Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunft über Rentenanwartschaft bei Betriebsübergang
Leitsatz (amtlich)
§ 613a Abs. 5 BGB gibt keinen Anspruch auf Auskunft über die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs erworbenen Anwartschaften auf betriebliche Alterversorgung. Ein derartiger Anspruch auch gegen den Veräußerer kann jedoch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) entstehen.
Orientierungssatz
1. § 17 ZVersTV betrifft lediglich das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis iSd. § 2 Abs. 1 BetrAVG. Er gibt deshalb keine Ansprüche, falls das Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs auf einen anderen Arbeitgeber übergeht.
2. Aus § 613a Abs. 5 BGB ergibt sich kein Anspruch gegen den Betriebsveräußerer oder den Betriebserwerber auf Auskunft über die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs erworbenen Betriebsrentenanwartschaften. Diese hängen weder von der Tatsache des Betriebsübergangs noch von geplanten Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang ab.
3. Nach einem Betriebsübergang kann der Arbeitnehmer gegen den Veräußerer Auskunftsansprüche aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) haben. Ein gegen den Veräußerer gerichteter Anspruch setzt aber voraus, dass es nicht oder nicht ohne besondere Erschwernisse möglich ist, beim Erwerber eine zuverlässige Auskunft zu erhalten, der Veräußerer diese Auskunft ohne größeren Aufwand erteilen kann und der Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Auskunft hat, zB um Ansprüche gegen den Erwerber durchzusetzen.
Normenkette
Richtlinie 2001/23/EG Art. 7 Abs. 6; BGB § 613a Abs. 5, § 242; BetrAVG § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 21. Oktober 2005 – 2 (5) Sa 594/04 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt vom 22. Juni 2004 – 5 Ca 195/04 – abgeändert.
3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger schriftlich Auskunft darüber zu erteilen, ob die Voraussetzungen für eine unverfallbare Anwartschaft auf betriebliche Zusatzversorgung erfüllt sind und in welcher Höhe eine Leistung bei Erreichen des 65. Lebensjahres beansprucht werden kann.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Auskunft über seine Betriebsrentenanwartschaft bezogen auf den Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses durch Betriebsübergang schuldet.
Der Kläger ist am 28. März 1966 geboren und war bis zum 31. Juli 2003 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ging mit Wirkung zum 1. August 2003 durch Betriebsübergang auf die F… GmbH über. Darüber wurde der Kläger unterrichtet. Die Unterrichtung enthielt keine Angaben über die betriebliche Altersversorgung.
Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft Transnet. Zwischen dieser und der Beklagten gilt der “Tarifvertrag über die betriebliche Zusatzversorgung für die Arbeitnehmer der DB AG (ZVersTV)”. Danach bestehen Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung. § 17 ZVersTV enthält folgende Regelung:
“(1) Endet das Arbeitsverhältnis mit der DB AG vorzeitig, ohne dass die Voraussetzungen für eine Regelaltersrente (§ 9), für eine Altersrente/Altersrente nach Altersteilzeit (§ 10), eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 11) oder eine Vorruhestandsrente (§ 12) erfüllt sind, wird die nach dem BetrAVG vorgesehene Höhe der unverfallbaren Anwartschaft wie folgt berücksichtigt:
a) Als ohne das vorherige Ausscheiden zustehende Leistung gemäß § 2 Abs. 1 BetrAVG wird die fiktive Leistung zugrunde gelegt, die ein bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres beziehungsweise bis zum Eintritt eines vorzeitigen Versorgungsfalls – abgesehen von § 10 – in einem Arbeitsverhältnis mit der DB AG verbliebener Arbeitnehmer erhalten hätte, wenn er zu diesem Zeitpunkt Regelaltersrente nach § 9 in Anspruch genommen hätte. …
b) Als Betriebszugehörigkeit gemäß § 2 Abs. 1 BetrAVG wird ausschließlich die Betriebszugehörigkeit zur DB AG berücksichtigt.
(2) Dem vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmer wird schriftlich mitgeteilt,
a) ob die Voraussetzungen für eine unverfallbare Anwartschaft auf betriebliche Zusatzversorgung erfüllt sind
und
b) in welcher Höhe eine Leistung nach diesem Tarifvertrag bei Erreichen des 65. Lebensjahres beansprucht werden kann.”
