Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliches 13. Monatseinkommen bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Erziehungsurlaubs
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 20. Oktober 1994 – 4 Sa 61/94 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über ein tarifliches 13. Monatseinkommen.
Die Klägerin ist seit dem Jahre 1979 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Papierindustrie in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (MTV) sowie der Tarifvertrag über ein 13. tarifliches Monatseinkommen (TV–13. ME) Anwendung.
Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 16. August 1991 bis 15. Februar 1993 in Erziehungsurlaub. Sie vertritt die Auffassung, ihr stehe für das Jahr 1992 ein Anspruch auf das 13. Monatseinkommen zu, obwohl das Arbeitsverhältnis während des gesamten Kalenderjahres geruht habe.
Die tariflichen Bestimmungen des Tarifvertrages über ein 13. tarifliches Monatseinkommen i.d.F.v. 30. Oktober 1990 haben, soweit hier von Interesse, folgenden Wortlaut:
§ 2
1. Die Arbeitnehmer erhalten 100 % ihres tariflichen Monatseinkommens als 13. tarifliches Monatseinkommen.
2. …
3. Das tarifliche Monatseinkommen i.S.d. TV ist für Angestellte das einen Monat vor dem Auszahlungszeitpunkt für sie geltende Tarifgehalt.
4. …
§ 3
1. …
2. Den vollen Betrag erhalten alle Arbeitnehmer, die mit Ablauf des Kalenderjahres 12 Monate ununterbrochen dem Betrieb angehört haben, ferner die im Kalenderjahr wegen Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes, der flexiblen Altersgrenze oder wegen Erreichens der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung, wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ausscheiden oder die Angehörigen von verstorbenen Arbeitnehmern und Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen ihres Grundwehr- oder Ersatzdienstes ruht, im Jahr der Einberufung und im Jahr des Wiedereintritts in den Betrieb.
3. Bei geringerer Betriebs Zugehörigkeit als 12 Kalendermonate im Kalenderjahr besteht ein Anspruch i.H. eines Zwölftels des vollen Betrages für jeden vollendeten Kalendermonat.
4. Arbeitnehmer, deren Betriebs Zugehörigkeit am 31.12. des Kalenderjahres weniger als 3 Kalendermonate beträgt, deren Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt worden ist oder, die ihr Arbeitsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gelöst haben, können keinen Anspruch geltend machen.
5. Teilzeitbeschäftigte erhalten die Leistungen in der ihrer anteiligen Arbeitszeit entsprechenden Höhe.
§ 4
…
§ 5
Soweit Ansprüche irgendwelcher Art von der Höhe des Arbeitsentgelts abhängig sind, werden Leistungen aus diesem Vertrag nicht mitgerechnet.
In § 23 MTV ist unter der Überschrift „Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei sonstiger Arbeitsverhinderung” bestimmt:
- Ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht nur für die Zeit, in der tatsächlich gearbeitet worden ist.
Bei Arbeitsversäumnis wird in folgenden Fällen das Arbeitsentgelt weitergezahlt:
2.1. bei Eheschließung |
2 Arbeitstage |
…
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.905,37 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, der Anspruch der Klägerin sei nicht begründet, weil das Arbeitsverhältnis im Jahre 1992 geruht habe. Das tarifliche 13. Monatseinkommen habe Entgeltcharakter. Deshalb entfalle der Anspruch, wenn im Kalenderjahr keine Arbeitsleistung erbracht werde. Dies ergebe sich insbesondere aus § 3 Nr. 2 TV–13. ME, wonach im Falle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wegen Grundwehr- oder Ersatzdienstes während des gesamten Kalenderjahres ein Anspruch auf das 13. Monatseinkommen ausgeschlossen sei. Im übrigen bestehe nach § 23 Nr. 1 MTV ein Anspruch auf Arbeitsentgelt grundsätzlich nur für die Zeit, in der tatsächlich gearbeitet worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht erkannt, daß der Klägerin ein Anspruch auf das 13. Monatseinkommen für das Jahr 1992 zusteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin erfülle die tariflichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf das 13. Monatseinkommen. Diese erforderten keine tatsächliche Arbeitsleistung im Kalenderjahr.
Der tariflichen Regelung über die Zahlung des 13. Monatseinkommens bei Ableistung von Grundwehr- oder Ersatzdienst könne nicht entnommen werden, daß der Anspruch auch im Falle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses während des gesamten Kalenderjahres bei Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub entfalle. Der Regelung in § 23 Nr. 1 MTV komme für den Anspruch auf das 13. Monatseinkommen keine Bedeutung zu.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Der Klägerin steht für das Jahr 1992 ein Anspruch auf das tarifliche 13. Monatseinkommen zu.
1. Die Klägerin erfüllt die tariflichen Voraussetzungen für den Anspruch auf das 13. Monatseinkommen nach § 3 TV–13. ME, da sie dem Betrieb mit Ablauf des Kalenderjahres 1992 ununterbrochen länger als 12 Monate angehörte und keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses i.S.v. § 3 Nr. 4 TV–13. ME vorlag.
2. Die tariflichen Bestimmungen erfordern keine tatsächliche Arbeitsleistung im Kalenderjahr.
a) Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung annimmt, ist das Erfordernis einer tatsächlichen Arbeitsleistung nur dann der Zahlung der tariflichen Sonderzuwendung zugrunde zu legen, wenn die Tarifvertragsparteien dies ausdrücklich geregelt bzw. ausdrücklich bestimmt haben, für welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung der Anspruch auf die tarifliche Sonderzuwendung gemindert oder ausgeschlossen werden soll. Haben die Tarifvertragsparteien eine solche Regelung nicht getroffen, kann nicht davon ausgegangen werden, daß Voraussetzung für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugs Zeitraum ist (vgl. BAGE 71, 78 = AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation; von da an ständige Rechtsprechung des Zehnten Senats; vgl. insbesondere Urteil vom 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – AP Nr. 162 zu § 611 BGB Gratifikation).
