Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalens unter Vorbehalt
Leitsatz (redaktionell)
Bestätigung der Senatsrechtsprechung vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 – und vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – zur Veröffentlichung bestimmt.
Normenkette
AWbG NW § 1 Abs. 1, §§ 4, 5 Abs. 4, § 7
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 18.07.1991; Aktenzeichen 4 Sa 1378/88) |
ArbG Hamm (Urteil vom 16.06.1988; Aktenzeichen 3 Ca 84/87 L) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. Juli 1991 – 4 Sa 1378/88 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 16. Juni 1988 – 3 Ca 84/87 L – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 698,61 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 26. Januar 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1981 als Meßtechniker beschäftigt. Er beantragte am 14. August 1986 die Freistellung nach dem AWbG für ein vom DGB-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen in Hattingen in der Zeit vom 6.–10. Oktober 1986 durchgeführtes Seminar mit dem Thema „Zusammenbruch, Befreiung, Besatzung”. Die Beklagte antwortete:
„Sie haben am 04.10.85 die Freistellung von der Arbeit nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG) für die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme „Funktionsträger I” der IGM Lippstadt in der Zeit vom 04.–08.11.85 beantragt.
Wir haben Ihnen mit unserem Schreiben vom 10.10.85 zunächst die beantragte Freistellung gewährt, jedoch unbezahlt. Aus innerbetrieblichen Gründen wurde die gewährte, unbezahlte Freistellung mit Schreiben vom 31.10.85 dann durch Ihren Abteilungsleiter, Herrn D., widerrufen; hiermit waren Sie einverstanden.
Nach § 3 Abs. 4 des AWbG wurde daraufhin Ihr Anspruch auf Freistellung zur Arbeitnehmerweiterbildung aus dem Kalenderjahr 1985 in das Kalenderjahr 1986 übertragen.
Nunmehr beantragten Sie am 14.08.86 erneut die Freistellung von der Arbeit nach dem AWbG unter Anrechnung auf Ihren aus 1985 in das Kalenderjahr 1986 übertragenen Anspruch für folgende Maßnahme:
Zusammenbruch, Befreiung, Besatzung
Träger: DGB-Landesbezirk NRW Hattingen
Zeitraum: 06.–10.10.1986 (5 Arbeitstage)
Wir stellen Sie für die Zeit vom 06.–10.10.86 unbezahlt von der Arbeit frei.
Der Inhalt der Bildungsveranstaltung, die Sie besuchen wollen, dient nicht Ihrer beruflichen Weiterbildung. Wir sind der Ansicht, daß die im AWbG enthaltene Verpflichtung der Arbeitgeber, die Arbeitnehmer unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes freizustellen, in diesen Fällen verfassungswidrig ist. Deshalb zahlen wir Ihnen für den Freistellungszeitraum Ihr Arbeitsentgelt nicht fort; dies gilt in gleicher Weise für eventuelle finanzielle Folgeleistungen.
Kopie der Teilnahmebescheinigung bitte an PF.
Durch diese Freistellung wird Ihr im Kalenderjahr 1985 vergeblich nach dem AWbG beantragter Freistellungsanspruch, der in das Kalenderjahr 1986 übertragen wurde, verbraucht.”
Nach dem vom Kläger nachgewiesenen Besuch der Veranstaltung
hat er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 698,61 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 26. Januar 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Beide Vorinstanzen haben die Klage mit der Begründung abgewiesen, das Seminar sei nicht allgemeinzugänglich gewesen. Die Revision rügt Verletzung des § 9 AWbG und des § 2 Abs. 4 WbG und verfolgt weiter ihr erstinstanzliches Klageziel. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 1 Abs. 1, § 7 AWbG einen Anspruch auf Lohnfortzahlung von 698,61 DM brutto.
I. Nach § 1 Abs. 1 AWbG erfolgt Arbeitnehmerweiterbildung über die Freistellung von der Arbeit zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung in anerkannten Bildungsveranstaltungen bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Nach § 7 hat der Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitnehmerweiterbildung das Arbeitsentgelt entsprechend den Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen fortzuzahlen.
II. Die Beklagte hat den Kläger von der Arbeit zu Arbeitnehmerweiterbildungszwecken freigestellt, auch wenn sie den Kläger lediglich unbezahlt freistellen wollte, weil nach ihrer Auffassung die Bildungsveranstaltung nicht der beruflichen Weiterbildung diente. Das folgt insbesondere aus den Schlußsätzen der Beklagten in ihrem Antwortschreiben, in dem sie den Kläger an seine Verpflichtung aus § 5 Abs. 4 Satz 1 AWbG erinnert und auf das Erlöschen des übertragenen Anspruchs aus dem Jahre 1985 hinweist. Damit kann in dem Schreiben der Beklagten kein Angebot auf Erteilung eines unbezahlten Sonderurlaubs gesehen werden, das der Kläger stillschweigend angenommen haben könnte.
Der letzte Satz im Antwortschreiben der Beklagten kann auch nicht als Anrechnungserklärung i. S. des § 4 AWbG im Rahmen einer einzelvertraglichen Vereinbarung angesehen werden. Nach dieser Bestimmung können Freistellungen zur Teilnahme an Bildungsveranstaltungen, die auf anderen Rechtsvorschriften, tarifvertraglichen Vereinbarungen, betrieblichen Vereinbarungen oder Einzelverträgen beruhen, auf den Anspruch nach dem AWbG angerechnet werden, soweit sie dem Arbeitnehmer uneingeschränkt das Erreichen der in § 1 niedergelegten Ziele ermöglichen und die Anrechenbarkeit vorgesehen ist. Die Freistellung der Beklagten beruht nicht auf einer anderen Rechtsvorschrift, insbesondere nicht auf einer einzelvertraglichen Bestimmung. Denn eine Vereinbarung der Parteien, aus der der Kläger einen Anspruch auf Freistellung zur Teilnahme an Bildungsveranstaltungen hatte, bestand jedenfalls zur Zeit der Erklärung der Beklagten nicht. Auch ist nicht erkennbar, daß eine einzelvertragliche Vereinbarung die übrigen Voraussetzungen des § 4 AWbG erfüllte und das Günstigkeitsgebot des § 8 Abs. 1 AWbG beachtete.
Die Beklagte hat daher die vom AWbG vorgesehene Erfüllungshandlung vorgenommen.
III. Nachdem der Kläger der Arbeit ferngeblieben ist und das Seminar besucht hat, ist der Erfüllungserfolg eingetreten. Damit schuldet die Beklagte das der Höhe nach unstreitige Arbeitsentgelt nach § 7 AWbG. Die Freistellungserklärung nach dem AWbG und die Teilnahme des Arbeitnehmers an der Bildungsveranstaltung bedingen notwendig den Lohnfortzahlungsanspruch. Demgegenüber sind die schriftlichen Vorbehalte der Beklagten unbeachtlich (Senatsurteile vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 – und vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 –). Ggf. bestehende Leistungsverweigerungsrechte hätte die Beklagte gegenüber dem Freistellungsverlangen des Klägers geltend machen müssen.
IV. Auf die Frage, ob die Veranstaltung allgemeinzugänglich war und der politischen oder beruflichen Weiterbildung diente, kommt es somit nicht an.
V. Die Zinsentscheidung folgt aus § 284 Abs. 2, § 288 BGB. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Düwell, Dörner, Sperl, Arntzen
Fundstellen