Entscheidungsstichwort (Thema)

Fertigbauarbeiten als baugewerbliche Tätigkeit

 

Normenkette

BRTV-Bau vom 3. Februar 1981 i.d.F. vom 2. September 1996 – BRTV-Bau – § 1 Abs. 2 Absch. V Nr. 13

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 07.12.1998; Aktenzeichen 11 Sa 1186/98)

ArbG Nienburg (Urteil vom 02.04.1998; Aktenzeichen 2 Ca 978/97)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 7. Dezember 1998 – 11 Sa 1186/98 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 2. April 1998 – 2 Ca 978/97 – abgeändert:

Es wird festgestellt, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Normen der Tarifverträge für das Baugewerbe über den 31. März 1997 hinaus zur Anwendung kommen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte über den 31. März 1997 hinaus unter den Geltungsbereich der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes fällt oder ob die Tarifverträge der Beton- und Fertigteilindustrie für Nordwestdeutschland zur Anwendung kommen.

Der am 6. Oktober 1964 geborene Kläger ist seit dem 1. April 1986 als gewerblicher Arbeitnehmer (Fertigbau-Spezialfacharbeiter) bei der Beklagten oder deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Er ist in der Fertigung für Binder im Beton-Fertigteil-Werk in L der Beklagten tätig. Der Kläger erhielt Lohn entsprechend der Berufsgruppe III 1 BRTV-Bau. Ziff. 1 des vom Kläger unterschriebenen „Einstellungsbogen” vom 21. April 1987 lautet:

„Für das Arbeitsverhältnis bei der H AG gelten die jeweils gültigen Tarifverträge und bestehenden Betriebsvereinbarungen der H AG, insbesondere die Betriebsordnung.”

Die Beklagte stellt im Werk L überwiegend auftragsbezogene individuelle Fertigteile aus Beton her. Die Betonfertigteile werden entsprechend den Vorgaben der Auftraggeber konstruiert und sodann gefertigt. Mit den Auftraggebern schließt die Beklagte Werklieferungsverträge. Die Montage der Fertigteile auf der Baustelle erfolgte ursprünglich durch eigene Arbeitnehmer der Beklagten. Von 1995 noch mit der Montage beschäftigten 28 Mitarbeitern ist die Montage-Kolonne 1997 auf sechs Mitarbeiter reduziert worden. Die Montage wird nunmehr überwiegend durch Subunternehmer durchgeführt. Die Montage wird durch einen Mitarbeiter der Beklagten überwacht.

Seit dem 1. April 1997 wurden von 40.354 produzierten Tonnen 28,2 % durch eigene Montagearbeiter der Beklagten auf den Baustellen montiert, 61,4 % durch Subunternehmer und 10,4 % der produktbezogenen Tonnage wurden ohne Montage geliefert. Neben der auftragsbezogenen individuellen Fertigung produzierte die Beklagte vom 1. April bis 31. Dezember 1997 Fertigteilgaragen in einer Gesamt-Tonnage von 4.105 Tonnen, deren Montage und Aufstellung durch eine externe Montagegesellschaft erfolgte.

Auch bei der Fremdmontage schließt die Beklagte Werklieferungsverträge mit Endabnehmern ab. Das Eigentum an den Fertigteilen geht nicht an die Subunternehmer, sondern nach der Montage und nach der Bezahlung des Gesamtwerks auf die Endabnehmer. Bis zur schlüsselfertigen Übergabe der Bauwerke bleibt die Beklagte Eigentümerin der selbst hergestellten und der in diese Bauwerke durch Subunternehmer eingebauten Fertigteile.

Bis zum 31. Dezember 1996 war die Beklagte Mitglied im Verband der Bauindustrie in Niedersachsen. Die Mitgliedschaft der Beklagten endete durch ihre Kündigung. Ab 1. April 1997 ist sie Mitglied im Verband der Beton- und Fertigteilindustrie Nord e.V. Seit diesem Zeitpunkt wendet sie auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Mitarbeiterinnen die Tarife der Beton- und Fertigteilindustrie Nord an. Sie hat die Mitarbeiterinnen umgruppiert in die Lohn- und Gehaltsgruppen der Lohn- und Gehaltstarife für die Beton- und Fertigteilindustrie Nord. Die Umgruppierung ist für den Kläger mit einer Lohnreduzierung von 2,80 DM brutto/h verbunden, was nach Vortrag des Klägers im Durchschnitt monatlich 437,20 DM brutto ausmacht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Tarifverträge des Bauhauptgewerbes seien weiter anzuwenden. Es sei unerheblich, ob die Beklagte die zu erstellenden Werke aufgrund von Werkverträgen mit eigenen Mitarbeitern oder durch Subunternehmen erstellen lasse. Die Beklagte schulde dem Kunden das fertige Werk. Die Beklagte verfüge über sechs Bauleiter, vier Poliere und zwei Facharbeiter, die sowohl bei der Eigenmontage von Fertigbetonteilen als auch zur Überwachung derjenigen Baustellen eingesetzt seien, auf denen Subunternehmer im Auftrag der Beklagten tätig seien. Es handele sich nicht um ein Veräußern von hergestellten Teilen an nicht beteiligte Dritte. Die Beklagte veräußere gerade nicht an unbeteiligte Dritte, sondern an Kunden. Anwendbar sei der Tarifvertrag des Betonsteingewerbe nur dann, wenn die Betonfertigteile für den „anonymen Markt” produziert würden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Normen der Tarifverträge für das Baugewerbe in ihrer jeweils geltenden Fassung über den 1. April 1997 hinaus zur Anwendung kommen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, seit 1. April 1997 seien die Tarifverträge der Beton- und Fertigteilindustrie anzuwenden. Sie unterfalle dem Baugewerbe deshalb nicht, weil sie die Montage der Beton- und Fertigteile überwiegend nicht selbst, sondern durch Subunternehmer vollziehen lasse. Die Fremdmontage durch Subunternehmer, die zu mehr als 50 % der Gesamtmenge erfolge, falle nicht unter den Geltungsbereich der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes, sondern unter den Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Betonsteingewerbe Nordwestdeutschland.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision des Klägers ist begründet. Denn auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind die Normen der Tarifverträge für das Baugewerbe über den 31. März 1997 hinaus anzuwenden.

