Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitszeit im öffentlichen Dienst

 

Leitsatz (amtlich)

§ 15a BAT, wonach ein Angestellter in jedem Kalenderhalbjahr an einem Arbeitstag unter Zahlung der Urlaubsvergütung von der Arbeit freigestellt wird, enthält eine Regelung der Arbeitszeit.

 

Normenkette

BAT §§ 15a, 15; BGB §§ 133, 157

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 09.11.1989; Aktenzeichen 14 (13) Sa 1324/87)

ArbG Hannover (Urteil vom 22.07.1987; Aktenzeichen 1 Ca 154/87)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 9. November 1989 – 14 (13) Sa 1324/87 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Arbeitszeitverkürzung durch freie Tage.

Die Parteien schlossen am 1. April 1977 einen Dienstvertrag u.a. mit folgender Regelung:

“…

§ 2

Für die Rechte und Pflichten aus diesem Dienstvertrag gelten die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 in seiner jeweils geltenden Fassung mit folgenden Ausnahmen und Änderungen.

§ 11 

wird wie folgt gefaßt:

Die Angestellte ist nicht berechtigt, ohne Genehmigung der K… eine Nebenbeschäftigung auszuüben.

§ 20

Abs. 1) wird wie folgt gefaßt:

Die Dienstzeit umfaßt die Beschäftigungszeit (§ 19) und die im Angestelltenverhältnis bei zahnärztlichen oder dentistischen Berufsorganisationen verbrachten Zeiten. Abs. 2 - 4 + 6) sind vorstehender Fassung des Abs. 1) entsprechend sinngemäß anzuwenden.

§ 25

entfällt

§ 37

wird wie folgt angewendet:

Bei einer länger als 6 Wochen dauernden Arbeitsunfähigkeit wird die Differenz zwischen dem Nettogehalt bei Arbeitsleistung und dem von der Krankenkasse gezahlten Krankengeld im Rahmen der in § 37 BAT angegebenen Fristen als Zuschuß gezahlt.

§ 39

Anstelle der in § 39 BAT genannten Zuwendungen werden folgende Jubiläumsgaben gewährt:

Nach 10-jähriger Beschäftigungszeit bei der K… ein halbes Monatsgehalt,

nach 25-jähriger Beschäftigungszeit bei der K… ein volles Monatsgehalt.

Der Betrag darf jedoch nicht die steuerbegünstigte Grenze überschreiten.

§ 40

entfällt

§ 41

entfällt

§ 42

Die Reisekostenvergütung richtet sich nach der Reisekostenordnung für Angestellte der K….

§ 46

Anstelle einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung werden in der Erwartung, daß die Beträge von den Empfängern für eine zusätzliche Altersversorgung verwendet werden, folgende Treueprämien gewährt:

Nach Vollendung einer Beschäftigungszeit bei der K… von

5 Jahren eine monatliche Zulage von DM 48,--,

10 Jahren eine monatliche Zulage von DM 72,--,

15 Jahren eine monatliche Zulage von DM 96,--.

§ 47

Das Urlaubsjahr ist gleich dem Kalenderjahr.

§ 62 bis § 64

Anstelle eines Übergangsgeldes wird als Abbis kehrgeld gewährt:

Nach 5-jähriger Tätigkeit bei der K… oder bei einer zahnärztlichen oder dentistischen Berufsorganisation DM 20,-- für jedes abgeleistete Jahr, sofern der/die Angestellte ordnungsgemäß und unverschuldet ausscheidet und keinerlei berufliche Tätigkeit mehr ausübt.

§ 69

Soweit nach diesem Vertrag Bestimmungen des BAT Anwendung finden, die auf die für Beamte geltenden Bestimmungen Bezug nehmen, gilt das für niedersächsische Landesbeamte maßgebende Recht.

§ 71

entfällt

§ 72

entfällt

§ 73

entfällt mit Ausnahme der sich auf die Vergütungsgruppen beziehenden Regelungen des Abs. 3).

Nachträgliche Änderungen des BAT vom 23.2.1961 werden im übrigen nur dann Inhalt dieses Dienstvertrages, wenn es sich bei den geänderten Bestimmungen um solche handelt, die bereits in dem BAT vom 23.2.1961 enthalten waren und im vorstehenden Absatz 1 nicht ausdrücklich ausgenommen oder geändert sind.”

Die Klägerin begehrt von der Beklagten gemäß § 2 Abs. 1 des Dienstvertrages in Verb. mit § 15a BAT unter Zahlung der Urlaubsvergütung die bisher verweigerte Freistellung von der Arbeit für je einen Arbeitstag pro Kalenderhalbjahr.

