Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechenbarkeit eines Sozialplananspruchs auf Nachteilsausgleich
Normenkette
BetrVG 1972 §§ 111, 112 Abs. 2, 5, § 113 Abs. 3; KSchG § 10; EGVertrag Art. 234 Abs. 1b, 3
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Zahlung von Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG.
Der 1964 geborene Kläger war seit 1990 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin in L… beschäftigt. Als Elektrotechniker erhielt er zuletzt ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 5.424, 50 DM.
Am 23. Juni 1999 beschloß die Gesellschafterversammlung der Beklagten, den Standort L… zum 30. November 1999 zu schließen. Zugleich wurde die Geschäftsführung beauftragt, die erforderlichen Besprechungen mit dem Betriebsrat sowie alle übrigen Maßnahmen zur Umsetzung des Beschlusses durchzuführen. Von der geplanten Betriebsstillegung wurde der Betriebsrat am 29. Juni 1999 unterrichtet. Im Anschluß daran nahmen die Betriebsparteien Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan auf. Nach mehr als zehn, teilweise ganztägigen Interessenausgleichsverhandlungen unter Beteiligung eines externen Unternehmensberaters konnten sich die Betriebsparteien nicht auf einen Termin zur Durchführung des Einigungsstellenverfahrens einigen. Daraufhin erklärte die Beklagte die Verhandlungen über den Interessenausgleich für gescheitert. Sie kündigte am 30. September 1999 die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer betriebsbedingt, darunter auch das des Klägers zum 31. Dezember 1999. Der Betrieb wurde im Oktober 1999 stillgelegt. Aus einem späteren Sozialplan erhielt der Kläger eine Abfindung in Höhe von 38.551,30 DM ausgezahlt.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger zusätzlich die Zahlung von Nachteilsausgleich. Er ist der Auffassung, der Betriebsrat sei bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich nicht ausreichend beteiligt worden. Die Beklagte habe keine ernsthaften Interessenausgleichsverhandlungen geführt; die Betriebsstillegung habe bereits auf Grund des Beschlusses der Gesellschafterversammlung festgestanden. Im übrigen habe die Beklagte die Verhandlungen ohne Anrufung der Einigungsstelle abgebrochen. Auf Grund dieses betriebsverfassungswidrigen Verhaltens stehe ihm ein Nachteilsausgleich in Höhe von mindestens 27.835,82 DM brutto zu. Dieser Betrag könne nicht mit der Sozialplanabfindung verrechnet werden. Ein Verrechnungsverbot folge jedenfalls aus europäischem Recht. Die Beklagte habe ihre Konsultationspflicht nach Art. 2 Abs. 1 der RL 98/59/EG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen vom 20. Juli 1998 (EG-MassenentlassungsRL) verletzt, weil sie von der Durchführung des Einigungsstellenverfahrens abgesehen habe. Dieser Verstoß sei nach nationalem Recht wirksam zu sanktionieren.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Nachteilsausgleich zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch mindestens 27.835,82 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit beträgt und nicht auf die Forderung des Klägers aus dem Sozialplan vom 13. Januar 2000 angerechnet wird.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter und beantragt für den Fall, daß der Senat seinen Zahlungsantrag nicht für begründet erachten sollte, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im Wege des Vorabentscheidungsersuchens die Frage vorzulegen, ob die Verrechnung von Sozialplanabfindung und Nachteilsausgleich mit der EG-MassentlassungsRL vereinbar ist, wenn das Interessenausgleichsverfahren vom Arbeitgeber ohne Anrufung der Einigungsstelle abgebrochen wird. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Zahlung von weiteren 27.835,82 DM brutto verlangen. Zwar steht dem Kläger ein darauf gerichteter Anspruch auf Nachteilsausgleich zu (I). Den geschuldeten Nachteilsausgleich hat die Beklagte aber mit der bereits gezahlten Abfindung aus einem Sozialplan verrechnen können (II). Danach verbleibt zugunsten des Klägers kein Zahlbetrag mehr.
I. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Zahlung von Nachteilsausgleich in Höhe von 27.835,82 DM nach Grund und Höhe zu Recht bejaht.
1. Der Anspruch ergibt sich aus § 113 Abs. 3 BetrVG. Die Beklagte hat eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung iSd. §§ 111, 112 BetrVG durchgeführt. Sie hat den Beschäftigungsbetrieb des Klägers stillgelegt. Der Kläger ist infolge dieser Maßnahme entlassen worden. Der von der Beklagten unternommene Versuch eines Interessenausgleichs war unzureichend.
a) Die Betriebsstillegung verbunden mit der Entlassung aller dort beschäftigten Arbeitnehmer war eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG. Diese Betriebsänderung war nach § 111 Satz 1 BetrVG zwischen den Betriebsparteien mit dem Ziel einer Einigung über einen Interessenausgleich zu beraten. Sinn und Zweck dieser Beratungen sind, sich nach Möglichkeit auf eine Maßnahme zu verständigen, die für die betroffenen Arbeitnehmer keine oder nur geringere Nachteile mit sich bringt als die Betriebsänderung in der zunächst vom Arbeitgeber geplanten Form (BAG 17. September 1991 – 1 ABR 23/91 – BAGE 68, 277; 20. April 1994 – 10 AZR 186/93 – BAGE 76, 255). Um dieses Ziel zu erreichen, sieht § 111 BetrVG iVm. § 112 BetrVG ein gestuftes Verfahren vor. Es beginnt mit der Information des Betriebsrats über die geplante Betriebsänderung und setzt sich fort mit den Beratungen der Betriebsparteien über die Einzelheiten und die Durchführung einer Betriebsänderung. Es endet nach § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG mit der Anrufung der Einigungsstelle, falls die Betriebsparteien nicht selbst eine Einigung über einen Interessenausgleich erzielen können.
b) Ausgelöst werden die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers nach den §§ 111 und 112 BetrVG durch konkrete Planungen über eine Betriebsänderung. Im Gegensatz zum Sozialplan, der nach der Rechtsprechung des Senats als freiwillige Betriebsvereinbarung auch im Vorgriff auf eine noch nicht feststehende Betriebsänderung vereinbart werden kann, setzen Verhandlungen über einen Interessenausgleich eine hinreichend bestimmte, in Einzelheiten bereits absehbare Maßnahme voraus, deren Durchführung der Arbeitgeber konkret anstrebt. Der Betriebsrat soll nach § 111 Satz 1 BetrVG die Gestaltung der im Einzelfall geplanten Betriebsänderung gezielt beeinflussen können. Dazu müssen ihre Art und ihr Umfang bekannt sein (vgl. BAG 19. Januar 1999 – 1 AZR 342/98 – AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 37 = EzA BetrVG 1972 § 113 Nr. 28).
c) Der Versuch eines Interessenausgleichs war nicht deshalb unzureichend, weil die Gesellschafterversammlung der Beklagten am 23. Juni 1999 die Stillegung des Betriebs zum 30. November 1999 beschlossen hatte. Dieser Beschluß hat – als Teil des Meinungsbildungsprozesses auf Arbeitgeberseite – lediglich Art und Inhalt der geplanten Betriebsänderung bestimmt und damit den Gegenstand für die zwischen den Betriebsparteien zu führenden Verhandlungen vorgegeben. Maßnahmen zur Umsetzung des Stillegungsbeschlusses sind vor den Verhandlungen mit dem Betriebsrat nicht erfolgt. Das Vorbringen des Klägers läßt zudem nicht erkennen, daß die Beklagte während dieser Verhandlungen rechtsgeschäftliche Handlungen vorgenommen hätte, die das Ob und das Wie der Betriebsänderung vorweggenommen hätten. Die Umsetzung des Gesellschafterbeschlusses erfolgte mit Wirkung nach außen erst im September 1999 mit der Einleitung des Anhörungsverfahrens zum Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen. Bis dahin waren die Geschäftsführer der Beklagten weder faktisch noch rechtlich gehindert, die sich aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich ergebenden Alternativen an die Gesellschafter weiterzuleiten, um im Interesse des Unternehmens eine Abänderung des Stillegungsbeschlusses zu erreichen.
