Revision
Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspäteter Vergleichswiderruf
Leitsatz (amtlich)
Ist ein Prozeßvergleich schriftlich gegenüber dem Gericht zu erklären, vor dem der Vergleich protokolliert worden ist, so reicht als wirksamer Widerruf nicht die Übersendung einer Durchschrift des Widerrufsschriftssatzes innerhalb der Widerrufsfrist an den Prozeßbevollmächtigten der gegnerischen Partei aus.
Das Gebot der fairen und redlichen Prozeßführung geht nicht soweit, bei einer derartigen Sachlage den verspäteten Widerruf gegen sich gelten lassen zu müssen.
Normenkette
ZPO §§ 233, 794
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.09.1989; Aktenzeichen 5 Ca 331/89) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. September 1989 – 5 Ca 331/89 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung des Rechtsstreits aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. Mai 1988 als Verkaufsassistentin beschäftigt. Mit Schreiben vom 7. Juli 1988 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31. August 1988. Mit der hiergegen gerichteten Klage hat die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und Zahlung von Gehalt, Urlaubsabgeltung u.a. begehrt.
Das Arbeitsgericht hat mit Teil-Versäumnisurteil vom 1. Dezember 1988 – 5 Ca 270/88 – der Feststellungsklage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von Gehalt für Juni und Juli 1988 in Höhe von 5.000,– DM, von Umsatzprovision in Höhe von 451,20 DM und Fahrtkostenerstattung für Juni 1988 in Höhe von 448,56 DM und zur Erteilung von Abrechnungen über die Umsatzprovision der Klägerin ab August 1988 verurteilt. Mit Teilurteil vom 12. Januar 1989 hat es dieses Teilversäumnisurteil teilweise abgeändert und die Hauptsache in Höhe von 4.426,15 DM für erledigt erklärt. Dieses Teilurteil ist rechtskräftig.
In der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 1989 haben die Parteien vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/Main in dem Rechtsstreit – 5 Ca 270/88 – einen „Schlußvergleich” geschlossen, in dem es unter Ziffer 6 wie folgt heißt:
„Die Beklagten-Vertreterin behält sich den Widerruf dieses Vergleiches durch schriftliche Anzeige an das Gericht bis zum 22.06.1989 vor.”
Mit Schriftsatz vom 20. Juni 1989 hat die Beklagte diesen Prozeßvergleich widerrufen. Der Schriftsatz ist am 23. Juni 1989 beim Arbeitsgericht Frankfurt/Main eingegangen. Die Abschrift dieses Schriftsatzes ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 22. Juni 1989 zugegangen.
Mit Schlußurteil vom 29. Juni 1989 hat das Arbeitsgericht Frankfurt/Main die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt.
Mit einem beim Arbeitsgericht Frankfurt/Main am 5. Juli 1989 eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte um Fortgang des Verfahrens gebeten. Sie ist der Ansicht, der Widerruf des Prozeßvergleichs vom 15. Juni 1989 sei rechtzeitig erfolgt, weil die Widerrufserklärung die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin rechtzeitig erreicht habe. Damit sei ein schützenswertes Vertrauen der Klägerin auf den Bestand des Vergleichs nicht entstanden.
Die Beklagte hat beantragt,
den Rechtsstreit fortzusetzen.
Die Klägerin ist dem entgegengetreten. Sie meint, der Rechtsstreit sei zwischen den Parteien durch den Prozeßvergleich rechtswirksam beendet worden.
Das Arbeitsgericht Frankfurt/Main hat mit Urteil vom 28. September 1989 – 5 Ca 331/89 – festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den Schlußvergleich vom 15. Juni 1989 sowie das Schlußurteil vom 29. Juni 1989 beendet worden ist.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie ist der Ansicht, entscheidend für den wirksamen Widerruf des Vergleichs sei, daß die durch den Prozeßvergleich begünstigte Klägerin rechtzeitig von dem ausgesprochenen Widerruf Kenntnis gehabt habe. Am rechtzeitigen Eingang des Widerrufsschriftsatzes beim gegnerischen Prozeßbevollmächtigten sei erkennbar, daß auch der Widerrufsschriftsatz, den die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten an das Arbeitsgericht Frankfurt/Main gerichtet hätten, rechtzeitig zur Versendung gekommen sei. Original und Abschrift des Widerrufsschriftsatzes seien zum gleichen Zeitpunkt rechtzeitig zur Post gegeben worden. Mit Eingang des Widerrufs bei den Prozeßbevollmächtigten habe die Beklagte redlicherweise nicht mehr auf die Wirksamkeit des Vergleichs vertrauen dürfen.
Die Beklagte beantragt,
in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt/Main – 5 Ca 331/89 – vom 28. September 1989 die Klage abzuweisen und festzustellen, daß der Rechtsstreit zwischen den Parteien durch den Schlußvergleich vom 15. Juni 1989 sowie das Schlußurteil vom 29. Juni 1989 nicht beendet wurde, sondern fortgesetzt wird.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die nach der Beschwer statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der ...