnehmer angewiesen sein, um eine zutreffende Eingruppierung zu gewährleisten, da sich die Eingruppierung der Angestellten gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 BAT nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsordnung richtet. Da der Arbeitnehmer am ehesten in der Lage ist, seine Tätigkeit genau zu beschreiben, geht das Landesarbeitsgericht zu Recht davon aus, dass er dem Arbeitgeber insoweit zur Auskunft verpflichtet und es ihm daher regelmäßig zumutbar ist, auch qualifizierte und detaillierte Tätigkeitsberichte zu erstellen (Krasemann Das Eingruppierungsrecht des BAT/BAT-O 8. Aufl. S. 502 Rn. 315).
(3) Die Beklagte bewegte sich nach diesen Grundsätzen mit ihrer an den Kläger gerichteten Weisung vom 18. Mai 2004 im Rahmen ihres Direktionsrechts. Die Aufforderung bezog sich auf einen überschaubaren Zeitraum und betraf erkennbar nicht ausschließlich den Kläger. Sie diente der Vorbereitung neuer Stellenbeschreibungen und -bewertungen. Die Beklagte wollte ein Bild von der Tätigkeit des Klägers erhalten. Sie wollte wissen, was der Kläger wirklich “tut”. Ungeachtet der Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis im Übrigen war damit die Grenze billigen Ermessens nicht überschritten und vom Vorliegen einer schikanösen Maßnahme entgegen der Auffassung des Klägers nicht auszugehen. Auch wenn es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Rechtsgrundlage dafür gibt, den Angestellten des öffentlichen Dienstes im Eingruppierungsrechtsstreit tagebuchartige oder sonstige Aufzeichnungen über die Einzelheiten ihrer Tätigkeit und deren Zeitaufwand abzuverlangen, wird damit lediglich klargestellt, dass ein klagender Angestellter nicht verpflichtet ist, im Rahmen seiner Eingruppierungsfeststellungsklage derartige Aufzeichnungen vorzulegen (24. September 1980 – 4 AZR 727/78 – BAGE 34, 158; Krasemann Das Eingruppierungsrecht des BAT/BAT-O 8. Aufl. S. 502 Rn. 314). Dass der Arbeitgeber derartige Aufzeichnungen nicht verlangen könnte, ergibt sich hieraus nicht.
bb) Der Kläger hat sich durch seine Weigerung, die geforderten detaillierten Tätigkeitsnachweise zu erstellen, den Weisungen der Beklagten beharrlich widersetzt. Diese schwerwiegende Pflichtverletzung ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung zu bilden.
(1) Eine schwere, insbesondere schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Dabei kann ein wichtiger Grund an sich nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund an sich zur außerordentlichen Kündigung sein (Senat 2. März 2006 – 2 AZR 53/05 – AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 – 7 AZR 128/83 – AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100; vgl. auch: Senat 16. August 1991 – 2 AZR 604/90 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 27 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41). Da die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung die übliche und regelmäßig auch ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung allerdings nur in Betracht, wenn das regelmäßig geringere Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG 15. Januar 1986 – 7 AZR 128/83 – aaO; Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 669; KR-Fischermeier 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 146; APS-Dörner 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 76).