Mit der Betriebserwerberin hat Transnet einen Tarifvertrag zur Einführung des Haustarifvertrages für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Betriebsübergangs auf sie übergegangen war (hiernach: EfTV), abgeschlossen, der die Rechtsverhältnisse der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse im Rahmen des Betriebsübergangs übergegangen sind, regelt. Er beendet – mit Ausnahme von Übergangsregelungen – alle im übergegangenen Betrieb geltenden Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen ohne Nachwirkung. Dieser Tarifvertrag enthält folgende Bestimmung:
Ҥ 6
Altersversorgung
(1) Der Tarifvertrag über die betriebliche Zusatzversorgung für die Arbeitnehmer der DB AG (ZVersTV) gilt mit der Maßgabe, dass er zum Betriebsübergang ohne Nachwirkung endet.
(2) Die bis zu diesem Zeitpunkt von den Arbeitnehmern erworbenen Anwartschaften bleiben bestehen. Die sich aus den unverfallbaren Anwartschaften ergebende Verpflichtung, bei Eintritt des Versorgungsfalles Versorgungsleistungen zu gewähren, werden von einem Unternehmen der Kredit- oder Versicherungswirtschaft unter für die F-GmbH befreiender Wirkung übernommen. Einer Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer bedarf es nicht. Bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis teilt die F-GmbH dem Arbeitnehmer die Höhe seiner unverfallbaren Anwartschaften mit.
(3) Das Unternehmen verpflichtet sich, bis spätestens 6 Monate nach Betriebsübergang den Arbeitnehmern schriftlich mitzuteilen, welches Unternehmen mit der Umsetzung der Regelung nach Abs. 2 beauftragt wurde.”
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihm hinsichtlich seiner betrieblichen Altersversorgung zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs Auskunft zu erteilen.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm schriftlich mitzuteilen,
a) ob die Voraussetzungen für eine unverfallbare Anwartschaft auf betriebliche Zusatzversorgung erfüllt sind,
b) in welcher Höhe der Kläger eine Leistung nach dem ZVersTV bei Erreichen des 65. Lebensjahres beanspruchen kann.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Auskunftsanspruch zu. Das folgt zwar nicht aus § 17 ZVersTV oder § 2 Abs. 6 BetrAVG aF, noch ergibt es sich aus § 4a BetrAVG oder § 613a Abs. 5 BGB. Es folgt jedoch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB).
1. Die Voraussetzungen von § 17 ZVersTV liegen ebenso wenig vor wie die des § 2 Abs. 6 BetrAVG aF.
§ 17 Abs. 1 Buchst. a, b des ZVersTV nimmt § 2 Abs. 1 BetrAVG bei der Leistungsberechnung in Bezug. Soweit der Tarifvertrag deshalb in § 17 Abs. 2 von “vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmern” spricht, meint er “vorher ausgeschiedene” Arbeitnehmer iSv. § 2 BetrAVG. Dafür spricht auch, dass Abs. 2 der tarifvertraglichen Vorschrift inhaltlich der Regelung des § 2 Abs. 6 BetrAVG in der Fassung entspricht, die mit Wirkung zum 1. Januar 2005 aufgehoben wurde (durch Art. 8 Nr. 3 des Alterseinkünftegesetzes vom 5. Juli 2004, BGBl. I S. 1427). Diese Bestimmung lautete:
“Der Arbeitgeber oder der sonstige Versorgungsträger hat dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer Auskunft darüber zu erteilen, ob für ihn die Voraussetzungen einer unverfallbaren betrieblichen Altersversorgung erfüllt sind und in welcher Höhe er Versorgungsleistungen bei Erreichen der in der Versorgungsregelung vorgesehenen Altersgrenze beanspruchen kann.”
Beide Ansprüche beziehen sich deshalb lediglich auf ein Ausscheiden iSv. § 2 BetrAVG.
§ 2 Abs. 1 bis 5 BetrAVG nF betrifft die Berechnung der Altersrente, wenn der Arbeitnehmer mit einer gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Es geht also um die Berechnung der Ansprüche, die einem solchen Arbeitnehmer trotz des Ausscheidens vor dem Versorgungsfall gegen den Arbeitnehmer bei Eintritt des Versorgungsfalles zustehen. Eine derartige Fallgestaltung liegt nicht vor, wenn ein Arbeitsverhältnis – wie hier – durch Betriebsübergang übergeht und der Arbeitnehmer deshalb beim Veräußerer ausscheidet. Das Arbeitsverhältnis besteht dann mit dem Betriebserwerber fort. Auch die Versorgungsordnung bleibt, soweit keine wirksame Ablösung vorliegt, nach den gesetzlichen Regeln unverändert (vgl. BAG 24. Juli 2001 – 3 AZR 660/00 – BAGE 98, 224, zu II 5a der Gründe). Damit findet zwar ein Wechsel in der Arbeitgeberstellung statt, der Arbeitnehmer scheidet aber nicht vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis aus.
