Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf eines Prozeßvergleichs
Leitsatz (amtlich)
Der durch „schriftliche Anzeige an das Gericht” vorbehaltende Vergleichswiderruf kann im Zweifel nicht wirksam auch gegenüber dem Prozeßgegner ausgeübt werden.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; ZPO § 794
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 30. April 1990 – 11 Sa 1542/89 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. Mai 1988 als Verkaufsassistentin beschäftigt. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 7. Juli 1988 das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31. August 1988. Mit der hiergegen gerichteten Klage hat die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und Zahlung von Gehalt, Urlaubsabgeltung, Umsatzprovision und Fahrtspesen verlangt.
Durch rechtskräftiges Teilurteil vom 12. Januar 1989 hat das Arbeitsgericht ein zuvor ergangenes Teilversäumnisurteil abgeändert und die Hauptsache in Höhe von 4.426,15 DM für erledigt erklärt. In der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 1989 haben die Parteien einen „Schlußvergleich” geschlossen, in dem es unter Ziff. 6 wie folgt heißt:
„Die Beklagtenvertreterin behält sich den Widerruf dieses Vergleichs durch schriftliche Anzeige an das Gericht bis zum 22.06.1989 vor.”
Ein Widerrufsschriftsatz der Beklagten vom 20. Juni 1989 ist erst am 23. Juni 1989 beim Arbeitsgericht eingegangen; eine beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 22. Juni 1989 zugegangen.
Da das Arbeitsgericht von der Rechtswirksamkeit des Vergleichs ausging, hat es mit Schlußurteil vom 29. Juni 1989 die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt.
Mit einem beim Arbeitsgericht am 5. Juli 1989 eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte um Fortsetzung des Verfahrens gebeten. Sie ist der Ansicht, der Widerruf des Prozeßvergleichs vom 15. Juni 1989 sei rechtzeitig erfolgt, weil die Widerrufserklärung der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin rechtzeitig zugegangen sei; Original und Abschrift des Widerrufsschriftsatzes seien zum gleichen Zeitpunkt rechtzeitig zur Post gegeben worden. Mit Eingang des Widerrufs bei den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin habe diese redlicherweise nicht mehr auf die Wirksamkeit des Vergleichs vertrauen dürfen.
Die Beklagte hat beantragt,
in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. September 1989 die Klage abzuweisen und festzustellen, daß der Rechtsstreit zwischen den Parteien durch den Schlußvergleich vom 15. Juni 1989 sowie das Schlußurteil vom 29. Juni 1989 nicht beendet wurde, sondern fortzusetzen sei.
Die Klägerin ist dem entgegengetreten und hat die Ansicht vertreten, der Rechtsstreit sei zwischen den Parteien durch den Prozeßvergleich rechtswirksam beendet worden. Der Vergleich habe hier nur wirksam gegenüber dem Gericht widerrufen werden können. Das zeige schon die weitere Behandlung der Sache durch das Arbeitsgericht aufgrund des Schlußurteils über die Kosten; dieses Schlußurteil könne nicht durch einen Widerruf gegenüber der Partei „ausgehebelt” werden.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 28. September 1989 festgestellt, daß der Rechtsstreit zwischen den Parteien durch den Schlußvergleich vom 15. Juni 1989 beendet worden sei. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Fortsetzung des Rechtsstreits, während die Klägerin um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Vergleich vom 15. Juni 1989 nicht wirksam widerrufen worden ist.
I.
Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Der Rechtsstreit sei durch den Prozeßvergleich vom 15. Juni 1989 beendet worden, weil die Beklagte diesen Vergleich nicht fristgerecht gegenüber dem Gericht widerrufen habe. Adressat des Widerrufs sei nach Ziff. 6 des Vergleichs ausschließlich das Arbeitsgericht gewesen. Der Vergleich sei ein Prozeßvertrag mit Doppelnatur und unterliege daher den Vorschriften des Privatrechts. Den Prozeßparteien habe es also freigestanden, selbst den Empfänger eines Widerrufsschriftsatzes festzulegen. Üblicherweise sei dies bei arbeitsgerichtlichen Vergleichen das Gericht, vor dem der Vergleich protokolliert worden sei. Dementsprechend seien die Parteien verfahren, so daß der Widerruf gegenüber der Klägerin nicht der Vereinbarung entsprochen habe.