1. Der Antrag, festzustellen, daß für das Arbeitsverhältnis der Parteien die Normen der Tarifverträge des Baugewerbes über den 31. März 1997 hinaus zur Anwendung kommen, ist zulässig. Mit der Feststellung oder mit ihrer Ablehnung würde der Streit der Parteien in vollem Umfang entschieden. Daraus ergibt sich das Feststellungsinteresse des Klägers (vgl. BAGE 3, 303, 305).

2. Die Klage ist auch begründet. Der Betrieb der Beklagten unterliegt über den 31. März 1997 hinaus den Tarifverträgen für das Baugewerbe.

a) Die Parteien stimmen darin überein, daß sich ihr Arbeitsverhältnis über den 31. März 1997 hinaus nach den Tarifverträgen für das Baugewerbe richtet, sofern der Betrieb L auch nach diesem Zeitpunkt nach der in ihm überwiegend ausgeübten Geschäftstätigkeit unter den betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau fällt.

b) Dies ist der Fall. Das haben die Vorinstanzen verkannt.

aa) Im BRTV-Bau vom 3. Februar 1981 in dessen seinerzeit geltenden Fassung vom 2. September 1996 wie in der derzeit geltenden vom 19. April 2000 ist dessen betrieblicher Geltungsbereich in § 1 Abs. 2 wie folgt geregelt:

㤠1 Geltungsbereich

(2) Betrieblicher Geltungsbereich:

Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.

Abschnitt I

Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen.

Abschnitt II

Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.

Abschnitt III

Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I oder II erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen.

Abschnitt V

Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören zB diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden:

13. Fertigbauarbeiten: Einbauen oder Zusammenfügen von Fertigbauteilen zur Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung oder Änderung von Bauwerken; ferner das Herstellen von Fertigbauteilen, wenn diese zum überwiegenden Teil durch den Betrieb, einen anderen Betrieb desselben Unternehmens oder innerhalb von Unternehmenszusammenschlüssen – unbeschadet der gewählten Rechtsform – durch den Betrieb mindestens eines beteiligten Gesellschafters zusammengefügt oder eingebaut werden;

Abschnitt VI

Betriebe, soweit in ihnen die unter den Abschnitten I bis V genannten Leistungen überwiegend erbracht werden, fallen grundsätzlich als Ganzes unter diesen Tarifvertrag. Selbständige Betriebsabteilungen sind Betriebe im Sinne dieses Tarifvertrages.

Werden in Betrieben des Baugewerbes in selbständigen Abteilungen andere Arbeiten ausgeführt, so werden diese Abteilungen dann nicht von diesem Tarifvertrag erfaßt, wenn sie von einem spezielleren Tarifvertrag erfaßt werden.

Abschnitt VII

Nicht erfaßt werden Betriebe:

1. des Betonwaren und Terrazzowaren herstellenden Gewerbes,

…”

b) Der Betrieb L der Beklagten wurde auch noch nach dem 31. März 1997 vom betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau erfaßt.

(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts fällt ein Betrieb als Ganzes unter den betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau, wenn in ihm arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 BRTV-Bau fallen. Auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dafür ebensowenig an wie auf wirtschaftliche Gesichtspunkte, zB Umsatz oder Verdienst. Werden in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend ein oder mehrere der in den Beispielen des Abschnitts V des § 1 Abs. 2 BRTV-Bau genannten Tätigkeiten ausgeführt, fällt der Betrieb unter den betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau, ohne daß die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III geprüft werden müssen. Können die Tätigkeiten nicht den Beispielen in § 1 Abs. 2 Abschnitt V BRTV-Bau zugeordnet werden, kommt es darauf an, ob der Betrieb nach den Abschnitten I bis III vom betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau erfaßt wird. Dabei ist maßgeblich auf die Zweckbestimmung des Betriebes abzustellen. Für die den Betrieb prägende Zweckbestimmung ist der Zweck der Gesamtleistung entscheidend (z.B. BAG 11. Juni 1997 – 10 AZR 525/96 – und 7. Juli 1999 – 10 AZR 582/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 200, 221 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 85, 95 m.w.N.).