d) An dem ausreichenden Versuch eines Interessenausgleichs hat es aber deswegen gefehlt, weil die Beklagte davon abgesehen hat, nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem Betriebsrat die Einigungsstelle anzurufen. Dazu wäre sie zur Vermeidung eines Anspruchs auf Nachteilsausgleich verpflichtet gewesen. Das folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Schutzzweck des § 113 Abs. 3 BetrVG (BAG 18. Dezember 1984 – 1 AZR 176/82 – BAGE 47, 329; 9. Juli 1985 – 1 AZR 323/83 – BAGE 49, 160). Diese Vorschrift schützt das Interesse der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer mittelbar durch die Sicherung des Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats. Dieser umfaßt nach § 112 Abs. 2 BetrVG auch die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens. In diesem Verfahren erhalten die Betriebsparteien letztmals Gelegenheit, unter Mitwirkung eines unparteiischen Vorsitzenden Alternativen zur geplanten Betriebsänderung zu erörtern oder Modifikationen zu prüfen, die für die betroffenen Arbeitnehmer weniger nachteilige Folgen haben. Zwar kann die Betriebsänderung letztlich ohne Einigung der Betriebsparteien nach den Vorstellungen des Arbeitgebers durchgeführt werden. Anders als in den Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung ist ein Spruch der Einigungsstelle, durch den eine Regelung auch gegen den Willen des Arbeitgebers getroffen werden könnte, hier nicht möglich. Dennoch ist das Einigungsstellenverfahren zum Schutz der Belange der betroffenen Arbeitnehmer sinnvoll und nicht etwa eine bloße Förmelei. Das vom Gesetz vorgesehene Verfahren, das einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Arbeitnehmer und der des Unternehmers anstrebt, führt nicht zu einer unzumutbaren Verlängerung der Verhandlungen, wie die Arbeitgeberin meint. Der Arbeitgeber ist für die Einleitung des Einigungsstellenverfahrens nicht auf die Zustimmung des Betriebsrats angewiesen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts liegen schließlich auch keine Anhaltspunkte für ein rechtsmißbräuchliches Hinauszögern der Verhandlungen durch den Betriebsrat vor.
2. Die Revision ist auch unbegründet, soweit sie sich gegen die Festsetzung der Höhe des Nachteilsausgleichs wendet. Diese ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat den Maßstab des entsprechend anwendbaren § 10 KSchG beachtet. Es hat die Höhe des Nachteilsausgleichs nach dem Lebensalter des Klägers, seiner Qualifikation und der Arbeitsmarktlage bestimmt und dabei auch das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens der Beklagten berücksichtigt. Im übrigen ist die Festsetzung des Nachteilsausgleichs nur im eingeschränkten Umfange revisionsrechtlich überprüfbar. Die rechtliche Kontrolle ist darauf beschränkt, ob das Berufungsgericht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und nicht gegen Rechtsvorschriften oder Denkgesetze verstoßen hat (BAG 10. Dezember 1996 – 1 AZR 290/96 – AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 32). Einen solchen Verstoß zeigt die Revision nicht auf. Die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens der Beklagten fehlerhaft gewichtet, weil es den Gesellschafterbeschluß sowie die Art der zwischen den Betriebsparteien geführten Verhandlungen nicht berücksichtigt habe, geht ins Leere. Das Landesarbeitsgericht hat eingehend geprüft, ob die Beklagte mit dem Betriebsrat etwa nur Scheinverhandlungen geführt hat. Das Ergebnis seiner Prüfung, wonach die Beklagte in Anbetracht der Dauer der Verhandlungen und der Hinzuziehung eines Unternehmensberaters den Informations- und Verhandlungsanspruch des Betriebsrats nicht ignoriert hat, ist nicht zu beanstanden. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob der durch § 10 KSchG vorgegebene Rahmen voll auszuschöpfen oder gar zu überschreiten ist, wenn der Arbeitgeber den Verhandlungsanspruch des Betriebsrats gänzlich übergeht.