Der Klägerin sei es auch nicht unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Bestandskraft des Vergleiches zu berufen. Denn im Unterschied zu dem vom Bundesarbeitsgericht am 1. Juli 1968 entschiedenen Fall (– 3 AZR 50/68 – AP Nr. 15 zu § 794 ZPO) sei hier der Klägerin nur eine Abschrift des Vergleichswiderrufs zugegangen, wobei es durchaus denkbar gewesen sei, daß diese Durchschrift abgesandt worden sei, obwohl der Widerrufsschriftsatz selbst nicht dem Adressaten zugeleitet werden sollte, wenn die Partei letztlich den Vergleich doch nicht habe widerrufen wollen. In dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall seien dagegen dem Prozeßgegner sowohl der an das Arbeitsgericht adressierte Widerrufsschriftsatz wie auch dessen Kopien zugeleitet worden. Im Gegensatz zu jenem Fall habe die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hier über den Verbleib und den verspäteten Eingang des Widerrufsschriftsatzes nichts gewußt.
Soweit die Beklagte darauf hinweise, sie habe die Widerrufsfrist nicht schuldhaft versäumt, komme es hierauf nicht an; auch sei eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Widerrufsfrist nicht möglich.
II.
Diese Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
1. Das Berufungsgericht geht im Anschluß an den nach seiner Ansicht „zweifelsfreien” Wortlaut des Vergleichs vom 15. Juni 1989 (Ziff. 6) davon aus, der der Beklagten vorbehaltene Widerruf sei nur gegenüber dem Gericht möglich gewesen. Die Revision meint, damit sei der (rechtzeitig erfolgte) Widerruf unmittelbar gegenüber dem Prozeßgegner nicht ausgeschlossen; die vorliegend getroffene Regelung – schriftliche Anzeige an das Gericht bis zum 22. Juni 1989 – diene lediglich der Erleichterung des Widerrufsverfahrens bzw. Prozesses überhaupt.
Der Revision ist grundsätzlich zuzugeben, daß auch die zweite Lesart denkmöglich ist (ebenso Bergerfurth, NJW 1969, 1797, 1798; vgl. auch BGH Urteil vom 19. Januar 1955 – IV ZR 160/54 – LM Nr. 2 zu § 130 BGB). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob hinsichtlich der Rechtsnatur des gerichtlichen Vergleichs nach wie vor von der auch vom Senat vertretenen Lehre von der Doppelnatur (vgl. u.a. Urteil vom 5. August 1982 – 2 AZR 199/80 – BAGE 40, 17 = AP Nr. 31 zu § 794 ZPO) auszugehen ist und ob jedenfalls die Widerrufserklärung als solche materiell-rechtliche und zugleich prozeßrechtliche Wirkung entfaltet (vgl. im einzelnen Senatsurteil vom 31. Mai 1989 – 2 AZR 548/88 – EzA § 794 ZPO Nr. 8; siehe ferner MünchKomm-Pecher, BGB, 2. Aufl., § 779 Rz. 58; Staudinger/Marburger, BGB, 12. Aufl., § 779, 2. Aufl., Rz. 96). Es mag insofern viel dafür sprechen, daß gerade wegen der prozeßrechtlichen Wirkungen, die von einem Widerruf ausgehen (vgl. dazu Senatsurteil, a.a.O.), von den Parteien (und dem Gericht) ein Widerruf gegenüber dem Gericht in der Praxis bevorzugt wird. Rechtlich möglich wäre indessen genauso die Vereinbarung eines Widerrufs gegenüber dem Prozeßgegner (vgl. BAG Urteil vom 22. April 1960 – 5 AZR 494/59 – AP Nr. 7 zu S. 794 ZPO, zu 3 der Gründe; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., § 132 III, S. 818; Wieczorek/Schütze, ZPO, 2. Aufl., § 794 Anm. C IV a 8; Zöller, ZPO, 15. Aufl., S. 794 Rz. 10, m. w. N.), was bei Unwirksamkeit des Vergleichs im Zweifel dieselben prozessualen Wirkungen auslösen würde.
