Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgeltung von Bereitschaftsdienst durch Freizeit
Orientierungssatz
Erzieherinnen einer staatlichen Internatsschule für Hörgeschädigte, die nach SR 2b Nr 5 Abs 1 zu § 17 BAT Bereitschaftsdienst geleistet haben, der durch entsprechende Freizeit abgegolten worden ist, stehen keine Zeitzuschläge gemäß § 35 Abs 1 S 2 Buchst a BAT zu.
Normenkette
BAT SR 2; BAT §§ 15, 2 S. 2, § 17 Abs. 1, § 35 Abs. 3, § 17 Abs. 5, 1 Unterabs. 1, § 35 Abs. 2 S. 3; BAT SR 2b Nr. 5 Abs. 2 Unterabs. 2; BAT § 35 Abs. 1 S. 2 Buchst. a
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 01.02.1989; Aktenzeichen 3 Sa 431/88) |
ArbG Flensburg (Entscheidung vom 22.06.1988; Aktenzeichen 1 Ca 424/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob den Klägerinnen für Bereitschaftsdienst, der durch entsprechende Freizeit abgegolten wurde, Zeitzuschläge gem. § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT zustehen.
Die Klägerinnen sind bei dem beklagten Land als Erzieherinnen der Staatlichen Internatsschule in S beschäftigt. Aufgrund der Arbeitsverträge bestimmen sich die Arbeitsverhältnisse nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen. In den danach anwendbaren Sonderregelungen für Angestellte in Anstalten und Heimen, die nicht unter die Sonderregelung 2 a fallen (SR 2 b BAT) in der bis zum 31. März 1991 geltenden Fassung heißt es:
"Nr. 5 Zu § 17 - Überstunden
1. Angestellte, denen überwiegend die Betreuung
oder Erziehung der untergebrachten Personen ob-
liegt, sind verpflichtet, sich auf Anordnung des
Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeits-
zeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle
aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzu-
nehmen (Bereitschaftsdienst). Der Arbeitgeber
darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu
erwarten ist, daß zwar Arbeit anfällt, erfah-
rungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung
überwiegt. ...
2. Der Bereitschaftsdienst einschließlich der ge-
leisteten Arbeit wird mit 25 vom Hundert als Ar-
beitszeit bewertet.
3. Für die nach Absatz 2 errechnete Arbeitszeit
wird die Überstundenvergütung gezahlt.
Die errechnete Arbeitszeit kann auch durch ent-
sprechende Freizeit abgegolten werden; ..."
Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerinnen beträgt 40 Stunden. Die Klägerinnen leisteten zwischen dem 1. Januar 1981 und dem 31. Januar 1988 in unterschiedlichem Umfang Bereitschaftsdienste. Das beklagte Land bewertete die Bereitschaftsdienste mit 25 v.H. als Arbeitszeit. Die errechnete Arbeitszeit wurde den Klägerinnen durch entsprechende Freizeit abgegolten.
Die Klägerinnen haben die Ansicht vertreten, trotz der Abgeltung durch Freizeit stehe ihnen für die errechnete Arbeitszeit der Zeitzuschlag nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT zu. Die Zeiten des Bereitschaftsdienstes seien Überstunden i. S. des § 17 Abs. 5 BAT. Diese Bestimmung sei durch die SR 2 b BAT nur ergänzt, aber nicht aufgehoben worden.
Die Klägerinnen haben beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen,
an die Klägerin zu
1. A in Höhe von 2.805,90 DM,
an die Klägerin zu
2. B in Höhe von 502,06 DM,
an die Klägerin zu
3. B , Brigitte in Höhe von 2.144,21 DM,
an die Klägerin zu
4. B , Marion in Höhe von 4.617,22 DM,
an die Klägerin zu
5. Bü in Höhe von 2.385,92 DM,
an die Klägerin zu
6. D in Höhe von 1.093,20 DM,
an die Klägerin zu
7. G in Höhe von 437,01 DM,
an die Klägerin zu
8. H in Höhe von 1.386,31 DM,
an die Klägerin zu
9. I in Höhe von 109,40 DM,
an die Klägerin zu
10. J in Höhe von 1.303,21 DM,
an die Klägerin zu
11. Jo in Höhe von 5.383,31 DM,
an die Klägerin zu
12. K in Höhe von 541,06 DM,
an die Klägerin zu
13. N -Reimer in Höhe von 284,44 DM,
an die Klägerin zu
14. O in Höhe von 457,57 DM,
an die Klägerin zu
15. Ol in Höhe von 1.167,82 DM,
an die Klägerin zu
16. P in Höhe von 967,59 DM,
an die Klägerin zu
17. S in Höhe von 463,44 DM
jeweils nebst 4 % Zinsen ab Klageantrag zu zah-
len.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und gemeint, ein zusätzlicher Anspruch auf Zahlung der Zeitzuschläge für Überstunden sei in Nr. 5 Abs. 3 Unterabsatz 2 der SR 2 b BAT nicht vorgesehen. Durch die Freizeit würden alle weitergehenden Ansprüche abgegolten.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klagen abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihre Ansprüche weiter, während das beklagte Land um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerinnen haben neben der Abgeltung der errechneten Arbeitszeit durch Freizeit keinen Anspruch auf Zahlung von Zeitzuschlägen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT.