Nach der Rechtsprechung des Senats können die Tarifvertragsparteien bei der Regelung einer tariflichen Sonderzuwendung zur Berechnung dieser Zahlung auf den tatsächlichen Verdienst im Bezugszeitraum abstellen und hierdurch auch den Fall abschließend regeln, wie sich Zeiten ohne Arbeitsentgelt auf die tarifliche Sonderzahlung auswirken (BAG Urteile vom 5. August 1992 – 10 AZR 171/91 –; vom 24. März 1993 – 10 AZR 487/92 – AP Nrn. 144 u. 155 zu § 611 BGB Gratifikation).
Die tariflichen Bestimmungen des TV–13. ME enthalten keine Regelung, die den Anspruch an eine tatsächliche Arbeitsleistung oder einen Verdienst für eine solche im Kalenderjahr knüpfen. Deshalb ist für den Anspruch unerheblich, daß die Klägerin im gesamten Kalenderjahr 1992 nicht gearbeitet hatte.
3. Der Anspruch auf das 13. Monatseinkommen entfällt auch nicht deshalb, weil das Arbeitsverhältnis im Jahr 1992 wegen Erziehungsurlaubs geruht hat.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können die Tarifvertragsparteien bestimmen, daß ein Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung nicht oder nur in geringerem Umfang besteht, wenn das Arbeitsverhältnis während des Bezugs Zeitraums ganz oder teilweise ruht. Eine solche Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, auch wenn sie Zeiten des Erziehungsurlaubs erfaßt (BAG Urteil vom 24. Mai 1995 – 10 AZR 619/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, m.w.N.).
Eine solche, für alle Fälle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes oder kraft Vereinbarung geltende Regelung enthalten die tariflichen Bestimmungen des Tarifvertrages über das 13. Monatseinkommen nicht.
b) Die Regelung über den Anspruch auf Gewährung des 13. Monatseinkommens im Falle des Grundwehr- oder Ersatzdienstes in § 3 Nr. 2 TV–13. ME läßt nicht den Schluß zu, daß bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Erziehungsurlaubs der Anspruch auf das 13. Monatseinkommen ausgeschlossen ist.
Nach § 3 Nr. 2 TV–13. ME besteht ein Anspruch auf das volle 13. Monatseinkommen im Jahr der Einberufung und im Jahr des Wiedereintritts. Aus dieser Regelung kann gefolgert werden, daß bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses während des gesamten Kalenderjahres wegen Einberufung zum Wehr- oder Ersatzdienst, kein Anspruch bestehen soll. Dies läßt aber nicht den Schluß zu, daß diese Rechtsfolge für alle Fälle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses gelten soll (vgl. BAG Urteil vom 24. März 1993 – 10 AZR 160/92 – AP Nr. 152 zu § 611 BGB Gratifikation).
Den Tarifvertragsparteien war bei Abschluß des Tarifvertrages im Oktober 1990 bekannt, daß Arbeitnehmer Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen können, dessen Dauer damals dem Grundwehr- oder Ersatzdienst im wesentlichen entsprach. Sie haben gleichwohl weder für den Fall der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs noch für andere Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, eine entsprechende Regelung getroffen, wie dies in anderen Tarifverträgen vielfach geschehen ist.
Eine analoge Anwendung der Bestimmung für Grundwehr- oder Ersatzdienstleistende auf Arbeitnehmer, die Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, ist nicht geboten. Durch die Regelung in § 3 Nr. 2 TV–13. ME wird nicht generell eine Kürzung des 13. Monatseinkommens für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses wegen Grundwehr- oder Ersatzdienst bestimmt, sondern werden die Grundwehr- oder Ersatzdienstleistenden Arbeitnehmern gleichgestellt, die wegen Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes, der flexiblen Altersgrenze oder wegen Erreichens der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung, wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ausscheiden und trotzdem das volle 13. Monatsgehalt erhalten. Dies verbietet es, der tariflichen Bestimmung ein allgemeines Rechtsprinzip zu entnehmen, daß der Anspruch auf das 13. Monatseinkommen bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Erziehungsurlaubs entfällt.
Abgesehen davon führt die Regelung in § 3 Nr. 2 TV–13. ME nur in den Fällen zu einem Wegfall des Anspruchs auf das 13. Monatseinkommen, in denen der Grundwehr- und Ersatzdienst ein volles Kalenderjahr erfaßt. Sie hat deshalb im Hinblick auf die Verkürzung des Grundwehrdienstes ab 1. Oktober 1990 auf zwölf Monate keine Relevanz mehr, sondern kann allenfalls eine kleine Gruppe der Ersatzdienstleistenden erfassen. Auch dieser Umstand steht der Annahme entgegen, die Tarifvertragsparteien hätten mit dieser Regelung den Anspruch auf das 13. Monatseinkommen für alle Fälle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses mindern oder ausschließen wollen.
4. Zutreffend führt das Landesarbeitsgericht ferner aus, daß der Regelung in § 23 Nr. 1 MTV keine Bedeutung für den Anspruch auf das 13. Monatseinkommen zukommt. Es handelt sich um eine tarifliche Regelung der Fälle der persönlichen Arbeitsverhinderung in Konkretisierung des § 616 BGB, die Rückschlüsse auf die Anspruchsvoraussetzungen für das tariflich gesondert geregelte 13. Monatseinkommen weder nach ihrem Wortlaut noch ihrer Zwecksetzung zuläßt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert Matthes, Hauck, Brose, Walther
Fundstellen