Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung. Bevollmächtigtenbegriff der ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. § 233 ZPO enthält einen objektivierten Verschuldensmaßstab. Demgemäß kommt es darauf an, ob von einem Bevollmächtigten die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts beobachtet worden ist.
2. Bevollmächtigter im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO ist auch ein im Angestelltenverhältnis tätiger Rechtsanwalt, dem ein wesentlicher Teilbereich eines gerichtlichen Verfahrens zur selbständigen Erledigung übertragen worden ist (in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 19. Dezember 1983 – II ZR 152/83 – VersR 1984, 239, 240).
3. Das ist auch dann der Fall, wenn für bestimmte Tage dem angestellten Rechtsanwalt die selbständige und eigenverantwortliche Erledigung aller in der Praxis anfallenden Dezernatsarbeiten übertragen wird und er an diesen Tagen in Prozeßsachen die Fristenkontrolle zu überwachen und die zur Wahrung von Rechtsmittelfristen erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen hat.
Leitsatz (redaktionell)
Erhöhte Sorgfaltspflicht eines Prozeßbevollmächtigten vor Urlaubsantritt
Normenkette
ZPO 1977 §§ 233, 85, 522; ArbGG § 66
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 14.01.1986; Aktenzeichen 3 Sa 92/85) |
ArbG Berlin (Urteil vom 30.04.1985; Aktenzeichen 22 Ca 98/84) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgericht Berlin vom 14. Januar 1986 – 3 Sa 67/85 und 92/85 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist graduierter Ingenieur der Fachrichtung Bio-Ingenieurwesen. Seit 15. November 1978 steht er beim U. als Angestellter in den Diensten der Beklagten. Überwiegend wird der Kläger mit der Betreuung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Spezialgebiet der Entwicklung von Prüfmethoden zur Erfassung eines erbgutschädigenden Potentials von Umweltchemikalien befaßt. Der Kläger bezieht Vergütung nach VergGr. IV b BAT.
Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten begehrt, an ihn ab 1. April 1983 Vergütung nach VergGr. III BAT, hilfsweise nach VergGr. IV a BAT zu zahlen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Das Arbeitsgericht hat nach dem Hilfsantrag des Klägers erkannt und im übrigen die Klage abgewiesen.
Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde am 30. Juli 1985 der Beklagten zugestellt. Mit am 30. August 1985 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz legte die Beklagte dagegen, soweit sie beschwert war, Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1985, der am 3. Oktober 1985 beim Landesarbeitsgericht einging, teilte die Beklagte mit, die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist sei von ihr versäumt worden, es werde jedoch fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt werden. Mit am 15. Oktober 1985 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz beantragte die Beklagte wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zugleich begründete sie die von ihr eingelegte Berufung.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages hat die Beklagte unter Berufung auf vorgelegte eidesstattliche Versicherungen zur Glaubhaftmachung vorgetragen, der sachbearbeitende Prozeßbevollmächtigte, Rechtsanwalt Dr. K., der noch die Berufungsschrift diktiert habe, habe sich danach in Urlaub begeben und sei durch das Mitglied der Sozietät der Beklagtenvertreter, Rechtsanwalt Dr. B., vertreten worden. Dieser habe jedoch an einzelnen Tagen wegen eigener Überlastung dem in der Praxis als angestellter Rechtsanwalt tätigen Martin H. die gesamte Erledigung der Dezernatsarbeit übertragen. Das sei auch am 5. September und 20. September 1985 notwendig und der Fall gewesen. An diesen Tagen sei die Handakte zum vorliegenden Prozeß H. vorgelegt worden, der jedoch entgegen einer darin befindlichen Weisung von Rechtsanwalt Dr. K. nichts veranlaßt bzw. nur „z. d. A.” verfügt habe. Obwohl dieses Verhalten des Rechtsanwalts H als fehlerhaft anzusehen sei, müsse dennoch dem Wiedereinsetzungsantrag entsprochen werden, weil H. nicht als „Bevollmächtigter” im prozeßrechtlichen Sinne anzusehen sei, sondern lediglich als juristische Hilfskraft.
Der Kläger hat Anschlußberufung eingelegt und Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, auch Rechtsanwalt H. sei als „Bevollmächtigter” im prozeßrechtlichen Sinne anzusehen, so daß sich die Beklagte auch dessen Verschulden anrechnen lassen müsse. Überdies hätte der Sachbearbeiter in der Praxis der Bevollmächtigten der Beklagten sicherstellen müssen, daß die Berufungsbegründung fristgerecht dem Landesarbeitsgericht vorlag.
Das Landesarbeitsgericht hat unter Zurückweisung ihres Wiedereinsetzungsantrages die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Mit zutreffender Begründung hat das Landesarbeitsgericht den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und wegen Überschreitung der Berufungsbegründungsfrist die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus § 64 Abs. 6 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 519 b Abs. 1 Satz 2 ZPO.
