Entscheidungsstichwort (Thema)

Abwicklung nach Einigungsvertrag

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 13, 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 30.04.1992; Aktenzeichen 14 Sa 80/91)

ArbG Berlin (Urteil vom 25.09.1991; Aktenzeichen 66 Ca 7298/91)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 30. April 1992 – 14 Sa 80/91 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 (fortan: Nr. 1 Abs. 2 EV) ab 3. Oktober 1990 geruht und mit Ablauf des 2. April 1991 geendet hat.

Der Kläger war seit dem 1. Juli 1990 in der M. der DDR als Referent für Verschlußsicherheit und Meßuhrwesen beschäftigt. Die M. der DDR wurde im Juli 1990 unter Mitwirkung und nach dem Vorbild der B. in O. gegründet. Sie hatte einen Direktor, dem die Abteilung Verwaltung, die M. amt genannte Hauptverwaltung und die Verwertungsstelle mit Außenabteilungen unterstanden. Die Abteilung Verwaltung war zuständig für die innere Arbeitsorganisation, Geschäftsverteilung, Personalangelegenheiten und andere Verwaltungsaufgaben. Das M. amt hatte einen Amtsleiter. Es war in drei Referate untergliedert mit je einem Referatsleiter. Der Kläger war dort zuletzt im Referat A 3 (Meßuhrenwesen, Sicherungstechnik, Verschlußbrennereien) beschäftigt.

Am 21. September 1990 erließ der Bundesminister eine Organisationsverfügung mit Wirkung vom 3. Oktober 1990, in der es u.a. heißt:

„1. Übernahme von Einrichtungen im Beitrittsgebiet auf den Bund

Gemäß Art. 13 Abs. 1 und 2 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 unterstehen Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung dienende Einrichtungen im Beitrittsgebiet, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vom Bund wahrzunehmende Aufgaben erfüllt haben, den zuständigen obersten Bundesbehörden.

Die folgenden Einrichtungen der M. der DDR werden übernommen:

  1. die Außenabteilung mit Reinigungsanlagen und Vertriebslager in W.
  2. Die Außenabteilung mit Vertriebslager in L., D. und K.

Nicht übernommen werden

  • Die Hauptverwaltung der M. der DDR,
  • die Außenabteilungen mit Reinigungsanlagen und Vertriebslager in B. und W.

Die Abwicklung nach Art. 13 des Einigungsvertrages und die Erledigung noch laufender Vorgänge übernimmt die Hauptverwaltung der B. in O..”

Der Bundesminister … teilte dem Kläger mit Schreiben vom 24. September 1990 u.a. mit, daß sein Arbeitsverhältnis aufgrund des Einigungsvertrages mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 ruhe und nach sechs Monaten ende, wenn er nicht bis dahin weiterverwendet werden könne oder vorher das Rentenalter erreiche.

Ab dem 3. Oktober 1990 richtete die B. in den Räumen der Hauptverwaltung der früheren M. der DDR eine Nebenstelle Berlin ein. In der Nebenstelle Berlin gibt es weder die Position eines Direktors der M., noch Leiter der drei Abteilungen, noch Untergliederungen der Abteilungen mit Referatsleitern. Die einzelnen Sachbearbeiter und Mitarbeiter der Nebenstelle Berlin erhalten Weisungen von den verschiedenen Referaten der B. in O..