II. Auf den Anspruch des Klägers auf Nachteilsausgleich konnte die Beklagte die Abfindungszahlung aus dem Sozialplan anrechnen. Danach verbleibt kein zu zahlender Betrag mehr.
1. Eine Zahlung von Nachteilsausgleich ungeachtet der an ihn gezahlten Sozialplanabfindung kann der Kläger nicht verlangen.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG Sanktion für das betriebsverfassungswidrige Verhalten eines Arbeitgebers, der seiner gesetzlichen Beratungspflicht bei Betriebsänderungen nicht genügt hat. Der Anspruch soll die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats an einer unternehmerischen Maßnahme sicherstellen (BAG 24. Januar 1996 – 1 AZR 542/95 – BAGE 82, 79, 87 mwN). Ist diese Beteiligung unzureichend, erhalten die betroffenen Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf den Ausgleich bestimmter Nachteile. Dieser Anspruch entsteht unabhängig von einem Verschulden des Arbeitgebers oder dem späteren Zustandekommen eines Sozialplans. Er hängt auch nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit oder individuellen Leistungsbereitschaft des Arbeitgebers ab. Seine Höhe bemißt sich ausschließlich nach den Vorgaben des entsprechend anwendbaren § 10 KSchG.
b) § 113 BetrVG schützt die Beachtung der gesetzlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen aber nicht ausnahmslos. Die Vorschrift sanktioniert ein betriebsverfassungswidriges Verhalten nur in den Fällen, in denen die von der unternehmerischen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden. Deshalb ist § 113 BetrVG keine bußgeldähnliche Verpflichtung mit Strafcharakter. Vielmehr sollen die Arbeitnehmer eine gewisse Entschädigung dafür erhalten, daß eine im Gesetz vorgesehene Beteiligung unterblieben und damit eine Chance nicht genutzt worden ist, einen Interessenausgleich zu finden, der Entlassungen vermeidet oder wirtschaftliche Nachteile abmildert (BAG 29. November 1983 – 1 AZR 523/82 – BAGE 44, 260 = AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 10). Dem Ausgleich dieser Nachteile dient aber auch die Abfindung aus einem Sozialplan. Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG hat der Sozialplan wirtschaftliche Nachteile auszugleichen oder zu mildern, die den Arbeitnehmern infolge einer Betriebsänderung entstehen. Der gesetzliche Anspruch auf Nachteilsausgleich und der Abfindungsanspruch aus einem von den Betriebsparteien vereinbarten Sozialplan dienen danach demselben Ausgleichszweck. Aus der insoweit bestehenden Zweckidentität folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die im Schrifttum weitgehende Zustimmung erfahren hat, die Anrechenbarkeit einer Sozialplanabfindung auf den gesetzlichen Nachteilsausgleich (BAG 13. Juni 1989 – 1 AZR 819/87 – BAGE 62, 88 mwN; Fabricius GK-BetrVG 6. Aufl. § 113 Rn. 95 ff., § 112, 112a Rn. 110; Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 113 Rn. 37; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 113 Rn. 64, § 112 Rn. 170 ff., aA DKK-Däubler BetrVG 7. Aufl. § 112, § 112 a Rn. 59 ff.; ErfK/Hanau/Kania 2. Aufl. § 113 BetrVG Rn. 2).