2. Ebenso wenig kann der Kläger aus § 4a BetrAVG etwas ableiten. Nach dieser Bestimmung hat der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen einen Auskunftsanspruch. Die Regelung wurde durch Art. 8 Nr. 6 des Alterseinkünftegesetzes vom 5. Juli 2004 (BGBl. I S. 1427) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 in das Gesetz eingefügt. Zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte nicht mehr Arbeitgeberin des Klägers.
3. Dem Kläger steht auch kein Anspruch nach § 613a Abs. 5 BGB zu.
Nach dieser Regelung haben der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber die von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer ua. über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs (Nr. 3) und die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen (Nr. 4) zu unterrichten. Die Voraussetzungen dieser Regelungen liegen nicht vor. Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung sind keine Folge des Übergangs, da sie bis zum Zeitpunkt des Übergangs ohne Rücksicht auf diesen entstehen. Ebenso wenig sind sie hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommene Maßnahmen, da sie unabhängig vom Handeln des Veräußerers oder des Erwerbers bestehen. Der Wortlaut des Gesetzes ist insofern eindeutig. Gleiches gilt für Art. 7 Abs. 6 der EG-Betriebsübergangsrichtlinie (Richtlinie 2001/23/EG vom 12. März 2001, ABl. EG Nr. L 82/16), dem die Auskunftspflicht in § 613a Abs. 5 BGB nachgebildet ist (BT-Drucks. 14/7760 S. 19). Im Hinblick auf die Eindeutigkeit der Rechtslage besteht kein Anlass, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 Abs. 2 EG einzuholen.
4. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch jedoch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu.
Dem steht nicht entgegen, dass hier gesetzlich oder tarifvertraglich im Einzelnen geregelte Auskunftsansprüche gegeben sind. Es ist nicht ersichtlich, dass dem gesetzgeberische oder tarifpolitische Entscheidungen zugrunde liegen, in nicht erfassten Sondersituationen einen auf den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben gestützten Anspruch auszuschließen. Für diesen Anspruch gilt:
Eine allgemeine, nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunftserteilung besteht nicht. Gewohnheitsrechtlich ist anerkannt, dass Auskunftsansprüche nach Treu und Glauben bestehen können, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Im Regelfall ist darüber hinaus auch erforderlich, dass ein dem Grunde nach feststehender Leistungsanspruch existiert (BAG 1. Dezember 2004 – 5 AZR 664/03 – BAGE 113, 55, zu II 1a und b der Gründe). Diese Voraussetzungen können auch nach einem Betriebsübergang gegenüber dem Veräußerer vorliegen, da dieser aus dem im Wege des Betriebsübergangs zu ihm beendeten Arbeitsverhältnis oft noch Kenntnisse hat, welche der Arbeitnehmer benötigt. Das ändert jedoch nichts daran, dass nach dem Betriebsübergang die arbeitsrechtlichen Beziehungen grundsätzlich nur zum Erwerber bestehen. Ein gegen den Veräußerer gerichteter Anspruch setzt deshalb voraus, dass es nicht oder nicht ohne besondere Erschwernisse möglich ist, beim Erwerber eine zuverlässige Auskunft zu erhalten, der Veräußerer diese Auskunft ohne größeren Aufwand erteilen kann und der Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Auskunft hat, zB um Ansprüche gegen den Erwerber durchzusetzen.
Der Kläger könnte im vorliegenden Fall gegen den Erwerber Auskunftsansprüche nur unter Schwierigkeiten durchsetzen. § 6 Abs. 2 Satz 4 EfTV legt die Auslegung nahe, dass hinsichtlich der Betriebsrentenanwartschaften ein Auskunftsanspruch nur gegeben sein soll, wenn der Arbeitnehmer beim Erwerber ausscheidet. Der Kläger kann diese Ansprüche gegen den Erwerber nur dann durchsetzen, wenn er entweder diese naheliegende Auslegung oder die Gültigkeit des Tarifvertrages erfolgreich bekämpft. Demgegenüber kann die Beklagte im Rahmen der Verwaltung ihres Betriebsrentensystems die erwünschte Auskunft ohne größeren Aufwand erteilen. Der Kläger hat zudem ein berechtigtes Interesse an der Auskunft, schon um zu klären, welche weiteren Vorsorgemaßnahmen er für sein Alter sinnvollerweise trifft.
Die Beklagte hat die Auskunft auch schriftlich zu erteilen, da eine Auskunft in anderer Form nicht sinnvoll ist.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Zwanziger, Kaiser, Lohre
Fundstellen
Haufe-Index 1801892 |
BAGE 2008, 365 |
DB 2008, 191 |