Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplan und Interessenausgleich

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweise des Senats:

Parallelsache zu – 10 AZR 186/93 –

 

Normenkette

BetrVG § 113 Abs. 3, §§ 50, 112

 

Verfahrensgang

LAG Brandenburg (Urteil vom 28.04.1993; Aktenzeichen 2 Sa 124/93)

ArbG Senftenberg (Urteil vom 21.12.1992; Aktenzeichen 2 (7) Ca 1649/92)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 28. April 1993 – 2 Sa 124/93 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Senftenberg vom 21. Dezember 1992 – 2 (7) Ca 1649/92 – abgeändert.

3. Die Klage wird abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der am 6. April 1935 geborene Kläger war seit September 1949 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er war zuletzt Leiter der Instandhaltung Hilfsgeräte. Sein Bruttogehalt betrug zuletzt 3.360,00 DM brutto.

Dem Kläger wurde am 24. Juni 1991 von der Beklagten fristgemäß zum 31. Dezember 1991 gekündigt. Seit dem 1. Januar 1992 erhält er Altersübergangsgeld.

Die Entlassung des Klägers erfolgte im Rahmen eines umfangreichen Personalabbaus bei der Beklagten. Schon am 21. Dezember 1990 hatte die Beklagte auf einer Betriebsrätekonferenz dem Gesamtbetriebsrat und den Betriebsräten der einzelnen Betriebsstätten die Notwendigkeit eines umfassenden Personalabbaus dargelegt. Nach der Behauptung der Beklagten waren sich dabei alle Beteiligten einig, daß in einer ersten Phase zunächst alle älteren Arbeitnehmer entlassen werden sollten, die Altersübergangsgeld erhalten könnten.

Am 8. Februar 1991 vereinbarten die IG Bergbau und Energie und der Wirtschaftsverband Kohle einen Tarifvertrag über zusätzliche Leistungen zum Altersübergangsgeld (TV-AÜG). An diesen Tarifvertrag sind die Parteien kraft Mitgliedschaft gebunden. In § 3 des Tarifvertrages heißt es:

1) Zum Altersübergangsgeld des Arbeitsamtes wird eine betriebliche Leistung bis in Höhe von 80 v. H. des bisherigen Nettoentgelts gewährt.

2) Die betriebliche Leistung kann als Einmalbetrag oder als monatliche Zuzahlung gewährt werden.

3) Die Modalitäten sowie die Differenzierung in Abhängigkeit von der Unternehmenszugehörigkeit der Arbeitnehmer sind betrieblich zu vereinbaren.

Die Beklagte schloß daraufhin mit dem Gesamtbetriebsrat am 22. Februar 1991 eine Betriebsvereinbarung über zusätzliche Leistungen für Bezieher von Altersübergangsgeld (BV AÜG), in der es heißt:

… wird auf der Grundlage des Tarifvertrags über zusätzliche Leistungen zum Altersübergangsgeld vom 8.2.1991 folgendes vereinbart:

§ 1 Geltungsbereich

Die Betriebsvereinbarung gilt für Belegschaftsmitglieder der L, die in der Zeit vom 3.10.1990 bis 31.12.1991 durch betriebsbedingte Kündigung ausscheiden und die Voraussetzungen zum Bezug von Altersübergangsgeld nach § 249 e AFG erfüllen.

§ 2 Betrieblicher Zuschuß zum Altersübergangsgeld

Während des Bezugs von Altersübergangsgeld erhalten die ausgeschiedenen Belegschaftsmitglieder einen monatlichen Zuschuß in Abhängigkeit von der Tarifgruppe zum Zeitpunkt der Kündigung. …

§ 4 Schlußbestimmungen

Die Vertragsparteien stimmen darin überein, daß bei Gewährung des betrieblichen Zuschusses zum Altersübergangsgeld eine betriebsbedingte Kündigung in der Regel sozial gerechtfertigt ist. …

Die Beklagte entließ in der Folgezeit im Jahre 1991 von insgesamt rund 13.000 Arbeitnehmern etwa 4.500 Arbeitnehmer, die Altersübergangsgeld beziehen konnten. Sie zahlte an den Kläger aufgrund der genannten Betriebsvereinbarung einen einmaligen Zuschuß zum Altersübergangsgeld in Höhe von 11.040,00 DM.

