Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung einer als Erziehungshelferin tätigen Erzieherin
Leitsatz (amtlich)
Eine als sog. Zweitkraft in einer Kindertageseinrichtung beschäftigte Erzieherin übt nur dann eine ihrer Qualifikation entsprechende Tätigkeit aus, wenn die in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten für die Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlich, d. h. notwendig sind.
Normenkette
BAT 1975 §§ 22-23; Anlage 1a VergGr. VIb Fallgruppe 5 Teil II (Sozial und Erziehungsdienst) BAT/VkA
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 29.01.1993; Aktenzeichen 15 Sa 1505/92) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 30.09.1992; Aktenzeichen 10 Ca 1843/92) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. Januar 1993 – 15 Sa 1505/92 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin.
Die am 14. September 1955 geborene Klägerin ist Erzieherin. Nach einer Urkunde des Regierungspräsidenten Düsseldorf ist sie zur Führung der Berufsbezeichnung “Staatlich anerkannte Erzieherin” berechtigt.
Die Klägerin wurde mit Wirkung vom 15. Januar 1991 als nicht vollbeschäftigte Angestellte bei der Beklagten eingestellt. Seither wird sie als pädagogische Kraft neben einer Gruppenleiterin in einer Kindertagesstätte beschäftigt.
Nach § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung. Nach § 4 war die Klägerin in die Vergütungsgruppe VII BAT eingruppiert.
Mit Schreiben vom 8. November 1991 beantragte die Klägerin erfolglos die Eingruppierung in die Vergütungsgruppe VIb BAT sowie die Nachzahlung der bisherigen Differenzbeträge.
In der bei der Beklagten bestehenden “Arbeitszeitregelung für pädagogische Fachkräfte und Erziehungshilfskräfte in Städtischen Tageseinrichtungen für Kinder” sind folgende Bestimmungen enthalten:
“
Arbeitszeitregelung für Erziehungshilfskräfte
Die Arbeitszeit für Erziehungshilfskräfte von wöchentlich 40 Stunden soll wie folgt geregelt werden: |
30 Stunden: |
Unterstützung der Erzieherinnen in der Arbeit mit Kindern |
2 Stunden: |
praktische Vorbereitung der Gruppenarbeit und Herstellung der Ordnung im Gruppenraum (Bücher, Puppen, Material etc.) |
2 Stunden: |
Mitarbeiterbesprechung |
6 Stunden: |
hauswirtschaftliche und pflegerische Arbeiten, z. B. Wäschepflege, Mithilfe in der Küche, Instandsetzen von Spiel- und Beschäftigungsmaterial etc. |
”
Darüber hinaus besteht bei der Beklagten eine “Arbeitsplatzbeschreibung der Erziehungshilfskraft”, die den nachstehenden Inhalt hat:
“Die Erziehungshilfskraft unterstützt die Gruppenleiterin bei der pädagogischen Arbeit.
Ihr Arbeitsbereich unterteilt sich
- in den Bereich der pflegerisch praktischen Arbeit mit der Kindergruppe, der ca. 30 Wochenstunden ausmacht und die
- pflegerisch-hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, die ca. 10 Stunden wöchentlich betragen.
zu 1. |
– Praktische Vorbereitung der Gruppenarbeit |
– Einsatz im Freispiel |
– Unterstützung der Gruppenleiterin beim angeleiteten Spiel |
– Spezielle Angebote an Einzelkinder und Kleingruppen in Abstimmung mit den Teilzielen der Gruppenleiterin |
– Pflegerische Aufgaben (wie Duschen, Schlafwache etc.) |
– Teilnahme an Mitarbeiterbesprechungen |
– Im Notfall Vertretung der Gruppenleitung |
zu 2. |
– Arbeit in der Küche |
– Spielzeugpflege, Materialpflege |
– Instandsetzen von Spielmaterial, Spielzeug, Büchern |
– Wäschepflege (auch Betten beziehen) |
– Möbelpflege. |
… |
”
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie übe Tätigkeiten aus, die den Anforderungen der Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 5 BAT entsprechen. Sie sei bei der Beklagten entsprechend ihrer Bewerbung als Erzieherin eingestellt worden und übe auch tatsächlich solche Tätigkeiten aus. Gemeinsam mit der Gruppenleiterin betreue sie eine Gruppe von Kindern und treffe alle erzieherisch erforderlichen Maßnahmen. Sie arbeite nicht unter der Anleitung der Gruppenleiterin, sondern handele im Umgang mit den Kindern eigenverantwortlich.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr mit Wirkung vom 15. Januar 1991 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe VIb BAT zu zahlen und die sich aus der Neuabrechnung ergebenden Nettobeträge mit 4 %ab dem 9. April 1992 zu verzinsen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei zutreffend eingruppiert. Sie sei als “Zweitkraft” und nicht als “Erzieherin” eingestellt worden. Darüber hinaus seien ihr auch nur solche Tätigkeiten übertragen worden, wie sie in der Arbeitsplatzbeschreibung für Erziehungshilfskräfte enthalten sind. Eine Eingruppierung in die von der Klägerin begehrte Vergütungsgruppe komme schon deshalb nicht in Betracht, weil nicht sie, sondern die Gruppenleiterin die Verantwortung für das pädagogische Konzept habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat die Klägerin klargestellt, daß ihr Antrag als Feststellungsantrag aufzufassen ist. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die klageabweisende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer rechtlichen Überprüfung stand.
A. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht klargestellt, daß ihr Antrag als Feststellungsantrag zu verstehen ist. Damit hat die Klägerin eine Eingruppierungsfeststellungsklage erhoben, die im öffentlichen Dienst allgemein üblich ist und gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken bestehen (z. B. Senatsurteil vom 19. März 1986 – 4 AZR 470/84 – AP Nr. 114 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
B. Die Klage ist aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, da sie die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe VIb BAT nicht dargetan hat.
I. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und die diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträge kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung.
II. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die Vereinbarung der Vergütungsgruppe VII BAT in § 4 des schriftlichen Arbeitsvertrages dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegensteht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommt einer solchen Vereinbarung im Hinblick auf die ebenfalls vereinbarte Geltung des BAT in der jeweils geltenden Fassung nur deklaratorische Bedeutung zu. Sie ist dahin auszulegen, daß der Arbeitnehmer Vergütung nach der Vergütungsgruppe beanspruchen kann, deren Tätigkeitsmerkmale er erfüllt (BAG Urteil vom 20. Februar 1991 – 4 AZR 429/90 – AP Nr. 157 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
III.1. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob die Hälfte der die Gesamtarbeitszeit der Klägerin ausfüllenden Arbeitsvorgänge einem Tätigkeitsmerkmal der von ihr beanspruchten Vergütungsgruppe VIb BAT entsprechen (§ 22 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 Satz 1 BAT). Dabei ist von dem von der Senatsrechtsprechung entwickelten Begriff des Arbeitsvorganges auszugehen, nämlich eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten (BAGE 51, 59; 51, 282; 51, 356 = AP Nr. 115, 116 und 120 zu §§ 22, 23 BAT 1975, ständige Rechtsprechung des Senats).
2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind der Klägerin bei ihrer Einstellung Aufgaben einer Erziehungshilfskraft übertragen worden, wie sie in der bei der Beklagten bestehenden Arbeitszeitregelung und insbesondere der Arbeitsplatzbeschreibung aufgeführt sind. Diese Feststellungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und für den Senat bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO). Sie beruhen weder auf einem Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, noch sind sie unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zustande gekommen. Zu Unrecht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe die ihm nach § 139 ZPO obliegende Hinweispflicht gegenüber der Klägerin verletzt, weil es nicht auf einen vollständigen Vortrag zu der von ihr ausgeübten Tätigkeit hingewirkt habe. Zu einem solchen Hinweis bestand für das Landesarbeitsgericht keine Veranlassung, da eine Ergänzung des Vorbringens der Klägerin nicht entscheidungserheblich war. Für die Bewertung einer Tätigkeit nach dem BAT ist nicht die tatsächlich ausgeübte, sondern nach § 22 Abs. 2 BAT die auszuübende Tätigkeit eines Angestellten maßgebend.
3. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die hauswirtschaftlichen und pflegerischen Arbeiten (Wäsche- bzw. Möbelpflege, Arbeiten in der Küche, kleinere Instandsetzungsarbeiten von Mobiliar) als einen Arbeitsvorgang im Tarifsinn angesehen. Diese Tätigkeiten sind tatsächlich von den Aufgaben der Klägerin bei der Beschäftigung mit den Kindern trennbar und nicht bei der Bewertung des letztgenannten Aufgabenbereichs heranzuziehen. Sie verfolgen lediglich den Zweck, die äußeren Rahmenbedingungen für die pädagogische Betreuungsarbeit der im Kindergarten tätigen Erzieher zu schaffen bzw. zu erhalten. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Klägerin überwiegend, d. h. mit einem Zeitanteil von mehr als 50 % ihrer Arbeitskraft in der pädagogischen Betreuungsarbeit mit Kindern eingesetzt.
