Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung bei Arbeitnehmerweiterbildung
Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit die Abteilung Bildung des DGB-Landesbezirks Nordrhein-Westfalen, die bis 31. Dezember 1985 als anerkannte Einrichtung der Weiterbildung bestand, sich darauf beschränkte, einen DGB-Kreis bei der Durchführung einer Bildungsveranstaltung inhaltlich und pädagogisch zu betreuen, führte sie die Veranstaltung nicht im Sinne des § 9 Satz 1 ArbWeitBiG NW durch. Die Durchführung lag vielmehr bei dem DGB-Kreis. Da dieser nicht als Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft anerkannt ist, besteht ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach § 7 ArbWeitBiG NW nur, wenn die Veranstaltung durch den zuständigen Minister genehmigt war (§ 9 Satz 1 Buchst d ArbWeitBiG NW).
2. Aus der Satzung der Abteilung Bildung des DGB- Landesbezirks Nordrhein-Westfalen kann nicht hergeleitet werden, daß die Bildungsveranstaltungen der DGB-Kreise als von der Abteilung Bildung durchgeführt anzusehen waren.
3. Für den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach § 7 ArbWeitBiG NW ist ohne Bedeutung, daß das Land Nordrhein-Westfalen Bildungsveranstaltungen, die von DGB-Kreisen durchgeführt werden, nach dem Weiterbildungsgesetz finanziell fördert.
Normenkette
WeitBiG NW §§ 23-24; ArbWeitBiG NW § 7; WeitBiG NW 1 §§ 23-24; BVerfGG § 31 Abs. 2; WeitBiG NW § 22 Abs. 1; ArbWeitBiG NW § 5 Abs. 3; WeitBiG NW 1 § 22 Abs. 1; ArbWeitBiG NW § 5 Abs. 1, § 1 Abs. 1, § 9 S. 1 Buchst. a, d
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 29.10.1987; Aktenzeichen 4 (9) Sa 1385/86) |
ArbG Detmold (Entscheidung vom 12.06.1986; Aktenzeichen 3 Ca 1568/85) |
Tatbestand
Der Kläger ist Arbeitnehmer der Beklagten. Vom 4. bis zum 8. November 1985 nahm er an der Bildungsveranstaltung "Roboter, Computer, Bildschirm... Was wird aus unserer Arbeit?" teil, zu der der Kreis B des Deutschen Gewerkschaftsbundes eingeladen hatte. Die Beklagte hatte den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Die Lohnfortzahlung für die genannte Zeit lehnt sie jedoch ab.
Der Kläger verlangt, ihm für die Dauer des Seminars das Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Er stützt seinen der Höhe nach unstreitigen Anspruch auf das nordrhein-westfälische Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung - Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG) - vom 6. November 1984 (GV.NW. S. 678).
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
825,05 DM brutto nebst 4 % Zinsen
seit dem 10. Dezember 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz sei verfassungswidrig. Der DGB-Kreis B sei keine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung im Sinne des § 9 Satz 1 Buchst. a AWbG; eine ministerielle Genehmigung der Veranstaltung nach § 9 Satz 1 Buchst. d AWbG liege nicht vor; die Abteilung Bildung des DGB-Landesbezirks Nordrhein-Westfalen (im folgenden: Abteilung Bildung), sei zwar eine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung, habe aber entgegen der Auffassung des Klägers das Seminar nicht durchgeführt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts für die Zeit vom 4. bis 8. November 1985. Das Seminar, an dem er teilgenommen hat, war keine Arbeitnehmerweiterbildung im Sinne des Gesetzes.
Nach § 7 AWbG hat der Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitnehmerweiterbildung das Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Diese Bestimmung ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 15. Dezember 1987 (- 1 BvR 563/85 -, - 1 BvR 582/85 -, - 1 BvR 974/86 -, - 1 BvL 3/86 - AP Nr. 62 zu Art. 12 GG) entschieden. Die Entscheidung hat Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG).
Nach § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 3 AWbG erfolgt Arbeitnehmerweiterbildung in anerkannten Bildungsveranstaltungen. Das Seminar, das der Kläger besucht hat, war keine anerkannte Bildungsveranstaltung.
I. Nach § 9 Satz 1 Buchst. a AWbG gelten Bildungsveranstaltungen als anerkannt, wenn sie von anerkannten Einrichtungen der Weiterbildung in anderer Trägerschaft durchgeführt werden. Diese Voraussetzung erfüllt das Seminar, an dem der Kläger teilgenommen hat, nicht. Die Abteilung Bildung war eine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung; sie hat das Seminar jedoch nicht durchgeführt. Durchgeführt wurde es vom DGB-Kreis B; dieser ist jedoch keine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung.