Am 14. September 1991 vereinbarte die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat einen Rahmensozialplan, in dem es u.a. heißt:

§ 1: Geltungsbereich

Der Rahmensozialplan gilt für Arbeitnehmer der L, die nach dem 31.12.1990 von Rationalisierungs- oder Stillegungsmaßnahmen betroffen werden. Er gilt nicht für – Arbeitnehmer, die die Voraussetzungen für Altersübergangsgeld erfüllen, ….

§ 10: Interessenausgleich

Bei Betriebsänderungen i. S. von § 111 BetrVG ist zwischen dem zuständigen Betriebsrat und dem Arbeitgeber der Interessenausgleich gemäß § 112 BetrVG zu vereinbaren. Der Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile erfolgt auf der Basis dieses Rahmensozialplanes.

Im vorliegenden Verfahren verlangt der Kläger von der Beklagten die Zahlung eines Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG. Er ist der Ansicht, die Beklagte habe vor Durchführung der Entlassungen im Jahre 1991 keinen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht. Die von der Beklagten behauptete Einigung sei nicht schriftlich niedergelegt worden. In der BV AÜG könne ein Interessenausgleich nicht gesehen werden. Für die Verhandlungen über den Interessenausgleich wären im übrigen die Betriebsräte der einzelnen Betriebsstätten und nicht der Gesamtbetriebsrat zuständig gewesen. Er begehrt die Zahlung einer Abfindung, deren Höhe er in das Ermessen des Gerichts stellt. Er hat seinen Anspruch zunächst vor der Schiedsstelle geltend gemacht, die seinen Antrag abgewiesen hat. Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht zunächst beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Abfindung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, ihr Vorstand, der Gesamtbetriebsrat und die Betriebsräte der einzelnen Betriebsstätten seien übereingekommen, daß durch Kündigungen der Arbeitnehmer mit einem Anspruch auf Altersübergangsgeld die erste Phase des notwendigen Personalabbaus realisiert werde. Auf dieser Grundlage sei es zum Abschluß der BV AÜG gekommen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 10.080,00 DM zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Abweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nicht zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, daß die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat vor Durchführung der Entlassungen keinen Interessenausgleich versucht habe. Ein Interessenausgleich liege auch nicht in der BV AÜG vom 22. Februar 1991.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

II. Nach § 113 Abs. 3 BetrVG hat ein Arbeitnehmer nur dann einen Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Arbeitgeber eine geplante Betriebsänderung durchführt, ohne zuvor über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben.

1. Der von der Beklagten geplante Personalabbau durch die Entlassung von rund 4.500 Arbeitnehmern im Jahre 1991 war eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG. Das ist unter den Parteien nicht im Streit. Entgegen der Ansicht des Klägers haben sich die Betriebspartner vor Durchführung der Entlassungen auch auf einen wirksamen Interessenausgleich geeinigt.

Inhalt des von § 112 BetrVG geforderten Interessenausgleichs ist die Regelung der Frage, ob überhaupt, ggf. wann und in welcher Weise die vom Arbeitgeber geplante Betriebsänderung durchgeführt werden soll (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt BAG Beschluß vom 27. Oktober 1987, BAGE 56, 270 = AP Nr. 41 zu § 112 BetrVG 1972; Beschluß vom 28. September 1988, BAGE 59, 359 = AP Nr. 47 zu § 112 BetrVG 1972). Erstreckt sich die geplante Betriebsänderung über einen längeren Zeitraum und eine Vielzahl von Maßnahmen – Personalabbau, Stillegung, sonstige Rationalisierungsmaßnahmen –, so kann ein Interessenausgleich auch zunächst nur einen Teil dieser Maßnahmen zum Inhalt haben, sich auf einzelne Stufen erstrecken. Wenn es Sinn und Zweck der Beratungen der Betriebspartner über einen Interessenausgleich ist, sich nach Möglichkeit auf eine Betriebsänderung zu einigen, die für die betroffenen Arbeitnehmer möglichst keine oder doch nur geringe wirtschaftliche Nachteile zur Folge hat (BAG Beschluß vom 17. September 1991, BAGE 68, 277 = AP Nr. 59 zu § 112 BetrVG 1972), dann wird es dem Sinn dieser Beratungen und des Interessenausgleichs auch gerecht, wenn diese Einigung sich zunächst auf bestimmte Maßnahmen beschränkt, deren Notwendigkeit einerseits anerkannt wird und deren Folgen andererseits zunächst absehbar und regelbar erscheinen.

