Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz bei Berufskrankheit
Normenkette
AGB-DDR §§ 267-268; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschn. III Nr. 1; Einigungsvertrag Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Buchst. g; RVO § 636 ff., § 581 Abs. 1 Nr. 2; SGB VII § 56 Abs. 1; GG Art. 14
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 15. August 1995 – 8 (7) Sa 73/95 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision einschließlich derjenigen der Streithelferin zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen einer Berufskrankheit des Klägers.
Der im Jahre 1961 geborene Kläger war von 1987 bis September 1990 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin, der VEG Tierzucht H., als Tierarzt beschäftigt. Sein Einsatz erstreckte sich auf tierärztliche Massentätigkeiten in einer Rinderanlage sowie in mehreren kleineren Rinderställen.
Seit November 1988 litt der Kläger an einer Hauterkrankung. In einer Stellungnahme der Arbeitshygieneinspektion des Rates des Bezirkes Frankfurt (Oder) an den FDGB-Kreisvorstand in F. vom 15. August 1989 wurde unter der Diagnose „Exogen provoziertes aropisches Ekzem” (im folgenden: Rinderallergie) die Voraussetzung für eine Anerkennung einer Berufskrankheit festgestellt und ein Körperschaden von unter 20 % bescheinigt.
Durch Bescheid des FDGB-Kreisvorstandes F. vom 23. November 1989 wurde dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis 31. Dezember 1990 eine Übergangsrente von monatlich 160,– DM gewährt.
In einem Nachgutachten über eine Berufskrankheit vom 28. Oktober 1991 kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, daß die Hauterkrankungen weitgehend abgeklungen seien, seit der Kläger nicht mehr im Rinderstall arbeite. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hat der Sachverständige auf 10 % eingestuft. Dieser Einschätzung schloß sich das Institut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin des Landes Brandenburg am 24. Dezember 1991 an.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger wegen einer bei der Beklagten erlittenen Berufskrankheit Schadensersatz nach § 267 AGB-DDR. Er hat der Staatlichen Versicherung der DDR in Abwicklung den Streit verkündet. Diese ist dem Rechtsstreit als Streithelferin auf seiten der Beklagten beigetreten.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei nach § 267 AGB-DDR im vollen Umfang zum Ersatz des ihm durch die Berufskrankheit entstandenen Schadens verpflichtet. Da die Erkrankung als das schadensbegründende Ereignis vor dem 31. Dezember 1990 eingetreten sei, sei die Beklagte in Anwendung des § 267 AGB-DDR auch zum Ersatz der nach dem 1. Januar 1991 eingetretenen Schäden verpflichtet. Der Einigungsvertrag habe mit der Aufhebung der §§ 267 ff. AGB-DDR zum 31. Dezember 1990 bereits entstandene Anwartschaften nicht rückwirkend beseitigen können. Der Kläger könne hinsichtlich seiner seit 1. Januar 1991 entstandenen Ansprüche auch deshalb nicht auf das Unfallversicherungsrecht nach der RVO verwiesen werden, weil ihm danach bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 20 % gar kein Anspruch auf Verletztenrente zustehe. Die ersatzlose Streichung der §§ 267 ff. AGB-DDR stelle einen unzulässigen Eingriff in grundgesetzlich geschützte Rechte nach Art. 14 GG dar.
Nach einem Teilvergleich über die Ansprüche für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1990 hat der Kläger zuletzt noch beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn aus der Berufskrankheit „Exogen provoziertes aropisches Ekzem” Schadensersatz dem Grunde nach über den 31. Dezember 1990 hinaus zu leisten,
- die Beklagte zu verurteilen, ihre Ansprüche auf Schadensersatz gegenüber der Streitverkündeten auf ihn abzutreten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, Schadensersatzansprüche nach § 267 AGB-DDR könnten nur bis zum 31. Dezember 1990 an den Arbeitgeber gerichtet werden. Die ab 1. Januar 1991 entstandenen Schäden seien nach dem Unfallversicherungsrecht der RVO gegenüber den Berufsgenossenschaften geltend zu machen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz für die Zeit ab 1. Januar 1991.
