Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichbehandlung. betriebliche Übung

 

Normenkette

BGB §§ 611, 242

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 11.11.1992; Aktenzeichen 5 Sa 298/92)

ArbG Kiel (Urteil vom 08.07.1992; Aktenzeichen 4d Ca 580/92)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 11. November 1992 – 5 Sa 298/92 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung von 500,– DM brutto zusteht, wie er unter bestimmten Voraussetzungen in Nr. 6 der „Richtlinien für die Beschäftigung der Mitarbeiter im Tarifkreis der L. Aktiengesellschaft am Standort K.” vom 19. November 1991 niedergelegt ist.

Im Jahre 1981 wurde die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die H. GmbH, von der S. AG übernommen. Die Beklagte hat die … H. GmbH im Jahre 1991 erworben.

Während der Zeit von 1981 bis 1991, als die Rechtsvorgängerin der Beklagten zur S. AG gehörte, wurden den Mitarbeitern durch jährlichen Aushang S. – Aktien zum Vorzugspreis angeboren. In dem entsprechenden Aushang „S. – Aktien 1983” hieß es einleitend:

„Die Geschäftsführung hat beschlossen, den Mitarbeitern auch in diesem Jahr Aktien der S. AG zum Vorzugspreis anzubieten.

Alle Mitarbeiter, die bis einschließlich 1. Oktober 1982 eingetreten sind und am 1. Januar 1983 in einem ungekündigten Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnis stehen, können bis zu vier Stammaktien der S. Aktiengesellschaft zum Vorzugspreis von 156,– DM je Aktie ….

erwerben.”

In den folgenden Jahren bis einschließlich 1990 wurden durch entsprechende Aushänge jeweils Stammaktien in unterschiedlicher Zahl (eine bis vier) und zu unterschiedlichen Preisen angeboten.

Nachdem die Beklagte die … H. GmbH übernommen hatte, gab sie Richtlinien für die Beschäftigung der Mitarbeiter im Tarifkreis der L. Aktiengesellschaft am Standort K. bekannt. Diese Richtlinien waren vom Vorstand und vom Betriebsrat unterzeichnet. In diesen Richtlinien sind sozial- und personalpolitische Grundsätze für die Beschäftigung der Mitarbeiter ab 1. Januar 1992 enthalten.

Zur Frage der Vermögensbildung ist in Nr. 6 der Richtlinien folgendes bestimmt:

„6. Betriebliche Vermögensbildung

Mitarbeiter, die von dem S. – Aktienangebot 1990 und/oder 1991 Gebrauch gemacht haben, erhalten hierfür unter den Voraussetzungen des S. – Aktienangebotes 1992 zur Abgeltung des geldwerten Vorteils einen Bruttobetrag von DM 500,–mit den Dezember-Bezügen 1991 ausgezahlt.”

Der Kläger, der seit 1980 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Prüfer beschäftigt ist, hatte von dem Angebot, S. – Aktien zu erwerben, im Jahre 1987 und nach seiner Behauptung auch 1988 Gebrauch gemacht. Da er 1990 und 1991 keine Aktien bezogen hatte, erhielt er nicht die in den Richtlinien zur Abgeltung des geldwerten Vorteils versprochenen 500,– DM. Von den insgesamt 1.758 Mitarbeitern der Beklagten erhielten 607 Arbeitnehmer die in Nr. 6 der Richtlinien vorgesehene Leistung nicht.

Der Kläger hat geltend gemacht, aufgrund der wiederholt durch die Bekanntmachungen angebotenen Aktien zum Vorzugspreis sei ein entsprechender Anspruch der Mitarbeiter begründet worden. Diese Verpflichtung sei auf die Beklagte gemäß § 613 a BGB übergegangen. Wenn sie den entsprechenden Anspruch durch Zahlung von 500,– DM nur für diejenigen Mitarbeiter ausgleiche, die 1990 oder 1991 von dem Angebot Gebrauch gemacht hatten, verletze sie den Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Erwerb der Vorzugsaktien habe allen Arbeitnehmern offengestanden. Diese Möglichkeit hätten jedoch Arbeitnehmer der unteren Einkommens schichten nicht in dem gebotener Umfange wahrnehmen können. Es sei deshalb sachlich nicht gerechtfertigt, Arbeitnehmer wegen des Nichterwerbs von Aktien, von der Ausgleichszahlung auszunehmen. Soweit die Beklagte geltend mache, die gewährten vermögenswirksamen Leistungen hätten für den Erwerb der Aktien eingesetzt werden können, so gelte für ihn, daß er die entsprechenden Leistungen für einen Bausparvertrag verwendet habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilten, an ihn 500,– DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 20. März 1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, aus den Richtlinien könne der Kläger seinen Anspruch nicht herleiten, weil er die dort niedergelegten Voraussetzungen nicht erfülle. Ein Anspruch auf Erwerb der S. – Aktien zum Vorzugspreis sei in der Zeit zwischen 1981 und 1991 nicht begründet worden, weil ihre Rechtsvorgängerin das Angebot durch entsprechenden Aushang jährlich mit unterschiedlichen Bezugsbedingungen nur für das betreffende Jahr neu herausgegeben habe. Zur sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung ihrer Arbeitnehmer hat die Beklagte in den Vorinstanzen vorgetragen, sie habe nur denjenigen Mitarbeitern eine Abgeltung des geldwerten Vorteils zuzubilligen brauchen, die diesen durch Einsatz von Eigenmitteln in der Vergangenheit auch genutzt hätten. Die Mitarbeiter, die von den Aktienangeboten Gebrauch gemacht und diejenigen, die keine Aktien erworben hatten, könnten hinsichtlich des geldwerten Vorteils nicht als gleichgestellt angesehen werden. Deshalb verstoße die Regelung Nr. 6 der Richtlinien nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht dem Klagebegehren entsprochen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht erkannt, daß dem Kläger der geltend gemachte Anspruch zusteht.

I. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten über Jahre hinweg eingeräumte Möglichkeit, S. – Aktien zu einem Vorzugspreis zu erwerben, habe zu einem entsprechenden vertraglichen Anspruch aus betrieblicher Übung geführt. Dieser richte sich gemäß § 613 a BGB mit der Übernahme der … H. GmbH durch die Beklagte gegen diese. Dieser Anspruch sei jedoch wirksam durch die in der Betriebevereinbarung vom 19. November 1991 zu Nr. 6 getroffene Regelung aufgehoben worden. Gegen diese Regelung bestünden keine Gedenken weil die Geschäftsgrundlage für das Angebot auf Erwerb von S. Aktien entfallen gewesen sei. Mit dem Übergang der H. GmbH auf die Beklagte habe keine Möglichkeit mehr für das Angebot zum Aktienerwerb bestanden, weil die Firma entsprechende Aktien nicht mehr zur Verfügung stellte.

Für den Wegfall des Bezugsrechts habe die Beklagte in der Betriebsvereinbarung den streitigen Ausgleichsbetrag von 300,– DM unter den in der Betriebsvereinbarung genannten Voraussetzungen zugesagt. Diese Bestimmung und der mit ihr verfolgte Zweck verstießen jedoch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Deshalb stehe dem Kläger die Zahlung der 500,– DM zu.

II. 1. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, aufgrund der wiederholten Zusagen der Rechtsvorgängerin der Beklagten, S. – Aktien zum Vorzugspreis erwerben zu können, sei durch betriebliche Übung ein entsprechender Anspruch entstanden, begegnet durchgreifenden Bedenken. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Auslegung der entsprechenden Angebote nicht alle Umstände berücksichtigt, die für die Frage erheblich waren, wie die Arbeitnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten den Inhalt der Zusagen verstehen konnten und mußten. Die Möglichkeit, S. – Aktien zum Vorzugspreis erwerben zu können, wurde erst eingeführt, nachdem die S. AG die … H. GmbH als Tochterunternehmen erworben hatte. Hieraus und aus dem Umstand, daß S. – Aktien zum Vorzugspreis für die dem S.konzern zugehörigen Belegschaftsmitglieder zur Verfügung gestellt wurden, war auch für die Arbeitnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten ersichtlich, daß das Angebot auf Erwerb von S. – Aktien geknüpft war an die Zugehörigkeit zum, S.konzern. Es kann dahingestellt bleiben, ob darüberhinaus, wie die Beklagte geltend macht, durch die jährlich neue Beschlußfassung über das Angebot zum Erwerb von S. – Aktien entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts auch das wiederholte Angebot nicht zu einem Anspruch auf dauernden Bezug erstarkte, Jedenfalls war der Anspruch begrenzt durch die Zugehörigkeit der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Tochterunternehmen zur S. AG. Mit dem Erwerb der … H. GmbH durch die Beklagte entfiel deshalb der Anspruch auf Erwerb von Vorzugsaktien.

Den vorstehenden Erwägungen hat mittelbar auch das Landesarbeitsgericht Rechnung getragen, indem es angenommen hat, die Zugehörigkeit zum S.konzern sei Geschäftsgrundlage für den Anspruch gewesen, der deshalb wirksam durch Nr. 6 der Richtlinien

vom 19. November 1991 habe beseitigt werden können.

2. Wenn sonach auch nicht erst durch Nr. 6 der Richtlinien vom 19. November 1991 der Anspruch auf Erwerb von Vorzugsaktien entfallen ist, sondern bereits mit dem Übergang der … GmbH auf die Beklagte, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis in der Frage, ob die in Nr. 6 der Richtlinien enthaltene Abgrenzung der Bezugsberechtigten für die Ausgleichsleistung einer Wertung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung standhält. Mit der in Richtlinien vorgesehenen Leistung sollte jedenfalls dem Umstand Rechnung getragen werden, daß ein Bezug von Vorzugsaktien durch die Arbeitnehmer der Beklagten nicht mehr möglich war. Dabei spielt es im Ergebnis keine Rolle, aus welchem rechtlichen Gesichtspunkt die Bezugsberechtigung entfiel.