Mit seiner am 2. April 1991 bei Gericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen das Ruhen und die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses gewandt. Er hat die Ansicht vertreten, die Nebenstelle Berlin sei die verkleinerte Form des bisherigen M. amts mit der ausschließlichen Zuständigkeit für die Beitrittsländer. Die Aufgaben aller drei Referate des M. amts der DDR, nämlich die Betriebsprüfung, die Berechnung des Übernahmegeldes und die Betriebs- und Meßprüfung seien in der Nebenstelle fortgeführt worden. Erst ab 1. Januar 1992 hätten die Referate A 1 und A 3 ihre Tätigkeit in Berlin eingestellt. Entscheidend für die Übernahme seien die Verhältnisse am 3. Oktober 1990. Zu diesem Zeitpunkt sei die M. der DDR auf die Nebenstelle Berlin der B. überführt worden. Auf die organisatorischen Veränderungen in der Folgezeit komme es nicht an.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht vom 3. Oktober 1990 bis 2. April 1991 geruht habe, sondern über den 2. April 1991 hinaus fortbestehe.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, durch die Organisationsverfügung vom 21. September 1990 sei eine Übernahme der Hauptverwaltung der M. der DDR, der Beschäftigungsstelle des Klägers, abgelehnt worden. Die betreffende Hauptverwaltung sei auch tatsächlich im Sinne des Einigungsvertrages abgewickelt worden. Von einer Überführung der ehemaligen M. der DDR auf die Nebenstelle Berlin könne keine Rede sein. Die Nebenstelle habe nicht als abgrenzbare, selbständig funktionsfähige Organisationseinheit fortbestanden. Mit der Übernahme der entsprechenden Aufgaben durch die B. habe ein Bedarf für eine selbständige M. der DDR nicht mehr bestanden. Andererseits hätten sich die Aufgaben durch den Gebietszuwachs vermehrt. Diese Aufgaben hätten auch von den entsprechenden Referaten in O. ausgeführt werden können, es habe aber nähergelegen, einen Teil dieser Aufgaben zunächst in der Nebenstelle auszuführen. Um sich die Fachkunde der in der M. der DDR vorhandenen Fachkräfte zu sichern, seien 16 Beschäftigte – zunächst – weiterbeschäftigt worden. Diese Verfahrensweise habe der Abwicklung gedient und sei zur Milderung sozialer Härten aus sozialstaatlichen Gründen erforderlich gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Das Arbeitsverhältnis des Klägers habe mit Ablauf des 2. April 1991 geendet, denn die Beklagte habe die ehemalige M. der DDR weder ganz noch teilweise im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 EV überführt. Insbesondere sei die M. nicht auf die Nebenstelle Berlin der B. überführt worden. Die M. der DDR sei im Zeitpunkt des Beitritts eine zentralstaatliche Verwaltungsbehörde mit hierarchisch nachgeordneten Abteilungen und Referaten gewesen. Diese Struktur sei bei der Bildung der Nebenstelle nicht erhalten geblieben. Die Nebenstelle habe nicht die früheren zentralstaatlichen Aufgaben der M. der DDR fortgeführt, sondern lediglich Aufgaben erledigt, die aufgrund des Gebietszuwachses durch die neuen Bundesländer entstanden seien. Das M. amt der M. der DDR sei auch nicht als Teileinrichtung auf die Nebenstelle Berlin überführt worden. Es bestünden bereits Bedenken, das M. amt als organisatorische Teileinrichtung anzusehen. Dies könne jedoch dahingestellt bleiben, weil das M. amt aufgelöst worden sei. Dabei seien nicht nur die Verhältnisse am 3. Oktober 1990 maßgeblich, sondern auch die spätere Entwicklung, Der Auflösung einer Einrichtung oder Teileinrichtung stehe nicht entgegen, wenn für einen überschaubaren Zeitraum Teile von Aufgaben mit ehemaligen Beschäftigten in der Form einer Nebenstelle fortgeführt werden. Entscheidend sei, daß die Beklagte die M. der DDR und auch die Untereinheit M. amt zum 3. Oktober 1990 auflösen wollte und auch aufgelöst hat.

B. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 5 EV mit Ablauf des gesetzlichen Ruhenszeitraumes geendet, denn der Kläger gehörte zu den übrigen Arbeitnehmern der öffentlichen Verwaltung der DDR im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 EV, deren Arbeitsverhältnisse wegen unterbliebener Überführung der Beschäftigungseinrichtung kraft Gesetzes ruhten und endeten.

2. Wurde bis zum 3. Oktober 1990 keine positive Überführungsentscheidung getroffen, trat kraft Gesetzes die Auflösung der Einrichtung bzw. der nicht überführten Teile ein. Wurde ein überführungsfähiger Teil überführt, erfaßte die Abwicklung den Rest der früheren Gesamteinrichtung. Die Abwicklung diente der Umsetzung dieser Auflösung und war auf die Liquidation der Einrichtung oder der nicht überführten Teile gerichtet. In diesem Falle ruhten die Arbeitsverhältnisse der in der abzuwickelnden (Teil-) Einrichtung Beschäftigten gemäß Nr. 1 Abs. 2 EV grundsätzlich ab dem 3. Oktober 1990. Dieser Ruhensbeginn konnte um bis zu drei Monate hinausgeschoben werden. Die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durften allerdings nicht durchbrochen werden.

Die Überführung einer Einrichtung gemäß Art. 13 EV bedurfte einer auf den verwaltungsinternen Bereich zielenden Organisationsentscheidung der zuständigen Stelle. Diese Überführungsentscheidung konnte eine Einrichtung als ganze oder als eine Teileinrichtung betreffen, die ihre Aufgabe selbständig erfüllen konnte (BAG Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 – AP Nr. 1 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Überführungsentscheidung war mangels außenwirksamer Regelung kein Verwaltungsakt (BAG, a.a.O.; BVerwG Urteil vom 12. Juni 1992 – 7 C 5/92 – ZIP 1992, 1275).

Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Überführung im Sinne von Art. 13 EV erforderte nicht nur die vorübergehende, sondern eine auf Dauer angelegte Fortsetzung der Verwaltungstätigkeit. Wurde die (Teil-)Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt, lag hierin keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV (Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – a.a.O.).