Der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten ist nach § 233 ZPO zulässig. Aufgrund der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß der sachbearbeitende Rechtsanwalt Dr. K. nach Rückkehr aus seinem Urlaub bei Vorlage der Handakten am 2. Oktober 1985 von der eingetretenen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Kenntnis erhalten hat. An diese Feststellung des Landesarbeitsgerichts, gegen die auch die Revisionserwiderung keine Einwendungen erhebt, ist der Senat gemäß § 561 ZPO gebunden. Unter diesen Umständen ist von der Beklagten, wovon auch das Landesarbeitsgericht ausgeht, die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO gewahrt worden. Ihr Wiedereinsetzungsantrag entspricht auch den Formerfordernissen des § 236 ZPO. Der Antrag enthält die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen, die in gesetzesgemäßer Weise nach § 294 ZPO glaubhaft gemacht worden sind, außerdem auch die versäumte Prozeßhandlung, nämlich die Berufungsbegründung mit entsprechender Antragstellung zur Hauptsache.
Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten jedoch unbegründet.
Dabei geht das Landesarbeitsgericht mit Recht von § 233 ZPO in der neuen, durch die Vereinfachungsnovelle 1977 geänderten Fassung aus. Danach ist einer Partei, die ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert ist, auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wobei das Verschulden ihrer Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden der Partei gleichsteht (§ 85 Abs. 2 ZPO). Dabei stellt das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zutreffend und im Sinne eines objektivierten Verschuldensmaßstabes darauf ab, ob von den Bevollmächtigten der Beklagten die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts unberücksichtigt gelassen worden ist (vgl. die Beschlüsse des BGH vom 18. Januar 1983 – VI ZB 18/82 – VersR 1983, 374, 375 und 23. März 1983 – VI ZB 2/83 – VersR 1983, 641 mit weiteren Nachweisen). Dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes haben sich sowohl der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts (in seinem Beschluß vom 8. Juni 1982 – 7 AZB 3/82 – AP Nr. 6 zu § 233 ZPO 1977) als auch das prozeßrechtliche Schrifttum angeschlossen (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20, Aufl., § 233 Anm. V 38 sowie Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 45. Aufl., § 233 Anm. 3 A). Ihr folgt auch der erkennende Senat.
Weiter geht das Landesarbeitsgericht zutreffend davon aus, daß sich die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO im Rahmen des § 233 ZPO das Verschulden ihrer Bevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muß und vorliegend als „Bevollmächtigter” im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO auch Rechtsanwalt H. anzusehen ist, der in der Praxis der Beklagtenvertreter als Rechtsanwalt im Angestelltenverhältnis tätig und in die Bearbeitung des vorliegenden Rechtsstreits miteingeschaltet war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist nämlich als Bevollmächtigter einer Partei auch ein Rechtsanwalt anzusehen, der als Angestellter der Prozeßbevollmächtigten von diesen mit der selbständigen Bearbeitung eines Rechtsstreits betraut worden ist, während die Bevollmächtigteneigenschaft nur dann abzulehnen ist, wenn der angestellte Rechtsanwalt als bloßer Hilfsarbeiter in untergeordneter Funktion tätig geworden ist, wobei nur nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles entschieden werden kann, ob die eine oder andere Fallgestaltung gegeben ist (vgl. die Beschlüsse des Bundesgerichtshofes vom 23. Februar 1984 – III ZR 33/83 – VersR 1984, 443, 22. März 1983 – VI ZB 2/83 – VersR 1983, 641 und 1. Oktober 1981 – III ZB 18/81 – VersR 1982, 71 sowie dessen Urteil vom 19. Dezember 1983 – II ZR 152/83 – VersR 1984, 239, 240 mit weiteren Nachweisen). Dabei reicht es nach der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes zum Eingreifen des § 85 Abs. 2 ZPO aus, wenn dem angestellten Rechtsanwalt ein wesentlicher Teilbereich des jeweiligen Verfahrens wie die Erteilung eines Berufungsauftrages zur selbständigen Erledigung übertragen worden ist (vgl. das vorgenannte Urteil vom 19. Dezember 1983 – II ZR 152/83 – VersR 1984, 239” 240). Eine solche die Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO begründende Fallgestaltung ist vom Bundesgerichtshof ebenfalls angenommen worden, wenn einem im Angestelltenverhältnis stehenden Rechtsanwalt vom eigentlichen Prozeßbevollmächtigten der Entwurf einer Berufungsbegründungsschrift mit Vorlagepflicht übertragen worden ist (vgl. den Beschluß des BGH vom 1. Oktober 1981 – III ZB 18/81 – VersR 1982, 71). Auch diese Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes haben die Zustimmung des zivilprozeßrechtlichen Schrifttums gefunden (vgl. Stein/Jonas/Leipold, aaO, § 85 III 2 und Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 85 Anm. 3 B). Ihnen hat sich auch der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen (vgl. dessen Beschluß vom 20. Mai 1970 – 1 AZR 151/70 – AP Nr. 17 zu § 232 ZPO und das Urteil vom 27. Juli 1972 – 1 AZR 155/72 – AP Nr. 18 zu § 232 ZPO), worauf sich auch das Landesarbeitsgericht mit Recht bezieht. Die vom 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts entschiedenen Fälle weisen jedoch im Gegensatz zum vorliegenden die Besonderheit auf, daß den angestellten Rechtsanwälten die jeweiligen Fälle insgesamt zur selbständigen Bearbeitung übertragen worden waren.