III.1. Die Parteien sind davon ausgegangen, daß die Richtlinien vom 19. November 1991 eine Betriebsvereinbarung darstellen. Ob diese als solche hinsichtlich aller Regelungen einer rechtlichen Überprüfung im Hinblick auf die Befugnisse des Betriebsrats standhalten könnte, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls stellt Nr. 6 der Richtlinien eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zulässige Regelung über Entlohnungsfragen dar. Diese ist daraufhin zu Überprüfen, ob sie dem § 75 BetrVG normierten Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung trägt.

2.a) Die Beklagte hat in den Tatsacheninstanzen vorgetragen, die Leistung der 500,– DM sei vorgesehen gewesen als Ausgleich dafür, daß die mit dem Erwerb von S.-Aktien zu einem Vorzugskurs verbundenen Vorteile von der Beklagten nicht mehr gehört werden konnten. Dabei sei davon ausgegangen worden, daß davon nur die Arbeitnehmer betroffen waren, die in den Jahren 1990 und/oder 1991 Aktien erworben hatten. Nur bei diesen sei zu vermuten gewesen, daß sie den durch Einsatz von Eigenmitteln erworbenen Vorteil auch weiterhin genutzt hätten.

b) Das Landesarbeitsgericht hat hierzu mit Recht angenommen, daß diese Begründung der Beklagten keinen sachgerechten Grund für die vorgenommene Differenzierung abgibt. Richtig ist zwar, daß der behauptete geldwerte Vorteil nur denjenigen Mitarbeitern entging, die für das Jahr 1992 bereit waren, S. – Aktien zu erwerben. Die Annahme aber, der Vorteil entgehe nur denjenigen Mitarbeitern, die 1990 oder 1991 Aktien erworben hatten, ist eine Unterstellung, die durch sachliche Gründe nicht zu untermauern ist. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß völlig offen war, ob Mitarbeiter, die 1990 oder 1991 Aktien erworben hatten, von dieser Möglichkeit auch 1992 Gebrauch gemacht hätten, wie es umgekehrt denkbar war, daß Mitarbeiter 1992 bei einem entsprechenden Angebot Aktien erworben hätten, die in den Jahren davor, aus welchen Gründen auch immer, keine Aktien gekauft hatten. Hinzukommt, daß auch die durch Nr. 6 der Richtlinien bedachte Gruppe der Arbeitnehmer unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen den Ausgleichsanspruch erwarb. Im Jahre 1990 konnten zwei Aktien zu je 312,– DM und 1991 zwei Aktien zu je 322,– DM erworben werden. Da die Richtlinie den Ausgleichsbetrag von 500,– DM bereits bei dem Bezug nur einer Aktie in einem der Jahre vorsah, bewegte sich nach den vorgegebenen Anspruchsvoraussetzungen der Einsatz der Mittel eines Mitarbeiters zwischen 312,– DM und 1.268,– DM. Diejenigen Arbeitnehmer, die in den betreffenden Jahren keine Aktie erworben hatten, blieben damit nur um 312,– DM hinter dem anspruchsbegründenden Mitteleinsatz zurück.

3. In der Revisionsinstanz hat die Beklagte eine ganz andere Begründung für die Differenzierung gegeben: Der Ausgleichsbetrag sei gewährt worden, um mögliche Nachteile für die Arbeitnehmer abzuwenden, die von dem Bezugsrecht in den Jahren 1990 und 1991 Gebrauch gemacht hatten. Hierzu hat die Beklagte hingewiesen auf Nachteile, die sich aus Kursverlusten und dem möglichen Verlust von Steuervorteilen bei frühzeitiger Veräußerung ergeben könnten.

Ob sich aus dieser Begründung für die unterschiedliche Behandlung ergeben könnte, daß damit in Nr. 6 der Richtlinien eine Fachgerechte Differenzierung vorgenommen wurde, kann dahingestellt bleiben. Denn insoweit liegt ein neues Vorbringen der Beklagten, vor, das in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden kann (§ 561 Abs. 1 ZPO).

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Beklagte auch verurteilt, die Ausgleichszahlung zu gewähren. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, daß bei einer Benachteiligung von Arbeitnehmern wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, den benachteiligten Arbeitnehmern der Anspruch zuzuerkennen ist, der ihnen durch die durch sachliche Gründe nicht gerechtfertigte Regelung vorenthalten wurde (vgl. BAG Urteil vom 11. September 1974 – 5 AZR 567/73 – AP Nr. 39 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 45, 86 = AP Nr. 68 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Werner, Bengs

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1099385

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