Weil die gesetzliche Folge der Abwicklung immer dann eintrat, wenn es an einer positiven, gegebenenfalls auch konkludenten Überführungsentscheidung fehlte, war nur durch sie die Abwicklung der Einrichtung zu verhindern.

Die ruhenden Arbeitsverhältnisse endeten kraft Gesetzes nach Ablauf von sechs bzw. neun Monaten Wartezeit, wenn nicht der einzelne Arbeitnehmer weiterverwendet wurde. Macht ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR geltend, sein Arbeitsverhältnis sei gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 EV auf die Bundesrepublik Deutschland oder nach Nr. 1 Abs. 3 auf ein Bundesland übergegangen und bestehe als aktives fort, hat er die Überführung seiner Beschäftigungs(teil-)einrichtung darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 – AP Nr. 2 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

3. Die Beklagte hat weder die M. der DDR noch eine etwaige Teileinrichtung der M. im Sinne von Art. 13 EV in ihre Trägerschaft überführt. Dies hat das Landesarbeitsgericht mit zutreffender Begründung richtig erkannt. Die hiergegen erhobenen Rügen der Revision greifen nicht durch.

Das Berufungsgericht ist aufgrund des festgestellten Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagte habe die eine Einrichtung im Sinne von Art. 13 EV darstellende Organisation aufgelöst und deren Aufgaben geordnet „abgewickelt”. Revisionsrechtlich erhebliche Rügen enthält die Revisionsbegründung diesbezüglich nicht. Die Revision bezeichnet keinen substantiierten Sachvortrag, den das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung übergangen habe.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt der Fortbestand einzelner Aufgaben der M. und deren Erledigung durch Behörden der Beklagten nicht die Annahme einer Überführung der M.. Vielmehr ist, wie oben unter B 2 ausgeführt, nach Art. 13 Abs. 2 EV die Überführung der Organisation einschließlich ihrer wesentlichen Aufgaben und Strukturen entscheidungserheblich. Zu Recht weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, daß die errichtete Nebenstelle Berlin der B. nicht die früheren zentralstaatlichen Aufgaben der M. der DDR fortführte, sondern lediglich in Zuordnung zu den entsprechenden Referaten der B. in O. die durch den Beitritt der neuen Bundesländer angewachsenen Aufgaben erledigte. Die bisherigen Aufgaben der M. der DDR sind mit dem 3. Oktober 1990 weggefallen.

Dementsprechend hat die Nebenstelle auch eine ganz andere Organisation. Es gibt dort keinen Direktor als Behördenleiter, dem Abteilungen und Referate nachgeordnet sind. Die Sachbearbeiter der Nebenstelle Berlin erhalten ihre Weisungen direkt aus den Referaten der B. in O.. Soweit einzelne Referate der früheren M. der DDR, wie auch das Referat A 3, in dem der Kläger beschäftigt war, zunächst weiterbestanden, steht dies der Abwicklung nicht entgegen. In der vorläufigen Fortführung mit dem Ziele der Auflösung liegt keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

b) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in der Errichtung der Nebenstelle Berlin der B. auch keine Überführung einer Teileinrichtung der M. der DDR gesehen.

Es erscheint bereits fraglich, ob die „M. amt” genannte Hauptverwaltung der M. der DDR eine überführungsfähige Teileinrichtung im Sinne von Art. 13 EV war. Eine überführungsfähige Teileinrichtung setzt eine organisatorisch abgrenzbare Funktionseinheit mit eigener Aufgabenstellung und der Fähigkeit zu einer aufgabenbezogenen Eigensteuerung voraus (BAG, a.a.O., zu I 2 der Gründe). Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger hat hierzu keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen.

Das Landesarbeitsgericht konnte die Frage der Überführungsfähigkeit des M. amtes als Teileinrichtung offenlassen. Jedenfalls hat die Beklagte das M. amt nicht unter Erhaltung der Aufgaben und Strukturen fortgeführt. In der Nebenstelle Berlin besteht keine Hauptverwaltung. Es sind dort Sachbearbeiter beschäftigt, die ihre Weisungen von der B. in O. erhalten. Amtsleiter und Referatsleiter wie beim früheren M. amt gibt es in der Nebenstelle nicht.

Auch auf eine Fortführung des Referates A 3 als Teileinrichtung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Das Referat A 3 ist mangels organisatorischer Eigenständigkeit überhaupt keine überführungsfähige Teileinrichtung. Bei dem Referat handelt es sich um eine für Behörden typische Untergliederung, die lediglich zu Zwecken der Geschäftsverteilung gebildet wird. Im übrigen wurde das Referat A 3, wie oben ausgeführt, lediglich zum Zwecke der Abwicklung vorübergehend bis 31. Januar 1991 fortgeführt. Eine auf Dauer angelegte Fortführung des Referates A 3 war von vornherein nicht beabsichtigt.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Müller-Glöge, Dr. Weiss, Schmitzberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1080768

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