Sie meint, § 2 Abs. 2 des Dienstvertrages lasse den Anspruch auf Arbeitsfreistellung nicht entfallen, da § 15a BAT als Änderung der auch im BAT vom 23. Februar 1961 enthaltenen tariflichen Arbeitszeitregelung anzusehen sei.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, sie in jedem Kalenderhalbjahr an einem Arbeitstag gemäß § 15a BAT von der Arbeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, § 15a BAT stelle eine eigenständige, neuartige Regelung dar, die nicht als Änderung der bisherigen Vorschriften über die wöchentliche Arbeitszeit anzusehen sei. Bis zur Einfügung des § 15a BAT habe es eine solche Freistellungsregelung im BAT nicht gegeben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin könne gemäß § 2 des Dienstvertrages in Verb. mit § 15a BAT in jedem Kalenderhalbjahr an einem Arbeitstag unter Zahlung der Urlaubsvergütung die Freistellung von der Arbeit verlangen. Die Einfügung des § 15a BAT in das Regelungswerk des BAT stelle eine nachträgliche Änderung des BAT vom 23. Februar 1961 dar, die durch arbeitsvertragliche Verweisung auf den BAT auch Inhalt des Dienstvertrages geworden sei, weil die tarifvertragliche Regelung über die Arbeitszeit einzelvertraglich nicht ausdrücklich ausgenommen oder abgeändert sei und es sich bei § 15a BAT um eine Arbeitszeitregelung handele. Dies ergebe sich aus der Stellung des § 15a BAT im IV. Abschnitt des BAT der die Überschrift “Arbeitszeit” trage. In § 15a BAT werde zwar die wöchentliche Arbeitszeit nicht geregelt, doch verkürze diese Norm die Jahresarbeitszeit. § 15a BAT stelle keine neue Arbeitszeitregelung dar, weil auch die bisherigen Arbeitszeitregelungen nicht ausschließlich von einer festen Wochenarbeitszeit ausgegangen seien. Schließlich sei auch im Bereich der Überstundenregelung in § 17 Abs. 5 BAT schon bisher ein Ausgleich durch Gewährung von freien Tagen vorgesehen gewesen. § 15a BAT modifiziere somit nur die bisherige Arbeitszeitregelung des § 15 BAT.

Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis und auch in der Begründung einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

II. Das Feststellungsbegehren der Klägerin ist begründet.

1. Gemäß § 2 Abs. 1 des Dienstvertrages sind auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des BAT in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Damit findet auch § 15a BAT auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Danach hat die Klägerin Anspruch, in jedem Kalenderhalbjahr an einem Arbeitstag unter Zahlung der Urlaubsvergütung von der Arbeit freigestellt zu werden.

2. Entgegen der Auffassung der Revision sind die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 des Dienstvertrages nicht gegeben. Danach werden nachträgliche Änderungen des BAT vom 23. Februar 1961 nur dann Inhalt des Dienstvertrages, wenn es sich bei den geänderten Bestimmungen um solche handelt, die bereits im BAT vom 23. Februar 1961 enthalten waren und in Absatz 1 nicht ausdrücklich ausgenommen oder geändert sind.

a) Bei der mit Wirkung vom 1. Januar 1985 durch § 2 Abschnitt I Nr. 1 des 53. Änderungstarifvertrages zum BAT vom 12. Dezember 1984 neu eingefügten Freistellungsregelung des § 15a BAT handelt es sich um eine nachträgliche Änderung des BAT. Die damit “geänderten Bestimmungen” waren auch bereits im BAT vom 23. Februar 1961 enthalten. Dies ergibt die Auslegung von § 2 Abs. 2 des Dienstvertrages gemäß §§ 133, 157 BGB. Danach ist ausgehend vom Wortlaut des Vertrages der wirkliche Wille der Parteien zu ermitteln (BAGE 22, 424, 426 = AP Nr. 33 zu § 133 BGB, zu 1a der Gründe; BAG Urteil vom 6. Februar 1974 – 3 AZR 232/73 – AP Nr. 38 zu § 133 BGB, zu I 1 der Gründe; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 133 Rz 24 f.).

b) Der Begriff “geänderte Bestimmungen” bezieht sich schon vom Wortlaut her nicht nur auf zahlenmäßig bezeichnete Paragraphen, sondern wird vielmehr gleichbedeutend den Begriffen “Vorschrift” oder “Regelung” verwendet. Damit werden sowohl einzelne Paragraphen wie auch bestimmte materielle Inhalte von Normen bezeichnet. Nach dem Sinn und Zweck der vorliegenden Ausnahmeregelung muß jedoch davon ausgegangen werden, daß die Vertragsparteien nicht Paragraphen, sondern materiellrechtliche Regelungsinhalte mit dem Begriff “Bestimmung” gemeint haben. Mit der Einschränkung der Bezugnahme auf den BAT in der jeweils geltenden Fassung wollten die Vertragsparteien verhindern, daß Regelungsinhalte, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 1. April 1977 noch nicht im BAT enthalten waren und die die Parteien aus diesem Grunde auch nicht kennen konnten, durch Bezugnahme ohne weiteres zum Vertragsinhalt werden. Der Grund dieser Vertragsklausel besteht damit in einer Begrenzung des Vertragsinhalts auf Regelungen des BAT, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den vertragsschließenden Parteien vorlagen. Eine solche Vereinbarung ist sachgerecht, weil dadurch die Eingehung von Rechten und Pflichten verhindert wird, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses möglicherweise von den Parteien nicht gewollt waren, die aber später von den Tarifvertragsparteien zum Gegenstand tariflicher Regelungen gemacht werden.