I.Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, Nr. 5 der SR 2 b BAT enthalte einen klaren und eindeutigen Wortlaut; die Klägerinnen gingen zu Unrecht davon aus, in dieser Sonderregelung würden die geleisteten Bereitschaftsdienste als Überstunden fingiert. Der Wortlaut stelle die errechnete Arbeitszeit nicht allgemein, sondern nur dann den Überstunden gleich, wenn diese durch eine Vergütung ausgeglichen würden. Soweit für die in Arbeitszeit umgerechneten Bereitschaftsdienste Freizeit gewährt werde, bestehe daneben kein Anspruch auf den Zeitzuschlag nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT, da es an Überstunden i. S. von § 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 BAT gerade fehle.
II.Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis und in der Begründung der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1.Die Parteien haben die Anwendung des Bundes-Angestelltentarifvertrages und der ihn ändernden und ergänzenden Tarifverträge auf die Arbeitsverhältnisse vereinbart. Damit sind auch die Sonderregelungen der Anlage 2 zum BAT anzuwenden, die Bestandteil des Tarifvertrags sind (§ 2 Satz 2 BAT). Als Erzieherinnen in der vom beklagten Land unterhaltenen Internatsschule für Hörgeschädigte fallen die Klägerinnen unter den in Nr. 1 der SR 2 b BAT genannten Personenkreis (Fürsorge oder Betreuung sonstiger hilfsbedürftiger Personen, die nicht regelmäßig in ärztlicher Behandlung stehen).
2.Der Senat teilt nicht die Rechtsansicht der Klägerinnen, daß Zeiten des Bereitschaftsdienstes grundsätzlich Überstunden i. S. von § 17 Abs. 1 BAT seien.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei der Auslegung von Tarifverträgen entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst von dem Tarifwortlaut auszugehen (vgl. Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, m.w.N.; Neumann, Zur Auslegung von Tarifverträgen, ArbuR 1985, 320). Dabei ist der maßgebliche Sinn zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Auf den der tarifvertraglichen Regelung zugrundeliegenden Willen der Tarifvertragsparteien kommt es insoweit an, als dieser im Wortlaut des Tarifvertrags erkennbaren Ausdruck gefunden hat. Bei verbleibenden Zweifeln verdient der Gesamtzusammenhang ebenso Beachtung wie die Tarifgeschichte. Ergänzend kann eine etwaige, bereits bestehende Tarifübung herangezogen werden. Sind Zweifel auch dann nicht vollends ausgeräumt, ist derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktischen Regelung führt (vgl. BAGE 40, 86, 94 = AP Nr. 9 zu § 1 TVG Auslösung; BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 42, 244, 253 f. = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II).
a)Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, daß die Tarifvertragsparteien die Leistung von Überstunden einschließlich ihres späteren Ausgleichs durch Arbeitsbefreiung grundsätzlich nur als Arbeitszeitverlegung im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit behandeln wollten. Dies ist insbesondere dem Zusammenhang zwischen § 17 Abs. 1 und § 15 BAT zu entnehmen. Nach dem Verständnis der Tarifvertragsparteien führen Überstunden grundsätzlich nicht zu endgültiger Mehrarbeit über den Umfang der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit hinaus und damit auch nicht zu einer zusätzlichen Vergütungspflicht des Arbeitgebers. Überstunden sollen durch die sie ausgleichende Arbeitsbefreiung in den Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit so eingefügt werden, daß die Überstundenarbeit eine Vorausleistung auf die vom Arbeitnehmer später im Ausgleichszeitraum zu erbringende Arbeitsleistung ist (vgl. BAG Urteil vom 13. November 1986 - 6 AZR 529/83 - AP Nr. 1 zu § 2 BAT SR 2 b, zu II 2 c der Gründe). Daraus folgt, daß im Rahmen des BAT und der ihn ergänzenden Tarifverträge der Freizeitausgleich für geleistete Überstunden die Regel, deren Vergütung die Ausnahme sein soll und im Zweifel eine Auslegung zu wählen ist, die in der Regel einen Überstundenausgleich durch Gewährung von Freizeit ermöglicht.
b)Nach der Systematik des § 17 Abs. 5 BAT sind Überstunden grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen. Dies geschieht nach § 17 Abs. 5 Satz 2 BAT in der Weise, daß während der Arbeitsbefreiung die Vergütung i. S. von § 26 BAT und die festgelegten Zulagen fortgezahlt werden. Für die so ausgeglichenen Überstunden wird nach § 17 Abs. 5 Satz 3 BAT der Zeitzuschlag nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT gezahlt. Für jede nicht ausgeglichene Überstunde wird die Überstundenvergütung (§ 35 Abs. 3 Unterabs. 2 BAT) gezahlt, die aus Stundenvergütung und Zeitzuschlag besteht (§ 35 Abs. 3 Unterabs. 2 BAT). Dies bedeutet, daß die Regelungen des § 35 BAT in verschiedenen Alternativen sowohl für die ausgeglichenen wie auch für die nicht ausgeglichenen Überstunden zur Anwendung kommen.