Gleichwohl ist jedoch mit dem Landesarbeitsgericht auch vorliegend Rechtsanwalt H. als Bevollmächtigter der Beklagten im Sinne von § 85 Abs. 2 ZPO anzusehen. Zumindest waren ihm nämlich wesentliche Teilbereiche des vorliegenden Rechtsstreits zur eigenverantwortlichen und selbständigen Bearbeitung übertragen worden, was nach den zuvor dargestellten Rechtsgrundsätzen zur Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO ausreicht. Bevor der eigentliche Sachbearbeiter in der Sozietät der Beklagtenvertreter, Rechtsanwalt Dr. K., seinen Urlaub angetreten hat, hat er in der vorliegenden Sache die Berufungsschrift diktiert und im übrigen bei den Handakten einen Vermerk hinterlassen, aus dem sich eindeutig ergibt, daß der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist drohte und deswegen deren Verlängerung beim Landesarbeitsgericht beantragt werden sollte (vgl. Bl. 244 der Vorakten). Dasselbe ergab sich weiter deutlich aus einem ebenfalls in Abschrift bei der Handakte befindlichen Schriftsatz des Rechtsanwalts Dr. K. an das U..
Nach den weiteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat alsdann Rechtsanwalt Dr. B., der auch die von Rechtsanwalt Dr. K. diktierte Berufungsschrift unterzeichnet hat, dessen Vertretung übernommen. Infolge seiner starken Beanspruchung mußte Rechtsanwalt Dr. B. jedoch seinerseits tageweise in der Praxis der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten durch den dort tätigen Rechtsanwalt im Angestelltenverhältnis H. in der Erledigung des Dezernats vertreten werden, wobei Rechtsanwalt H. jeweils eigenverantwortlich und selbständig tätig wurde, wie es schon die Verhältnisse geboten. Das war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch am 5. und 20. September 1985 der Fall, d.h. an den beiden Tagen, an denen Rechtsanwalt H die Handakten des vorliegenden Prozesses mit dem von Rechtsanwalt Dr. K. hinterlassenen ausdrücklichen Vermerk über den Sachstand und die vorzunehmenden Prozeßhandlungen vom Büropersonal vorgelegt wurden.
Bei dieser Sachlage war Rechtsanwalt H., wie das Landesarbeitsgericht zutreffend gefolgert hat, nicht als juristischer Hilfsarbeiter in lediglich untergeordneter Funktion tätig. Wenn ihm an den vorgenannten Tagen die Bearbeitung des gesamten Dezernates der Praxis der Bevollmächtigten der Beklagten eigenverantwortlich und selbständig übertragen worden und er demgemäß auch für die Einhaltung prozessualer Fristen verantwortlich war und insoweit eigenverantwortlich und selbständig das jeweils Erforderliche zu veranlassen hatte, was auch für die vorliegende Prozeßsache gilt, dann waren ihm vielmehr zugleich wesentliche Teilbereiche des vorliegenden Verfahrens mit der Folge übertragen, daß auch er dem Kreis der Bevollmächtigten des § 85 Abs. 2 ZPO mit dem Landesarbeitsgericht zuzurechnen ist.
In diesem Zusammenhang weist das Landesarbeitsgericht auch zutreffend darauf hin, es könne nicht angängig sein, daß ein im Angestelltenverhältnis tätiger Rechtsanwalt wie H. in Prozeßsachen selbständig und eigenverantwortlich tätig werde, gleichwohl aber aus der Verantwortlichkeit des § 85 Abs. 2 ZPO ausscheide, so daß bei entsprechender Arbeitsteilung innerhalb einer Anwaltssozietät diese Schutzvorschrift leicht unterlaufen werden könne, zumal darauf eine Prozeßpartei ihrerseits in der Regel überhaupt keinen Einfluß nehmen könne.