a) Der Widerruf gegenüber dem Gericht oder durch Anzeige an das Gericht wird möglicherweise bevorzugt, weil damit eine neutrale Stelle die Gewähr dafür bietet, daß der „rechtzeitige” Widerruf offiziell und durch eine amtliche Bestätigung (Eingangsstempel des Gerichts bzw. Vermerk des Urkundsbeamten) zuverlässig festgestellt wird. Bei einer derartigen Sachlage könnte der Widerruf gegenüber dem Gericht lediglich deklaratorische und nicht konstitutive Bedeutung haben. Mit anderen Worten: Die gerichtliche Bestätigung des rechtzeitigen Widerrufs hätte lediglich Beweisfunktion. Wie daraus folgen würde, wäre der Beweis eines „rechtzeitigen” Widerrufs auch auf andere Art, z.B. durch den Eingangsstempel des Gegners zu führen und nur in den Fällen, in denen der rechtzeitige Widerruf unmittelbar gegenüber dem Gegner nicht feststellbar wäre, der Eingang bei Gericht ausschlaggebend. Diese Lesart könnte unausgesprochen „hinter dem Wortlaut” des Vergleichs stehen, also seine Geschäftsgrundlage sein.
b) Denkbar wäre aber auch, daß die Parteien die Wirkungen des Vergleichswiderrufs allein von der Tatsache des Widerrufs gegenüber dem Gericht abhängig machen wollten, wenn es z.B. Sinn dieser Form des Widerrufs war, das Gericht unmittelbar und beschleunigt handlungsfähig zu machen. Damit könnte beabsichtigt gewesen sein, eine Weiterleitung oder Mitteilung des dem Prozeßgegner zugegangenen (rechtzeitigen) Widerrufs an das Gericht bewußt zu ersparen. Zusätzlich könnte es gerade Sinn einer solchen Vereinbarung gewesen sein, Streitigkeiten über die „richtige” Form des Widerrufs von vornherein auszuschließen. Dann würde die Einhaltung der vereinbarten Form nicht nur Beweisfunktion haben.
2. Welche dieser Formen die Parteien gewählt haben, ob also das im Vergleich als Adressat benannte Gericht ausschließlich zuständig oder ob der Widerruf wahlweise auch gegenüber dem Prozeßgegner möglich sein sollte, ist eine Frage der Auslegung des Vergleichsinhalts (BAG Urteil vom 24. Juni 1955 – 1 AZR 2/53 – AP Nr. 1 zu § 794 ZPO; BGH LM Nr. 2 zu § 130 BGB; ebenso Staudinger/Marburger, a.a.O., Rz. 96).
a) Bei der fraglichen Vergleichsklausel („… behält sich den Widerruf dieses Vergleichs durch schriftliche Anzeige an das Gericht bis 22. Juni 1989 vor”) handelt es sich um eine typische Klausel, die hinsichtlich ihrer Auslegung nicht nur wie bei atypischen Vertragsklauseln einer eingeschränkten Überprüfung dahin zugänglich ist, ob das Berufungsgericht Denkgesetze verletzt oder in sich widersprüchlich argumentiert hat (so für eine atypische Vergleichsklausel BAG Urteil vom 21. Dezember 1972 – 5 AZR 324/72 – AP Nr. 21 zu § 794 ZPO). Vielmehr ist in vollem Umfang zu prüfen, ob die Auslegung des Gerichts auf einer Verletzung der Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB beruht. Ein Prozeßvergleich unterliegt wegen der darin enthaltenen privatrechtlichen Regelungen unstreitig den hierfür geltenden Auslegungsgrundsätzen (BAG, a.a.O.; BGH Urteil vom 16. November 1979 – I ZR 3/78 – AP Nr. 28 zu § 794 ZPO); dies gilt auch für eine im Vergleich vereinbarte Widerrufsklausel (Senatsurteil vom 31. Mai 1989 – 2 AZR 548/88 – EzA § 794 ZPO Nr. 8, zu 3 der Gründe).