I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch ab 1991 sei nicht aus den §§ 267, 268 AGB-DDR herzuleiten.
1. Nach der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchst. g) zum Einigungsvertrag galten die §§ 267 bis 269 a AGB-DDR bis zum 31. Dezember 1990. Ab dem 1. Januar 1991 finden gem. der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 1 zum Einigungsvertrag die Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) über medizinische, berufsfördernde und ergänzende Leistungen sowie die §§ 636 ff. RVO Anwendung. Die Schadensersatzansprüche, die gegenüber dem Arbeitgeber bestanden, sind nicht auf die Unfallversicherungsträger übergegangen, weil sie keine Leistungen aus der Sozialversicherung waren (vgl. Petri u.a., Leistungsgewährung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern, 1993, S. 50).
2. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 14. Dezember 1995 (– 8 AZR 878/94 – AP Nr. 1 zu § 267 AGB-DDR, zu II der Gründe) entschieden hat, kommen die §§ 267, 268 AGB-DDR seit dem 1. Januar 1991 auch auf die Fälle nicht mehr zur Anwendung, in denen die Berufskrankheit vorher anerkannt worden oder entstanden ist.
Das Außerkrafttreten der §§ 267, 268 AGB-DDR bedeutet nicht nur, daß ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber bei künftigen Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten nur noch unter den Voraussetzungen des § 636 RVO entsteht. Vielmehr entsteht ein Schadensersatzanspruch generell nur, wenn eine Anspruchsgrundlage gegeben ist. Ab dem 1. Januar 1991 konnten daher keine neuen Schadensersatzansprüche auf der Grundlage des AGB-DDR mehr entstehen.
Für den Ausgleich von Schäden, die nach dem 31. Dezember 1990 entstanden sind, besteht eine gesetzliche Anspruchsgrundlage nicht mehr. Der für das Jahr 1991 geltend gemachte Schadensersatzanspruch ist nicht bereits 1988 entstanden. Ein Schadensersatzanspruch entsteht erst mit dem Schadenseintritt. Es genügt nicht, daß der Anspruch durch die Berufskrankheit im Jahre 1988 angelegt war und damals eine Anspruchsnorm gegeben war.
3. Die nur befristete Fortgeltung der §§ 267 ff. AGB-DDR ist entgegen der Auffassung der Revision mit Art. 14 GG zu vereinbaren. Die Ausführungen der Revision rechtfertigen keine Änderung der im Urteil des Senats vom 14. Dezember 1995 (– 8 AZR 878/94 – a.a.O.) ausführlich dargelegten verfassungsrechtlichen Überlegungen zu der Regelung der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchst. g) zum Einigungsvertrag (zu II 4 der Gründe). Eine übermäßige Belastung der von der Rechtsänderung Betroffenen ist nicht zu erkennen.
Durch den Schadensersatzanspruch nach § 267 AGB-DDR sollte insbesondere eine Minderung der Einkünfte infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ausgeglichen werden. Auf den Anspruch wurden gem. § 268 Abs. 2 AGB-DDR Leistungen der Sozialversicherung angerechnet. Die Renten in der ehemaligen DDR waren im Vergleich zur Bundesrepublik sehr niedrig. Wurden die Unfallrenten bis zum Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990 (GBl. DDR I S. 495) nach einem Durchschnittsverdienst von 600,00 Mark berechnet, so erhöhten sich in der Folgezeit die Eckwerte ständig bis auf 2.013,79 DM ab dem 1. Januar 1993 (5. Rentenanpassungsverordnung vom 8. Dezember 1992, BGBl. I S. 1998). Zwar wurde mit diesen Rentenanpassungen der Verlust des Ersatzanspruchs nach den §§ 267 ff. AGB-DDR nicht immer voll ausgeglichen. Doch ergab sich ein ausreichender Ersatz, teilweise auch eine Verbesserung des Gesamteinkommens, weil die Verletztenrente auf dem Prinzip der abstrakten Schadensberechnung beruht, also von einer tatsächlichen Minderung des Erwerbseinkommens nicht abhängt. Zudem stehen den Anspruchsberechtigten mit den Berufsgenossenschaften leistungsfähige Schuldner gegenüber. Die Einführung des Unfallversicherungsrechts nach der RVO bezweckte danach nicht nur die Schaffung eines einheitlichen Arbeits- und Sozialrechts, sondern auch den Schutz der Arbeitnehmer. Es bestand kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, das bisherige System eines konkreten Schadensausgleichs werde auf Dauer unverändert beibehalten oder bei einer Änderung werde in jedem Falle ein vollständiger Ausgleich erfolgen.