1. Das Seminar wurde nicht von der Abteilung Bildung durchgeführt.
Die Abteilung Bildung war durch Bescheid des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen - Landeszentrale für politische Bildung - vom 17. Juli 1975 - Z D 1-581-1475 - (abgedruckt bei Wahsner/Wichert, Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz von Nordrhein-Westfalen, S. 102) nach § 23 WbG mit Wirkung vom 1. Januar 1975 als Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft anerkannt worden.
a) Die Revision meint, die Abteilung Bildung habe das Seminar durchgeführt. Sie macht geltend, die Veranstaltung sei von der Abteilung Bildung konzipiert und von ihrem pädagogischen Mitarbeiter P durchgeführt worden. Der Begriff der "Durchführung" im Sinne des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes beziehe sich ausschließlich auf die inhaltliche Gestaltung und pädagogische Betreuung der Bildungsveranstaltung, nicht aber auf "organisatorische Nebenfragen". Demgegenüber hat das Berufungsgericht zu Recht darauf aufgestellt, daß die Anmeldung der Teilnehmer an den DGB-Kreis B zu richten war, dieser in der Mitteilung nach § 5 Abs. 1 AWbG als "durchführende Stelle" bezeichnet, die Teilnahmebescheinigung mit seinem Stempel versehen und die Abteilung Bildung nur unterstützend an der Durchführung des Seminars beteiligt war.
Der Einfluß, den die Abteilung Bildung nach diesen Feststellungen des Berufungsgerichts auf die Veranstaltung ausgeübt hat, reicht nicht aus, sie als die Einrichtung anzusehen, die die Veranstaltung im Sinne des § 9 Satz 1 AWbG durchgeführt hat.
Im Wortsinne durchgeführt wird eine Veranstaltung von dem, der sie "verwirklicht" oder "in die Tat umsetzt" (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Ausgabe 1986, S. 369). Dies setzt voraus, daß der Durchführende bestimmenden Einfluß darauf hat, ob die Veranstaltung stattfindet, wie sie inhaltlich gestaltet wird, wer unterrichtet und wer teilnimmt. Dafür, daß das Gesetz den Begriff "durchgeführt werden ... von" in § 9 Satz 1 Buchst. a AWbG in diesem wörtlichen Sinne versteht, sprechen die in § 23 Abs. 2 WbG geregelten Anerkennungsvoraussetzungen, die eine Bildungsstätte erfüllen muß. Diese kann ohne den genannten Einfluß nicht nach Art und Umfang ihrer Tätigkeit die Gewähr der Dauer bieten (§ 23 Abs. 2 Nr. 1 WbG), das vorgeschriebene Mindestangebot auf dem Gebiet der Weiterbildung garantieren (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 WbG), sicherstellen, daß ihre Tätigkeit sich auf den Zweck der Weiterbildung beschränkt (§ 23 Abs. 2 Nr. 3 WbG) und verhindern, daß das Lehrangebot vorrangig den Zwecken einzelner Betriebe (§ 23 Abs. 2 Nr. 4 WbG) oder der Gewinnerzielung (§ 23 Abs. 2 Nr. 5 WbG) dient. An diesem tatsächlichen Einfluß auf das Seminar fehlte es nach den getroffenen Feststellungen der Abteilung Bildung. Indem diese sich darauf beschränkte, das Seminar inhaltlich und pädagogisch zu betreuen, verzichtete sie darauf, die Bildungsveranstaltung in einem Maße zu bestimmen, das es rechtfertigt, sie als Einrichtung anzusehen, die das Seminar durchführte. Die Abteilung Bildung überließ es vielmehr dem DGB-Kreis B zu bestimmen, ob das Seminar stattfand und mit welchem Inhalt, wer teilnahm und wer unterrichtete. Der DGB-Kreis B war somit die Einrichtung, die das Seminar durchführte, nicht die Abteilung Bildung.
Dies gilt jedenfalls für die hier festgestellte Form der tatsächlichen Zusammenarbeit zwischen DGB-Kreis und Abteilung Bildung. Der Rechtsstreit veranlaßt den Senat nicht, dazu Stellung zu nehmen, ob bei anderen denkbaren Formen des Zusammenwirkens zwischen einem DGB-Kreis und der Abteilung Bildung diese als die Einrichtung angesehen werden könnte, die die Veranstaltung im Sinne des § 9 Satz 1 AWbG durchführt.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Abteilung Bildung auch aufgrund der rechtlichen Beziehungen, die zwischen ihr und dem DGB-Kreis B bestehen, nicht als die Einrichtung angesehen werden, die das Seminar durchgeführt hat.
aa) Die Abteilung Bildung war nicht aufgrund ihrer Satzung als durchführende Einrichtung anzusehen.
Nach § 3 Abs. 1 der Satzung führt die Abteilung Bildung Maßnahmen, Projekte und Veranstaltungen der politischen Bildung im Lande auf örtlicher, regionaler und Landesebene durch. Nach § 3 Abs. 3 der Satzung können auf örtlicher und regionaler Ebene die DGB-Kreise die Weiterbildungsmaßnahmen planen, anbieten und durchführen. § 3 Abs. 3 Satz 2 der Satzung bestimmt, daß die Gewerkschaften und Industriegewerkschaften im Bereich des DGB-Landesbezirks Nordrhein-Westfalen die von ihnen geplanten Maßnahmen anbieten und durchführen können. Nach § 3 Abs. 4 der Satzung nimmt die Abteilung Bildung die Interessen der in Abs. 3 genannten Stellen wahr, berät diese pädagogisch und organisatorisch und sorgt für die finanzielle Förderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen.