4. Für die Klägerin finden die Tätigkeitsmerkmale des Tarifvertrages für Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst vom 19. Juni 1970 i.d.F. des § 2 Abschn. B des Tarifvertrages zur Änderung der Anlage 1a zum BAT vom 24. April 1991 für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VkA) Anwendung.
Die Tätigkeitsmerkmale der von der Klägerin begehrten Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 5 lauten wie folgt:
“Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben.”
Die Klägerin ist aufgrund ihrer formellen Qualifikation als “Erzieherin mit staatlicher Anerkennung” anzusehen, wovon auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist.
Die Klägerin übt jedoch keine “entsprechende Tätigkeit” eines Erziehers aus. Eine solche liegt nach der Senatsrechtsprechung dann vor, wenn die Tätigkeit des Angestellten sich auf die konkrete Fachrichtung der jeweiligen Ausbildung bezieht und die Tätigkeit die durch die Ausbildung erworbenen Fähigkeiten gerade erfordert. Nicht ausreichend ist es, wenn die entsprechenden Kenntnisse des Angestellten für seinen Aufgabenbereich nützlich oder wünschenswert sind. Vielmehr müssen sie für die Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlich, d. h. notwendig sein (BAG Urteil vom 23. Mai 1979 – 4 AZR 576/77 – AP Nr. 24 zu §§ 22, 23 BAT 1975, m.w.N.).
Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Aus ihrem Vorbringen ist nicht erkennbar, daß die von ihr auszuübende Tätigkeit eine Erzieherausbildung erfordert.
Im Rahmen einer Eingruppierungsfeststellungsklage hat der Angestellte stets die Tatsachen vorzutragen und ggf. im Bestreitensfall zu beweisen, aus denen der rechtliche Schluß möglich ist, daß er die im Einzelfall für sich beanspruchten tariflichen Tätigkeitsmerkmale erfüllt. Im vorliegenden Fall wäre es Aufgabe der Klägerin gewesen, darzulegen, warum für die Ausübung der ihr übertragenen Tätigkeit die abgeschlossene Berufsausbildung einer Erzieherin mit staatlicher Anerkennung erforderlich, d. h. notwendig war. Hierzu fehlt es jedoch an jeglichem Vortrag. Die Klägerin hat sich darauf beschränkt, ihre ausgeübte Tätigkeit darzustellen. Dies ist nicht ausreichend, da nicht erkennbar ist, warum gerade in ihrem Fall die Ausbildung zur Erzieherin für die sachgerechte Erledigung der in ihrem Arbeitsbereich anfallenden Tätigkeiten unerläßlich ist.
Von den allgemeinen Regeln abweichende Besonderheiten bei der prozessualen Darlegungs- bzw. Beweislast bestehen zugunsten der Klägerin nicht.
Es existiert kein Erfahrungssatz oder eine tatsächliche Vermutung des Inhalts, daß ihre Ausbildung für die ordnungsgemäße Erfüllung der ausgeübten Tätigkeit etwa deshalb notwendig ist, weil sie bei der Beschäftigung mit den Kindern unzweifelhaft Arbeiten mit pädagogischem Inhalt leistet. Der Einsatz einer Angestellten, die neben einer ausgebildeten Erzieherin als sogenannte Zweitkraft eingesetzt wird, erfordert nicht stets eine abgeschlossene Ausbildung zum Erzieher mit staatlicher Anerkennung. Das Vorliegen pädagogischer Grundkenntnisse ist für die Ausübung dieser Tätigkeit ausreichend.
Hiervon geht auch die “Vereinbarung über die Voraussetzungen der Eignung der in Tageseinrichtungen für Kinder und Kinderheimen der Träger der freien Jugendhilfe tätigen Erzieher und sonstigen Kräfte” i.d.F. vom 1. März 1974 (MBl NW 1974, S. 382 – SMBl NW 2163, Stand: 01.05.1993) aus. Diese legt aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 78 Abs. 3 JWG bzw. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB IV die Voraussetzungen für die Eignung der in Kinderbetreuungseinrichtungen beschäftigten Personen fest. Lediglich für die Leitung einer Kindergruppe ist die Qualifikation einer Erzieherin oder eine vergleichbaren Ausbildung erforderlich (§ 3 i.V.m. § 1 Abs. 2). Für den Einsatz des weiteren erzieherischen Personals wird in § 4 der genannten Vereinbarung eine besondere Ausbildung nicht gefordert.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Dr. Wißmann, Schneider, Wiese, Schamann
Fundstellen
Haufe-Index 856651 |
BB 1994, 2003 |
NZA 1995, 483 |