In diesem Sinne haben sich die Betriebspartner auch vor der Entlassung des Klägers auf eine „erste Phase” der von der Beklagten geplanten Betriebsänderungen geeinigt. Auf der einen Seite ist anerkannt worden, daß Entlassungen von Arbeitnehmern notwendig sind. Auf der anderen Seite ist festgelegt worden, daß zunächst nur Arbeitnehmer entlassen werden sollen, die Anspruch auf Altersübergangsgeld haben. Das reicht aus. Zu Recht führt das Landesarbeitsgericht aus, daß der Interessenausgleich über diesen ersten Teil der Betriebsänderung nicht weitere Regelungen über die Zahl der Arbeitnehmer, deren Kündigungstermin und ähnliches enthalten mußte. Mit der Einigung darüber, daß zunächst nur Arbeitnehmer mit Anspruch auf Altersübergangsgeld entlassen werden sollten, war der erste Schritt der geplanten Betriebsänderungen geregelt. Über weitere notwendige Maßnahmen sollte zur gegebenen Zeit beraten und ein Interessenausgleich angestrebt werden, wie es in § 10 des Rahmensozialplanes auch ausdrücklich festgehalten ist.

2. Diese Einigung ist auch schriftlich niedergelegt worden.

a) Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der zwischen Unternehmer und Betriebsrat gefundene Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung schriftlich niederzulegen und von beiden Betriebspartnern zu unterschreiben. Die Wahrung dieser Schriftform ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Wirksamkeitsvoraussetzung für einen Interessenausgleich. Ist eine Einigung über die Betriebsänderung nicht schriftlich niedergelegt, fehlt es an einer solchen Einigung und der Unternehmer muß den Versuch eines Interessenausgleichs im vorgeschriebenen Verfahren bis hin zur Einigungsstelle betreiben, will er Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG vermeiden (BAG Urteil vom 18. Dezember 1984, BAGE 47, 329 = AP Nr. 11 zu § 113 BetrVG 1972; Urteil vom 9. Juli 1985, BAGE 49, 160 = AP Nr. 13 zu § 113 BetrVG 1972). Das entspricht auch der herrschenden Meinung im Schrifttum (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., §§ 112, 112 a Rz 8; Fabricius GK-BetrVG, 4. Aufl., §§ 112, 112 a Rz 21; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 112 Rz 14; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 112 Rz 11; Däubler in Däubler/ Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, § 112 Rz 11; Etzel, Betriebsverfassungsrecht, 4. Aufl., Rz 937; von Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, 2. Aufl., S. 311; a.A. nur Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 112 Rz 18, der der Schriftform nur eine Ordnungsfunktion zubilligt und davon ausgeht, daß ein Interessenausgleich auch dann erfolgt sei, wenn der Betriebsrat einer Betriebsänderung nur mündlich zugestimmt hat).

b) Im vorliegenden Fall ist die erforderliche Schriftform durch den Abschluß der BV AÜG vom 22. Februar 1991 gewahrt worden.

§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG fordert nicht, daß der Interessenausgleich in einer gesonderten Urkunde niedergelegt und als solcher ausdrücklich bezeichnet wird. Es ist in der Betriebspraxis vielfach üblich, Interessenausgleich und Sozialplan in einer Urkunde niederzulegen, diese auch nur als Sozialplan zu bezeichnen oder andere Überschriften zu wählen. Regelungen, die nur Inhalt eines Interessenausgleichs sein können, werden als Sozialplan bezeichnet (vgl. den Fall der Entscheidung vom 17. September 1991, BAGE 68, 277 = AP Nr. 59 zu § 112 BetrVG 1972), Einigungen, die ihrem Inhalt nach einen Sozialplan darstellen, werden auch Interessenausgleich genannt.