c) Die Verrechenbarkeit beider Forderungen hebt den Sanktionszweck des § 113 Abs. 3 BetrVG nicht auf. Bei der Festsetzung der Höhe des Nachteilsausgleichs ist das Gericht nicht an die Grenzen des § 112 Abs. 5 Satz 2 BetrVG gebunden und hat die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers außer Acht zu lassen (BAG 10. Dezember 1996 – 1 AZR 290/96 – AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 32 = EzA BetrVG 1972 § 111 Nr. 34). Darüber hinaus entsteht der Anspruch auf Nachteilsausgleich kraft Gesetzes und kann nicht durch eine Vereinbarung der Betriebsparteien oder der Arbeitsvertragsparteien ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber bleibt dem Anspruch selbst dann ausgesetzt, wenn die Betriebsänderung nicht sozialplanpflichtig ist (BAG 8. November 1988 – 1 AZR 687/87 – BAGE 60, 87). Auch wird der Anspruch auf Nachteilsausgleich durch einen späteren Sozialplan nicht beseitigt (BAG 13. Juni 1989 – 1 AZR 819/87 – BAGE 62, 88). Erreichen die im Sozialplan vereinbarten Abfindungszahlungen nicht die Höhe des Nachteilsausgleichs oder werden bestimmte Arbeitnehmer in zulässiger Weise vom persönlichen Geltungsbereich eines Sozialplans ausgenommen, begründet § 113 Abs. 3 BetrVG dennoch Zahlungspflichten zugunsten dieser Arbeitnehmer.
Damit fehlt es in aller Regel nicht an einem wirtschaftlichen Zwang, zur Vermeidung des Nachteilsausgleichs die Beteiligungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Eingeschränkt wird der Sanktionscharakter allenfalls bei besonders hoch dotierten Sozialplänen, bei denen die vorgesehenen Abfindungen die Höhe des gesetzlichen Nachteilsausgleichs erreichen oder sogar die sich aus § 10 KSchG ergebenden Höchstgrenzen übersteigen. In diesen Fällen ist aber auch der Entschädigungsfunktion des Nachteilsausgleichs auch ausreichend Rechnung getragen und die Grenze der Sanktion erreicht oder gar überschritten, die das Gesetz zur Beachtung des Mitwirkungsrechts für angemessen hält. Im übrigen ist es den Betriebsparteien unbenommen, im Sozialplan ein entsprechendes Verrechnungsverbot zu vereinbaren. Fehlt es daran, kann die Sozialplanabfindung auf den Nachteilsausgleich angerechnet werden.
2. Ob die EG-MassenlassungsRL, wie der Kläger meint, als wirksame Sanktion für eine Verletzung der dort geregelten Konsultationspflicht bei Massenentlassungen den Ausschluß der Anrechenbarkeit einer Sozialplanabfindung auf den gesetzlichen Nachteilsausgleich fordert, bedarf keiner Entscheidung. Die Frage, ob die vorstehend (II 1) ermittelte Auslegung des § 113 BetrVG nach den Grundsätzen der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zu korrigieren ist, stellt sich für den vorliegenden Fall nicht. Die Beklagte hat im Zusammenhang mit der von ihr geplanten Betriebsschließung und der damit einhergehenden Massenentlassung ihrer Verhandlungspflicht in dem von der Richtlinie geforderten Umfang genügt. Das konnte der Senat auch ohne Anrufung des EuGH feststellen.