3.Dagegen ist die Behandlung von Bereitschaftsdienst in Nr. 5 der SR 2 b BAT nach dem Willen der Tarifvertragsparteien anders gestaltet worden. Bereitschaftsdienst und Überstunden sind im Gegensatz zur Auffassung der Klägerinnen nicht einander gleichzusetzen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der SR 2 b BAT und der systematischen Einordnung des Bereitschaftsdienstes in dieselbe.
Nach der Regelung in Nr. 5 Abs. 2 der SR 2 b BAT wird der Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit und nicht als Überstunden be wertet. Nr. 5 Absatz 3 der SR 2 b BAT bestimmt, wie die nach dieser Bewertungsregel errechnete Arbeitszeit zu vergüten ist: Entweder erfolgt eine Bezahlung in Höhe der Überstundenvergütung nach § 35 BAT oder aber es erfolgt eine Abgeltung in Freizeit.
Mit dem Landesarbeitsgericht ist der Senat der Auffassung, daß diese Regelung keine Anhaltspunkte enthält, die darauf hindeuten, beide Alternativen dürften miteinander vermengt, ergänzt oder ausgetauscht werden mit der Folge, daß ein Teil der Überstundenvergütung (Zeitzuschlag) auch bei Freizeitgewährung zu zahlen sei. Dem Arbeitnehmer steht nach Wahl des Arbeitgebers für die errechnete Arbeitszeit entweder die Überstundenvergütung zu oder die Abgeltung durch Freizeit. Die von den Klägerinnen beanspruchte Mischform ist tariflich nicht vorgegeben.
"Abgeltung" von Arbeitszeit stellt nach Wortlaut, Sinn und Zweck etwas anderes dar als "Ausgleich" von Überstunden i. S. von § 17 Abs. 5 BAT. Der Begriff der Abgeltung deutet auf eine endgültige Erledigung hin, d.h. auf eine abschließende Regelung ohne eine weitere Zusatzleistung (Zeitzuschlag). Das Gegenteil hätte in der insoweit nach ihrem Wortlaut abschließenden Regelung der Nr. 5 der SR 2 b BAT zum Ausdruck kommen müssen. Nr. 5 Abs. 3 Unterabsatz 2 der SR 2 b BAT ist als Ausnahmeregelung gegenüber Nr. 5 Absatz 3 Unterabsatz 1 der SR 2 b BAT grundsätzlich eng auszulegen. Die Erweiterung der Bestimmung unter Rückgriff auf § 17 Abs. 5 Satz 3 BAT ist unzulässig.
Dieses Ergebnis findet, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, seine Bestätigung in der allgemeinen Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 3 BAT, wonach für die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit und für die Zeit der Rufbereitschaft Zeitzuschläge nicht gezahlt werden. Bei Zeiten des Bereitschaftsdienstes handelt es sich eben nicht um Überstunden, sondern um Mehrleistungen anderer Art (so zutreffend Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand September 1991, § 35 Rz 41).
4.Die unterschiedliche Behandlung von Überstunden und Bereitschaftsdienstzeit entspricht auch einer zweckorientierten Auslegung der Regelung. Im Unterschied zu Überstunden, die tatsächlich geleistete Arbeit darstellen, sind die in Arbeitszeit umgerechneten Bereitschaftsdienstzeiten erfahrungsgemäß überwiegend tatsächlich nicht mit Arbeit ausgefüllt. Es erscheint daher sachlich gerechtfertigt, tatsächliche Zusatzbelastungen, die durch Überstunden entstehen, mit Zeitzuschlägen auszugleichen, bei in Arbeitszeit umgerechneten Bereitschaftsdienstzeiten auf solche Zusatzleistungen jedoch zu verzichten.
5.Soweit das Urteil des Senats vom 13. November 1986 (- 6 AZR 529/83 - AP, aa0, zu II 3 der Gründe) dahingehend verstanden werden könnte, auch bei Abgeltung der errechneten Arbeitszeit durch Freizeit bestehe ein Anspruch auf Zeitzuschläge nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BAT, stellt der Senat klar, daß in den ohnehin nicht tragenden Ausführungen jener Entscheidung zu der genannten Rechtsfrage nicht abschließend Stellung genommen wurde.
III.Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Peifer Dr. Freitag Dr. Armbrüster
Dr. Sponer Rose
Fundstellen