Auch der in § 2 Abs. 1 des Dienstvertrages geregelte Katalog der nicht oder geändert geltenden Paragraphen des BAT macht deutlich, daß es den Parteien um Regelungsinhalte ging. So werden einzelne Regelungen des BAT (§§ 11, 20, 37, 47, 69) inhaltlich ergänzt oder Regelungsinhalte (wie § 25 Prüfungserfordernis; § 40 Beihilfen; § 41 Sterbegeld) insgesamt ausgenommen bzw. völlig neu geregelt (§ 39 Jubiläumszuwendungen; § 42 Reisekostenvergütung; § 46 Zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung; §§ 62 ff. Übergangsgeld). Der Wille der Vertragsparteien war es somit, durch die gemäß § 2 Abs. 1 vereinbarte Verweisung auf den BAT bzw. die inhaltliche Ergänzung und Änderung von BAT-Normen bestimmte Regelungsinhalte des BAT auch zum Gegenstand des Dienstvertrages zu machen. Daraus folgt, daß gemäß § 2 Abs. 2 des Dienstvertrages nur solche Regelungsmaterien nicht zum Inhalt des Arbeitsvertrages werden, die im BAT bisher nicht enthalten waren bzw. vertraglich ausdrücklich ausgenommen oder geändert worden sind. Diese Voraussetzungen sind jedoch bei § 15a BAT nicht gegeben.

Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Arbeitszeitregelung (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand August 1991, § 15a Erl. 5; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Dezember 1991, § 15a Rz 1; PK-BAT-Pieper, § 15a Rz 2; Crisolli/Tiedtke/Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand Oktober 1991, § 15a BAT Erl. 1) und damit um eine Regelungsmaterie, die bereits im BAT vom 23. Februar 1961 enthalten war (§ 15 BAT) und auf die im Dienstvertrag der Parteien uneingeschränkt Bezug genommen ist (vgl. oben II 1). Bereits die Überschrift zu § 15a BAT “Arbeitszeitverkürzung durch freie Tage” deutet auf eine Arbeitszeitregelung hin. Entgegen der Auffassung der Revision spricht weiterhin auch die systematische Stellung innerhalb des BAT im “Abschnitt IV. Arbeitszeit” dafür, daß die Freistellung nach § 15a BAT eine Arbeitszeitregelung enthält. Gerade die systematische Anbindung der Freistellungsregelung in § 15a BAT an die in § 15 BAT festgelegte regelmäßige Arbeitszeit zeigt, daß mit der Gewährung eines Freistellungsanspruchs von einem Arbeitstag je Kalenderhalbjahr in § 15a BAT ergänzend zu § 15 BAT eine weitere Regelung der Arbeitszeit erfolgen sollte. Dagegen spricht auch nicht, daß durch die Gewährung eines Freistellungsanspruchs für einen Arbeitstag in jedem Kalenderhalbjahr nicht die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit, sondern die Jahresarbeitszeit verkürzt wird. Insbesondere die einzelnen Modalitäten zur Durchführung des Freistellungsanspruchs, die in § 15a Abs. 1 bis 4 BAT festgelegt sind, zeigen, daß es sich bei dem Freistellungsanspruch um eine Arbeitszeitverkürzung handelt. So soll die Freistellung nach § 15a Abs. 2 BAT nicht unmittelbar vor oder nach dem Erholungsurlaub erfolgen. Der Freistellungsanspruch kann nach Absatz 4 des § 15a BAT auch nicht abgegolten werden. Diese Regelungen lassen deutlich erkennen, daß der Freistellungsanspruch gerade keine Verlängerung des tariflichen Erholungsurlaubs darstellen soll, sondern eine Arbeitszeitverkürzung (vgl. Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann, BAT, Stand 1. September 1991, § 15a Erl. 7; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, aaO, § 15a Rz 9). Soweit die Tarifvertragsparteien hinsichtlich des während der Freistellung zu zahlenden Entgelts auf die Urlaubsvergütung Bezug genommen haben (§ 15a Abs. 1 Satz 1 BAT), geschah dies, um eine möglichst unkomplizierte Berechnungsregelung zu erreichen (so zutreffend Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann, aaO, § 15a Erl. 4). Auch dies steht der rechtlichen Qualifizierung der Vorschrift als Arbeitszeitregelung nicht entgegen.

Gegen diese Auslegung nach dem Tarifwortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang spricht nicht, daß es sich bei der Regelung des § 15a BAT um einen Kompromiß zwischen der Forderung der Gewerkschaft ÖTV nach einer Arbeitszeitverkürzung um zehn freie Tage und der von seiten der Tarifgemeinschaft für Angestellte im öffentlichen Dienst angestrebten Vorruhestandsregelung handelt (vgl. zur Tarifgeschichte Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann, aaO, § 15a Erl. 1; Crisolli/Tiedtke/Ramdohr, aaO, § 15a BAT Erl. 1).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Dr. Gehrunger, Stenzel

 

Fundstellen

Haufe-Index 838612

BAGE, 180

NZA 1992, 761

RdA 1992, 160

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