Der DGB-Landesbezirk hat sich durch diese Satzungsbestimmungen nur selbst die Verpflichtung auferlegt, mit den sonstigen Organisationen, etwa den DGB-Kreisen, zusammenzuarbeiten; dadurch wurde weder deren rechtliche Selbständigkeit berührt noch gewährleistet, daß die Abteilung Bildung überhaupt entscheidenden Einfluß auf die von den sonstigen Organisationen durchgeführten Veranstaltungen nehmen konnte.
Auch kann nicht angenommen werden, der DGB-Kreis B habe das Seminar aufgrund einer "Delegation" der Abteilung Bildung veranstaltet, durchgeführt im Sinne des Gesetzes habe es die Abteilung Bildung. Auch wenn der DGB-Kreis B im Auftrag der Abteilung Bildung tätig geworden wäre, hätte dies den Lohnfortzahlungsanspruch des Klägers nicht begründet. § 9 Satz 1 Buchst. a AWbG setzt voraus, daß die Bildungsveranstaltung von einer anerkannten Einrichtung durchgeführt wird. Dieses Tatbestandsmerkmal wird dadurch, daß die anerkannte Einrichtung "delegiert", also die Durchführung auf einen anderen überträgt, nicht erfüllt. Indem die Abteilung Bildung den DGB-Kreis B beauftragte, das Seminar zu veranstalten und diesem dabei die festgestellte Gestaltungsfreiheit beließ, verzichtete sie selbst darauf, im Sinne des § 9 Satz 1 Buchst. a AWbG "durchzuführen".
bb) Das Seminar kann auch nicht aufgrund behördlicher Entscheidung als von der Abteilung Bildung durchgeführt angesehen werden. In Betracht kommt hier das Schreiben vom 13. Januar 1986 - Az.: LZ 4-5147 -, das der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen - Landeszentrale für politische Bildung - an den Deutschen Gewerkschaftsbund, Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, gerichtet hat (abgedruckt bei Wahsner/Wichert, Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz von Nordrhein-Westfalen, S. 104/105). Darin wird auf die hier maßgebende, bis zum 31. Dezember 1985 geltende Fassung der Satzung Bezug genommen und die Verfahrensweise der Abteilung Bildung durch das Land insoweit gebilligt, als die politische Bildungsarbeit des DGB-Landesbezirks in drei Ebenen durchgeführt wird. Daraus folgt, daß dem DGB-Landesbezirk für die Bezuschussung mit öffentlichen Mitteln auch Veranstaltungen zugerechnet werden, die nicht er, sondern die DGB-Kreise oder die Bezirke und Ortsverwaltungen der Gewerkschaften und Industriegewerkschaften durchgeführt haben. Für die Entscheidung des Senats über den Lohnfortzahlungsanspruch des Klägers ist dies jedoch ohne Bedeutung. Es ist Sache der zuständigen Behörden des Landes Nordrhein- Westfalen zu entscheiden, welche Veranstaltungen sie einbeziehen, wenn sie eine Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft nach §§ 22 Abs. 1, 24 WbG fördern. Die Lohnfortzahlungspflicht nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz hängt von dieser Entscheidung nicht ab. Für sie kommt es allein darauf an, daß die Veranstaltung von der anerkannten Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft im Sinne des § 9 Satz 1 Buchst. a AWbG durchgeführt wurde. Dies müssen die Gerichte für Arbeitssachen in eigener Zuständigkeit prüfen. Dabei sind sie an Verwaltungsentscheidungen über die staatliche Förderung nach dem Weiterbildungsgesetz nicht gebunden.
2. Der DGB-Kreis B, der das Seminar durchgeführt hat, ist nicht durch Bescheid des zuständigen Ministers nach § 23 WbG als Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft anerkannt worden.
II. Das Seminar war unstreitig auch nicht durch den zuständigen Minister genehmigt worden. Es galt somit auch nicht als eine nach § 9 Satz 1 Buchst. d AWbG anerkannte Bildungsveranstaltung.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Dr. Meyer Wittendorfer
Fundstellen
Haufe-Index 441537 |
BAGE 61, 176-182 (LT1-3) |
BAGE, 176 |
BB 1989, 1758-1759 (LT1-3) |
SteuerBriefe 1989, 339-339 (K) |
EBE/BAG 1989, 125-127 (LT1-3) |
RdA 1989, 310 |
AP § 9 BildungsurlaubsG NRW (LT1-3), Nr 3 |
AP, 0 |
AR-Blattei, Arbeitnehmerweiterbildung Entsch 3 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 130 Nr 3 (LT1-3) |
EzA § 9 AWbGNW, Nr 2L |