a) Nach Art. 2 Abs. 1 der EG-MassenentlassungsRL hat ein Arbeitgeber, der beabsichtigt, eine Massenentlassung iSd. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie durchzuführen, die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen. Diese Verhandlungen haben sich nach Art. 2 Abs. 2 EG-MassenentlassungsRL mindestens darauf zu erstrecken, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken sowie ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Dem entspricht im deutschen Recht die in § 111 Satz 1 BetrVG geregelte Pflicht des Arbeitgebers, in Fällen der vorliegenden Art den Betriebsrat rechtzeitig über die geplante Betriebsstillegung zu informieren und sich mit ihm mit dem Ziel einer Einigung über die geplante Betriebsänderung zu beraten. Die Beklagte hat diese Konsultationspflicht, soweit sie von der Richtlinie vorgegeben ist, erfüllt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sie wenige Tage nach dem Beschluß der Gesellschafterversammlung den Betriebsrat von sich aus über die geplante Betriebsstillegung und deren Zeitpunkt unterrichtet. Diese Information erfolgte fünf Monate vor der geplanten Betriebsschließung. Sie war rechtzeitig. Der Betriebsrat war auf Grund der ihm zugänglichen Informationen auch in der Lage, auf das Ob und das Wie der geplanten Betriebsänderung Einfluß zu nehmen. Das Vorbringen des Klägers läßt nicht erkennen, daß die dem Betriebsrat zur Verfügung gestellten Unterlagen und Informationen, die ihm eine Bewertung der geplanten Betriebsänderung und das Aufzeigen von Alternativen ermöglichen sollten, unzureichend gewesen wären. Die Betriebsparteien haben die Einzelheiten der geplanten Betriebsänderung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch eingehend miteinander verhandelt und dazu im gegenseitigen Einvernehmen einen externen Unternehmensberater hinzugezogen.
b) Art. 2 Abs. 2 EG-MassenentlassungsRL verlangt für die Erfüllung der Konsultationspflicht nicht auch noch, wie dies in § 112 Abs. 2 BetrVG vorgesehen ist, die Einschaltung eines unparteiischen Dritten nach dem Scheitern der Verhandlung der Betriebsparteien. Vielmehr findet die von der Richtlinie vorgeschriebene Konsultation zwischen dem Arbeitgeber und der zuständigen Arbeitnehmervertretung statt. Darüber hinaus regelt Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie den Inhalt der Konsultation. Die Einschaltung eines neutralen Dritten schreibt die Richtlinie weder ausdrücklich noch durch einen Verweis auf innerstaatliche Rechtsvorschriften oder Praktiken vor, wie er beschränkt auf die Heranziehung von Sachverständigen in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie enthalten ist.
c) Daß die Beklagte der Konsultationspflicht nach Art. 2 Abs. 2 EG-MassenentlassungsRL genügt hat, konnte der Senat auch ohne Anrufung des EuGH feststellen. Der vom Kläger insoweit gestellte “Hilfsantrag” bedurfte keiner förmlichen Bescheidung. Er ist unerheblich. Über ein Vorabentscheidungsersuchen hat der Senat von Amts wegen zu befinden (Groeben/Thiesing/Ehlermann/Krück EU-/EG-Vertrag 5. Aufl. Art. 177 Rn. 56).
Allerdings ist das Bundesarbeitsgericht als letztinstanzliches Gericht nach Art. 234 Abs. 1b, Abs. 3 EG verpflichtet, den EuGH anzurufen, soweit in einem anhängigen Verfahren über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht zu befinden ist. Von einer Anrufung kann es nur absehen, soweit der EuGH über die Auslegungsfrage bereits entschieden hat, oder wenn die zutreffende Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß für ernsthafte Zweifel kein Raum besteht (EuGH 6. Oktober 1982 – RS 283/81 C.I.L.F.I.T. – Slg. 1982 S 3415, 3430 ff:; BAG 27. Juni 2000 – 1 ABR 32/99 (A) – BAGE 95, 150; 2. April 1996 – 1 ABR 47/95 – AP BAGE 82, 349). Diese Voraussetzung liegt hier vor. Aus Art. 2 Abs. 2 EG-MassenlassungsRL geht eindeutig hervor, daß für die Erfüllung der Konsultationspflicht bei Massenentlassungen nicht die Anrufung eines unparteiischen Dritten gefordert ist, um mit dem Betriebsrat als nationalem Arbeitnehmervertreter zu einer Einigung über die geplante Massenentlassung zu gelangen.
Unterschriften
Wißmann, Schmidt, Kreft, Münzer, Blank
Fundstellen