(2) Der Kläger hat seine Pflichten in diesem Sinne schwerwiegend verletzt. Wie bereits mit Schreiben vom 19. Mai 2004 angekündigt – hat er weder vor noch nach seiner Erkrankung vom 25. Mai bis zum 25. Juni 2004 Berichte über seine Tätigkeiten auf den ihm zuletzt überlassenen sog. “H-Formularen” erstellt. Bei dieser Haltung ist er trotz der Ermahnung durch den Verwaltungsleiter R… mit Schreiben vom 24. Mai 2004 und der weiteren mündlichen Aufforderung vom 25. Mai 2004 und auch nach der Abmahnung vom 29. Juni 2004 bis zuletzt geblieben. Dies übersieht das Landesarbeitsgericht, wenn es den wichtigen Grund an sich bereits in der bloßen Weigerung des Klägers vom 19. Mai 2004 sieht, um dann letztlich – im Rahmen der Interessenabwägung – anzunehmen, er habe sich tatsächlich korrekt verhalten, weil er nach Ausspruch der Abmahnung hinreichend konkrete Aufschriebe nach den ihm ursprünglich überlassenen – einfachen – Formularen gefertigt habe. Die Beklagte hatte im November 2003 Tätigkeitsberichte verlangt, um zu kontrollieren, welche Aufgaben er neben dem Kollegen G… überhaupt verrichte. Diesen Zweck erfüllte das dem Kläger zunächst überreichte einfache Formular. Demgegenüber verfolgte die Beklagte mit der weiteren Anweisung vom 18. Mai 2004 das weitere und andere Ziel, neue Stellenbeschreibungen und -bewertungen durchzuführen. Dementsprechend sah das “H…-Formular” detailliertere Angaben und die Nennung der nach Minuten anzugebenden Einzelfälle und deren Gesamtzahl nach Minuten vor. Diese Anforderungen hat der Kläger nicht erfüllt. Die vom Landesarbeitsgericht im Tatbestand seiner Entscheidung im Einzelnen angeführten Aufzeichnungen des Klägers vom 28. Juni 2004 bis 5. Juli 2004 erschöpfen sich überwiegend in pauschalen und undifferenzierten Sammelbegriffen für seine Tätigkeiten – wie “Tätigkeitsbericht”, “Aufräumarbeiten”, “Transportarbeiten”, “Reparaturarbeiten”, “Seminarraum richten” –, ohne dass konkrete Arbeiten und einzelne Vorgänge angegeben und diese zeitlich genauer eingegrenzt werden. Durch seine trotz Abmahnung fortgesetzte Weigerung hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass er nicht bereit ist, Anweisungen der Beklagten zu befolgen, die er nicht für zutreffend hält. Diese ablehnende Grundhaltung war bereits vorher in einer Kette von Äußerungen und gezielten Unterlassungen von Seiten des Klägers zu Tage getreten. So hat er sich zunächst sogar rundweg geweigert, die Vorgesetzenfunktion des Verwaltungsleiters R… anzuerkennen.
b) Die Revision rügt die nach § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmende Interessenabwägung zu Recht als widersprüchlich.
aa) Soweit das Berufungsgericht in seiner Hauptbegründung zur Interessenabwägung annimmt, der Kläger habe sich vertragsgemäß verhalten, setzt es sich in Widerspruch zu seiner vorher getroffenen Feststellung, der Kläger sei grundsätzlich zur Erstellung der qualifizierten Arbeitsaufzeichnungen verpflichtet gewesen. Das Landesarbeitsgericht hätte daher im Rahmen der Interessenabwägung – unabhängig davon, dass seine Ansicht aus den bereits dargelegten Gründen nicht zutreffend ist – nicht darauf abheben dürfen, dass dem Kläger die Erstellung detaillierterer Tätigkeitsbeschreibungen nicht möglich gewesen und seine Angaben auf den “einfachen” Formularen ausreichend gewesen seien.