(2) Die überwiegende Tätigkeit im Betrieb L ist das Herstellen von Fertigbauteilen, die zum überwiegenden Teil durch den Betrieb zusammengefügt werden, im Sinne des Beispiels des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 13 2. Alt. BRTV-Bau.

Die Beklagte erstellt mit ihrem Betrieb L Bauwerke. Denn eine Erstellung von Bauwerken liegt nach dem vorgenannten Beispiel auch dann vor, wenn die vom Betrieb hergestellten Fertigbauteile von diesem zu Bauwerken zusammengefügt werden. Diese Tätigkeit überwiegt im Betrieb L Sie ist die ihn prägende Zweckbestimmung (vgl. § 1 Abs. 2 Abschnitt I, II, III BRTV-Bau), für die der Zweck der Gesamtleistung des Betriebs maßgebend ist. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Leistung der Beklagten die Herstellung des Gesamtbauwerkes zum Inhalt. Fertigbauteile für den Markt, d.h. zum Verkauf an Dritte werden von der Beklagten in L nur zu 10,4 % hergestellt. An die Subunternehmer werden die von der Beklagten hergestellten Betonfertigbauteile nicht veräußert, sondern das Eigentum daran geht unmittelbar auf den Auftraggeber über.

Dies ergibt sich auch aus den in diesem Verfahren sowie in den Parallelsachen in den Tatsacheninstanzen vorgelegten Unterlagen (Managementbuch, interne Stellenausschreibungen, Prospektmaterial). Darin beschreibt die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit stets dahin, daß sie „mit den sechs Niederlassungen Bauwerke unterschiedlichster Art” errichte; ihre Leistung umfasse die schlüsselfertige Fertigstellung von Bauwerken.

Weil der Betrieb überwiegend auf die Errichtung von Bauwerken gerichtet ist und diesem Zweck die Herstellung der Fertigbauteile dient, sind alle Arbeitnehmer des Betriebes insoweit mit der Herstellung von Bauwerken befaßt. Insbesondere die Überwachungstätigkeiten ihrer Bauleiter auf den Baustellen sind bauliche Leistungen (BAG 11. Juni 1997 – 10 AZR 525/96 – a.a.O.). Dies gilt auch für die Beaufsichtigung und Kontrolle der von der Beklagten mit der Montage der von ihr hergestellten Betonfertigbauteile beschäftigten Subunternehmer. Darin folgt der Senat der Rechtsprechung des Zehnten Senats (BAG 11. Juni 1997 – 10 AZR 525/96 – a.a.O.). Maßgeblich für die Qualifizierung der genannten Bauleitungstätigkeiten, die der mangelfreien und termingerechten Herstellung des Bauwerkes dienen, als bauliche Leistungen der Beklagten ist, daß es sich bei den zur Bauherstellung eingesetzten Subunternehmern um solche der Beklagten handelt und ohne die Tätigkeit von Subunternehmern die Bauarbeiten von Arbeitnehmern der Beklagten hätten ausgeführt werden müssen. Dies ist hier der Fall. Unerheblich ist, ob die Aufsicht der Bauleiter der Beklagten werk- oder personenbezogen ist. Im einen wie im anderen Falle bezieht sich die Bauleitung auf eine von der Beklagten zu erbringende bauliche Leistung und ist Teil derselben. Da der Zweck dieser betrieblichen Tätigkeit der Beklagten insgesamt in der Erstellung von Bauwerken besteht, ist nicht rechtserheblich, wie viele Arbeitnehmer der Beklagten insoweit mit der Herstellung der Fertigbauteile und wie viele mit ihrer Zusammenfügung auf den Baustellen befaßt sind (Senat 14. April 1971 – 4 AZR 201/70 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 10).

(3) Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindend, weil von der Beklagten nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen, festgestellt, daß die Eigenmontage – d.h. die Montage der von der Beklagten hergestellten Betonfertigbauteile durch Arbeitnehmer der Beklagten – und die Montage ihrer Betonfertigbauteile durch von ihr beauftragte und überwachte Subunternehmer zusammengerechnet den zeitlich überwiegenden Teil ihrer betrieblichen Tätigkeit ausmacht. 89,6 % der Produktionsmenge in Tonnen im Restjahr 1997 wurden von Arbeitnehmern der Beklagten oder durch von ihr beauftragte Subunternehmer zu Bauwerken zusammengefügt.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schliemann, Bott, Friedrich, J. Ratayczak, Sieger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1532033

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