Von daher ist allein entscheidend, ob die Einigung der Betriebspartner über das Ob und Wie einer geplanten Betriebsänderung oder eines Teils derselben schriftlich festgehalten ist und in dieser Urkunde mit ausreichender Deutlichkeit sichtbar wird. Es wird allgemein davon ausgegangen, daß der Interessenausgleich eine besondere Vereinbarung kollektiver Art zwischen den Betriebspartnern ist (vgl. u.a. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, Rz 13 a; Dietz/Richardi, aaO, Rz 20). Unabhängig davon, welche Rechtsfolgen im übrigen aus diesem Rechtscharakter herzuleiten sind, besteht Einigkeit darüber, daß dem Interessenausgleich eine unmittelbare und zwingende Wirkung auf die Einzelarbeitsverhältnisse nach § 77 Abs. 4 BetrVG nicht zukommt (Matthes, MünchHdbArbR, § 352 Rz 15 m.w.N.). Dann unterliegt aber der Interessenausgleich den Auslegungsregeln, die für Vereinbarungen und Verträge gelten, nicht aber den Auslegungsregeln für Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Es ist daher nach §§ 133, 157 BGB nicht nur der Wortlaut der Erklärung entscheidend, sondern der wirkliche Wille der Vertragspartner, soweit er in der Erklärung noch seinen Niederschlag gefunden hat.

Wenn daher die Betriebspartner in der BV AÜG eine Regelung treffen für Belegschaftsmitglieder, die „in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1991 durch betriebsbedingte Kündigung ausscheiden und die Voraussetzungen zum Bezug von Altersübergangsgeld erfüllen”, und in § 4 darin übereinstimmen, daß diese Kündigungen „in der Regel sozial gerechtfertigt sind”, so kann dies nur bedeuten, daß die Betriebspartner sich einig waren, daß im Zuge des notwendig werdenden Personalabbaus zunächst in dem genannten Zeitraum denjenigen Arbeitnehmern betriebsbedingt gekündigt werden sollte, die einen Anspruch auf Altersübergangsgeld haben. Der Umstand, daß die Betriebsvereinbarung „auf der Grundlage des Tarifvertrages über zusätzliche Leistungen zum Altersübergangsgeld” abgeschlossen wurde, steht dem nicht entgegen. Diese – eine – Rechtsgrundlage der Betriebsvereinbarung für die Regelung zusätzlicher betrieblicher Leistungen zum Altersübergangsgeld schließt einerseits nicht aus, diese Regelung als „Sozialplan” zu verstehen und andererseits in dem vorbehaltlosen Abschluß eines solchen Sozialplans auch die Einigung über den zugrunde liegenden Interessenausgleich zu erblicken. Regeln die Betriebspartner vor der Durchführung einer Betriebsänderung einvernehmlich ohne jeden Vorbehalt den Ausgleich oder die Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die den Arbeitnehmern infolge einer bestimmten Betriebsänderung entstehen können, so kann darin regelmäßig auch die Einigung darüber zu sehen sein, daß eben diese Betriebsänderung auch durchgeführt werden kann (Matthes, Münch-HdbArbR, § 352 Rz 11). Es wäre angesichts der dargestellten betrieblichen Praxis unverständlicher Formalismus, in einem solchen Falle anzunehmen, ein Interessenausgleich wäre nicht erfolgt, weil die Einigung über die Durchführung dieser Betriebsvereinbarung nicht noch einmal ausdrücklich schriftlich dokumentiert und als solche bezeichnet worden ist (so im Ergebnis auch Richardi, aaO, Rz 18).

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß die Betriebspartner sich darüber im klaren waren, daß eine Betriebsänderung stets einen vorausgehenden Interessenausgleich erfordert. Sie haben dies für die weiteren Stufen der Betriebsänderung in § 10 des Rahmensozialplans ausdrücklich noch einmal klargestellt. Wenn sie dann für die erste Stufe von einer gesonderten schriftlichen Fixierung ihrer Einigung in einer ausdrücklich als „Interessenausgleich” bezeichneten Urkunde absahen, so kann dies nur bedeuten, daß sie mit der Unterzeichnung der BV AÜG auch ihre Einigung über die Kündigung der altersübergangsgeldberechtigten Arbeitnehmer schriftlich dokumentierten.