b) Das Berufungsgericht hat zunächst zutreffend auf den Wortlaut abgestellt. Danach war der Widerruf dem Gericht anzuzeigen. Dieses war als Adressat der Widerrufserklärung bestimmt. Das Landesarbeitsgericht hat dann weiter ausgeführt, den Prozeßparteien habe es freigestanden, selbst den Empfänger des Widerrufsschriftsatzes festzulegen. Unausgesprochen hat das Gericht damit zum Ausdruck gebracht, angesichts der klaren Bestimmung des Adressaten sei für einen darüber hinausgehenden Willen der Parteien nichts ersichtlich. Diese Schlußfolgerung ist zutreffend: Wer eine hinsichtlich des Adressaten präzise festgelegte Regelung in erweiterndem Sinne verstanden wissen will, muß dies verdeutlichen. Dazu trägt die Revision neben der pauschalen Behauptung, mit der Wahl dieses Adressaten (Gericht) habe die Möglichkeit des Widerrufs durch Schriftsatz an den Gegner nicht ausgeschlossen werden sollen, nichts konkret vor.
c) Gemäß §§ 133, 157 BGB sind Vereinbarungen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auszulegen; dabei ist nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille der Vertragschließenden unter Beachtung der Begleitumstände zu erforschen. Der wirkliche Wille der Parteien könnte hier dahin gegangen sein, den Widerruf auch gegenüber dem Prozeßgegner zu ermöglichen (vgl. oben 1 a). Zutreffend weist das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang aber darauf hin, daß es einer Üblichkeit bei den Arbeitsgerichten entspricht, den Widerruf durch Anzeige zu den Gerichtsakten zu vereinbaren. Dies spricht mehr für eine abschließende Regelung im Sinne einer ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichts, wenn damit auch letzte Zweifel noch nicht ausgeräumt sind, wie z.B. bei der ebenfalls gebräuchlichen Klausel „… behält sich den Widerruf bis … vor. Der Widerruf ist nur wirksam, wenn er schriftlich gegenüber dem Gericht mitgeteilt wird.”
Hier sprechen jedoch weitere Begleitumstände für die Richtigkeit der Auslegung des Landesarbeitsgerichts. Im unmittelbaren Anschluß an den Vergleich wurde nämlich geregelt, daß das Arbeitsgericht schon eine Woche später eine Schlußentscheidung über die Kosten des Rechtsstreits, worüber sich die Parteien offensichtlich nicht einigen konnten, verkünden sollte. Vergleich und abschließende Kostenentscheidung stehen also in einem engen sachlichen Zusammenhang. Dies sowie die enge zeitliche Abfolge – die Schlußentscheidung sollte bereits eine Woche später erfolgen – legen den Schluß nahe, die Parteien seien davon ausgegangen, mit Hilfe der Widerruffsregelung gegenüber dem Gericht solle dessen Verfahren beschleunigt werden. Die Zeit für die Vorbereitung der Kostenentscheidung würde nämlich auf eine – auch verwaltungstechnisch – kaum noch einzuhaltende kurze Spanne verkürzt, wenn außerdem der Widerruf gegenüber dem Prozeßgegner möglich sein sollte. Dessen „Zwischenschaltung” hätte – abgesehen von dem weiteren Arbeitsaufwand – nur unnötige Zeit gekostet. Vor allem würde eine verzögerte Mitteilung an das Gericht über den der Partei gegenüber erklärten Widerruf auch dazu führen, daß vorliegend eine Schlußentscheidung über die Kosten erging, obwohl der Vergleich rechtzeitig widerrufen und nunmehr statt dessen eine Entscheidung in der Sache selbst zu treffen war. Das Gericht stünde dann vor der Schwierigkeit, seine eigene – möglicherweise unanfechtbare oder rechtskräftige – Entscheidung aus der Welt zu schaffen. Tatsächlich zielt der Antrag der Beklagten darauf ab, das Arbeitsgericht möge sein Schlußurteil vom 29. Juni 1989 aufheben. Dies kann nicht dem Willen verständiger Prozeßparteien entsprochen haben.