bb) Wenn das Landesarbeitsgericht des Weiteren hilfsweise zur Interessenabwägung ausgeführt hat, die Beklagte könne sich nicht auf eine eventuelle Vertragsverletzung des Klägers bei der Erstellung der Tätigkeitsberichte berufen, weil sie ihm im gleichen Kontext am 15. Januar 2004 die ihm eingeräumte Leitungsfunktion entzogen habe, hat es einen Gesichtspunkt herangezogen, den es nicht zu Gunsten des Kläger hätte berücksichtigen dürfen. Zwar kann es einer anspruchsberechtigten Partei unter dem Gesichtspunkt des mangelnden korrespondierenden Verhaltens verwehrt sein, sich auf eine beanspruchte Rechtsposition zu berufen, wenn ihr ihrerseits eine Verletzung eigener Pflichten zur Last fällt (MünchKomm-BGB/Roth 4. Aufl. § 242 Rn. 355; Palandt-Heinrichs BGB 66. Aufl. § 242 Rn. 46). Der Einwand eigener Vertragsuntreue (“tu quoque”) aus § 242 BGB wird als Anwendungsfall der unzulässigen Rechtsausübung behandelt (vgl. BGH 7. März 2002 – IX ZR 293/00 – WM 2002, 999; 13. November 1998 – V ZR 386/97 – WM 1999, 551; 15. Oktober 1993 – V ZR 141/92 – WM 1994, 215). Allerdings ist dabei stets ein besonderer, rechtlich relevanter Zusammenhang zwischen der beanspruchten und der selbst ausgeübten Verhaltensweise vorausgesetzt, der den Rechtsanspruch angesichts des eigenen Verhaltens als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt (MünchKomm-BGB/Roth aaO). An einem solchen Zusammenhang fehlt es hier. Das Berufungsgericht verkennt, dass die Klärung der Frage, wie der Kläger zu beschäftigen ist und ob die teilweise Entziehung von Aufgaben rechtswidrig erfolgte, nicht dergestalt im Zusammenhang mit der Erstellung von Tätigkeitsberichten steht, dass ein arbeitsvertragswidriges Verhalten der Beklagten auf die Verpflichtung des Klägers zur Erstellung der Arbeitsnachweise durchschlagen könnte. Trotz der nach Auffassung des Klägers erfolgten Entziehung ihm eingeräumter Leitungsbefugnisse verblieb dem Kläger nämlich ein Großteil von Aufgaben, die einer Dokumentation zugänglich waren.
cc) Soweit das Landesarbeitsgericht im Übrigen weiterhin zu Gunsten des Klägers dessen Befürchtung berücksichtigt hat, sein Arbeitsplatz könne aus betriebsbedingten Gründen wegfallen, übersieht es, dass der mögliche Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten nicht das Recht nahm, vom Kläger Tätigkeitsberichte zu verlangen. Der Kläger war nicht berechtigt, Auskünfte zu seiner Tätigkeit zu verweigern, um vor der Beklagten zu verbergen, dass der Umfang von ihm verrichteter Tätigkeiten zur Ausfüllung seines Arbeitsplatzes möglicherweise nicht mehr ausreichte.
c) Ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist, steht noch nicht fest (§ 563 ZPO). Dem Senat ist insoweit eine eigene Entscheidung nicht möglich. Die Bewertung der für und gegen die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sprechenden Umstände liegt weitgehend im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz und kann vom Revisionsgericht regelmäßig nicht durch seine eigene Wertung ersetzt werden (st. Rspr. Senat vgl. 21. Juni 2001 – 2 AZR 325/00 – AP BAT § 54 Nr. 5 = EzA BGB § 626 nF Nr. 189; 8. Juni 2000 – 2 AZR 638/99 – BAGE 95, 78; 21. Januar 1999 – 2 AZR 665/98 – BAGE 90, 367). Bei der erneut vorzunehmenden Interessenabwägung wird das Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen haben, dass es bislang nicht alle in Betracht kommenden Umstände gewürdigt hat, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen. Zwar hat es zu Gunsten des Klägers darauf abgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien im Zeitraum von November 1985 bis zum Jahr 2002 ungestört verlaufen ist. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass dieser Gesichtspunkt beträchtliches Gewicht hat. Die Revision rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht die weiteren zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen Vorfälle seit November 2002 offenbar außer Acht gelassen hat.
Unterschriften
Rost, Eylert, Schmitz-Scholemann, Schierle, Gans
Fundstellen
FA 2007, 323 |
ZTR 2007, 564 |
PersV 2008, 72 |
ArbRB 2007, 288 |