Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwicklung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 13, 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 26. Mai 1992 – 5 Sa 93/91 – und – 5 Sa 95/91 –, soweit es die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen und über die Kosten entschieden hat, aufgehoben.
Insoweit wird auf die Berufung des beklagten Landes das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. November 1991 – 87 Ca 5401/91 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Sätze 2 und 5 (im folgenden: Nr. 1 Abs. 2 EV) ab 1. Januar 1991 geruht und mit Ablauf des 30. Juni 1991 geendet hat.
Die am 21. September 1951 geborene Klägerin war seit dem 1. September 1971 als Physiotherapeutin im Sportmedizinischen Dienst der Sportvereinigung (SV) Dynamo im Ostteil Berlins beschäftigt.
Träger der Sportvereinigung Dynamo waren ursprünglich das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium des Innern und die Zollverwaltung der DDR. Nach der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit wurde die Sportvereinigung Dynamo ausschließlich dem Ministerium des Innern zugeordnet und im September 1990 in Polizeisportvereinigung Dynamo umbenannt. Die SV Dynamo war DDR-weit tätig. Zu der SV Dynamo gehörte neben anderen Sportclubs auch der SC Dynamo Berlin, für den das Sportforum in Berlin-Hohenschönhausen unterhalten wurde. Im Sportmedizinischen Dienst der SV Dynamo waren im Oktober 1990 noch rund 200 Mitarbeiter tätig.
Der Bundesminister des Innern schob mit Verfügung vom 27. September 1990 die endgültige Entscheidung über die Überführung oder Abwicklung bestimmter Einrichtungen, zu denen auch das „Zentralbüro Polizeisportverein” und der „Sportverein Dynamo” gehörten, bis zum 31. Dezember 1990 hinaus. Am 18. Dezember 1990 entschied der Bundesminister des Innern, die nunmehr als Polizeisportverein bezeichnete Sportvereinigung Dynamo mit Wirkung vom 1. Januar 1991 nicht fortzuführen.
Ebenfalls am 18. Dezember 1990 beschloß die Gesamtberliner Landesregierung aus Senat und Magistrat, das „Sportforum Dynamo” ohne Sport- und Kongreßzentrum, Krankenhaus, Sportmedizinischen Dienst und Sportschule Biesenthal auf das Land Berlin zu überführen. Die für das Gesundheitswesen zuständige Senatsverwaltung wurde beauftragt, bis zum 30. September 1991 eine Konzeption für den Sportmedizinischen Dienst im Sportforum Dynamo vorzulegen.
Mit Schreiben vom 4. Januar 1991, der Klägerin zugegangen am 7. Januar 1991, teilte das Bundesministerium des Innern der Klägerin mit, daß ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Bestimmungen des Einigungsvertrages mit Wirkung vom 1. Januar 1991 ruhe und sie Anspruch auf Wartegeld habe. Seit Zugang dieses Schreibens ist die Klägerin nicht mehr beschäftigt worden.
Im April 1991 eröffnete das beklagte Land, das bereits vor dem 3. Oktober 1990 im Westteil Berlins eine Sportmedizinische Einrichtung verbunden mit einem Sportmedizinischen Zentrum unterhielt, auf dem Gelände des Sportforums Dynamo die Sportmedizinische Hauptberatungsstelle II verbunden mit dem Sportmedizinischen Zentrum II. Hierfür wurden 31 Arbeitnehmer befristet eingestellt.
Mit der gegen das Land Berlin und gegen die Bundesrepublik Deutschland erhobenen Klage hat die Klägerin die Feststellung des Fortbestehens ihres Arbeitsverhältnisses begehrt.
Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr Arbeitsverhältnis sei durch die Entscheidung des Bundesministers des Innern vom 18. Dezember 1990 nicht aufgelöst worden. Der Bund habe insoweit keine Regelungskompetenz gehabt, eine Auflösungs- bzw. Abwicklungsentscheidung nach dem Einigungsvertrag herbeizuführen.
Ihr Arbeitsverhältnis sei daher zum Zeitpunkt des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland auf das beklagte Land übergegangen.
Aus dem Beschluß der Gesamtberliner Landesregierung vom 18. Dezember 1990 ergebe sich, daß das beklagte Land für die Überführung oder Abwicklung zuständig gewesen sei. Der Beschluß vom 18. Dezember 1990 könne daher nur so verstanden werden, daß der Sportmedizinische Dienst habe fortgeführt werden sollen. Soweit das beklagte Land mit dem Beschluß vom 18. Dezember 1990 den Sportmedizinischen Dienst habe abwickeln wollen, stelle dies eine unzulässige Teilabwicklung dar.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß ihr Arbeitsverhältnis nicht durch eine Abwicklungsentscheidung des Bundesministers des Innern bzw. der Bundesrepublik Deutschland aufgelöst worden ist, sondern zum beklagten Land über den 30. Juni 1991 hinaus fortbesteht.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land hat vorgetragen, den Sportmedizinischen Dienst nicht überführt zu haben. Es habe vielmehr in der Kompetenz des Bundes gelegen, über die Fortführung oder Abwicklung der SV Dynamo zu entscheiden.