Zutreffend nimmt das Landesarbeitsgericht weiter an, daß Rechtsanwalt H. fahrlässig im Sinne der §§ 233, 276 BGB gehandelt hat. Aus dem in der Handakte befindlichen Vermerk des Rechtsanwalts Dr. K. und dessen Schriftsatz an das U. war nämlich eindeutig und klar erkennbar, daß der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist drohte und deswegen entweder die Berufung hätte begründet oder Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beim Landesarbeitsgericht hätte beantragt werden müssen. Wenn Rechtsanwalt H. trotz dieses eindeutigen Hinweises des Sachbearbeiters bei zweimaliger Aktenvorlage am 5. und 20. September 1985 jeweils nichts veranlaßte oder die Handakten nur mit „z. d. A.” kennzeichnete, liegt ein Verstoß gegen die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts vor.
Die demgegenüber erhobenen Einwendungen der Revision greifen nicht durch. Dabei bestreitet die Beklagte selbst nicht mehr, daß den Rechtsanwalt H. ein Verschulden trifft. Aber auch soweit sie sich gegen eine fehlerhafte Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO durch das Landesarbeitsgericht wendet, führen ihre Argumente nicht zu einer anderen Beurteilung. Zwar führt die Revision richtig aus, daß nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jeweils anhand der Umstände des konkreten Einzelfalles zu entscheiden ist, ob der angestellte Rechtsanwalt nur in § 85 Abs. 2 ZPO nicht berührender Weise in einer untergeordneten Hilfsfunktion tätig geworden ist oder ob ihm zumindest wichtige Teilbereiche des jeweiligen Verfahrens zur eigenverantwortlichen Bearbeitung übertragen worden sind. Gegen diese Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat jedoch entgegen den weiteren Ausführungen der Revision das Landesarbeitsgericht nicht verstoßen. Vielmehr hat es aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles entschieden und diese vollständig, sachgerecht und widerspruchsfrei gewürdigt. Die Revision übersieht weiter, daß Fristenkontrolle und prozessuale Maßnahmen zur Fristenwahrung in eigener Verantwortlichkeit ein wesentlicher Teilbereich der Sachbearbeitung in Prozeßangelegenheiten sind und insoweit nicht von „Aufgaben untergeordneter Bedeutung” gesprochen werden kann. Das zeigen gerade die vorliegend eingetretenen prozessualen Konsequenzen (vgl. auch dazu den Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 1. Oktober 1981 – III ZB 18/81 – VersR 1982, 71).
Das Landesarbeitsgericht nimmt weiter auch noch ein Organisationsverschulden des Sachbearbeiters und unmittelbaren Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt Dr. K., an. Darauf kommt es jedoch nicht mehr an. Selbst wenn nämlich Rechtsanwalt Dr. K. ein entsprechender Vorwurf treffen würde, hätte gleichwohl Rechtsanwalt H. bei der zweimaligen Durchsicht der Handakten am 5. und 20. September 1985 aufgrund der eindeutigen Darstellung der Prozeßlage und der gegebenen Weisungen des Rechtsanwalts Dr. K. erkennen müssen, daß der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist drohte und deswegen, wenn die Berufung schon nicht begründet wurde, jedenfalls – wie aufgetragen – Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte beantragt werden müssen. Angesichts der Klarheit und Eindeutigkeit dieser in einem Vermerk festgehaltenen Weisung von Rechtsanwalt Dr. K kann im übrigen nach der Auffassung des erkennenden Senats von einem Verschulden auf dessen Seite nicht gesprochen werden. Dabei verkennt der Senat nicht, daß einen Prozeßbevollmächtigten hinsichtlich der von ihm bearbeiteten Sachen vor Antritt seines Urlaubs eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 9. Juli 1957 – IV ZB 123/57 – LM Nr. 78 zu § 233 ZPO), die sich insbesondere auf Fristeneinhaltung bezieht. Dieser erhöhten Sorgfaltspflicht ist bei der vorliegenden Fallgestaltung Rechtsanwalt Dr. K jedoch nachgekommen, insbesondere durch seinen eindeutigen und klaren Vermerk in den Handakten über die Fristenlage und die im Hinblick darauf gebotenen prozessualen Maßnahmen, so daß insoweit entgegen der Meinung des Landesarbeitsgerichts ein entsprechendes Organisationsverschulden nicht vorliegt. Angesichts der Versäumnisse des Rechtsanwalts H könnte es im übrigen auch für die vorliegend eingetretene Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht adäquat – kausal sein. Dasselbe gilt aus den dargelegten Gründen für die vom Kanzleipersonal fehlerhaft bezeichneten Daten.
Über die Anschlußberufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit Recht nicht gesondert entschieden. Sie hat nämlich kraft Gesetzes aus den Gründen des § 522 Abs. 1 ZPO ihre Wirkung deswegen verloren, weil vom Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten mit Recht als unzulässig verworfen worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Neumann, Dr. Freitag, Dr. Feller, Schaible, Gröbing
Fundstellen
BAGE, 105 |
NJW 1987, 1355 |
JR 1987, 396 |
RdA 1987, 190 |