Ersichtlich hat auch die Klägerin die Widerrufsregelung nicht in dem Sinne verstanden, wie sie die Beklagte (jetzt) ausgedeutet wissen will. Sie hat nämlich nach dem Zugang des Widerrufsschriftsatzes – gleichgültig ob dies nun in beglaubigter oder einfacher Abschrift geschah – gegenüber dem Gericht nichts unternommen. Vielmehr bedurfte es hierzu erst einer zeitraubenden Rückfrage, wie den Schriftsätzen der Klägerin vom 11. und 27. Juli 1989 zu entnehmen ist. Für die Vorstellung der Parteien, auch solche Zeitverzögerungen in Kauf zu nehmen, ist nichts ersichtlich. Letztlich bleibt auch offen, ob im Hinblick auf die wohl von beiden Parteien erwünschte Klarheit und objektive Feststellung überhaupt von einer Widerrufsmöglichkeit gegenüber dem Prozeßgegner ausgegangen werden kann. Dies barg immer die Gefahr, einer Verzögerung bei der Erfassung des rechtzeitigen Widerrufs infolge eines Büroversehens oder privater Umstände durch das betreffende Anwaltsbüro. Dagegen war das Gericht als amtliche Stelle jederzeit während der üblichen Öffnungs- und Dienstzeiten und mit Hilfe eines Nachtbriefkastens auch noch bis 24.00 Uhr zur Entgegennahme von Anwaltspost verpflichtet und in der Lage. Angesichts des deutlichen Wortlauts in Ziff. 6 des Vergleichs und der vorstehend aufgezeigten Umstände hätte daher die Beklagte konkrete Umstände vortragen müssen, die einen übereinstimmenden anderslautenden Willen der Parteien erkennen ließen. Da dies nicht geschehen ist, muß sich die Beklagte daran festhalten lassen, daß ihr Widerruf gegenüber dem Prozeßgegner nicht zur Unwirksamkeit des Vergleichs geführt hat.
3. Auch Soweit die Revision eine Verletzung des § 242 BGB rügt, ist sie unbegründet. Das Landesarbeitsgericht weist zutreffend darauf hin, es fehle an einem treuwidrigen Verhalten der Klägerin, wenn sie sich angesichts des nicht rechtzeitigen Vergleichswiderrufs gegenüber dem Gericht auf die Bestandskraft des Vergleichs berufe. Die obigen Ausführungen belegen, daß es auch Sinn der getroffenen Regelungen war, zur Beschleunigung des Verfahrens und zur objektiven Klärung der Sachlage beizutragen. Es ist nicht rechtsmißbräuchlich, wenn sich die Klägerin auf die Einhaltung dieser, auch in ihrem Interesse ausbedungenen Umstände beruft. Auch wenn man nach dem Revisionsvorbringen davon ausgeht, der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin sei die Abschrift des für das Gericht bestimmten Schriftsatzes in beglaubigter Form übermittelt worden, mußte sie daraus nicht zwingend entnehmen, der Vergleich solle in jedem Fall widerrufen werden. Dies unterscheidet – worauf das Landesarbeitsgericht zutreffend hinweist – die vorliegende Fallkonstellation von derjenigen, die das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 1. Juli 1968 – 3 AZR 50/68 – AP Nr. 15 zu § 794 ZPO) zu entscheiden hatte, als nämlich der für das Gericht bestimmte Widerrufsschriftsatz nebst Kopien irrtümlich dem Prozeßgegner statt dem Gericht übermittelt wurde. In jenem Fall mußte der Prozeßgegner zweifelsfrei diesem Umstand entnehmen, daß der Vergleich widerrufen werden sollte, hatte er selbst doch die für das Gericht bestimmten Unterlagen in der Hand. Hier dagegen bestand ein Rest an Ungewißheit, ob der Widerruf wirklich gelten sollte. Es war nicht auszuschließen, daß die Beklagte sich nach Kenntnis von der verspäteten Einreichung des Widerrufsschriftsatzes eines anderen besonnen hätte – möglicherweise aufgrund von Erkenntnissen, die sie aus dem Schlußurteil vom 29. Juni 1989 über die Kosten des Rechtsstreits zog –, um sich nunmehr von dem jedenfalls nicht abredegemäßen Widerruf zu distanzieren. Wenn sich die Klägerin angesichts solcher Umstände auf die Bestandskraft des Vergleichs berief, ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Beklagte hätte dann dafür Sorge tragen müssen, daß der Widerruf rechtzeitig bei Gericht einging, worüber sie sich auch unschwer durch ein Telefonat mit der Geschäftsstelle hätte überzeugen können.
Fundstellen
NJW 1992, 1127 |
JR 1991, 396 |
NZA 1992, 134 |
RdA 1991, 192 |