4. Der Wegfall der §§ 267 ff. AGB-DDR begegnet auch insoweit keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, als der Kläger ab 1. Januar 1991 wegen zu geringer Minderung seiner Erwerbstätigkeit überhaupt keine Verletztenrente von der Berufsgenossenschaft erhält.
Nach der im Jahre 1991 geltenden Regelung des § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO setzte der Anspruch auf Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalls oder wegen einer Berufskrankheit u.a. voraus, daß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten wenigstens 20 % gemindert war. Ab 1. Januar 1997 gilt statt § 581 RVO die im wesentlichen gleichlautende Vorschrift des § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Nach wie vor wird die Verletztenrente damit nur bei mindestens 20 % Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, daß bei einer geringeren Minderung der Erwerbsfähigkeit der Unfall bzw. die Berufserkrankung keine nennenswerten wirtschaftlichen Nachteile verursacht habe, die durch eine Verletztenrente ausgeglichen werden müßten. Diese Regelung ist allen Versicherten gegenüber zumutbar.
Auch der Kläger muß diese Regelung ab 1. Januar 1991 gegen sich gelten lassen. Da seine Hauterkrankungen im Jahre 1991 weitgehend abgeklungen waren und deshalb die Minderung seiner Erwerbsfähigkeit nur noch 10 % betrug, hatte er ab 1991 keinen Anspruch auf Verletztenrente. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger, dem bisher nach DDR-Recht nur eine Übergangsrente bis 31. Dezember 1990 bewilligt worden war, nach DDR-Recht ab 1991 überhaupt eine Rente wegen seiner fast abgeklungenen Berufskrankheit erhalten hätte. Jedenfalls ist dem Kläger zumutbar, daß er ab 1. Januar 1991 ebenso gestellt wird wie ein Arbeitnehmer, der in den alten Bundesländern 1988 einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit erlitten hat und deshalb keine Verletztenrente erhält, weil die Minderung seiner Erwerbsfähigkeit inzwischen unter 20 % beträgt. Die aus der Angleichung des Sozialrechts folgende Gleichbehandlung begründet gegenüber dem Kläger keine unzumutbare Härte.
II. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch den Anspruch auf Abtretung der der Beklagten gegen die Streithelferin zustehenden Ansprüche abgewiesen.
Der Kläger hat nicht dargetan, welche Ansprüche der Beklagten für die Zeit ab dem 1. Januar 1991 gegen die Streithelferin wegen der Berufskrankheit des Klägers zustehen können. Der Vortrag, die Streithelferin habe bis zum 31. Dezember 1990 Leistungen wegen der Berufskrankheit des Klägers erbracht, reicht hierfür nicht aus. Insoweit leistete die Streithelferin als Versicherung für die nach § 267 AGB-DDR schadensersatzpflichtige Beklagte. Ob und inwieweit für die Zeit ab dem 1. Januar 1991 noch Verpflichtungen der Streithelferin aus der Berufserkrankung des Klägers bestehen, ergibt sich aus den bis 31. Dezember 1990 erbrachten Leistungen der Streithelferin nicht.
III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Schömburg, Hennecke
Fundstellen