Damit hat die Beklagte vor Durchführung der Betriebsänderung und vor der Entlassung des Klägers einen Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat nicht nur versucht, sondern auch formgerecht mit dem Gesamtbetriebsrat vereinbart.

III. Die Wirksamkeit dieses Interessenausgleichs scheitert nicht daran, daß die Einigung mit dem Gesamtbetriebsrat und nicht mit den Betriebsräten der einzelnen Betriebsstätten erfolgt ist.

1. Das Landesarbeitsgericht hat dahingestellt bleiben lassen, ob der Gesamtbetriebsrat gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zuständig war, weil der Interessenausgleich sich auf eine Angelegenheit bezog, die das gesamte Unternehmen der Beklagten betraf und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden konnte.

Um eine solche Angelegenheit handelt es sich im vorliegenden Fall. Damit war die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gegeben. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 17. Februar 1981, BAGE 35, 80 = AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972) und der Meinung im Schrifttum, wonach – jedenfalls in der Regel – der Gesamtbetriebsrat zuständig ist, wenn eine Betriebsänderung alle oder mehrere Betriebe eines Unternehmens betrifft (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 50 Rz 42; Dietz/Richardi, aaO, § 50 Rz 22; Galperin/Löwisch, aaO, § 50 Rz 11; Kreutz GK-BetrVG, 4. Aufl., § 50 Rz 40; Hess/Schlochauer/ Glaubitz, aaO, § 50 Rz 37; Trittin in Däubler/Kittner/Klebe/ Schneider, aaO, § 50 Rz 34; Joost, Münch-HdbArbR, § 305 Rz 63; Matthes, Münch-HdbArbR, § 352 Rz 4).

Für die Beklagte ging es darum, angesichts der geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse für das gesamte Unternehmen u.a. durch Anpassung des Personalbestandes an den veränderten Bedarf zu entscheiden, welche Arbeitnehmer zunächst entlassen werden sollten. Wenn die Beklagte dabei in einer ersten Phase plante, zunächst ohne Rücksicht auf betriebliche und sonstige Umstände der einzelnen Betriebsstätten jedenfalls alle Arbeitnehmer zu entlassen, die ihr im Hinblick auf den Anspruch auf Altersübergangsgeld sozial wenigstens einigermaßen gesichert schienen, so war dies eine Maßnahme, die alle Betriebsstätten der Beklagten betraf und nur einheitlich entschieden werden konnte. Das bedeutet nicht, daß der Interessenausgleich nicht auch eine andere Regelung zum Inhalt hätte haben können, etwa derart, daß zunächst nur Arbeitnehmer solcher Betriebsstätten entlassen werden sollen, deren örtlicher Arbeitsmarkt für entlassene Arbeitnehmer eine Anschlußbeschäftigung möglich erscheinen ließ, in anderen Betriebsstätten aber die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer nach anderen Gesichtspunkten erfolgen sollte. Für die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist nicht der Inhalt eines schließlich gefundenen Interessenausgleichs maßgebend. Entscheidend ist vielmehr der Inhalt der vom Unternehmen geplanten Maßnahme. Liegt dieser ein unternehmenseinheitliches Konzept zugrunde, ist es Aufgabe des Gesamtbetriebsrats, im anzustrebenden Interessenausgleich u.a. auch darüber zu befinden, ob dieses unternehmenseinheitliche Konzept gebilligt wird oder ob nicht eine andere Konzeption besser, sinnvoller oder interessengerechter wäre. Es ist dies eine Entscheidung, die von den einzelnen Betriebsräten nicht getroffen werden kann.

Der Gesamtbetriebsrat war daher zuständig, mit der Beklagten über einen Interessenausgleich zu verhandeln und diesen mit ihr zu vereinbaren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Hauck, Böck, Dr. Haible, Rosendahl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI916134

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