Die Hauptberatungsstelle II stelle personell und inhaltlich keine Fortführung des Sportmedizinischen Dienstes der SV Dynamo dar. Sie diene nach dem Sportförderungsgesetz nicht nur Leistungssportlern der Polizeisportvereinigung, sondern dem Sport schlechthin, also auch dem Breitensport.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des beklagten Landes hat es mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß festgestellt werde, das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe zu dem beklagten Land über den 30. Juni 1991 hinaus fortbestanden. Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des beklagten Landes.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Die Klage ist hinsichtlich des noch rechtshängigen Teiles als unbegründet abzuweisen.
I. Zwischen den Parteien hat kein aktives Arbeitsverhältnis bestanden, das mit Ablauf des 30. Juni 1991 hätte enden können. Die Klägerin hat keinen Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf das beklagte Land gemäß Nr. 1 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 EV dargelegt.
1. Wie der Senat mit Urteil vom 3. September 1992 (– 8 AZR 45/92 –, zur Veröffentlichung bestimmt) erstmalig entschieden hat, trat kraft Gesetzes die Auflösung der Einrichtung bzw. der nicht überführten Teile ein, wenn bis zu dem nach dem Einigungsvertrag vorgesehenen letztmöglichen Zeitpunkt keine (positive) Überführungsentscheidung getroffen wurde. Mit dem Eintritt der Abwicklung war kraft Gesetzes das Ruhen der Arbeitsverhältnisse gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 EV verbunden. Der Übergang eines aktiven Arbeitsverhältnisses konnte nur als gesetzliche Folge der Überführung der Beschäftigungseinrichtung eintreten.
2. Aus dem zu berücksichtigenden Sach- und Streitstand ergibt sich nicht, daß das beklagte Land die Einrichtung oder Teileinrichtung, in der die Klägerin vor dem 3. Oktober 1990 beschäftigt wurde, im Sinne von Art. 13 Abs. 1 EV überführt hätte.
a) Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde nur dann im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte (Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Das beklagte Land hat unstreitig weder das Ministerium des Innern der DDR noch die Sportvereinigung Dynamo überführt. Daß eine noch überführungsfähige Untereinheit der Sportvereinigung Dynamo als Teileinrichtung überführt worden wäre, ist von der Klägerin nicht dargelegt worden. Die Feststellung, das beklagte Land habe zumindest eine organisatorisch abgrenzbare Funktionseinheit mit eigener Aufgabenstellung und der Fähigkeit zu einer aufgabenbezogenen Eigensteuerung und damit eine Teileinrichtung als kleinste überführungsfähige Organisationseinheit der DDR-Verwaltung im Sinne von Art. 13 EV überführt (vgl. hierzu Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 – Leitsatz 3), hätte vorausgesetzt, daß die bisherigen Aufgaben, Strukturen und wesentlichen sächlichen Mittel dieser Organisationseinheit der DDR-Verwaltung nicht nur pauschal, sondern substantiiert vorgetragen worden wären. Darüber hinaus wären die vom neuen Träger der öffentlichen Verwaltung fortgeführten Aufgaben, Strukturen und die dazu übernommenen sächlichen Mittel der früheren DDR-Verwaltung anzugeben gewesen. Die diesbezügliche Darlegungs- und gegebenenfalls Beweislast trifft den Arbeitnehmer, denn er macht geltend, sein Arbeitsverhältnis sei kraft Gesetzes als aktives auf den neuen Träger öffentlicher Verwaltung übergegangen (vgl. BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Die Klägerin hat dieser Darlegungspflicht auch nicht ansatzweise genügt. Die Aufgaben, Strukturen und wesentlichen sächlichen Mittel des Sportmedizinischen Dienstes der Sportvereinigung Dynamo sind nach dem Sach- und Streitstand derartig vage umschrieben, daß sie sich einem Vergleich mit den sportmedizinischen Aktivitäten des beklagten Landes in den Beitrittsbezirken entziehen. Dementsprechend kann bei Wahrunterstellung des Sachvortrags der Klägerin nicht gefolgert werden, das beklagte Land habe eine Teileinrichtung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 EV überführt und damit den Übergang der Arbeitsverhältnisse der dort Beschäftigten ausgelöst. Insbesondere ist dem Gericht kein Funktionsvergleich möglich, denn Umfang und Bedeutung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche des Sportmedizinischen Dienstes der Sportvereinigung Dynamo sind unbekannt.
II. Es kann deshalb im vorliegenden Rechtsstreit als unerheblich dahingestellt bleiben, ob das beklagte Land überhaupt im Sinne von Art. 13 Abs. 1 EV zuständig war, die Sportvereinigung Dynamo oder etwaige Teileinrichtungen der Sportvereinigung oder deren Träger-Verwaltung (Ministerium des Innern der DDR) zu überführen. Sollten die Strukturen und Aufgaben der Sportvereinigung Dynamo einschließlich ihrer Einbindung in den Staatsapparat der DDR (Ministerium für Staatssicherheit bzw. Ministerium des Innern der DDR) die Zuständigkeit des Bundes nach Art. 13 Abs. 2 EV begründet haben, wäre es unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zum Übergang eines aktiven Arbeitsverhältnisses auf das beklagte Land gekommen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Plenge, Hannig
Fundstellen